Damit das zarte Pflänzchen GAIA-X gelingen kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. - Quelle: domnicki - 123RF

So kann die europäische Cloud GAIA-X gelingen

Im öffentlichen Sektor oder in der Gesundheitsbranche – also überall dort, wo von kritischen Infrastrukturen die Rede ist – herrschen in der Regel vielfach Bedenken hinsichtlich des Gangs in die Public Cloud. Die Diskussion über On-Premises versus Public Cloud ist deshalb aktueller denn je. Für solche Branchen könnte großes Potenzial im Netzwerk GAIA-X stecken, das eine europäische Cloud- und Dateninfrastruktur schaffen will. Dazu müssen öffentliche Verwaltung und Softwarehersteller jedoch zu einem Umdenken bereit sein.

Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, wie abhängig Europa von Produkten und IT-Services außereuropäischer Anbieter ist. Viele organisieren im Home Office ihre Arbeits- und Abstimmungsprozesse mithilfe digitaler Tools und Technologien, die nur selten aus Europa stammen. Videos, Chats, Kalender- und Online-Kollaborationswerkzeuge – oft von US-Anbietern – sind gefragter denn je. Dieses Zusammenspiel von Abhängigkeiten und technischem Fortschritt zeigt ein bestehendes Dilemma. Zudem begründet es, warum mehr Eigenständigkeit und damit mehr digitale Souveränität mithilfe des Staates und der europäischen Union gefordert werden. Der richtige Weg könnte hier das Netzwerk GAIA-X sein.

Datensouveränität wahren

GAIA-X soll dafür sorgen, dass sich Daten in Europa sicher zusammenführen und teilen lassen, ohne Mitarbeit von IT-Konzernen aus den USA und China. Wenngleich die Initiative immer wieder als Gegenentwurf zu AWS, Microsoft und Co. dargestellt wird, ist sie dennoch nicht rein europäisch. Unternehmen aus aller Welt können sich beteiligen, wenn sie die über das Projekt GAIA-X erarbeiteten Regeln einhalten. Derzeit machen in den eigens einberufenen Arbeitsgruppen zum Beispiel bereits mehrere US-Anbieter mit, darunter AWS, Microsoft, Google und IBM. Schon heute sind mehrere hundert Organisationen aus vielen Ländern an dem Vorhaben beteiligt – Tendenz steigend. Neben staatlichen Institutionen und Forschungseinrichtungen gehören auch Technologie-Anbieter verschiedener Nationalitäten, Ausrichtungen und Größe sowie diverse Anwenderorganisationen zu den GAIA-X-Protagonisten. Dementsprechend unterschiedlich fallen die Ziele der Akteure aus.

Gemeinsames Ziel von GAIA-X ist es, eine leistungs- und wettbewerbsfähige, sichere und vertrauenswürdige Dateninfrastruktur für Europa zu schaffen. Es geht darum, die Serverkapazitäten vieler kleiner und großer Unternehmen in Europa so miteinander zu vernetzen, dass die Daten sicher und vertrauensvoll verfügbar gemacht, zusammengeführt und geteilt werden können. Insbesondere für die öffentliche Verwaltung wäre eine solche Plattform nicht uninteressant – vorausgesetzt die Souveränität der Daten und Systeme bliebe tatsächlich gewahrt. GAIA-X sieht das vor.

Public Cloud als Herausforderung

Für die öffentliche Verwaltung ist der Einsatz von Clouddiensten grundsätzlich mit vielen Herausforderungen und Unbekannten verbunden. Das führt dazu, dass die Cloud nur selten zum Einsatz kommt und die öffentliche Verwaltung im Hinblick auf die Digitalisierung ins Hintertreffen gerät. Doch warum stehen Behörden und Ämter beim Zugriff auf digitale Infrastrukturen überhaupt vor besonderen Herausforderungen? Das lässt sich einfach beantworten: Branchen mit kritischen Infrastrukturen müssen sich immer die Frage stellen, wie sie vor dem Hintergrund der bestehenden Gesetzgebung und den vielfältigen kundenspezifischen Anforderungen beispielsweise ihre personalwirtschaftlichen Prozesse in der Cloud rechtssicher, gesetzeskonform und anforderungsgerecht abbilden können. Was vielerorts verunsichert, sind die Rahmenbedingungen, vor allem vor dem Hintergrund der EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO). Bei Clouds, die international verteilt sind, braucht es eine rechtliche Grundlage, um personenbezogene Daten in Drittstaaten zu übermitteln.

Viele der genannten Herausforderungen ließen sich mit GAIA-X meistern. Eine zertifizierte Umgebung für den Öffentlichen Dienst ohne Abhängigkeiten zu einzelnen Anbietern hätte große Vorteile etwa hinsichtlich der Einhaltung der DSGVO. Viele Kunden könnten von einem vertrauensvollen Anbieter profitieren. Ob das allerdings in gleichem Maße für die Wirtschaft gilt, muss jedes Unternehmen für sich selbst bewerten. Für den Öffentlichen Dienst ist es eine große Chance und auch für die lokale Wirtschaft ist es ein gutes Angebot, um sich nicht von wenigen globalen Playern abhängig zu machen.

Insgesamt geht es aus Sicht der öffentlichen Verwaltung nicht primär um ein eigenes Ökosystem für eine gemeinsame Dateninfrastruktur in der Cloud. Vielmehr ist ein transparenter Datenverkehr notwendig, um den digitalen Wandel zuzulassen. Estland liefert hier ein gutes Beispiel: Dort kommt die Dateninfrastruktur als Instrument zum Einsatz – vom digitalen Bürger bis zur digitalen Verwaltung. Doch damit sich so etwas auch in Deutschland etablieren lässt, gilt es zu klären, wie viel Bürokratie abgebaut und damit Souveränität der Technologie überlassen wird. Fakt ist: In der öffentlichen Verwaltung muss zunächst bundesweit ein Umdenken stattfinden und dabei müssen alle Gedankengänge erlaubt sein – vom Auflösen föderaler Strukturen bei übergreifenden Aufgaben bis zur Vernetzung von Menschen. Ansonsten wird lediglich der Ist-Zustand verwaltet.

Wie GAIA-X gelingen kann

Aus Sicht der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) ist es unstrittig, dass auch SAP zum Gelingen von GAIA-X beitragen kann. Der Softwarehersteller besitzt Know-how darüber, wie Kunden mit Software umgehen. Zudem spielt SAP eine wichtige Rolle in der Diskussion zum Paradigmenwechsel von den klassischen On-Premises-Anwendungen zu hybriden Landschaften. Darüber hinaus ist der Hersteller in den hybriden Prozess- und IT-Strukturen der meisten Unternehmen eingebettet, wodurch er weiß, welche Einflüsse bei einer Systemeinführung wirken.

Zudem dürfte es SAP wichtig sein, zum Beispiel über die DSAG sicherzustellen, dass reale Kundenanforderungen in die GAIA-X-Gestaltung einfließen. In der Vergangenheit hat SAP lernen müssen, was es bedeutet, an den Kunden vorbei zu entwickeln. Das gilt es insgesamt zu vermeiden, da ein schneller Umschwung in diese neue Welt nur gelingen wird, wenn der GAIA-X-Ansatz Akzeptanz findet.

In diesem Kontext stellt sich zudem die Frage, inwieweit es GAIA-X tatsächlich gelingen kann, hinsichtlich Funktionalität, Flexibilität, Agilität und Kosten den bereits bestehenden Cloudangeboten von amerikanischen Cloudprovidern oder auch SAP das Wasser zu reichen. Aus Sicht der DSAG stellt dies eine große Herausforderung dar, da die Hyperscaler einen Vorsprung haben. Ob GAIA-X der Aufstieg gelingt, hängt maßgeblich vom tatsächlichen Angebot und für Unternehmen natürlich nicht zuletzt vom Preis ab.

Damit GAIA-X erfolgreich wird, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen und Lobbyismus vermeiden. Zudem kann ein derartiges Projekt nur gelingen, wenn die IT-Strategien der Länder nicht als Absichtserklärungen verabschiedet werden, sondern als klare gesetzliche Vorgaben.

Hybride Settings bedürfen besserer Integration

Doch trotz allen Potenzials von GAIA-X, die Akzeptanz für die Public Cloud zu erhöhen, steht aus DSAG-Sicht fest, dass die Zukunft zunächst hybrid sein wird. Fakt ist jedoch auch, dass es derzeit zum Beispiel keine Lohn- und Gehaltsabrechnung in der Public Cloud gibt. SAP bietet aber verschiedene Deployments wie etwa Hosting oder Managed Cloud. Aus Anwendersicht reicht das jedoch nicht. Es müsste vielmehr eine modernere, neuere, anpassbare Lohn- und Gehaltsabrechnung entwickelt werden, weil mit unterschiedlichen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen viele verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind. Zudem müsste dies eine echte Software-as-a-Service-Lösung sein. Hier ließen sich sicherlich auch Machine-Learning- oder Robotic-Process-Automation-Ansätze finden, mit deren Hilfe sich viele Prozessschritte innerhalb einer Abrechnung abdecken lassen. Die bisherigen Werkzeuge bieten zwar fast alles – auch die notwendige Flexibilität – doch sie wurden für Experten geschrieben und diese werden immer weniger.

Solange wir in einer hybriden Welt unterwegs sind, spielt zudem das Thema Integration eine entscheidende Rolle. Im SAP-Kontext bedeutet das etwa: Zwar bietet der Softwarehersteller im Personalwesen zum Beispiel Recruiting, Talentmanagement oder Learning in der Cloud an, doch für die Kernprozesse wie Abrechnung oder Zeitwirtschaft und für die branchenspezifischen Aufgaben wie im Öffentlichen Dienst, beispielweise die Stellenwirtschaft, braucht es zusätzlich hybride Szenarien. Es sollte nicht nötig sein, Stammdaten massenhaft doppelt und von Hand auszutauschen. Es bedarf eines vollautomatisierten Integrationsprozesses.

Bezogen auf das Thema Stammdaten lässt sich zudem festhalten, dass es bisher kein einheitliches Stammdatenmodell zwischen Cloud und On-Premises in den unterschiedlichen Modulen der SAP-Software gibt. DSAG und SAP haben mit ihrer Stammdateninitiative hier jedoch Standards geschaffen, ein One-Data-Model sozusagen. Und das gilt es nun flächendeckend in der Software umzusetzen.

Auch SAP mit Aufholbedarf bezüglich Cloudszenarien

Ob mit GAIA-X oder ohne: SAP und das gesamte SAP-Ökosystem, also auch die Beratungsunternehmen, haben was hybride oder Cloudszenarien anbelangt noch Aufholbedarf hinsichtlich der neuen SAP-Technologien. Hier könnte noch mehr Know-how aufgebaut und in die Unternehmen transferiert werden. Über das SAP-Consulting hinaus gibt es hier zwei wichtige Bausteine: Zum einen wird das Thema Integration jetzt ernster genommen, was wie erwähnt eine Grundvoraussetzung für hybride Welten ist. Zum anderen spielen Referenzarchitekturen für unterschiedliche Branchenlösungen eine wichtige Rolle.

Aus dem CX-Umfeld kennen wir die Model-Companies, doch hier könnte SAP noch besser werden. Es fehlt Klarheit, welche Prozesse SAP hybrid denkt, welcher Prozess in welchem System spielt und wie sich was sauber integrieren lässt. Hier fehlt, wie sich SAP einen Prozess Ende-zu-Ende vorstellt, mit welchen Systemen, was Cloud-only und was on-premises abgebildet werden soll. Das ist besonders im Sinne des Investitionsschutzes wichtig.

Wer sich also hybrid aufstellen möchte, sollte zunächst mit einem einfachen Use Case und einem Teilszenario in die Cloud gehen. Integrations-, Lizenzierung, Betriebs-, Prozesssichten und rechtliche Aspekte im Hinterkopf ist dabei das sinnvollste Vorgehen. Nur so bekommen Unternehmen ein Gefühl dafür, was möglich ist und welche Auswirkungen es hat. In dem Zug ist es auch wichtig und notwendig, dass SAP mehr in Testsysteme investiert, damit sich die Kunden mit möglichen Szenarien konkret auseinandersetzen können.

Fazit

In kritischen Infrastrukturen wie im Öffentlichen Sektor oder in der Gesundheitsbranche ist die Public-Cloud noch keine Option. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen zum Beispiel im Datenschutz. Das Modell GAIA-X könnte hier den Weg in die Cloud ebnen. Dennoch wird die Zukunft nicht Cloud-only heißen, sondern vielmehr hybrid sein. Deshalb sind Softwarehersteller wie SAP gefordert, ihre Hausaufgaben zu machen. Das betrifft nicht nur die Integration, sondern auch das Stammdatenmanagement.

Autor: Hermann-Josef Haag, Fachvorstand Personalwesen & Public Sector der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG).

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