So können Sie massive Selbstüberschätzung vermeiden
Aus dem Handelsblatt-Archiv: Keine Ahnung, große Überzeugung: Durch den Dunning-Kruger-Effekt geraten auch Menschen an Jobs, denen sie nicht gewachsen sind. Wie Feedback helfen kann, das zu lösen.
Düsseldorf. Mit dem Dunning-Kruger-Effekt hat eine der spektakulärsten Fusionen der Wirtschaftsgeschichte begonnen. 1998 schlossen sich die Autohersteller Daimler und Chrysler zusammen, der damalige Daimler-CEO Jürgen Schrempp sprach pompös von einer „Hochzeit im Himmel“. Die Ehe endete nach nur neun Jahren.
Schrempp ist das perfekte Beispiel für den Dunning-Kruger-Effekt, findet Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück: „Schrempp hat sich massiv überschätzt“, sagt er. Der Begriff Dunning-Kruger-Effekt wird verwendet, wenn Menschen ihre Fähigkeiten nicht realistisch einschätzen und glauben, kompetent zu sein – obwohl sie inkompetent sind.
Warum überschätzen sich Menschen, obwohl sie keine Expertise in Bereichen haben, in denen sie arbeiten? Was sind die Symptome des Dunning-Kruger-Effekt? Wie können Sie mit Kollegen umgehen, die solche Züge haben? Und warum kann der Effekt sogar ein Karriere-Booster sein? Das Handelsblatt hat mit zwei Experten darüber gesprochen.
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Dunning-Kruger-Effekt: Das sind die Symptome
Ein Grund für den Dunning-Kruger-Effekt kann ein angegriffenes Selbstvertrauen sein. Astrid Schütz, Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Bamberg, sagt: „Menschen tendieren dazu, ihren Selbstwert bewahren oder erhöhen zu wollen.“ Es ist einfach erklärt: Gerade unsichere Personen würden ihre eigenen Schwächen und Grenzen oft nicht wahrhaben wollen – und sich deshalb überschätzen.
Der Effekt wurde nach den US-Psychologen David Dunning und Justin Kruger benannt, die 1999 erste Forschungsergebnisse dazu lieferten. Sie führten Experimente mit Studierenden durch und konnten dabei belegen: Je weniger ein Teilnehmer wusste, desto mehr war er von seiner Kompetenz überzeugt.
Eine weitere Ursache für den Effekt ist laut Psychologin Schütz, dass manche Menschen Erfahrungen aus anderen Lebensbereichen auf neue Aufgaben übertragen – obwohl sie noch nicht wissen, welche Schwierigkeiten sie erwarten. Daraus folgt, dass sie sich überschätzen.
Dabei geht es nicht zwingend um grundsätzlich inkompetente Menschen. Schütz nennt ein Beispiel: „Wenn sich jemand zuvor gut im Wald ohne Kompass zurechtgefunden hat, glaubt er vielleicht, das auch im Dschungel zu können“, sagt die Psychologin. Dabei funktioniert die neue Aufgabe ganz anders als die alte. Betroffene erkennen Grenzen erst durch Fehler – etwa, wenn sie sich verlaufen haben.
Selbstüberschätzung vermeiden: Feedback einholen und sich neuen Problemen stellen
Um nicht in die Dunning-Kruger-Falle zu tappen, sollten sich Menschen laut Uwe Kanning immer wieder selbst hinterfragen und reflektieren. Feedback von Freunden, Vorgesetzten oder Kollegen kann dabei helfen. Wichtig sei hierbei, dass Sie die Kritik ehrlich annehmen und bereit sind, etwas zu verändern, sagt Kanning. Nur so könnten Menschen etwas dazulernen.
Psychologin Schütz rät zudem, sich regelmäßig herauszufordern: „Wer vor einer neuen Aufgabe steht und diese nicht sofort lösen kann, hat die Chance dazuzulernen.“ Denn fehlende Kompetenzen und Wissenslücken lassen sich hier laut der Expertin besonders gut erkennen.
Dunning-Kruger-Effekt und Narzissmus: Oft ein Karrierebooster
Der Dunning-Kruger-Effekt kann durchaus Vorteile haben. Denn Menschen, die dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, haben häufiger ein starkes Selbstbewusstsein und sind demnach auch mutiger. Sie treffen laut Kanning schneller Entscheidungen, weil sie sich selbst weniger hinterfragen, und wagen sich womöglich an Aufgaben heran, die andere vielleicht nicht angehen würden. „Das kann förderlich für die Karriere sein“, sagt der Experte. „Solange keiner die Inkompetenz bemerkt.“
Dass Menschen mit dürftigen Kompetenzen, dafür aber mit einem großen Selbstbewusstsein, oft mit beruflichem Erfolg belohnt werden, zeigt auch eine Studie der Stanford-Universität aus dem Jahr 2014. Forscher konnten zeigen, dass Geschäftsführer mit narzisstischen Zügen mehr verdienen als CEOs mit weniger dieser Charaktereigenschaften. Narzissten sind häufiger als andere Gruppen vom Dunning-Kruger-Effekt betroffen.
„Personen mit narzisstischen Tendenzen hinterlassen oft auf den ersten Blick positive Eindrücke“, erklärt Expertin Schütz. Das liege vor allem daran, dass sie sich besonders erfolgreich inszenieren können, ergänzt Kanning. „Sie erscheinen anderen als Macher und wirken souverän und sicher“, sagt der Wirtschaftspsychologe. Deshalb seien Menschen mit narzisstischen Charaktereigenschaften in Bewerbungsverfahren für Führungskräfte oft im Vorteil.
Fehlentscheidungen von sich selbst überschätzenden Managern haben oft schwere Folgen
Das kann zu großen Problemen führen: Fehler von Führungskräften sind oft erst nach einem längeren Zeitraum erkennbar. Im Zweifel ist der Manager bereits bei einem anderen Unternehmen tätig, wenn sich die Auswirkungen seiner Fehlentscheidungen zeigen.
Das könne laut Kanning gravierende wirtschaftliche Folgen haben – etwa, wenn schlechte Investitionen getätigt werden. Geschäftsführer könnten ein Unternehmen mit ihrer Selbstüberschätzung an den Rand der Existenz bringen, so der Experte.
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Und auch in vielen anderen Bereichen kann der Dunning-Kruger-Effekt zu Problemen führen. Das kann bereits beim Recruiting beginnen, wenn Personalmanager nur Job-Interviews durchführen. Der Personaler kann dann schwer überprüfen, ob ein Kandidat auch alle Kompetenzen mitbringt, die er angibt. Ob jemand einen Job bekommt oder nicht, hängt dann davon ab, wie er sich verkauft – anders als etwa bei leistungsbezogenen Auswahlverfahren oder strukturierten Vorstellungsgesprächen.
Das hat laut Wirtschaftspsychologe Kanning zur Folge, dass oftmals Bewerber eingestellt werden, die besonders selbstsicher aufgetreten sind. „Obwohl es im Bewerberpool vielleicht noch jemanden gegeben hätte, der mehr Leistung bringt und fachlich versierter ist.“
Außerdem schlägt sich der Effekt auf das Betriebsklima nieder. Loben Chefs oder Manager überwiegend Blender, trübt das die Stimmung bei denjenigen, die die eigentliche Arbeit leisten. Psychologin Schütz warnt: „Das ist frustrierend für Mitarbeiter, die ihre Grenzen kennen.“
Konkretes Feedback hilft beim Dunning-Kruger-Effekt und Selbstüberschätzung
Mit Kollegen, die regelmäßig ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen, zusammenzuarbeiten, kann auf Dauer anstrengend sein. Deshalb ist es wichtig, ihnen ihr Verhalten zu spiegeln. Aber dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. Auf keinen Fall sollten Sie der Person direkt vorwerfen, inkompetent zu sein und sich zu überschätzen, sagt Schütz. Besser: Präsentieren Sie Fakten, die zeigen, wo noch Verbesserungsbedarf besteht.
Für Chefs ist es in der Regel leichter, ihren Mitarbeitern Feedback zu geben, als andersherum. Dennoch sollten sie dabei konstruktiv vorgehen. „Jemanden klein zu machen ist vielleicht fürs Ego der Führungskraft gut, bewirkt aber nicht sonderlich viel“, sagt Schütz. Stattdessen sollte die Kritik sich auf konkrete Beispiele beziehen und immer einen Verbesserungsvorschlag beinhalten.
Komplizierter wird es, wenn der Mitarbeiter den Chef kritisieren muss. Weil dieser in der Hierarchie über einem steht, braucht es hier oft Mut und Überwindung. Bleiben Sie auch hier konkret und sachlich und versuchen Sie nicht zu verallgemeinern.
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