So kommen bessere Entscheidungen schneller zustande
Unternehmen können in Zukunft nur dann erfolgreich werden, wenn es ihnen gelingt, die richtigen Maßnahmen zügig zu ergreifen. Dabei gilt: Nicht alles muss die Führungskraft selbst entscheiden – außer sie hat Spaß daran, sich im Mikromanagement zu verlieren. So macht ihr es besser …
Beim schwedischen Streamingdienst Spotify, Weltmarktführer für Musikvermarktung, sieht man Entscheidungsprozesse so: Ein guter Mitarbeitender trifft in 70 Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie sein Chef. Bei 10 Prozent seiner Entscheidungen liegt der Mitarbeitende daneben. Und zu 20 Prozent fällt er bessere Entscheidungen, weil er näher an einer operativen Sache dran ist und deshalb davon mehr Ahnung hat. Geht es um digitale Belange in traditionellen Firmen, liegt die Zahl bei den gut ausgebildeten jungen Mitarbeitenden wahrscheinlich sogar noch höher.
Und wie ist das in klassischen Unternehmen?
In vielen klassischen Unternehmen laufen die Genehmigungswege noch immer wie anno dazumal ab: Selbst kleinere Entscheidungen werden in die nächsthöhere Hierarchiestufe oder gleich „ganz nach oben“ verlagert, also dorthin, wo man oft weniger vom Tagesgeschäft versteht. Das ist, als würde der Trainer die Elfmeter schießen. So passieren Fehlentscheidungen häufig im obersten Stock. Oft dauern Entscheidungsprozesse auch viel zu lange. In einer Hochgeschwindigkeitszukunft ist die Fähigkeit zu guten, raschen Entscheidungen allerdings elementar, um nicht von anderen, schnelleren Mitbewerbern überholt zu werden.
In einem Fall brauchte es für alle Anschaffungen ab 100 Euro zwei Unterschriften. Hierfür war aufwendig ein Formular auszufüllen. Zu allem Übel war einer der beiden Entscheidungsträger zwei Wochen in Urlaub, danach türmte sich bei ihm die Arbeit. Als endlich grünes Licht kam, war der Kunde, für den die Genehmigung notwendig war, weg. Er konnte nicht länger warten. Neben den Kosten für das Bewilligungsverfahren belief sich der entgangene Umsatz auf 10.000 Euro.
Doch das war ist noch nicht alles. Der junge, ambitionierte Kundenbetreuer hatte die Nase voll von solch antiquierten Prozessen. Er war eingestellt worden und in die Firma gekommen, um Großes zu bewegen. Weil ihm das dort nicht ermöglicht wurde, war er bereits auf dem Sprung. Die Opportunitätskosten: 100.000 Euro, um diese Position dann neu zu besetzen.
Kluge Köpfe wollen autonom entscheiden
Messen Sie doch mal in ihrer Firma, wie oft das Absegnen reine Formsache ist. Die Führungskraft als Edelsachbearbeiter, der seine Zeit mit Häkchenmachen verplempert? Wer sich mit solchen Vorgaben rumschlagen muss, wird zum Mikromanager, ob er das will oder nicht. Das lässt sich bepreisen. Obendrauf kommen weitere Kosten, wenn Obere auch darüber befinden, ob Mitarbeiterideen umgesetzt werden. Denken wir an entgangene Ersparnisse wegen eines nicht umgesetzten Verbesserungsvorschlags oder an entgangene Erlöse, weil ein innovativer Vorstoß den Markt nicht erreicht.
Ja, es ist eine Krux: Erst wollen die Firmen die besten Mitarbeitenden, und dann werden diese geführt, als ob sie keine eigenen Entscheidungen treffen könnten. „Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können.“ Diese Aussage stammt von Steve Jobs. Und Ed Catmull, Leiter der Pixar Animation Studios, ebenfalls sehr erfolgreich, sagte einmal: „Wir beginnen mit der Annahme, dass unsere Mitarbeitenden talentiert sind und einen Beitrag leisten wollen. Wir akzeptieren, dass unser Unternehmen ungewollt dieses Talent auf unzählige Weisen einengt. Aber wir versuchen, diese Hindernisse zu finden und zu beseitigen.“
Kontrolle lässt Eigeninitiativen versanden
In den frühen Zeiten der Industrialisierung war es sicherlich sinnvoll, bei anstehenden Entscheidungen die Führungskräfte einzuschalten. Da wurden ungelernte Tagelöhner direkt von den Feldern in die Fabriken geholt. Man sagte ihnen, was sie zu tun hatten, und genau das taten sie auch. Vorarbeiter waren dazu da, sie anzutreiben: mit Planzahlen, harschen Vorgaben und strengen Kontrollen. Das war damals. Heute brauchen wir vor allem geniale Köpfe, damit das notwendige Neue entsteht.
Das Abarbeiten vorgedachter Vorgehensweisen hingegen lässt Eigeninitiativen einfach versanden. Vorgezeichnete Wege hemmen die Fantasie und zerstören damit die Möglichkeit, eigene, andere, bessere Wege zu einer Zielerreichung zu finden. Kontrolle kann zwar Fehler verhindern, doch sie weckt kein Leben, erzeugt keinen Schwung, keine Kreativität, kein Engagement und schon gar keine Innovationen. So killt das Machtwort der Chefs jegliche Kreativität. Die heute so dringend benötigten neuen, forschen, unkonventionellen Ideen sind dann unerreichbar.
Neue Zeiten brauchen neue Vorgehensweisen
Hochstrategische Entscheidungen gehören natürlich in den obersten Stock. Sie liegen außerhalb des Wissens oder der Verantwortung der operativen Teams. Solche Entscheidungen haben fast immer einen langfristigen Zeithorizont. Wenn es hingegen um operative Maßnahmen geht, entscheidet besser nicht der Vorgesetzte, sondern der Mitarbeitende oder das Team, in dem ein jeweiliger Vorstoß wirksam wird. Dabei müssen die Führenden akzeptieren, dass nicht ihre eigene Meinung das Maß aller Dinge ist, sondern dass es auch andere, weitaus geeignetere Wege zum Ziel geben kann.
Fast alle operativen Fragestellungen kann ein Team besser beantworten als irgendein Manager weit weg vom Schuss. Wer das Ohr ständig am Markt hat, hat zudem auch ein besseres Gespür dafür, was das nächste große Ding werden könnte. Gibt es also überhaupt gute Gründe für einsame Chefentscheidungen in operativen Belangen? Ja, und zwar sind das Situationen, die blitzschnelles Handeln erfordern und große Auswirkungen haben. Begründen Sie als Chef gegenüber den Mitarbeitenden in dem Fall, weshalb es zu einer solchen Entscheidung kam. Sie sollten die Ausnahme bleiben.
Die Entscheidungsmatrix: Typ 1 oder Typ 2
Grundsätzlich lässt sich, wie wir sahen, zwischen strategischen und operativen Initiativen unterscheiden. Ich nenne sie Entscheidungen von Typ 1 und Typ 2:
Typ-1-Entscheidungen: Das sind strategische Entscheidungen. Diese haben einen weitreichenden Zeithorizont mit beträchtlichen Konsequenzen, wie etwa Fusionen, ein Firmenumzug oder Investitionen. Dabei geht es um die großen Zusammenhänge im Marktgeschehen, um langfristige Perspektiven, um juristische Haftungsgründe, um Finanzimplikationen usw., die für die Unternehmenssteuerung maßgeblich sind.
Typ-2-Entscheidungen: Das sind Entscheidungen von operativer Bedeutung. Sie werden eigenverantwortlich und selbstorganisiert dort getroffen, wo sie tatsächlich hingehören: dort, wo die Fachleute sitzen, dort, wo man ganz nah am Kunden ist, und dort, wo man beim kleinsten Hinweis auf Fehler zügig nachsteuern kann. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einer neuen Entscheidungskultur ist eine Entscheidungsübersicht.
Wie eine Entscheidungsübersicht erstellt wird
Um eine Entscheidungsübersicht zu erstellen, wird zunächst auf einem Board zusammenzutragen, welche Entscheidungen von strategischer und welche von operativer Bedeutung sind. Danach wird festgelegt, wer bei Entscheidungen von Typ 1 involviert ist und diese genehmigt. Entscheidungen von Typ 2 werden autonom im Team oder von einer Einzelperson getroffen. Allenfalls gibt es eine Informationspflicht „nach oben“ und/oder ein Vetorecht. Auch das wird notiert.
Anschließend wird die Übersicht intern veröffentlicht. Das schafft Klarheit, Sicherheit und Transparenz. In einer festgelegten Experimentierphase, die ein paar Monate dauern kann, wird die Brauchbarkeit des Ganzen getestet. Änderungen und Ergänzungen sind nach gemeinsamer Absprache jederzeit möglich. Die Informationspflicht und vor allem das Vetorecht sollten nur äußerst selten angewandt werden, um den Weg in das eigenverantwortliche, selbstorganisierte, agile Arbeiten tatsächlich zu ebnen.
In unterschiedlichem Tempo unterwegs
Die Menschen sind alle verschieden. Das betrifft auch ihr Tempo, wenn es um Wandel geht. Es gibt die, die können es gar nicht erwarten, Verantwortung zu übernehmen. Und es gibt andere, die warten lieber erst mal ab. Wer jahrelang rein anweisungsorientiert gearbeitet hat, tut sich womöglich anfangs ebenfalls schwer.
Doch es müssen nicht sogleich alle in das selbstorganisierte Entscheiden gehen. Eine Faustregel dazu besagt: Sind zehn Prozent einer Gruppe für eine Sache gewonnen, entsteht Sog. Lasst also zunächst die Vorreiter ran. Eine Gruppe als Ganzes ist sicherer, wenn zunächst nur eine solche „Vorhut der Willigen“ Neuland betritt.
Zudem braucht es die Wahrnehmung jedes Einzelnen in der Gruppe, sich emotional sicher zu fühlen. Dazu gehört auch eine lernorientierte Fehlerkultur. Nur in einer solchen Umgebung fällt es den Menschen leicht, sich einzubringen und mit der neuen Vorgehensweise zu experimentieren. Zudem müssen wir üben, um zu brillieren.
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