So lief der erste in sozialen Medien ausgelöste Banksturm
42 Milliarden Euro sollen Kunden von der SVB allein am letzten Tag vor Schließung der Bank zurückgefordert haben. Das Handelsblatt zeigt, welche Rolle Twitter und WhatsApp gespielt haben.
New York, Düsseldorf, San Francisco, Berlin, Frankfurt. Als sich das amerikanische Finanzministerium und die National Venture Capital Association am Freitag nach der Pleite der Silicon Valley Bank zu einer Telefonkonferenz verabreden, schalten sich mehr als 1000 Menschen zu. Sie alle sind Vertreter amerikanischer Wagniskapitalfirmen. Und allein ihre Zahl in dieser Telefonkonferenz deutet schon darauf hin, wie die Stimmung ist: aufgewühlt.
Es sind die Tage, in denen die Silicon Valley Bank (SVB), ihrer aller Hausbank, ins Chaos schlittert. Und die Stunden, in denen viele Tech-Investoren allmählich eine Ahnung davon bekommen, wie viel von ihrem Geld auf dem Spiel steht.
Schließlich haben sie alle Firmen in den Portfolios, deren Kapital durch eine Insolvenz der SVB bedroht wäre. Es ist eine Situation, die sie selbst mitverschuldet haben – weil die gesamte Branche zuerst einen Großteil ihres Geldes bei einer einzigen Bank angelegt und dann quasi kollektiv entschieden hat, es plötzlich abzuziehen. Und doch eine Situation, die sie hilflos erscheinen lässt.
1,2 Millionen Dollar pro Sekunde
Denn der Zusammenbruch der SVB war nicht der größte, wohl aber der vermutlich schnellste der US-Geschichte. Wie konnte es dazu kommen? Laut Insider-Intelligence-Analystin Sky Canaves war es ein „klassischer Bankrun“. Dabei verlieren viele Kunden einer Bank gleichzeitig das Vertrauen in das Institut und wollen ihre Einlagen abheben.
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Das Phänomen ist bekannt, das Tempo aber war neu: Der britische Wagniskapitalexperte David Vogel rechnet auf LinkedIn vor, dass während der zehnstündigen Öffnungszeit der SVB im Schnitt 1,2 Millionen Dollar pro Sekunde herausgegeben werden sollten.
Der Fall wirft auch ein Schlaglicht auf die Risiken von Banken im digitalen Zeitalter: Kunden sind in Echtzeit miteinander über Kanäle wie Twitter, aber auch WhatsApp vernetzt. Onlinebanking ermöglicht ihnen, sofort Transaktionen auszulösen. Das kann eine 200-Milliarden-Bank binnen Stunden zum Einsturz bringen – jedenfalls wenn ihre Kunden so gut vernetzt sind wie die der SVB.
Evan Armstrong, einer der Autoren des Wirtschaftsnewsletters „Napkin Math“, twitterte, während die Rettung der Bank im Gange war: „Dies ist das erste Mal, dass wir einen durch die sozialen Medien ausgelösten Bankrun erlebt haben.“ Und warnte: „Wenn Ihr Kundenstamm auf Twitter aktiv ist, kann Ihnen das genauso leicht passieren.“
Ein Team von Reportern im Silicon Valley, in New York und in Deutschland hat mit mehr als zwei Dutzend Gründern und Venture-Capital-Investoren gesprochen. So kann das Handelsblatt den ersten social-media-induzierten Bankrun nachzeichnen.
Donnerstag, 23. Februar
Autor Byrne Hobart geht in einer Ausgabe von „The Diff“, einem auf Technologie und Finanzen fokussierten Newsletter, auf grundlegende Probleme der Bank ein. Dazu zählt, dass sie das Geld ihrer Start-up-Kunden in lang laufende Anleihen investiert hat. Doch nun brauchen aufgrund eines schwierigen Umfelds mehr Firmen Kapital als andere einzahlen. Damals noch eine Fußnote in den Berichten der Bank: Sollte sie Anleihen kurzfristig verkaufen müssen, um liquide zu bleiben, würde sie hohe Verluste machen.
Hobart denkt im Februar sogar bereits über die Gefahr eines Bankruns nach – hält ihn aber selbst für unwahrscheinlich. In einem Ausschnitt des Newsletters, den er auch über Twitter verbreitet, schreibt er: „Um die Liquidität des Unternehmens tatsächlich zu beeinträchtigen, wäre ein absolut gigantischer Bankrun erforderlich.“ Ganz ausschließen will er ein solches Szenario aber nicht: „Die Tech-Welt ist risikoscheuer als früher“, schreibt er. Niemand wolle paranoid wirken, wenn er als Erster sein Geld abziehe, aber es wolle auch niemand die Konsequenzen tragen, der Letzte zu sein.
Dieser Effekt ist in der Branche nicht zu unterschätzen: Im Wagniskapitalgeschäft gehört das Orientieren an Wettbewerbern zum Kerngeschäft: Investoren, die heute um einen Deal kämpfen, investieren morgen gemeinsam in eine andere Firma. Gründer, die Anteile ihres Start-ups verkaufen, investieren das Geld oft direkt wieder bei jüngeren Firmen. Vor allem ist es in dem schnelllebigen Geschäft aber wichtig zu beobachten, was die anderen machen. Insbesondere an den großen und namhaften Fonds wie Sequoia oder dem Founders Fund des deutsch-amerikanischen Investors Peter Thiel orientiert sich die gesamte Branche.
Der Beitrag von Hobart habe in der Branche viele wachgerüttelt, sagte ein Investor dem Handelsblatt. Doch als die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG der Bank tags darauf ein gutes Zeugnis ausstellt, scheinen vielen die Sorgen vorerst wohl wieder unbegründet.
Mittwoch, 8. März
Das ändert sich schlagartig am Mittwoch, den 8. März. Da wird Wirklichkeit, was Hobart als Risiko erkannt hatte: Die Silicon Valley Bank gibt bekannt, dass sie liquide Mittel besorgen muss und deshalb Wertpapiere aus ihrem Anleiheportfolio mit einem Verlust von 1,8 Milliarden Dollar verkauft hat. SVB-Chef Greg Becker verschlimmert die Lage, als er Investoren in einem Call sagt: „Bleiben Sie ruhig, geraten Sie nicht in Panik.“
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Was dann passiert, lässt sich am besten anhand von Tweets, E-Mails und Chat-Nachrichten nachvollziehen. Besonders exemplarisch: eine 100 amerikanische Gründer und Wagniskapitalgeber umfassende Slack-Gruppe. Dort soll bereits am Mittwoch über die News von den verlustreichen Verkäufen der SVB diskutiert worden sein. Nervös wird die Gruppe aber erst, als am Tag darauf die Aktie der SVB einbricht.
Donnerstag, 9. März, 8.59 Uhr im Silicon Valley, 11.59 Uhr in New York, 17.59 Uhr in Deutschland:
Ein Gruppenmitglied postet einen Artikel der „Financial Times“, die über den Einbruch der SVB-Aktie berichtet. Dazu schreibt es: „Diese SVB-News sind gar nicht gut.“ „Ich hatte mir schon Sorgen gemacht um Ihr Venture Debt Exposure“, schreibt ein anderer. Offenbar hat das angesprochene Mitglied einen speziellen Start-up-Kredit aufgenommen, für den die SVB bekannt war.
Dann bringt das erste Mitglied Transfers ins Spiel. „Sollen wir heute all unser Geld bei der SVB abheben?“ Eine Diskussion beginnt, noch sind viele Nutzer unsicher.
9.27 Uhr / 12.27 Uhr / 18.27 Uhr Deutschland:
„Wenn jemand einen guten Kontakt bei JPM sucht“, schreibt ein Wagniskapitalgeber mit Bezug auf die größte US-Bank JP Morgan, „ich bekomme 4 Prozent [Zinsen] auf CDs.“ Gemeint sind Certificate of Deposits, es geht also um Zinsen aufs Festgeld.
9.30 Uhr / 12.30 Uhr / 18.30 Uhr in Deutschland:
Ein anderes Mitglied tritt auf die Bremse. „Ruhig bleiben! Ich glaube, es wird alles gut werden.“ Manche reagieren mit unterstützenden Smileys.
9.33 Uhr / 12.33 Uhr/ 18.33 Uhr in Deutschland:
Die Schlagzahl der Nachrichten steigt. „Was für eine Verwirrung hier rund um die SVB!“, schreibt ein Investor. „Ich erhalte so viele Textnachrichten zur SVB, was soll ich tun?“, fragt ein anderer.
„Meiner bescheidenen Meinung nach: Eröffne sofort ein weiteres Konto, wenn du nicht schon eins hast!“ Nur, zu welcher Bank sollte man wechseln?
„Ich würde zu First Republic gehen und zur UBS“, lautet eine Empfehlung. „Um auf Nummer sicher zu gehen, würde ich mich für größere Institute entscheiden, die wenig vom Tech-Markt abhängig sind.“
9.42 Uhr / 12.42 Uhr / 18.42 Uhr in Deutschland:
Die ersten Gruppenmitglieder berichten von erfolgreichen Transfers, andere kämpfen mit Ausfällen im Onlinebanking. Manche reagieren mit Galgenhumor. „Ich glaube, ich gehe jetzt zu meiner Filiale“, ätzt einer. „Die sollen mir meine 30 Millionen Dollar in Goldbarren und Start-up-T-Shirts ausbezahlen.“
Ein anderer: „Ich würde lieber Bitcoin nehmen. Und Matratzen können sie mir auch gleich mitgeben“, da könne man dann sein Geld drunter parken. Manche Nutzer reagieren mit Lach-Smileys.
9.55 Uhr / 12.55 Uhr / 18.55 Uhr in Deutschland:
„Wie läuft der Transfer zu JP Morgan ab?“, will ein Investor wissen. „Wie arbeiten die genau?“ Ein Gruppenmitglied teilt mehrere Kontaktinformationen: Namen, Handynummern und E-Mail-Adressen von JP-Morgan-Bankern. „Meldet euch bei denen!“
Gut eine Stunde später ploppt das Thema erstmals im „Builders Network“ auf. Den Slack-Kanal hat der Investor Christian Miele aufgesetzt, um die deutsche Gründerszene zu vernetzen. In Deutschland ist es mittlerweile 20.12 Uhr, als die Entwicklungen um die Silicon Valley Bank thematisiert werden. Mehr als 1360 Mitglieder können hier mitlesen. Bekannte Szeneköpfe berichten später, dass sie beim gemeinsamen Abendessen mit Kollegen erstmals vom Bankrun hören.
Um 21.11 Uhr deutscher Zeit meldet Bloomberg, dass der Founders Fund seine Portfoliofirmen aufgefordert habe, das Geld abzuziehen. Die Nachrichtenagentur beruft sich auf mit den Vorgängen vertraute Personen, der Fonds äußerte sich selbst nicht.
12.30 / 15.30 Uhr / 21.30 Uhr in Deutschland
Die Investmentfirma Global Founders Capital schickt eine Mail an Portfoliogründer raus, mit dem Betreff: „[Eilt] Bankrun bei der SVB“. Darin schreibt das Team: „Wenn Sie dort [bei der SVB] ein Konto haben, raten wir Ihnen dringend, alles Geld von der Bank abzuheben“ – und in Großbuchstaben „ASAP“: Die Abkürzung für „as soon as possible“, so schnell wie möglich.
13.21 / 16.21 Uhr / 22.21 Uhr in Deutschland
Mehr Reichweite hat Michael Jackson auf LinkedIn. Der Wagniskapital-Investor ist Partner beim in Frankfurt ansässigen Fonds Multiple Capital und hat 125.000 Follower. Er macht einen Screenshot vom Aktienkurs der SVB und postet ihn mit den Worten: „SVB ist bereits um mehr als 60 Prozent gefallen. Es sieht aus wie ein Bankrun.“ Dazu Emojis mit einem fallenden Kurs und ein Gesicht, das die Zähne zusammenbeißt.
Ein deutscher Investor berichtet dem Handelsblatt später, dass er durch diesen Post erstmals auf die Situation aufmerksam wurde.
Weitere Venture-Capital-Fonds verschicken Massenmails an Geldgeber und Portfoliofirmen. Aus dem Umfeld von Elevat3, dem Fonds von Seriengründer Christian Angermayer, geht eine Mail an andere Investoren raus: „Im Falle einer Insolvenz sind Firmenkonten NICHT geschützt“, heißt es darin warnend. Und weiter: „Bitte reagieren Sie jetzt sofort und übertragen Sie Ihr gesamtes Bargeld (und auch alle Wertpapiere, die Sie bei der SVB halten) auf eine andere Bank.“
Es ist bereits nach ein Uhr nachts in Deutschland, da startet Mike Butcher, leitender Redakteur des Branchenmagazins „Techchrunch“ eine kleine Umfrage auf Twitter: „Frage an europäische Investoren/VCs: Geben Sie Ihren Portfoliofirmen den Rat, Gelder von der SVB abzuheben?“ 39,3 Prozent der 150 Teilnehmer stimmen mit „Ja“, 18 mit „Nein“, die anderen wollen weitere Informationen abwarten.
Für viele in der Venture-Szene gibt es jetzt kein Zögern mehr. Deutsche Gründer berichten, dass sie nachts von ihren Investoren angerufen werden. Mark Tluszcz, Chef der Wagniskapitalfirma Mangrove Capital, antwortet später auf Butchers Umfrage: „Wenn Sie Ihre Firmen nicht anweisen, ihr Geld rauszuholen, dann machen Sie als Beirat und Anteilseigner nicht Ihren Job.“ Das tägliche Leben in Start-ups sei riskant genug: „Spielen Sie nicht mit der Rettungsleine.“
In dem Chat der etwa 100 US-Gründer und Investoren, für die es Nachmittag ist, haben manche Nutzer mittlerweile von erfolgreichen Überweisungen berichtet, andere sind verstummt. Eine wiederholte Frage ist: „Sind eure Überweisungen rausgegangen?“
Je weiter der Tag in den USA voranschreitet, desto mehr häufen sich die Probleme. In einer anderen Chatgruppe kündigen Gründer an, am nächsten Morgen persönlich zu einer Filiale der Bank fahren zu wollen, um ihr Geld zu holen. Auf Twitter berichten erste Nutzer, dass Gründer in die Filialen strömen.
Freitag, 10. März
Am Freitagmorgen stellt sich heraus, dass auch das nichts mehr hilft. Bevor die Filialen im Silicon Valley öffnen, teilt die Finanzaufsicht des Staats Kalifornien mit, dass die SVB geschlossen und unter die nationale Bankenaufsicht FDIC gestellt worden ist. Die Zukunft der betroffenen Firmen zu diesem Zeitpunkt: ungewiss.
Während SVB-Kunden nichts mehr tun können, außer zu warten, schlägt GFC erneut Alarm. Eine Mail an mehr als 200 Adressaten trägt den Betreff: „[Eilt] Mehr Banken betroffen“.
Immer mehr Investoren raten ihren Gründern jetzt, ihr Geld auf möglichst viele Banken zu verteilen. Ein Berliner Investor erhält Entwarnung: „Leichter Herzinfarkt überwunden“, schreibt ein Gründerteam ihm. Es werde ihn freuen zu hören, dass sein Geld jetzt auf die HSBC, Santander, JP Morgan und Investec aufgeteilt ist. „Unsere Annahme ist, dass wir, wenn alle 4 ausfallen, größere Probleme haben …“
Manche Gründer tragen ihr Geld inzwischen auch wieder zurück zur SVB, die jetzt von der US-Einlagensicherung FDIC kontrolliert wird. Investoren haben nichts dagegen: „Ist ja jetzt der sicherste Ort der Welt“, sagt einer dem Handelsblatt.
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