So macht zu viel Veränderung Mitarbeiter zu Low Performern
Zu viel Transformation kann die Belegschaft überfordern – und damit demotivieren. Wie Führungskräfte hier reagieren sollten.
Berlin. Ein mittelständisches Unternehmen befindet sich mitten im technologischen Wandel. Während neue Prozesse entstehen, müssen alte weitergeführt werden. Die Transformation geht nicht so schnell voran, wie es als nötig erachtet wird. Daher versucht das Management, das Tempo zu erhöhen. Es kümmert sich selbst um die meisten Themen, nimmt Teams aus der Verantwortung.
Die Erfolge fallen dennoch nicht so aus wie erforderlich. Stattdessen ist die Belegschaft häufiger krank, die Motivation gesunken und die Kündigungsrate höher. „So was erlebe ich immer wieder“, sagt Bettina Hüfner, die als Business-Coach und Change-Beraterin seit mehr als 15 Jahren Finanzdienstleister, Dax-Konzerne und öffentliche Unternehmen bei Transformationsprozessen berät.
Das Problem: Unternehmen wollen oft zu viel in zu kurzer Zeit. „Und überfordern damit ihre Mitarbeiter“, sagt Hüfner. Die Folge: Viele kündigen innerlich oder verlassen sogar ihren Arbeitgeber. Laut einer aktuellen Umfrage des Handelsblatt Research Institute unter 500 Managern sieht jeder vierte Befragte in der Transformationsmüdigkeit eine der größten Herausforderungen bei Veränderungsprozessen.
Welche Fehler werden bei Transformationen häufig gemacht? Wie können Unternehmen gegensteuern? Und wie lassen sich Mitarbeiter nachhaltig für Veränderung begeistern? Expertin Hüfner und der Karrierecoach Stefan Wickenhäuser geben fünf Tipps.
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1. Mitarbeiter Pausen zum Durchatmen lassen
Transformationsprozesse sind in der Regel keine kurzfristigen Angelegenheiten, sondern ziehen sich über Jahre hin. Deswegen ist es laut Hüfner wichtig, zwischen einzelnen Veränderungsschritten Pausen einzubauen. „Auf Belastung muss auch Entlastung folgen“, sagt sie. Anstatt in hektischen Aktionismus zu verfallen, sei es wichtig, Prioritäten zu setzen. Was muss sofort angegangen werden? Was hat länger Zeit?
„Hier die richtige Balance zu finden fällt oft schwer“, sagt die Expertin. In Unternehmen müssten die einzelnen Schritte im Transformationsprozess regelmäßig evaluiert und nachjustiert werden. Welche Ziele wurden erreicht? Was ist vielleicht nicht so gut gelaufen? Und vor allem: Wie haben die Mitarbeiter die Veränderung empfunden? Ziehen sie mit? Oder fühlen sie sich abgehängt?
2. Auf Warnzeichen bei Mitarbeitern achten
Mitarbeiter, die sich vorher viel eingebracht haben, sind auf einmal sehr passiv? Die Krankmeldungen häufen sich? Der Teamzusammenhalt geht verloren? „All das sind Anzeichen, dass sich Mitarbeiter erschöpft und überfordert fühlen“, sagt Stefan Wickenhäuser. Mit seiner Firma Rethinking Job berät er Unternehmen oder Führungs- und Fachkräfte zu den Themen Arbeitszufriedenheit, Mitarbeiterbindung und Transformationsprozesse.
Sind die Mitarbeiter sehr demotiviert oder es häufen sich Beschwerden, sollten Führungskräfte laut Wickenhäuser auf keinen Fall den Druck erhöhen, sondern lieber einen Gang runterschalten, überlegen, was falsch läuft – und gegebenenfalls den Veränderungsprozess beenden und neu aufsetzen.
3. Mitarbeiter richtig mitnehmen
Um zu vermeiden, die Mitarbeiter auf halbem Weg zu verlieren, muss das Topmanagement richtig kommunizieren. Klingt banal. „Schlechte Kommunikation ist aber einer der häufigsten Fehler, die ich beobachte“, sagt Coach Wickenhäuser.
Heißt: Die Mitarbeiter müssen mit einbezogen werden. Ziele, Sinn und Zweck eines Transformationsprozesses sollten jedem klar sein. Hierzu gehöre auch zu verstehen, wie sich die Veränderung konkret auf den eigenen Joballtag auswirkt und die täglichen Aufgaben.
4. Sicherheit trotz Change bieten
Veränderungen machen vielen Angst – gerade, wenn sie komplex und schwer zu verstehen sind. Experte Wickenhäuser nennt hier zum Beispiel den KI-Boom. „Viele Mitarbeiter fürchten hier, abgehängt oder ersetzt zu werden“, sagt der Coach. Bei seinen Klienten beobachte er immer wieder, dass Beschäftigte, die zuvor gut performt haben, auf einmal Selbstzweifel haben. „KI wird die Arbeit von uns grundlegend verändern“, ist Wickenhäuser überzeugt. „Das schürt bei vielen große Unsicherheit.“
Wie aber können Führungskräfte mehr Sicherheit bieten? Zum einen rät der Experte dazu, Verständnis zu zeigen, wenn sich Mitarbeiter mit einer Veränderung oder etwas Neuem wie KI überfordert fühlen. Zum anderen helfen: viele Mitarbeitergespräche, Weiterbildungen und Schulungen.
Ganz wichtig ist laut Wickenhäuser: Kontinuität. „Wenn ein Management heute Rot, morgen Blau und übermorgen Gelb sagt, weiß die Belegschaft irgendwann überhaupt nicht mehr, was Sache ist.“ Manche Veränderungen, sagt der Experte, müssten sich auch erst mal etablieren, bevor man sofort mit dem nächsten Prozess starten könne. Viele Beschäftigte hätten jahrelang immer das Gleiche gemacht und müssten sich plötzlich in ganz vielen Bereichen verändern. „Man sollte ihnen zwischendrin ein bisschen Ruhe gönnen.“
5. Ziele der Transformation realistisch formulieren
Auch hier zeigt sich das Problem: Oft wollen Unternehmen zu viel in zu kurzer Zeit – und gehen mit unrealistischen Erwartungen in einen Veränderungsprozess. Wenn dann noch allein das Management über die Ausgestaltung der Transformation entscheidet, ohne die Mitarbeiter einzubeziehen, kommt es laut Hüfner schnell dazu, dass der Belegschaft unerreichbare und unverständliche Ziele vorgesetzt werden. „Kaum etwas demotiviert mehr.“
Hier, sagt sie, seien vor allem auch die Mittelmanager gefragt. Denn oft würden diese die Vorgaben des Managements einfach an ihre Teams weitergeben, obwohl ihnen eigentlich klar ist, dass die gewünschten Ergebnisse nicht lieferbar sind. „Führungskräfte sollten hier mutig und ehrlich sein“, sagt die Expertin. Dafür brauche es aber auch eine Unternehmenskultur, in der das Topmanagement kritikfähig ist und Feedback annimmt.
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