Wenn sich die Hierarchien plötzlich ändern, können Konflikte entstehen. Doch dem kann man vorbeugen. - Foto: Imago
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So meistern Sie die ersten 100 Tage als Führungskraft

Die erste Führungsposition anzutreten ist eine große Entscheidung. Wer sie getroffen hat, sollte gerade in der ersten Zeit als neue Führungskraft einiges beachten.

Düsseldorf. Das Setting: Ein Mitarbeiter bekommt die Leitung des Teams zugesprochen. Er wird damit zum Vorgesetzten der vorherigen Kolleginnen und Kollegen. Prompt verlangt die neue Führungskraft, dass sie fortan nicht mehr geduzt, sondern gesiezt wird. Spoiler: Das ist keine gute Idee.

Doch wie verhalten sich neue Führungskräfte richtig, wenn die Hierarchien sich über Nacht ändern? Wie gehen sie etwa mit freundschaftlichen Beziehungen um, die sie mit Kollegen früher gepflegt haben? Wie setzen neue Chefinnen und Chefs schwierigere Entscheidungen durch, ohne sich unsympathisch zu machen?

Diese und weitere Fragen unserer Zuschauerinnen und Zuschauer – auch dazu, wie Aufstiegswillige eigentlich die erste Führungsposition bekommen – haben wir im Livestream von Handelsblatt Live Plus mit Susanne Tiedemann vom Fürstenberg Institut und Führungskräftecoach Henryk Lüderitz diskutiert. Worauf es in den ersten 100 Tagen als Führungskraft ihrer Meinung nach ankommt, können Sie hier nachlesen.

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Die erste Führungsposition will gut überlegt sein

Wer zum ersten Mal eine Führungsposition bekleidet, „der muss mit sich darüber im Reinen sein, dass er die Verantwortung auch wirklich will“, sagt Susanne Tiedemann.

Wer sich sicher ist, dass sie oder er wirklich Chefin oder Chef werden möchte, sollte auf dem Weg dorthin behutsam vorgehen. Nicht zu empfehlen: Vor Antritt der ersten Chefposition großspurig vor den Kolleginnen und Kollegen auftreten, Aufgaben verteilen und sich selbst in den Vordergrund spielen.

„Grundsätzlich finde ich den Ansatz gut, das Führen in zweiter Reihe erst mal auszuprobieren“, sagt Coach Henryk Lüderitz. „Wichtig ist aber, dass das mit der Führungskraft abgestimmt ist und sich auf definierte Aufgaben beschränkt, damit keine Fragen aufkommen oder Befindlichkeiten geschürt werden.“

Beispiel Organisation der Weihnachtsfeier: Laut Lüderitz eine gute Gelegenheit, um mehr Führungsverantwortung in einem Rahmen auszuprobieren, der auch für den Rest des Teams ein nachvollziehbarer, klar abgesteckter Verantwortungsbereich ist.

Wer sich auf diese Weise vortaste, könne dann auch zu dem Schluss kommen, dass eine Führungsposition vielleicht doch noch nicht das Richtige sei – ohne dabei das Gesicht zu verlieren.

Transparenz sicherstellen, stark kommunizieren, das Team gut einbinden und Entscheidungen treffen: Laut Susanne Tiedemann sind das zentrale Kompetenzen, die eine moderne Führungskraft beherrschen muss. „Heutzutage geht es darum, kollegial und kooperativ zu führen und nicht die veralteten Statuten vor sich herzutragen, die wir immer noch mit Chefsein verbinden.“

1. Orientierung

„Die Selbstklärung sollte ganz vorne anstehen“, sagt Susanne Tiedemann. Das bedeutet, dass Führungswillige sich darüber klar werden müssen, welche Ziele sie persönlich mit der neuen Rolle verfolgen. „Fragen Sie sich: Was will ich hier eigentlich?“ Tiedemann empfiehlt neuen Führungskräften in dieser Phase, sich um ein Coaching zu bemühen, sollte das Unternehmen das nicht von sich aus anbieten.

2. Vogelperspektive

Der Blick von oben auf die Organisation ist enorm wichtig, um die eigene Rolle und die Ziele für das Team zu definieren. Wichtig sei, vor allem eine Frage für sich zu beantworten: Was ist der eigene Beitrag und der des Teams zum Unternehmenserfolg? Susanne Tiedemann empfiehlt, sich einen Betrachtungshorizont von etwa einem Jahr zu setzen: Was sollte die Führungskraft bis dahin geschafft haben? Und was das Team?

3. Eisbrechen

Was diesen Punkt angeht, sei Schnelligkeit gefragt. „Nach meiner Erfahrung ist es unheimlich wichtig, schnell ins Eisbrechen, also in den Kontakt mit den Menschen zu kommen. Da habe ich eine magische Grenze von einer Woche“, sagt Henryk Lüderitz. Innerhalb dieser Woche sollte mit jedem Teammitglied eine halbe bis eine Stunde gesprochen worden sein – egal, wo die Kolleginnen und Kollegen sitzen, im Zweifel per Videokonferenz.

4. Problemanalyse

Probleme zu erkennen ist fundamental für eine erfolgreich ausgefüllte Führungsposition. Auch dafür sei es laut Lüderitz so wichtig, mit dem Team schnell in einen engen Austausch zu kommen. Nur wer die bestehenden Probleme und Wünsche kennt, kann an Lösungen arbeiten und damit das Team zufriedener und produktiver machen.

Häufig bestehen auch Diskrepanzen zwischen den Erwartungen der nächsthöheren Führungskraft und der gelebten Praxis im eigenen Team. Je früher einer Führungskraft bewusst ist, an welchen Stellen dabei die Erwartungen auseinanderdriften, umso leichter kann sie gegensteuern.

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5. Freundschaftliche Beziehungen

Wer vom Kollegen zum Chef wird, dem kann es passieren, dass vormals freundschaftliche Beziehungen zu den Kollegen angespannter werden.

Solche Freundschaften erhalten zu wollen, ist aus Sicht der beiden Experten kein No-Go, sondern menschlich. Von einem Tag auf den anderen ungewöhnlich hart aufzutreten, bringe niemanden weiter, plötzliche Siezvorschriften irritieren nur und verunsichern das Team.

Betroffene Führungskräfte müssten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass es zu Misstrauen führen kann, wenn etwa die Freundschaft zwischen Chefin und einem Teammitglied enger ist als zu den anderen Kollegen. Große Nähe zu einzelnen Teammitgliedern berge außerdem das Risiko, dass die Chefin oder der Chef die Leistungen dieser Mitarbeiter nicht mehr zu einhundert Prozent objektiv bewerten könne.

Eine weitere wichtige Frage: Wie äußert man Kritik – als Chef und als Freund? „Die neue Rolle bringt nun mal neue Aufgabenfelder mit sich, auch unangenehme Entscheidungen oder das Beurteilen von Mitarbeitern. Das kann man kühl und distanziert machen, das kann man aber auch menschenzugewandt angehen“, sagt Coach Henryk Lüderitz.

Fazit: Einem Bier mit den Teamkollegen steht nichts im Wege. Intimen Beziehungen allerdings schon. Die seien und blieben in den allermeisten Fällen ein No-Go.

6. Eigene Erschöpfung im Blick behalten

Viele neue Führungskräfte überanspruchen sich zunächst – aus Enthusiasmus und dem Wunsch, ihre Vorgesetzten von sich zu überzeugen. Aber: Führungskräfte müssen nicht ad hoc 150 Neukunden pro Monat akquirieren oder den Umsatz ihrer Abteilung radikal steigern, sagt Henryk Lüderitz. Sie hätten ganz neue Aufgaben. „Führen bedeutet, am Menschen zu sein.“

Heißt: Eine Vorgesetzte, die es geschafft habe, in einer Woche fünf gute Gespräche mit Mitarbeitern zu führen, die danach wieder mit einem Lächeln in den Tag gehen, habe wichtige Arbeit geleistet.

Empfehlenswert sei es außerdem, zu priorisieren: etwa A-, B- und C-Aufgaben festzulegen. Am Ende der Woche können sich Neu-Chefs dann selbst ein Feedback dazu geben, wie gut sie sich an diese Prioritäten gehalten und was sie alles geschafft haben. Und bevor hier Missverständnisse entstehen: Gespräche mit den Teammitgliedern seien natürlich A-Aufgaben.

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