So sinnvoll ist die Präsenzpflicht für Arbeitnehmer
Naht das Ende des Homeoffice? Immer mehr deutsche Konzerne erhöhen ihre Präsenzquoten. Was sich Unternehmen davon versprechen – und was die Rückkehr ins Büro wirklich bringt.
Düsseldorf. SAP, Otto, VW – deutsche Konzerne holen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder mehr zurück ins Büro. Unternehmen setzen verstärkt auf Präsenz, manche führen nun sogar eine Anwesenheitsquote ein, wie etwa Vodafone. Das Handelsblatt hat große deutsche Unternehmen gefragt, wie sie es mit der Präsenzpflicht halten und welche Regeln sie noch planen.
Dabei steht die Frage im Raum, ob eine höhere Anwesenheit tatsächlich zu besserer Performance führt. Wissenschaftlerin Johanna Bath ordnet den Trend ein – und sagt: Gerade in Krisenzeiten sollten New-Work-Konzepte wie Homeoffice nicht zurückgeschraubt werden.
Vodafone verabschiedet sich von voller Flexibilität
Marcel de Groot, Chef von Vodafone, hat große Pläne. Er will das Mobilfunkunternehmen aus der Krise führen und spricht von einem Aufbruch. Solch ein Aufbruch brauche Gemeinschaft und eine starke Unternehmenskultur. „Teams-Kacheln können das nur schwer vermitteln“, sagt de Groot. „Dafür brauchen wir den echten Austausch und auch die ganz realen Momente am Arbeitsplatz.“
Bislang gilt bei Vodafone das sogenannte „Full Flex“-Modell: Die Beschäftigten können sich frei aussuchen, von wo aus sie ihre Arbeit erledigen. Bald wird es jedoch eine verpflichtende Regelung zu einer festen Anzahl von Bürotagen geben.
Wir wollen die richtige Balance zwischen Remote- und Präsenzarbeit.Marcel de Groot, Vodafone-Chef
„Wir wollen die richtige Balance zwischen Remote- und Präsenzarbeit“, erklärt de Groot den Schritt. Das Miteinander stärke „nicht nur Zufriedenheit und Produktivität, sondern auch das Zugehörigkeitsgefühl – innerhalb der Teams und zum Arbeitgeber.“
Wie viele Präsenztage die Richtlinie umfasst, wollte das Unternehmen noch nicht bekannt geben. Laut Handelsblatt-Informationen laufen die Verhandlungen zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat auf eine Büropflicht von acht Tagen im Monat hinaus. Der Belegschaft war bereits angekündigt worden, dass künftig zwei Tage im Büro pro Woche zur Pflicht werden könnten.
Das hatte unter manchen Beschäftigten zu Unmut geführt. Es gibt Mitarbeitende, die nach der Ankündigung von de Groots Vorgänger Philippe Rogge auf eine reine Arbeit im Homeoffice gesetzt und sich einen Wohnsitz weit weg von Vodafone-Standorten gesucht hatten.
Seit vergangenem Jahr läuft zudem der Abbau von 2000 Stellen bei Vodafone in Deutschland – gepaart mit Frühruhestandsregeln. Die künftige Büropflicht könnte dazu führen, dass einige Mitarbeiter die Regeln in Anspruch nehmen, betriebsbedingte Kündigungen seien sehr unwahrscheinlich, sagten zwei Insider dem Handelsblatt.
Johanna Bath: Mehr Performance bei höherer Anwesenheit nicht bewiesen
Johanna Bath, Professorin für Unternehmensführung an der Hochschule Reutlingen, schaut skeptisch auf de Groots Plan. „Es gibt keine Studie und keine Zahlen, die zu dem Schluss kommen, dass die Performance automatisch bei höherer Anwesenheit steigt“, sagt sie.
Die Professorin hat in einer Studie erforscht, welche Auswirkungen eine feste Büroquote auf die Anwesenheit hat. Das Ergebnis: „Mit einer Anwesenheitsquote kann die Präsenz im Schnitt um 0,7 Tage erhöht werden.“ Firmen müssten sich deshalb fragen: „Was versprechen wir uns von dieser Steigerung?“ Es sei nicht so, dass die Mitarbeitenden ohne Quote nie anwesend seien und mit Präsenzpflicht fünf Tage in der Woche. Eine Quote sorge vielmehr für gerade mal minimale Verschiebungen.
Nicht nur bei Vodafone gelten bald andere Regeln, auch bei Otto ist seit Januar festgeschrieben: Mindestens 50 Prozent der Arbeitszeiten sollen auf dem Campus stattfinden. Es habe „nicht in allen Bereichen“ eine „ausgewogene Balance aus Präsenz- und Remote-Arbeit“ gegeben, teilt der Konzern dazu mit.
Die durchschnittliche Anwesenheitsquote liege aktuell bei 45 Prozent und habe sich damit bereits deutlich gesteigert – im November seien es noch 30 Prozent gewesen, sagt eine Sprecherin. Der Handelskonzern betont: „Sozialer Kitt und eine emotionale Identifikation mit dem Unternehmen wurden und werden von Zusammenarbeit in Präsenz maßgeblich positiv beeinflusst.“
Um die Anwesenheit zu steigern, appelliert auch Covestro an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, über die bestehende Gesamtbetriebsvereinbarung hinaus vor Ort zu sein. Bei geeigneten Tätigkeiten sieht die Vereinbarung eigentlich bis zu 80 Prozent mobiles Arbeiten vor.
„Im Sommer 2024 haben wir unsere Mitarbeitenden allerdings gebeten, ihre Präsenz vor Ort auf mindestens 50 Prozent zu erhöhen“, teilt der Leverkusener Werkstoffhersteller mit. Um eine „ausgewogene Arbeitsumgebung zu fördern, ermutigen wir die Mitarbeitenden, die Vorteile der persönlichen Zusammenarbeit aktiv zu nutzen“.
Auf die Nachfrage, inwiefern sich die erhöhte Präsenz auf die wichtigen Kennzahlen des Unternehmens auswirkt, heißt es von Covestro: „Der Einfluss der Präsenzarbeit oder des hybriden Arbeitens auf KPIs lässt sich nur schwer messen.“ Was man aber sagen könne: dass der regelmäßige persönliche Austausch der Teams wichtig sei, „um sich miteinander verbunden zu fühlen und die Unternehmenskultur zu fördern“.
Homeoffice ist in Deutschland fest verankert
Professorin Bath sagt, dass eine gesteigerte Präsenzpflicht für Unternehmen durchaus Sinn ergeben könne. So komme es in Unternehmen mit Anwesenheitsquote etwas häufiger zu informellen Gesprächen mit direkten Kollegen. Bei der empfundenen Qualität der Gespräche seien hingegen keine signifikanten Unterschiede zu Unternehmen ohne Präsenzquote festzustellen.
„Ich plädiere nicht dafür, dass jeder einfach machen soll, was er will“, sagt Bath. Aber: Die Lösung müsse durchdacht sein. Oft gebe es im Unternehmen keine passenden Konzepte, wie die Anwesenheit sinnvoll umgesetzt werden könne. „Auf eine böse Mail, nach der die Mitarbeitenden wieder mehr ins Büro kommen sollen, folgt dann ein Chaos bei der Verteilung der Sitzplätze. Oder es gibt keine Kontrollmechanismen, um die Anwesenheit nachzuhalten.“
Dass gerade feste Quoten für Präsenzarbeit in vielen deutschen Konzernen verankert werden, heißt nicht, dass Homeoffice in Deutschland grundsätzlich verschwindet. Die aktuelle Personalleiterumfrage des Personaldienstleisters Randstad und des Ifo-Instituts von März 2025 zeigt, dass 64 Prozent der Unternehmen ihre Homeoffice-Regelungen nicht verändern.
Aber: 20 Prozent der Unternehmen reduzieren die Möglichkeit des Homeoffice, jedes zehnte Unternehmen schafft Homeoffice komplett ab. In Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern planen das sogar 19 Prozent. „Nach Jahren der Flexibilisierung sehen wir jetzt eine Trendwende: Viele Unternehmen kehren zu strengeren Präsenzregeln zurück“, sagt Human-Resources-Expertin Verena Menne von Randstad.
Führungskräfte müssen fast jeden Tag im Büro sein
Neben Vodafone, Otto und Covestro geben Bosch, die Telekom, SAP, Mercedes und die Deutsche Bank auf Anfrage des Handelsblatts an, weiterhin an hybriden Arbeitsmodellen festhalten zu wollen. „Hybrides Arbeiten ist bei Bosch seit Langem Standard“, heißt es vom Konzern, der auf eine Anwesenheitsquote von 60 Prozent setzt. Die Telekom gibt an, dass für Büroarbeitende „die Zukunft der Arbeit hybrid ist“.
20 %
reduzieren die Home-Office-Möglichkeiten für ihre Mitarbeitenden.
Angestellte sollen dabei an drei Tagen in der Woche ins Büro kommen, für Führungskräfte wird hingegen eine Anwesenheit von vier bis fünf Tagen wöchentlich vorausgesetzt. Auch bei Mercedes gilt die „einheitliche Erwartung an alle leitenden Führungskräfte, dass sie während ihrer Arbeitszeit grundsätzlich an ihrem Arbeitsort anwesend sind“.
Auch Bath beobachtet keine „wasserfallartigen Veränderungen bei der Etablierung von Homeoffice“. Was sie aber bemerkt: „In letzter Zeit gab es viele prominente Fälle von großen Unternehmen und Dax-Konzernen, die öffentlichkeitswirksam das Homeoffice eingeschränkt haben.“ Die Frage sei, aus welchen Motiven heraus das passiere. Ihre Vermutung: „Oft ist es eine Botschaft an den eigenen Vorstand, an den Aufsichtsrat und auch an die Aktionäre: Ich bin der starke Mann, ich greife durch und bereite dem Homeoffice-Spaß jetzt ein Ende.“
SAP einigt sich mit Betriebsrat auf neue Homeoffice-Regeln
Das führt innerhalb der Konzerne nicht selten zu Streitigkeiten mit der Belegschaft und dem Betriebsrat – die vor einer Schlichtungsstelle enden können. Das zeigte sich jüngst vor allem bei der Deutschen Bank und bei SAP.
Der Softwarehersteller und der Betriebsrat stritten sich zwischenzeitlich vor Gericht, ab April gilt nun bei SAP neben neuen Kategorien zur Leistungsmessung der Mitarbeitenden auch für die Belegschaft in Deutschland eine neue Vereinbarung zum mobilen Arbeiten. Angestellte müssen ab dem kommenden Monat drei Tage in der Woche entweder im Büro oder bei Kundenterminen präsent sein. Somit sind zwei Tage mobiles Arbeiten möglich, bislang war nur ein Präsenztag in der Woche vorgeschrieben.
Viele Führungskräfte sind stark von ihrem eigenen Erleben und Bauchgefühl geprägt.Johanna Bath, Wissenschaftlerin
Der Konzern sei weiterhin davon überzeugt, „dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit im Homeoffice und im Büro sowohl die Produktivität und Innovationskraft als auch das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördert“, heißt es von SAP.
Für die Entwickler bei SAP kann das Arbeiten im Großraumbüro allerdings beschwerlich sein. In einer internen Umfrage von September stimmten 77 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass sie zu Hause ungestörter als im Büro arbeiten können.
„Viele Führungskräfte sind stark von ihrem eigenen Erleben und Bauchgefühl geprägt“, sagt Bath. „Der Job eines CEO ist es, mit möglichst vielen Menschen zu interagieren und viele Kontakte zu pflegen. Wer so einen Job hat, geht womöglich davon aus, dass das auch für die eigenen Mitarbeiter gelten muss.“ Dabei gebe es viele Berufsbilder, die ganz anders gelagert seien – und für die nicht so viel Präsenz im Büro erforderlich sei.
Mitarbeiter mit Anwesenheitsquote sind wechselwilliger
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden spüren, wenn Regelungen ihre Arbeitsrealität nicht widerspiegelten. „Das empfinden sie dann zu Recht als ungerecht.“ Angestellte mit einer Büropflicht planen ihrer Studie zufolge signifikant häufiger, in den nächsten beiden Jahren den Arbeitgeber zu wechseln.
Im November einigte sich auch die Deutsche Bank nach monatelangem Streit mit dem „überwiegenden Teil ihrer Betriebsräte in Deutschland“ auf ein „überarbeitetes hybrides Arbeitsmodell“. Es sieht vor, dass die Beschäftigten bis zu 40 Prozent mobil arbeiten können. Davor waren bis zu 60 Prozent möglich.
Seit Januar gilt nun die neue, strengere Obergrenze, für die sich vor allem Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing eingesetzt hatte. „Das Büro soll der vorrangige Arbeitsplatz bleiben, um die Zusammenarbeit zu verbessern, die Teamdynamik zu stärken und die persönlichen Interaktionen zu fördern“, heißt es von der Deutschen Bank.
Homeoffice-Expertin Bath rät, ausdifferenzierte Lösungen anzubieten. „Gerade in Krisenzeiten sind motivierte Mitarbeitende Gold wert. Unternehmen sollten sie nicht verschrecken, indem sie ihnen pauschale Lösungen überstülpen“, sagt sie. „Im schlimmsten Fall gehen Mitarbeitende dann in die innere Kündigung und arbeiten unengagiert weiter.“ Es sei mitnichten so, „dass die meisten Menschen einfach zu faul sind, ihre Schlafanzughose auszuziehen, und deshalb nicht ins Büro kommen“.
Vielmehr wüssten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meist sehr genau, für welche Aufgaben und Meetings sich ihre Anwesenheit lohne oder was sie besser von zu Hause aus erledigen könnten, so Bath.
👉Exklusiv für Studierende: 12 Monate lesen, nur einen zahlen
