So stellen Manager ein schlagkräftiges Krisenteam zusammen
In harten Zeiten wünschen sich viele eine starke Führungsfigur. Doch effektiver ist es, wenn Chefs ein schlagkräftiges Team aufbauen – und dabei vier Fehler vermeiden.
Düsseldorf. Ob Stromausfall, Hackerangriff oder Pandemie: Krisen treffen Unternehmen meist unerwartet und plötzlich. Oft geht es dann ums wirtschaftliche Überleben. Obwohl es zuerst keine klare Lösung gibt und die Folgen für Vorstände und Geschäftsführer kaum abzuschätzen sind, müssen Entscheidungen binnen Minuten fallen.
Die Sehnsucht nach einfachen Antworten ist in Krisenzeiten entsprechend groß. „Viele Menschen wünschen sich eine starke Führungsfigur. Doch effektiver ist es, ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen“, sagt Miriam Müthel. Die Professorin der WHU Otto Beisheim School of Management ist eine Expertin für Führung in herausfordernden Situationen. Sie hat 2020 den VW-Aufsichtsrat in ethischem Krisenmanagement geschult.
„Eine einzelne Führungskraft kann kaum mehr Herr der Lage sein“, bestätigt Frank Roselieb. Den Teamansatz hält er angesichts globaler Multikrisen für zukunftstauglicher. Roselieb leitet das Kieler Institut für Krisenforschung.
Das Institut hat alle seit 1984 öffentlich gewordenen Krisenfälle im deutschsprachigen Raum erfasst und analysiert – vom Absturz des Germanwings-Flugzeugs in Südfrankreich bis zur Flutkatastrophe im Ahrtal. Den Krisenstäben gehörten in der Regel acht bis zehn Personen an, um die Situation zu bewältigen.
Aber wie genau lässt sich ein ähnlich schlagkräftiges Krisenteam innerhalb eines Unternehmens aufbauen? Professorin Müthel und Managementberater Roselieb erklären, welche Fehler Manager dabei unbedingt vermeiden sollten.
1. Zusammensetzung: Querdenker nicht vergessen
👉Das Handelsblatt wird 79 – und Sie feiern mit!
Leiter des Teams ist in kleineren Unternehmen oft der Geschäftsführer. In größeren Organisationen führen meist fachlich zuständige Bereichsleiter die Krisenstäbe, bei einem Hochwasserschaden zum Beispiel der oberste Facility-Manager.
Ihr Vorteil: „Spitzenmanager können harte Entscheidungen sofort über das gesamte Unternehmen hinweg treffen“, sagt Roselieb. Und sie profitierten bei der Krisenbewältigung oft von einem gewissen Vertrauensvorschuss. Daneben haben auch der Kommunikationschef sowie die Rechtsabteilung einen festen Platz im Stab, um Betroffene zu informieren und rechtliche Folgen zu bewerten.
Je nach Auslöser der Krise holt der Leiter weitere interne oder externe Fachexperten hinzu. So gehört im Fall einer Hackerattacke der IT-Bereichsleiter in die Runde. Stehen dagegen Werke still, wie vor Kurzem wegen des Stromausfalls in Portugal und Spanien, werden Produktionsverantwortliche dazugeschaltet, manchmal auch regionale Spezialisten.
Eine optimale Teamgröße gibt es laut Roselieb nicht. Sie hänge vom konkreten Problem und den betroffenen Standorten ab. Jedes weitere Teammitglied erhöhe dabei die Komplexität und wirke auf die Gruppendynamik. Dennoch solle auf Andersdenkende nicht verzichtet werden, warnt Expertin Müthel.
„Frische Perspektiven sind für kreative Lösungen hilfreich. Sie erweitern die Entscheidungsoptionen“, sagt die Führungsexpertin. Schließlich müsse der Krisenstab mögliche Konsequenzen für das Unternehmen abschätzen und Gegenmaßnahmen planen.
Wegen der hohen Eigendynamik von Krisen mit externem Ursprung könnten dabei aber nicht alle plausiblen Maßnahmen auch wirken. Entsprechend sei es besser, möglichst viele Ideen zu haben.
Krisenforscher Roselieb bestätigt die wichtige Rolle eines Querdenkers zwar, um „den Tunnelblick derjenigen zu verhindern, die gewohnt sind zusammenzuarbeiten“. Oft stünden solche wichtigen Impulsgeber intern aber nicht zur Verfügung. Übliche Auswahlverfahren verhinderten oft Kandidaten, die nicht in die herrschende Firmen- und Führungskultur passten. Dann könne alternativ ein externer Berater diese Rolle übernehmen.
2. Persönlichkeitsmix: Sozialkompetenz der Mitglieder nicht ignorieren
👉Das Handelsblatt wird 79 – und Sie feiern mit!
„Stabsmitglieder müssen wahre Multitalente sein“, sagt Krisenforscher Roselieb. Gesucht seien Profis im Priorisieren, Delegieren und Kommunizieren.
Generell sollten die Mitglieder eines Krisenteams selbstbewusste, aber pragmatische Teamplayer mit ausgeprägter emotionaler und sozialer Intelligenz sein. Sie müssten bereit sein, auf eigene wie fremde Fehler schnell zu reagieren – ohne Schuldzuweisungen. „Diese unterdrücken sonst Initiative und Ideen“, sagt Müthel. Genau auf diese Faktoren käme es aber an, um rasch unkonventionelle Lösungen zu finden.
Angesichts einer zunehmenden Zahl von Krisen würden fähige und erfahrene Krisenmanager mehr denn je benötigt, sagt die WHU-Professorin. Sie empfiehlt deshalb, Mittelmanager mit relevanter Fachkompetenz gezielt in den Krisenstab aufzunehmen. „Geeigneter Nachwuchs kann so erleben, worauf es in Notlagen ankommt, und sich als belastbare Verstärkung beweisen.“ So ließe sich das notwendige Vertrauen zu sich und anderen entwickeln, das es braucht, um ohne große Worte miteinander arbeiten zu können.
3. Arbeitsweise: Keine Zeit verschwenden
Wer den Krisenstab zusammenstellt, dürfe das Team danach nicht sich selbst überlassen, sagt Führungsexpertin Müthel. Im Gegenteil: Der Leiter des Teams sei auch für dessen effiziente Arbeit verantwortlich und koordiniere sie.
Für Banken oder Chemieunternehmen sind Notfallpläne Pflicht. Sie sehen ein dreistufiges Vorgehen vor: Zuerst rasch ein gemeinsames Verständnis der Lage erzeugen, dann Fakten klären und Wissenslücken identifizieren, um schließlich Handlungsoptionen zu entwickeln.
Im Fall eines möglichen Hackerangriffs sollten verschiedene Szenarien durchgespielt und bewertet werden. Trennen wir das gesamte Unternehmen vom Internet? Oder reicht es, ein einzelnes Rechenzentrum abzukoppeln? Es könnte auch genügen, nur das Onlinebanking für kurze Zeit auszusetzen.
Dabei gilt es, Unsicherheit und Zeitdruck miteinander zu vereinbaren. „Lieber eine schnelle 80-Prozent- als eine zu späte 100-Prozent-Lösung“, rät Roselieb. Hat der Krisenstab die strategische Entscheidung gefällt, folgt die sofortige Umsetzung durch die operativen Einheiten im Unternehmen, wie die Taskforce im Rechenzentrum.
Wichtig sei, dass jeder wisse, wo im Ernstfall sein Platz sei und dass erst einmal vorbereitete Routinen abgearbeitet werden könnten. Krisenexperte Roselieb sagt: „Wer die Situation im Ernstfall zunächst von null durchdenken muss, verliert wertvolle Zeit.“ Vorbereitete Ablaufpläne nach dem Wann-macht-wer-was-Schema dagegen reduzierten den Stress und schafften Platz für notwendige Anpassungen an den konkreten Krisenfall.
4. Emotionen: Überforderung des Einzelnen nicht unterschätzen
Ob Naturkatastrophe, Kriegsausbruch oder Terroranschlag: „Krisensituationen, überfordern den Einzelnen häufig. Erst recht, wenn Menschen dadurch leiden“, sagt WHU-Professorin Müthel. Das könne sich in Zaudern, Aggression oder auch Selbstzweifel äußern.
Es sei wichtig, dass Stabsmitglieder genau wüssten, wie sie selbst auf Überforderung reagieren, um nicht von ihren Gefühlen blockiert zu sein. Der Führungsalltag biete Gelegenheit herauszufinden, wie man selbst auf solche Situationen reagiert, sagt Müthel.
Damit ein Team in der Krise reibungsfrei zusammenarbeite, müsse besonders der Leiter oder die Leiterin zudem auch die Emotionslage innerhalb der Gruppe beachten, um gezielt gegensteuern zu können.
Dann könne er oder sie zum Beispiel unter vier Augen auf ein Mitglied vom aggressiven Typus zugehen, das im Meeting laut geworden ist: „Du kämpfst wie wir alle darum, gute Lösungen für das Unternehmen zu finden. Ich sehe, dass es dir nicht schnell genug geht mit Entscheidungen. Aber das ist aus meiner Sicht nicht, was wir am dringendsten brauchen. Es kommt jetzt erst auf eine Analyse der Situation an. Damit wir möglichst viele Lösungsoptionen bekommen.“
Expertin Müthel erklärt, warum eine solche persönliche Ansprache in einer Krise trotz immensen Zeitdrucks wichtig ist: „Je aggressiver eine Führungskraft ist, umso eher übersieht sie gute Ideen, die vom Standard abweichen.“
Ob Teammitglied oder Leiter: Ebenfalls negativ auswirken können sich Schamgefühle, etwa darüber, nicht krisenerfahren zu sein oder keine zündende Idee zur Schadenbegrenzung zu haben.
In Krisenzeiten hätten Entscheidungen meist größere Konsequenzen als im Normalbetrieb. Daher müssten sich Mitglieder des Krisenstabs damit abfinden, dass eine falsche Entscheidung einen Teil des Geschäfts ruinieren könne, sagt Müthel.
Besonders die Leiter des Krisenstabs müssten mit potenziellen Schuldgefühlen leben können. Darauf seien allerdings nur die wenigsten Spitzenkräfte vorbereitet.
👉Das Handelsblatt wird 79 – und Sie feiern mit!
