Premium

So überzeugen Sie jeden Chef - vier Strategien von Apple-Mitarbeitern

Apple-Gründer Steve Jobs gilt als Genie. Tatsächlich musste ihn sein Team von vielen großartigen Ideen erst überzeugen. Vier Strategien, die Sie sich von den Apple-Mitarbeitern abschauen können.

Von Adam Grant

Steve Jobs ist eine Legende. Er hat unser aller Leben durch die Kraft seiner Überzeugungen verändert, so lautet jedenfalls der Kern seiner Heldengeschichte. Doch in Wirklichkeit geht ein großer Teil seines Erfolgs bei Apple auf sein Team zurück. Es waren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihn immer wieder dazu brachten, seine Meinung zu überdenken.

Jahrelang bestand Jobs zum Beispiel darauf, dass er niemals ein Telefon herstellen würde. Als sein Team ihn schließlich dazu überreden konnte, verbot er zunächst alle Apps von anderen Anbietern. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis Jobs von seinem Standpunkt abrückte. Innerhalb der nächsten neun Monate verzeichnete der App Store eine Milliarde Downloads; im Rahmen der folgenden zehn Jahre erwirtschaftete das iPhone einen Umsatz von mehr als einer Billion Dollar.

Fast jede Führungskraft hat seitdem die Genialität von Steve Jobs studiert. Überraschend wenige haben sich mit der Genialität derjenigen befasst, die wussten, wie sie ihn beeinflussen konnten. Als Arbeits- und Organisationspsychologe habe ich eine Reihe von Menschen getroffen, die die Fähigkeit besaßen, Jobs umzustimmen, und ihre Methoden wissenschaftlich genauer untersucht.

Die schlechte Nachricht zuerst: Viele Führungskräfte sind derart von sich überzeugt, dass sie auch gute Meinungen und Ideen von anderen ablehnen und sich weigern, ihre eigenen, fehlerhaften Vorstellungen aufzugeben. Die gute Nachricht: Sogar die selbstsichersten, stursten, narzisstischsten und unverträglichsten Menschen lassen sich dazu bewegen, sich für andere Denkweisen zu öffnen.

Es gibt zunehmend Belege dafür, dass verschiedene Persönlichkeitsmerkmale nicht in jeder Situation gleich stark hervortreten. Die durchsetzungsstarke Managerin nimmt gelegentlich eine unterwürfige Haltung ein. Der hyperkompetitive Kollege hat vorübergehende Phasen, in denen er kooperativ ist. Die chronische Aufschieberin schließt Projekte zuweilen vorzeitig ab.

Jede Führungskraft hat ein Wenn-dann-Profil. Das heißt: Wir reagieren auf bestimmte Situationen mit bestimmten Verhaltensweisen. Wenn die durchsetzungsstarke Managerin mit Vorgesetzten interagiert, verhält sie sich plötzlich unterwürfig. Wenn der wetteifernde Kollege mit einem wichtigen Kunden spricht, zeigt er sich auf einmal kooperativ. Wenn die Aufschieberin eine wichtige Deadline einhalten muss, reißt sie sich regelmäßig zusammen.

Computerprogramme bestehen aus einer Kette von Wenn-dann-Befehlen. Menschen sind nicht so einfach gestrickt, doch wir reagieren ebenfalls auf vorhersehbare Weise nach Wenn-dann-Mustern. Selbst die unflexibelsten Menschen geben manchmal nach. Und auch aufgeschlossene Menschen haben wiederum Momente, in denen sie sich verschließen, wenn eine bestimmte Voraussetzung gegeben ist. Auf diese Muster und Schlüsselmomente, in denen selbst ein uneinsichtiger Mensch seine Meinung ändert, sollten Sie achten.

Die folgenden Schritte können helfen, Besserwisser zu überzeugen, sture Kollegen und uneinsichtige Chefs zu einer Kehrtwende zu bewegen oder Narzissten dazu zu bringen, Demut zu zeigen.

Zeigen Sie Wissenslücken auf

Wenn Sie einen Menschen umstimmen wollen, ist die erste Hürde Arroganz. Jeder ist schon einmal einer Führungskraft mit übertriebenem Selbstbewusstsein begegnet. Solche Chefs und Chefinnen wissen nicht, was sie nicht wissen. Weist sie jemand anderes auf ihre Unwissenheit hin, gehen sie in die Defensive. Ein besseres Vorgehen besteht darin, diese Menschen dazu zu bringen, dass sie ihre Wissenslücken selbst erkennen.

Psychologen haben dazu mehrere Experimente mit Studierenden der Universität Yale durchgeführt. Sie sollten bewerten, wie gut sie die Funktionsweise von Alltagsgegenständen wie Fernsehern oder Toiletten verstanden. Die Studentinnen und Studenten zeigten sich sehr selbstsicher, was ihr Wissen anging – bis sie gebeten wurden, Schritt für Schritt aufzuschreiben, wie die besagten Gegenstände funktionieren. Während sie sich abmühten zu erklären, wie ein Fernseher das Bild überträgt oder eine Toilettenspülung abläuft, schwand ihr übersteigertes Selbstvertrauen. Plötzlich wurde ihnen bewusst, wie wenig sie eigentlich wirklich verstanden hatten.

Der Versuch, einen komplexen Sachverhalt zu erklären, kann eine Demutserfahrung sein – selbst für jemanden wie Steve Jobs. Vor ein paar Jahren begegnete ich Wendell Weeks. Er ist CEO des US-Unternehmens Corning, welches das Glas für die iPhones herstellt. Seine Geschäftsbeziehung mit Apple begann, als Jobs sich frustriert an ihn wandte, weil die Kunststoffoberfläche des iPhone-Prototyps ständig zerkratzte. Jobs wollte für seine Displays ein widerstandsfähiges Glas. Sein Team hatte mit verschiedenen Gläsern von Corning experimentiert und war zu dem Schluss gekommen, dass sie alle zu zerbrechlich seien. Weeks erklärte, dass er drei Möglichkeiten sehe, ein besseres Produkt zu entwickeln. "Ich weiß nicht, ob ich das Glas für Sie herstellen würde", sagte er zu Jobs, "aber ich bin gern bereit, darüber mit Mitgliedern Ihres Teams zu sprechen, die genug Ahnung von der Technik haben." Jobs antwortete: "Ich habe genug Ahnung von der Technik!"

Als Weeks die Unternehmenszentrale von Apple in Cupertino besuchte, wollte Jobs ihm erklären, wie er das Glas herzustellen habe. Anstatt zu diskutieren, hörte Weeks zu, wie die von Jobs bevorzugte Methode funktionieren sollte. Beiden wurde dabei ziemlich schnell klar, dass der Apple-Chef nicht ganz verstanden hatte, wie bruchsicheres Glas hergestellt wird. Dies war die Gelegenheit, auf die Weeks gewartet hatte. Er ging zu einem Whiteboard hinüber und sagte: "Ich bringe Ihnen kurz ein paar wissenschaftliche Grundlagen bei, dann können wir uns wunderbar weiter unterhalten." Jobs stimmte zu, Weeks skizzierte die Zusammensetzung von Glas, bis hin zur Molekularstruktur und dem Austausch von Natrium- und Kaliumionen. Am Ende wurde alles so gemacht, wie Weeks vorgeschlagen hatte. Am Tag, an dem das iPhone auf den Markt kam, erhielt Weeks eine Nachricht von Jobs, die sich heute eingerahmt in seinem Büro befindet: "Ohne Sie hätten wir es nicht geschafft."

Eine zweite Hürde, die es Ihnen erschweren kann, andere umzustimmen, ist Starrköpfigkeit. Unnachgiebige Menschen sehen Beständigkeit und Gewissheit als Tugenden an. Einmal gefasst, scheint ihre Meinung in Stein gehauen zu sein. Doch ihre starren Ansichten werden nachgiebiger, wenn man ihnen einen Meißel in die Hand gibt.

In einem klassischen Experiment fragten Psychologen eine Gruppe von Studierenden, wie viel Kontrolle sie ihrer Ansicht nach über die Ereignisse in ihrem Leben hätten: Führten sie Erfolge und Misserfolge in erster Linie auf interne Einflüsse wie die eigene Mühe und eigene Entscheidungen zurück – oder auf externe Faktoren wie Glück und Schicksal? Starrköpfige Menschen glauben eher an interne Kontrolle: Sie sind überzeugt, dass ihr Wille über den Ausgang einer Situation entscheidet.

Im nächsten Schritt sollten die Studierenden einen Vorschlag bewerten. Dieser sah vor, das Benotungssystem ihrer Uni zu verändern. Ein Drittel der Teilnehmer bekam ein schwach beeinflussendes Argument zu lesen, dass viele andere Hochschulen das neue System akzeptiert hatten und es eines der besten zu sein schien, das je entwickelt wurde. Ein weiteres Drittel erhielt eine energischere Begründung: Das Verfahren sei so gut, dass man es einfach hoch bewerten müsse. Das letzte Drittel erhielt keine Begründung. Die Teilnehmer bewerteten den Vorschlag auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut).

Die Reaktion der Studierenden hing davon ab, wie sie über Kontrolle dachten. Bei denen, die eher an externe Faktoren glaubten, lösten die schwache und die nachdrückliche Argumentation Begeisterung für das neue System aus. Sie hatten kein Problem damit, ihre Meinung aufgrund äußerer Einflüsse zu verändern. Personen, die eher an interne Kontrolle glaubten, ließen sich vom schwachen Argument nicht beeinflussen. Die energische Argumentation führte sogar dazu, dass sie eine gegensätzliche Meinung vertraten. Wurde mit Nachdruck versucht, ihre Denkweise zu verändern, verkehrten sie ihre Meinung ins Gegenteil.

Eine Lösung für dieses Problem findet sich in einer Studie über Drehbuchautoren in Hollywood: Diejenigen, die Filmproduzenten ein fertiges Konzept vorlegten, konnten ihre Ideen schwer durchsetzen. Erfolgreiche Autoren hingegen hatten verstanden, dass die Macher mitreden wollen. Deshalb gestalteten sie ihren Pitch wie ein Ballspiel: Sie warfen den Hollywoodbossen eine Idee zu, diese entwickelten sie weiter und warfen sie zurück.

Vor einiger Zeit wurde ich einem ehemaligen Apple-Ingenieur vorgestellt. Sein Name war Mike Bell – und er wusste, wie man mit Steve Jobs Fang-den-Ball spielte. Als Bell in den späten 90er Jahren auf seinem Mac Musik hörte, ärgerte er sich darüber, das Gerät mitschleppen zu müssen, wenn er die Musik in einem anderen Raum weiterhören wollte. Er schlug Jobs vor, ein eigenes Gerät zu bauen, um Audiodaten zu streamen – und wurde ausgelacht. Als Bell ins Spiel brachte, Videodaten zu streamen, raunzte Jobs ihn an: "Wer zur Hölle sollte jemals ein Video streamen wollen?"

Bell erzählte mir: Wenn Jobs die Ideen anderer beurteilte, reagierte er oft ablehnend, um die Kontrolle zu behalten. Hatte Jobs eigene Einfälle, war er eher bereit, Alternativen in Betracht zu ziehen. Bell lernte, den Samen für ein neues Konzept zu legen – in der Hoffnung, dass Jobs sich für dieses erwärmte und es heranwachsen ließ.

Stellen Sie Fragen, statt zu antworten. So geben Sie Ihrem Chef Kontrolle über das Gespräch.

Studien belegen, dass sich die Abwehrhaltung von Menschen überwinden lässt, wenn man Fragen stellt, statt zu antworten. Schreiben Sie Ihrem Chef oder Ihrer Chefin nicht vor, was zu denken oder zu tun ist. Geben Sie Ihrem Gegenüber stattdessen die Kontrolle über das Gespräch. Laden Sie diesen Menschen dazu ein, seine Überlegungen zu teilen. Fragen wie "Was wäre, wenn ...?" und "Könnten wir ...?" fördern die Kreativität, weil sie Neugier wecken. Sie bringen Menschen dazu, sich vorzustellen, was alles möglich sein könnte.

Eines Tages erwähnte Bell gegenüber Jobs beiläufig, dass niemand in jedem Zimmer einen Mac stehen haben würde. Das Streamen von Inhalten auf anderen Geräten würde sicher eine große Sache werden. Anstatt seinen Standpunkt zu forcieren, fragte er: "Was wäre, wenn wir ein Gerät bauen würden, mit dem man Inhalte abspielen könnte?" Jobs blieb skeptisch, doch als er begann, sich vorzustellen, was alles möglich wäre, machte er sich die Idee nach und nach zu eigen. Schließlich gab er Bell grünes Licht. "Ich wusste, dass ich Erfolg gehabt hatte, als er meinen Standpunkt übernahm und das Projekt vorschlug, das ich ihm zuvor vorgeschlagen hatte", erinnert sich Bell. "Am Ende ermahnte er die Leute sogar, mir nicht im Wege zu stehen." Es war dieses Projekt, das den Weg für das heutige Apple TV ebnete.

Eine dritte Hürde ist der Narzissmus. Narzisstische Führungskräfte glauben, dass sie etwas Besonderes und anderen überlegen sind. Sie mögen es ganz und gar nicht, wenn man ihnen sagt, dass sie im Unrecht sind. Mit einer wohldurchdachten Formulierung können Sie aber selbst Narzisstinnen und Narzissten dazu bringen, ihre Fehler und ihre Fehlbarkeit einzugestehen.

Oft wird behauptet, dass Tyrannen und Narzissten ein geringes Selbstwertgefühl haben. Die Forschung zeichnet aber ein anderes Bild: In Wirklichkeit haben Narzissten ein hohes, aber instabiles Selbstwertgefühl. Sie sehnen sich nach Status und Anerkennung und werden feindselig, wenn ihr zerbrechliches Ego bedroht wird – wenn sie beleidigt, zurückgewiesen oder bloßgestellt werden. Narzissten empfinden abweichende Meinungen als Kritik und reagieren instinktiv mit Ablehnung. Dem können Sie entgegenwirken, indem Sie auf ihr Verlangen eingehen, bewundert zu werden.

Studien aus den Vereinigten Staaten und China zeigen, dass narzisstische Führungskräfte durchaus fähig sind, Demut an den Tag zu legen: Sie können einerseits davon überzeugt sein, dass sie außergewöhnlich sind, während sie andererseits eigene Unzulänglichkeiten eingestehen. Um einen Narzissten an diesen Punkt zu bringen, sollten Sie ihm Ihren Respekt erweisen.

Im Jahr 1997, kurz nachdem er als CEO zu Apple zurückgekehrt war, diskutierte Steve Jobs auf der globalen Entwicklerkonferenz des Unternehmens über eine neue Technologie. Während der Fragerunde übte ein Mann aus dem Publikum heftige Kritik an der Software und an Jobs selbst. "Es ist traurig und offensichtlich, dass Sie in mehreren Punkten, die Sie angesprochen haben, nicht wissen, wovon Sie reden", sagte er. Man könnte annehmen, dass Jobs mit einem Gegenangriff antwortete. Stattdessen zeigte er Demut: "Wenn man etwas verändern will, ist eines der schwierigsten Dinge, die man akzeptieren muss, dass Menschen wie dieser Herr hier manchmal recht haben", sagte er. "Ich gebe gern zu, dass ich über viele Dinge im Leben rede, obwohl ich von ihnen nicht die leiseste Ahnung habe. Dafür möchte ich mich also entschuldigen ... Wir werden die Fehler finden, wir werden sie beheben." Das Publikum brach in Beifall aus.

Wie war es dem Kritiker gelungen, eine so besonnene Reaktion hervorzurufen? Er hatte seine Kommentare mit einem Kompliment eingeleitet: "Mr Jobs, Sie sind ein kluger und einflussreicher Mann." Als das Publikum lachte, antwortete Jobs schon: "Oje, jetzt kommt's!"

Jede Person, die kühn genug war, Steve Jobs herauszufordern, wurde später befördert.

Wie diese Geschichte zeigt, kann eine Prise Anerkennung der Unsicherheit eines Narzissten entgegenwirken. Allerdings sind nicht alle Arten der Respektbekundung gleich wirksam. Es ist nicht sinnvoll, Kritik zwischen zwei Komplimenten zu verstecken: Ein solches Feedback-Sandwich schmeckt nicht so gut, wie es aussieht. Anfang und Ende bleiben uns Menschen eher im Gedächtnis haften als der Mittelteil – und Narzissten tendieren ohnehin schon dazu, Kritik zu ignorieren.

Der Trick ist, solche Menschen in einem anderen Bereich zu loben als dem, in dem Sie sie umstimmen wollen. Möchten Sie einen Narzissten dazu bringen, eine Entscheidung zu überdenken, wäre es ein Fehler, seine Entscheidungsfähigkeit zu loben. Heben Sie lieber seine Kreativität hervor.

Wir alle haben mehrere Identitäten. Fühlen wir uns einer unserer Stärken sicher, sind wir eher bereit, eine Schwäche in einem anderen Bereich zuzugeben. Psychologen haben festgestellt, dass sich Narzissten weniger aggressiv und egoistisch verhalten, nachdem sie daran erinnert wurden, dass sie sportlich oder lustig sind. Der Teilnehmer der Entwicklerkonferenz schien das narzisstische Wenn-dann-Profil von Steve Jobs intuitiv zu verstehen. Indem er dessen Intelligenz und Bedeutung hervorhob, erreichte er, dass Jobs daraufhin zugeben konnte, nicht alles über Software zu wissen.

Ein letztes Hindernis für Ihre Überzeugungsarbeit ist Unverträglichkeit. Diese Eigenschaft äußert sich oft in Streitlust. Unverträgliche Menschen sind fest entschlossen, die Konkurrenz zu vernichten. Wenn Sie solche Persönlichkeiten dazu drängen, ihre Strategie zu überdenken, werden Sie zum Gegner. Sind Sie jedoch bereit, ihnen die Stirn zu bieten, statt einen Rückzieher zu machen, können Sie in manchen Fällen die Oberhand gewinnen.

Unverträgliche Menschen werden durch Konflikte angespornt. Daher ist es ihnen nicht immer recht, wenn sich jemand ihrem Willen sofort beugt; vielmehr sind sie begierig darauf, den Kampf auszufechten. Forscher haben untersucht, nach welchen Kriterien CEOs entscheiden, welche Führungskräfte sie für Vorstandsposten in anderen Unternehmen nominieren. Das Ergebnis: Diejenigen, die dazu neigten, mit ihren Vorgesetzten zu diskutieren, bevor sie ihnen zustimmten, wurden mit einer größeren Wahrscheinlichkeit vorgeschlagen. Sie bewiesen, dass sie keine Jasager waren, sondern bereit, für ihre Ideen zu kämpfen, aber auch, ihre Meinung zu ändern. In den 80er Jahren vergaben die Chefs des Mac-Teams bei Apple jedes Jahr eine Auszeichnung: Der Preis ging an eine Person, die die Kühnheit besessen hatte, Steve Jobs herauszufordern. Jeder von ihnen wurde später von Jobs zum Leiter eines wichtigen Unternehmensbereichs befördert.

Forscher haben kürzlich Ideen untersucht, die Mitglieder eines Teams aus dem Gesundheitswesen vorgeschlagen hatten. Die überwiegende Mehrheit dieser Ideen wurde von den Führungskräften zunächst abgelehnt. Die 24 Prozent, die schließlich umgesetzt wurden, hatten dies der Tatsache zu verdanken, dass ihre Befürworter für sie gekämpft hatten. Sie hatten ihre Vorschläge überarbeitet und erneut eingereicht, sich zu Schwachstellen bekannt und sie behoben, Wirksamkeitsnachweise erbracht und sich Unterstützung geholt.

Als die Ingenieure von Apple vorschlugen, ein Telefon herzustellen, antwortete Jobs mit einer langen Liste von Gegenargumenten. Er sagte unter anderem, dass Smartphones etwas für Nerds seien. Seine Ingenieure stimmten ihm zu, forderten ihn dann aber heraus: Wie schön und elegant könnte ein Telefon wohl sein, wenn es von Apple kam? Sie zapften auch die Energie an, die Jobs aus der Rivalität mit Microsoft bezog. Würde es nicht irgendwann ein Windows-Telefon geben? Das Interesse von Jobs war geweckt, aber er war noch nicht vollständig überzeugt. Tony Fadell, der Erfinder des iPods und ein Mitentwickler des iPhones, erzählte mir, dass es "eine Gruppenanstrengung war, Jobs dazu zu bringen, seine Meinung zu ändern oder die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten". Für diese Überzeugungsarbeit habe ein einfaches Meeting nicht ausgereicht, vielmehr habe sich der Prozess oft über Wochen hingezogen. Beim iPhone waren es sogar viele Monate. Fadell und seine Ingenieure bauten im Geheimen erste Prototypen, zeigten Jobs Demoversionen und entwickelten ihre Entwürfe immer weiter. Letztlich gelang es ihnen so, seinen Widerstand zu brechen.

Zum Schluss hatte Jobs nur noch einen großen Einwand: Die Mobilfunkbetreiber besäßen die Herrschaft über die Netze, und sie würden Apple zwingen, ein minderwertiges Produkt herzustellen. Wieder appellierte das Team an die unverträgliche Seite von Jobs: Könnte er erreichen, dass die Netzbetreiber es so machten, wie er es wollte? "Mit einem starken Gerät", sagte Fadell, "würde er sie dazu bringen können, all seinen Bedingungen zuzustimmen und die Hindernisse aus dem Weg zu räumen." Jobs erkannte das Potenzial, nahm die Idee auf und gewann die Schlacht. "Steve hat die Beziehung zu den Netzbetreibern vollkommen neu gestaltet. Ich hatte immer das Gefühl, dass dies seine größte Errungenschaft war", sagte mir Donna Dubinsky, CEO von Palm und Mitgründerin von Handspring, zwei Herstellern von PDAs, den Vorgängern des Smartphones.

Im Jahr 1985 wurde Steve Jobs aus seiner eigenen Firma gedrängt. Er hatte zuvor die Einführung mehrerer Produkte geleitet, die zwar technische Wunderwerke, aber keine Verkaufsschlager waren. 2005 sagte er: "Es war eine bittere Medizin, aber ich schätze, der Patient brauchte sie." Er hatte gelernt, dass er seine Überzeugungen manchmal hinterfragen musste, egal wie wegweisend seine Ideen insgesamt auch waren. Als er als CEO zu Apple zurückkehrte, tat er das nicht nur mit einer neu gewonnenen Offenheit. Er war auch mehr denn je entschlossen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzustellen, die ihn herausforderten und ihn so dazu brachten, seine niederen Instinkte zu überwinden. Damit legte er den Grundstein für Apples Wiederauferstehung.

Unternehmen brauchen starke, visionäre Führungskräfte wie Steve Jobs. Sie brauchen aber auch Mitarbeiter wie Tony Fadell und Mike Bell, Zulieferer wie Wendell Weeks und Stakeholder wie den Mann aus dem Publikum, der auf der Apple-Entwicklerkonferenz aufstand und sich beschwerte. Solche Menschen wissen, wie sie mit Vorgesetzten und Kollegen umzugehen haben, die zu Selbstüberschätzung, Sturheit, Narzissmus oder Unverträglichkeit neigen. In unserer turbulenten Welt hängt Erfolg nicht nur von der kognitiven Leistung ab, sondern auch von der kognitiven Flexibilität. Wenn Führungskräften die Weisheit fehlt, ihre Überzeugungen infrage zu stellen, benötigen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Mut, sie zum Umdenken zu bewegen. © HBP 2021

Der Autor

Adam Grant ist Psychologieprofessor an der Wharton School der Universität von Pennsylvania. Er ist einer der weltweit führenden Organisationspsychologen. Sein neues Buch heißt "Think Again: The Power of Knowing What You Don't Know" (Viking 2021).

Kompakt

Das Problem Viele Führungskräfte sind so von sich überzeugt, dass sie andere Meinungen nicht an sich heranlassen. Doch selbst die größten Genies liegen manchmal daneben. Wie gehen Managerinnen und Manager damit um, wenn ihre Vorgesetzten keine Argumente außer ihren eigenen gelten lassen?

Die Lösung Oft scheitern Überzeugungsversuche an vier Persönlichkeitsmerkmalen uneinsichtiger Führungskräfte: Arroganz, Starrköpfigkeit, Narzissmus und Unverträglichkeit. Diese Hürden können Sie überwinden. Lassen Sie Ihre Gesprächspartner selbst erklären, wie etwas funktioniert – damit sie eigene Wissenslücken erkennen. Stellen Sie Fragen, statt Antworten vorzugeben – und geben Sie dem anderen Menschen so ein Gefühl der Kontrolle. Loben Sie insbesondere narzisstische Persönlichkeiten, bevor Sie ein heikles Thema ansprechen. Und zeigen Sie Ihrem Chef oder Ihrer Chefin, dass Sie bereit sind, für Ihre Ideen zu kämpfen.

Dieser Artikel erschien in der Juli-Ausgabe 2021 des Harvard Business managers.

So überzeugen Sie jeden Chef - vier Strategien von Apple-Mitarbeitern

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Harvard Business manager schreibt über Das Wissen der Besten.

Der Harvard Business Manager ist die erweiterte deutsche Ausgabe der US-Zeitschrift "Harvard Business Review" (HBR), des renommiertesten Managementmagazins der Welt. Die Redaktion ergänzt die besten Artikel aus der HBR um wichtige Forschungsergebnisse von Professoren europäischer Universitäten und Business Schools sowie um Texte deutschsprachiger Experten aus Beratungen und dem Management von Unternehmen. Unsere Autoren zählen zu den besten und bekanntesten Fachleuten auf ihrem Gebiet und haben ihre Erkenntnisse durch langjährige Studien und Berufspraxis erworben.

Artikelsammlung ansehen