Soll ich die Abfindung annehmen?
Viele Unternehmen streichen Stellen – und schnüren mitunter großzügige Abfindungsangebote. Für Arbeitnehmer stellt sich die Frage: Wann lohnt es sich, ein solches anzunehmen?
Ob Volkswagen, Continental oder Siemens – derzeit bauen viele große Konzerne in Deutschland massiv Arbeitsplätze ab. Besonders Volkswagen steckt tief in der Krise – der Konzern will deshalb in den nächsten Jahren rund 35.000 Stellen abbauen, mehr als jeden vierten Job also im Unternehmen.
Die Belegschaft soll dabei möglichst freiwillig gehen: mit Angeboten zur Altersteilzeit oder einigen großzügigen Abfindungen, die sich je nach Position und Betriebszugehörigkeit auf mehrere Hunderttausend Euro summieren können.
Tausende Beschäftigte haben diese Angebote bereits angenommen, viele andere zögern noch. Denn wer unterschreibt, verzichtet auf seinen Kündigungsschutz und gibt seinen Arbeitsplatz endgültig auf. Ein Widerruf ist dann in der Regel nicht mehr möglich. Deshalb stellt sich für viele Arbeitnehmer in Deutschland derzeit eine heikle Frage: Soll ich eine Abfindung annehmen?
WAS SPRICHT FÜR EINE ABFINDUNG?
In manchen Fällen kann es klug sein, ein solches Angebot anzunehmen – vor allem dann, wenn die Lage im Unternehmen aussichtslos erscheint. Die Arbeitnehmer müssen dann realisieren: „Es bringt nichts, wenn ich mich hier festkralle, weil ich habe hier einfach keine Perspektive“, sagt Sophia von Rundstedt, Chefin der gleichnamigen Outplacement-Beratung, in der aktuellen Folge des WiWo-Podcasts Chefgespräch.
Wer selbst erkennt, dass der Betrieb angeschlagen ist oder sich stark umstrukturiert, kann mit einer Abfindung nicht nur rechtzeitig den Absprung schaffen – sondern auch den Einstieg in etwas Neues. Geht ein Unternehmen möglicherweise pleite, steht der Arbeitnehmer hingegen ohne Job und Abfindung da. Die Abfindung bietet also erst einmal einen finanziellen Puffer und auch eine Chance, sich beruflich neu zu orientieren. Das gilt es abzuwägen.
Ob eine Abfindung sinnvoll ist, hängt aber nicht nur von der Lage des Unternehmens ab, sondern auch von den eigenen Möglichkeiten. „Das ist eine sehr individuelle Fragestellung: Wie sieht mein persönlicher Markt der Möglichkeiten aus? Welche Perspektiven habe ich mit meinem Erfahrungshintergrund und meinem Kompetenzset?“, so von Rundstedt. Es hängt also maßgeblich davon ab, ob der Arbeitnehmer danach schnell einen neuen Job finden würde – oder nicht.
Auf den ersten Blick scheint der Arbeitsmarkt jedoch für manche verschlossen – sei es wegen des Alters, eines langen Lebens im Konzern oder regionaler Bindung. Doch die Erfahrung von Sophia von Rundstedt zeigt: Oft lohnt sich ein zweiter Blick – auf Fähigkeiten, die an der letzten Stelle gar nicht sichtbar waren, auf private Interessen oder Kompetenzen, die man bislang nicht als relevant für den Job wahrgenommen hat.
Auch persönliche Rahmenbedingungen spielen eine Rolle: „Die Frage, bin ich bereit, mich noch mal räumlich zu verändern, stößt oft zunächst auf Skepsis“, weiß von Rundstedt. Aber wenn der Arbeitnehmer genauer hinschaue, würden manchmal Perspektiven deutlich, die vorher gar nicht denkbar schienen. Für manche kann so gar ein beruflicher Neustart mit geringerem Einkommen in Frage kommen – wenn der Job dafür besser zum Leben passt.
Was viele jedoch falsch machen, wenn sie eine Abfindung annehmen: Sie sehen die Einmalzahlung zunächst als bezahlte Auszeit und schieben die Jobsuche erst einmal auf. Genau davor warnt Sophia von Rundstedt eindringlich: „Wir raten immer dazu, sofort mit der Neuorientierung zu beginnen und nicht zu warten.“
KÜNDIGUNG RECHTLICH PRÜFEN LASSEN
In jedem Fall sollte sich ein Arbeitnehmer rechtlich beraten lassen, bevor er eine Abfindung annimmt. Eine juristische Einschätzung kann klären, ob eine folgende Kündigung überhaupt wirksam wäre – und ob sich eine Klage lohnt. „Grundsätzlich kommt es natürlich immer darauf an, wie die rechtliche Situation aussieht, wie die Chancen sind, einen Prozess zu führen und gegebenenfalls auch zu gewinnen“, sagt Marcus Iske, Experte für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Fieldfisher.
Auch bei betriebsbedingten Kündigungen ist die Hürde für Arbeitgeber nicht so niedrig, wie viele denken. Sie müssen belegen, dass der Arbeitsplatz tatsächlich dauerhaft entfällt – etwa durch Umstrukturierungen, Standortschließungen oder Personalabbau aus wirtschaftlichen Gründen. Außerdem müssen sie nachweisen, dass für die betroffene Person kein anderer vergleichbarer Arbeitsplatz im Unternehmen verfügbar ist.
Und Unternehmen müssen beim Stellenabbau auf die sogenannte Sozialauswahl achten: Dabei wird geprüft, wer aus der Belegschaft unter sozialen Gesichtspunkten – wie etwa Lebensalter, Unterhaltspflichten, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Schwerbehinderung – besonders schutzwürdig ist. Nicht selten sind Kündigungen, bei denen diese Kriterien nicht berücksichtigt wurden, angreifbar.
In solchen Fällen kann eine Kündigungsschutzklage sinnvoll sein, um den Arbeitsplatz zu behalten, allerdings sollte man sich auch dies gut überlegen: Solch eine Klage kostet Zeit, Nerven und unter Umständen Geld. Wer also andere Perspektiven hat und einen Neustart beginnen will, für den ist eine Abfindung meist ein guter Weg.
