Soll ich meinem Arbeitgeber die wahren Kündigungsgründe nennen?
Die Beantwortung dieser Frage hängt wie so häufig von vielen, sehr individuellen Faktoren ab. Und um zu einem Ergebnis zu kommen, schließen sich noch einige weitere Fragen an …
1. Lohnt es sich, offen dem Arbeitgeber die Beweggründe seiner Kündigung mitzuteilen?
2. Falls Ja: warum? Falls nein: warum nicht?
3. Was würde ich MitarbeiterInnen raten, die kündigen wollen: Wie offen sollte jemand sein?
Bei der Entscheidung, ob sich etwas lohnt, geht es ja immer um eine Abwägung von Kosten und Nutzen bzw. Chancen und Risiken. Die Frage ist, was sich jemand von dieser Offenheit verspricht. Was ist der Nutzen?
Es kommt sehr stark auf die individuelle Situation an.
Manchmal kann eine offene Kommunikation, bei der man auch die Beweggründe nennt, zu einer besseren Trennung führen. Gegebenenfalls können Missverständnisse geklärt werden, was zu einem besseren und befriedigerenden Ende führt, oder vielleicht will der Arbeitgeber sogar den Grund aus dem Weg räumen und kommt mit einem Gegenangebot.
Andererseits gibt es auch Situationen, in denen man vorsichtig sein sollte, vor allem wenn man sich nicht sicher ist, wie das Unternehmen beziehungsweise der Chef auf Kritik oder auch persönliche Beweggründe reagieren wird.
Wenn das Arbeitsverhältnis ohnehin schon angespannt ist oder der Arbeitgeber nicht konstruktiv auf Feedback reagiert, sollte man nicht ins Detail gehen und sich eher auf professionelle, neutrale Gründe wie „neue Herausforderungen“ oder „persönliche Entwicklung“ berufen.
Vier verschiedene Kriterien, die aus meiner Erfahrung die Entscheidung beeinflussen
Die Beweggründe (positiv, negativ, Ursache liegt wo bzw. bei wem?)
Das Ziel, das der Arbeitnehmer verfolgt
Die emotionale Ausgangslage des Arbeitnehmers
Die Einschätzung des Arbeitnehmers, wie der Arbeitgeber reagieren wird
Die Beweggründe können aus dem bisherigen Arbeitsplatz stammen, zum Beispiel Frustration, Konflikte, fehlende Entwicklungsmöglichkeiten, oder aber mit dem Arbeitgeber gar nichts zu tun haben: Ein Umzug, eine andere persönliche Veränderung, ein interessantes anderes Angebot.
Davon leitet sich auch zum Teil das Ziel des Arbeitnehmers ab: Warum will er überhaupt offen sein?
Einfach nur, weil er ein gutes Arbeitsverhältnis verlässt und der anderen Seite bescheinigen will, dass es nicht an ihr liegt?
Oder hat er das Ziel, das Unternehmen oder das Team konstruktiv auf Missstände hinzuweisen, die Grund seiner Kündigung sind und die möglicherweise verbessert werden können?
Möchte er sich von seiner eigenen Frustration befreien, unterschwelligem Ärger Luft machen, der sich während der Zeit im Unternehmen angestaut hat? Oder noch einmal äußern, dass er sich unfair behandelt fühlte?
Manche wollen einfach, dass ihre Sichtweise gehört wird. Dass sie sich, die eigene Geschichte oder den eigenen Weg erklären können und das Kapitel so besser und „sauberer“ abschließen. Ohne diese Möglichkeit bleibt manchmal ein schales Gefühl von zurück.
Wieder andere – das erlebe ich auch ziemlich häufig – haben ihrem Arbeitgeber, den Kollegen, dem Team oder den Kunden gegenüber ein schlechtes Gewissen, wenn sie kündigen. Sie wollen deshalb die Gründe benennen und damit zeigen, dass sie die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen haben.
Und andere wollen einfach auch Brücken nicht verbrennen und ihre Reputation erhalten und nicht negativ beurteilt werden.
Dieses Ziel bzw. diese Absicht des Arbeitnehmers mit der Aussprache wird u.a. davon beeinflusst, in welcher emotionalen Situation er ist. Und diese gilt es unbedingt zu beachten, wenn man die Entscheidung trifft, wieviel man erzählen will.
Ist die Situation eher entspannt und emotional relativ neutral oder belastet sie den Arbeitnehmer sehr. Fühlt er sich zum Beispiel verletzt, wurde er enttäuscht, ist er sehr frustriert oder gar wütend?
Und nicht zuletzt spielt natürlich eine Rolle, wie man die Reaktion des Arbeitgebers einschätzt. Ist er grundsätzlich offen und empfänglich für Feedback? Und wie wichtig ist einem diese Reaktion – könnte einem ja auch egal sein?
Was es braucht, um die Gründe zu nennen – sozusagen die „Kosten“
Mut und Überwindung
Zeit und Energie für die Auseinandersetzung
Eventuell Risikobereitschaft, da die Aussprache sich auf die berufliche Zukunft auswirken könnte (gemeinsame Kontakte, Referenzen)
Was es bringt/bringen kann – der „Nutzen“
Selbstachtung: Das Gefühl, für sich selbst eingestanden zu sein
Ein positives Ende, mehr Verständnis für die eigene Entscheidung und Wohlwollen von der Gegenseite
Eventuell positive Veränderungen im Unternehmen, wenn Kritik konstruktiv aufgenommen wird
Eventuell eine gewisse Genugtuung, das Gefühl von Gerechtigkeit und Erleichterung, wenn man etwas sagt, das man lange unterdrückt hat
Und: Kontrolle darüber, wie die eigene Geschichte erzählt wird. Viele befürchten, dass andere schlecht über sie denken. Wenn man die Hintergründe erklärt, kann man sicherstellen, dass der eigene Standpunkt klar ist.
In jedem Fall sollte man die Situation genau abwägen. Offenheit finde ich persönlich immer am besten, wenn die Umstände es erlauben.
Dabei ist es wichtig und sollte selbstverständlich sein, dass das Gespräch in jedem Fall respektvoll und professionell abläuft, unabhängig davon, ob man sich entscheidet, detaillierte Gründe zu nennen oder nicht. Wenn es einem schwerfällt, die Beherrschung zu behalten, sollte man von Erklärungen Abstand nehmen.
Wenn das Arbeitsklima gut war und es Potenzial für konstruktive Veränderungen gibt, kann man detaillierter über die Gründe sprechen.
Ist das Verhältnis hingegen belastet, ist es oft besser, neutral und sachlich zu bleiben, um sich den Übergang in eine neue Position nicht unnötig zu erschweren.
Ach ja, und: Wenn Feedback, dann bitte nur direkt und denen gegenüber, die es betrifft. Beschwerden hintenrum über Dritte sind ein No-Go.