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Eine Studie zeigt: Teams sind wichtiger geworden, ebenso wie soziale Fähigkeiten, die die Zusammenarbeit erleichtern. - Bild: imago/Westend61
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Sollte man bei der Arbeit immer nett sein?

Freundlichkeit ist en vogue, laut mehrerer Studien wird sie auch im Job wichtiger. Je nach Situation bedarf es trotzdem auch anderer Führungstypen.

Freundlichkeit liegt in der Luft: Verlage bringen Business-Bücher mit Titeln wie „The Power of Nice: Wie Sie die Welt mit Freundlichkeit erobern“ oder einfach „Kind“ (dt.: nett, freundlich) heraus. LinkedIn, angeblich eine Networking-Website für karrierebewusste Fachleute, ist voll von Videos, die Menschen zeigen, wie sie Obdachlosen gegenüber unglaublich großzügig sind. Unternehmen nutzen Werte wie Mitgefühl öffentlich, um sich zu profilieren.

Der Trend zur Nettigkeit ist sowohl banal als auch aufschlussreich. Banal, weil es eigentlich nicht verwunderlich ist, dass Menschen anständiges Verhalten von Kollegen und Vorgesetzten gutheißen. Es bräuchte schon einen auffallend mutigen Autor, um ein Buch mit dem Titel „Ein Plädoyer für die Psychopathie“ oder „Ein Hoch auf die dunkle Triade“ zu schreiben.

Aufschlussreich ist der Trend, weil er zeigt, wie das Pendel bei Führungsqualitäten ausgeschlagen hat. Eine kürzlich von Andrew Blake und Kollegen von der Texas Tech University durchgeführte Meta-Analyse von Forschungsergebnissen über Nettigkeit und effektive Führung kommt zu dem Schluss, dass beides oft zusammen auftritt. Studien über die Verträglichkeit von Chefs – eine der „Big Five“-Persönlichkeitseigenschaften(zusammen mit Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Neurotizismus) – haben ergeben, dass sie unter anderem mit ethischem Verhalten, Vertrauen am Arbeitsplatz und psychologischer Sicherheit zusammenhängt.

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Nettigkeit im Job ist wichtiger geworden

Dies wiederum kann Aspekte der Unternehmensleistung verbessern. In einer kürzlich erschienenen Arbeit von Charles O'Reilly von der Stanford University und seinen Mitverfassern wurde die Beziehung zwischen der Persönlichkeit von Führungskräften und den Bewertungen der Unternehmenskultur auf Glassdoor, einer Website für Mitarbeiterbewertungen, untersucht. Sympathische Chefs wurden mit einer Unternehmenskultur in Verbindung gebracht, die eher auf Zusammenarbeit und Innovation ausgerichtet ist.

Nettigkeit scheint eine größere Rolle zu spielen, als sie es früher tat. Eine Metaanalyse von Forschungsarbeiten, die Ende der 1990er-Jahre abgeschlossen wurde, ergab keinen Hinweis auf einen starken Zusammenhang zwischen Verträglichkeit und effektiver Führung. Ein Teil dieser Verschiebung spiegelt zweifellos die Art und Weise wider, wie sich Organisationen entwickelt haben: Teams sind wichtiger geworden, ebenso wie soziale Fähigkeiten, die die Zusammenarbeit erleichtern.

Wie Chefs das Vertrauen ihrer Mitarbeiter gewinnen

Zum Teil könnte dies auch auf die größere Unbeständigkeit in der Außenwelt zurückzuführen sein. Eine Studie von Soo Ling Lim vom University College London und ihren Co-Autoren untersuchte die Leistungen von Master-Studenten an der London Business School über zehn Studienjahre hinweg und stellte fest, dass die Verträglichkeit die Ergebnisse verbessert, wenn der Grad der Ungewissheit in Bezug auf eine Aufgabe – und vermutlich auch die Notwendigkeit, harmonisch zusammenzuarbeiten – höher ist.

Es ist ein Fortschritt, die Ära von „Nette Jungs haben keine Chance“ hinter sich zu lassen, nicht zuletzt für die Menschen, die keine Jungs sind: Frauen leiden seit langem darunter, für inkompetenter gehalten zu werden, wenn sie Sympathie und Wärme zeigen.

Unterschiedliche Branchen ziehen unterschiedliche Persönlichkeitstypen an

Aber man kann von allem zu viel haben, sogar von Freundlichkeit. Sympathie ist nicht die einzige Eigenschaft, die für einen Chef wichtig ist: Ein liebenswerter, aber sehr neurotischer Mensch kann in Stresssituationen Schwierigkeiten haben.

Auch bei den Mitarbeitern gibt es Unterschiede: Manchen Menschen geht es weniger um Empathie als um Geld. Es gibt Momente – zum Beispiel, wenn Mitarbeiter ein persönliches Trauma erlitten haben –, in denen Herzlichkeit der wichtigste Test für den Charakter eines Unternehmens ist. Unter anderen Umständen sind jedoch andere Eigenschaften wichtig.

Menschen, die bei der Verträglichkeit weniger gut abschneiden, sind wahrscheinlich weniger vertrauensvoll, wettbewerbsorientierter und streitlustiger. Dadurch eignen sie sich vielleicht weniger als Freunde, könnten aber in bestimmten Kontexten durchaus Vorteile haben: Stanford-Forscher Charles O'Reilly stellt in seinem Papier beispielsweise fest, dass verschiedene Branchen Führungskräfte mit unterschiedlichen Persönlichkeitstypen anziehen: Chefs in der Finanzdienstleistungsbranche sind zum Beispiel vergleichsweise weniger umgänglich als solche, die im Gesundheitswesen arbeiten. Auch in verhandlungsintensiven Bereichen wie dem Vertrieb kann Freundlichkeit weniger auf die Führungseignung einzahlen.

Ein Grundmaß an Höflichkeit sollte gegeben sein

In einer kürzlich erschienenen Studie von Daniel Keum und Nandil Bhatia von der Columbia Business School wurde untersucht, wie sich veränderte wirtschaftliche Bedingungen auf die Arten von Chefs an den Unternehmensspitzen auswirken können. Die Forscher messen die „Prosozialität“ (die Sorge um das Wohlergehen anderer) von Chefs, indem sie Dinge wie ihre karitativen Aktivitäten und ihre Sprache bei der Präsentation von Quartalsberichten untersucht.

Prosoziale Chefs können in schlechten Zeiten langsamer bei der Umstrukturierung von Unternehmen sein, und die Autoren fanden heraus, dass sie in Zeiten zunehmenden Wettbewerbs eher durch weniger fürsorgliche Typen ersetzt werden. Wenn Entlassungen notwendig sind, wollen Vorstände keine Samariter an der Spitze.

Es gibt jedoch keine Entschuldigung für Unfreundlichkeit. Es gibt ein Grundmaß an Anstand, Höflichkeit und Zuvorkommenheit, auf das jeder Anspruch hat und von dem alle Organisationen profitieren. Freundlichkeit ist keine Management-Doktrin. Aber ihr Fehlen ist ein Versagen des Managements.

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