Spaltet unser Konsumverhalten die Gesellschaft?
In den vergangenen Jahren bildete sich eine neue kulturelle Elite, die sich anders als die Spaß- und Erlebnisgesellschaft der 1990er- und 2000er-Jahre durch „bewussten Konsum“ gesellschaftlich abzuheben versucht. Es geht der sogenannten „aspirational class“ dabei um die richtige, nicht um die günstigste oder teuerste Entscheidung, schreibt die Soziologin und Stadtplanerin Prof. Dr. Elizabeth Currid-Halkett in ihrem Buch „The Sum of Small Things“, in dem sie die Konsumgewohnheiten des 20. Jahrhunderts aufdeckt und ihre Veränderung zeigt. Sie lehrt an der University of Southern California und gilt als eine der einflussreichsten Vordenkerinnen der Ökonomie und Soziologie von Kunst, Kultur und Konsum. Ihr Buch, das gerade in deutscher Sprache erschien, steht in der Tradition des Werkes von Thorstein Veblen. Der amerikanische Soziologe prägte den Begriff „klassischer Geltungskonsum“. Damit bezeichnete er Prestigekäufe: sichtbaren Konsum der Statusdemonstration.
Currid-Halkett zeigt, dass nicht zuletzt infolge des Umstandes, dass luxuriöse Produkte heute weitaus leichter für breitere Kreise zugänglich sind, der neue Geltungskonsum von Produkten vor allem mit deren Produktion zu tun hat: „Analog zu Prestigekonsum könnte man von Prestigeproduktion sprechen, also von einer Produktionsweise, die als solche Geltungsansprüche erhebt.“ Fair-Trade-Kaffee signalisiert für sie beispielsweise ein Bewusstsein und damit kulturellen Status. Currid-Halkett zeichnet ein Bild dieser neuen Elite und argumentiert, dass die ethisch und ökologisch wohlinformierten Lifestyle-Entscheidungen der vermeintlich „moralisch Überlegenen“ die Spaltung der Gesellschaft weder verringert noch überwinden hilft. Die Konsumgewohnheiten der neuen Elite würden die Kluft zwischen den mobilen, weltoffenen und gebildeten Schichten und den ohnehin schon Abgehängten, den weniger Entscheidungsfreien, sogar noch verstärken.
Das soziokulturelle Phänomen LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability), das in der Medienberichterstattung der vergangenen Jahre primär unter dem Fokus „Moralischer Hedonismus“ oder „Green Glamour“ diskutiert wurde, ist in ihrem Buch zwar nicht erwähnt, gehört aber in diesen Kontext. Innerhalb dieser Bewegung gab es verschiedene LOHAS-Typen: Vom Statusorientierten über den Connaisseur und den verantwortungsbewussten Familienmenschen bis hin zum Moralisten. In Deutschland wurde der Begriff vor allem unter dem Schwerpunkt eines Green Glamour Lifestyles betrachtet und beschrieben. Medien berichteten von renditeorientierten Greentech-Investoren und Musikern in Ökoturnschuhen, die an eine breite Öffentlichkeit appellieren, das globusumspannende Netz der Ausbeutung nicht mitzuknüpfen und dafür zu sorgen, die Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu erhalten. Auf Geschmack und gehobenen Lebensstil wollten die „Genuss-Ökologen“ aus oberschichtigen Milieus nicht verzichten. Ihr Credo war das Anlegen des Einkommens in Dinge, die das Leben angenehmer, genüsslicher, gesünder machen und gleichzeitig gut für die soziale und natürliche Umwelt sind.
Vor diesem Hintergrund wird das Buch von Currid-Halkett verständlicher – auch und gerade im deutschen Kontext. Mit den zunehmenden Krisen verschwand hier auch die Debatte um die LOHAS. Begriffe mit nachhaltiger(er) Substanz und einer eigenen Historie wie „Der Ehrbare Kaufmann“ hielten wieder Einzug in die mediale Berichterstattung. Was vom LOHAS-Begriff überlebt hat, ist lediglich der letzte Buchstabe, der für Sustainability (Nachhaltigkeit) steht – das, was uns trägt und uns hilft, gegen Zusammenbrüche aller Art gefeit zu sein. Das Buch von Elizabeth Currid-Halkett trägt dazu bei, sich damit zu beschäftigen, was „Konsum“ eigentlich ist. Darin drücken sich alltägliche Routinen, soziale Praktiken und Lebensstile einer Gesellschaft aus und bedingen auch die Beanspruchung endlicher und erneuerbarer Ressourcen. Auch der Historiker Prof. Frank Trentmann beschäftigt sich mit den Konsumenten, deren Entscheidungen eingebettet sind in eine Kultur des Verbrauchs. In seinem Buch „Herrschaft der Dinge“ zeigt er, dass der Konsum seine Dynamik seit dem 15. Jahrhundert entfaltet und zunehmend neuartige Produkte, Mode und Komfort betonte. Die wichtigste Erkenntnis aus beiden Publikationen ist, dass Konsum und nachhaltige Entwicklung zusammengedacht werden müssen.
Elizabeth Currid-Halkett: Fair gehandelt? Wie unser Konsumverhalten die Gesellschaft spaltet. Aus dem amerikanischen Englisch von Judith Wenk. Btb Verlag (Penguin), München 2021.
Frank Trentmann: Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute. Aus dem englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Stephan Gebauer-Lippert. DVA, München 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Nachhaltigkeit begreifen: Was wir gegen die dummen Dinge im Zeitalter der Digitalisierung tun können. In: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.