Skispitzenbiegebock um 1900 bis 1925. Ski-Köpfer-Museum, Bernau/Schw. - TECHNOSEUM, Klaus Luginsland

Sportentwicklung in Deutschland: Objekte und ihre Geschichten

Interview mit der Volkskundlerin Dr. Constanze N. Pomp

Gebrauchsgegenstände des Sports wie Schuhe, Banner, Medaillen, Urkunden, Fahnen, Postkarten, Sportabzeichen und Trikots werden im Buch „Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten“ vorgestellt, die für die Sportentwicklung in Deutschland stehen. Jedes erzählt eine eigene Geschichte – und doch sind alle miteinander verbunden. Die Idee lehnt sich an bedeutende Publikations- und Museumsprojekte aus verschiedenen Bereichen von Kultur und Gesellschaft an. Vorbild war der Klassiker „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ (2010/2011) von Neil McGregor.

Frau Dr. Pomp, Sie sind mit mehreren Beiträgen in diesem Band vertreten. Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Herausgeber Michael Krüger zustande?

Er ist am Institut für Sportwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Professor für Sportpädagogik und Sportgeschichte. Ich kenne ihn persönlich seit dem Jahr 2016. Damals erschien in der Schriftenreihe der Mainzer Beiträge zur Kulturanthropologie/Volkskunde meine Dissertation „Brettlehupfer. Die Frühphase des Skilaufens im Hochschwarzwald (1890–1930)“. In diesem Zusammenhang bin ich damals von ihm eingeladen worden, im Rahmen des sporthistorischen Kolloquiums in Münster einen Vortrag zu halten. Basierend auf meinem wissenschaftlichen Beitrag „Der ‚selige Flug‘. Skisprung als emotionales Erlebnis“ widmete ich mich in meinem Vortrag bis 1930 dem zeitgenössischen Umgang mit dem Skisprung.

Seit dieser Zeit stehen wir in Kontakt und sehen uns auf Tagungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen e.V. (DAGS), deren Vorsitzender er inzwischen ist. Aber auch auf Tagungen der International Society for the History of Physical Education and Sport (ISHPES) oder auch der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs), sowie deren Sektion „Sportgeschichte“.

Weshalb hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) dieses Projekt unterstützt?

Der DOSB sieht seine Aufgabe auch darin, Kultur und Geschichte des Sports zu pflegen sowie Forschungen und Projekte zu unterstützen. In seinem Grußwort anlässlich des Jubiläums-Symposiums der DAGS im Jahr 2018 wies Alfons Hörmann, Präsident vom DOSB, bereits auf die große Bedeutung hin, die Institutionen, wie die DAGS für die Erhaltung von Sportüberlieferrungen als wichtiges Kulturgut besitzen würden. Hieraus ergibt sich gleichzeitig eine Verantwortung, sich weiterhin dafür einzusetzen. Dies auch vor dem Hintergrund der abnehmenden Bedeutung der Sportgeschichte an deutschen Universitäten. Der DOSB setzt sich deshalb dafür ein, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Bedeutung des Sports für Kultur und Gesellschaft zu stärken.

In Ihrer Dissertation „Brettlehupfer“ beschäftigen Sie sich mit der Frühphase des Skilaufens im Hochschwarzwald (1890–1930)“. Viele Objekte, denen Sie sich hier gewidmet haben, fanden auch Eingang in Ihre Beiträge im Buch „Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten“. Nach welchen Kriterien haben Sie die Auswahl vorgenommen?

Dass ein Objekt zum Thema Skisport vertreten sein muss, war für mich sofort klar. Hier habe ich mich für den Skispitzenbiegebock entschieden. In gleicher Weise war es mir wichtig, dass ein Objekt behandelt wird, das exemplarisch für den Beginn des Frauensports und dessen Wandel steht. Für mich ist dies eindeutig das Sportkorsett. Im Zuge meiner Mitarbeit an der Konzeption zur Sonderausstellung „Fertig? Los! Die Geschichte von Sport und Technik“ am TECHNOSEUM in Mannheim zeigten wir damals auch das Schiedsrichterhemd von Rudolf Kreitlein aus Stuttgart. Kreitlein gilt als der Miterfinder der Gelben und Roten Karte im Fußball. Die Geschichte hinter dieser Erfindung ist derart kurios, dass sie in der „Deutschen Sportgeschichte in 100 Objekten“ natürlich nicht fehlen darf.

Welche Rolle spielte bei der Auswahl das „Bauchgefühl“?

Das Bauchgefühl spielt insofern eine Rolle, weil ich durch meine jahrelange intensive Beschäftigung mit dem historischen Skisport - wobei ich mich mit dem Frauenskilauf auch ausführlich der Genderperspektive widme - eine starke emotionale Verbindung zu diesem Thema habe.

Was ist das Besondere am Skispitzenbiegebock? Und wie kamen Sie darauf, sich mit dieser scheinbaren Nebensächlichkeit des Sports näher zu befassen?

Der Skispitzenbiegebock gehörte Karl Köpfer aus Bernau im Schwarzwald und wurde von ihm zu Beginn des 20. Jahrhunderts benutzt. Anhand der Geschichte des Skispitzenbiegebocks lassen sich repräsentativ die Anfänge des Skisports in Deutschland darstellen. Der Siegeszug der Ski, bzw. Schneeschuhe, wie sie damals bezeichnet wurden, ging mit der Übersetzung Fridtjof Nansens Expeditionsberichts „Auf Schneeschuhen durch Grönland“ im Jahr 1890/91 einher. Das war der Startschuss für die Verbreitung des Kulturphänomens Skilauf. Während Skier u. a. teuer aus Norwegen importiert wurden, stellten auch regionale Handwerker Ski her. Dies ist beispielsweise für das Jahr 1892 in Todtnau dokumentiert. Diese Skier waren günstiger, als die Importprodukte. Wie die vielen Wintersportausstellungen belegen, florierten mit dem Erstarken des Skisports der Handel mit Sportbekleidung und Skizubehör sowie die Herstellung der Schneeschuhe. Gleichzeitig wurden – primär an die Landbevölkerung – Anleitungen zur eigenen Herstellung von Schneeschuhen verteilt.

Was war der Sinn dahinter?

… dass der Landbevölkerung nun in schneereichen Wintermonaten ein adäquates Fortbewegungsmittel zur Verfügung stand, also die praktische Komponente der Skier. Auf der anderen Seite dienten die Skier besonders der Stadtbevölkerung als eine optimale winterliche sportive Freizeitmöglichkeit. Hier war die sogenannte „Winterfrische“ geboren. Im Hochschwarzwald bildete sich der Wintersporttourismus heraus, dessen Dreh- und Angelpunkt der Feldberg mit dem dortigen Hotel Feldbergerhof war. Der Skifabrikant Karl Köpfer bog mit diesem transportablen Skispitzenbiegebock vor Ort den Skisportlerinnen und Skisportlern ihre Schneeschuhe nach. Das zunehmende Angebot an Wintersportgeräten ließ sukzessive den Anschaffungspreis für Skier sinken, so dass bereits in den zwanziger Jahren weite Bevölkerungskreise den Skisport ausüben konnten. Letztlich lässt sich an diesem unscheinbaren Gerät aus Holz die Popularisierung des Skilaufens in Deutschland optimal nachvollziehen.

Was können wir heute aus der Geschichte des Sportkorsetts lernen?

Vor allem können wir daran sehen, dass sich Sportlerinnen noch immer Reglementierungen und vielfältigen Ressentiments ausgesetzt sehen und traditionelle Weiblichkeitsmythen abgelegt werden müssen. Das stereotype Denken existiert durchaus noch, so fällt es Sportlerinnen schwer, sich in sogenannten „Männersportarten“ zu etablieren. Als Beispiel kann ich die Geschichte des Frauenskispringens anführen. Erst im Jahr 2014 wurde dieses als olympische Disziplin für Frauen bei den Winterspielen in Sotschi zugelassen. Lange herrschten hier – ähnlich wie vor 100 Jahren – Argumente, die medizinische Bedenken ins Feld führten, vor. Zudem gelten für Sportlerinnen mitunter andere Regeln als für Sportler. Im Eishockey ist zum Beispiel der Bodycheck, eine wichtige Spielkomponente bei den Männern, für Frauen verboten. Anstatt einen Zehnkampf betreiben Frauen einen Siebenkampf. Baseball gibt es bei Frauen nicht, sie spielen stattdessen Softball. Diese Auflistung ließe sich noch weiterführen.

Darüber hinaus sind die Verdienstmöglichkeiten für Frauen in den meisten Sportarten im Vergleich zu Männern deutlich schlechter. Noch heute entzünden sich hitzige Diskussionen an der Sexualisierung des Sports, z. B. an der knappen Spielbekleidung der Beachvolleyballerinnen. Auf der anderen Seite balancieren Sportlerinnen auf dem schmalen Grat der Grenzüberschreitung zwischen „zu“ weiblich, und wie es vielfach kritisiert wird, „vermännlicht“. Meiner Ansicht nach könnten wir aus der Geschichte des Sportkorsetts eine Sensibilisierung für den Frauensport lernen, um die vorherrschenden Unterschiede weiter abzubauen.

Wie erklären Sie sich, dass die Sportgeschichte in der akademischen Sportwissenschaft an den Universitäten immer weiter abgebaut wurde?

Die Sektionen Sportgeschichte und Sportphilosophie in der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft haben zur Förderung der geistes- und kulturwissenschaftlichen Teildisziplinen eine Erklärung abgegeben. Darin legen sie u. a. dar, dass es noch drei „ordentliche“ Universitätsprofessuren, nämlich in Köln, Münster und Hannover gibt, die zumindest teilweise sporthistorisch ausgerichtet sind. Ein Grund könnte darin liegen – wie es die Erklärung thematisiert – dass die Verwertbarkeit von geistes- und kulturwissenschaftlichen Wissensbeständen sehr viel weniger offensichtlich ist. In dem Positionspapier wird auch ausführlich auf die Verdrängung eingegangen, weshalb ich es zur Lektüre empfehlen kann:

Weshalb gehört die Beschäftigung mit Sportobjekten zu unserer kulturellen Identität?

Das Schlagwort der „kulturellen Identität“ ist schwierig. Der Volkskundler Hermann Bausinger weist darauf hin, dass das Modell der kulturellen Identität gewisse Gefahrenmomente in sich birgt. Es kommt vor allem darauf an zu ergründen, wer kulturelle Identität definiert. Ich meine damit, wer bestimmt, was darunter zu verstehen ist? Was wir heute Sport nennen, wurde zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedlichste Art und Weise betrieben. Grundsätzlich setzen sich Institutionen wie die DAGS für eine sachgerechte Überlieferung sporthistorischen Kulturguts ein. Durch die fachliche Erschließung von Sammlungen, Schriftgut aber auch Bild- und Filmdokumenten wird somit die Grundlage für die wissenschaftliche Erforschung und Vermittlung von Sportgeschichte gelegt. Letztlich kann gesagt werden: Gegenwartsphänomene des Sports, die unter Aspekten und dem Verständnis der historischen Ursachen analysiert werden, tragen zu einem breiten Erkenntnisgewinn bei. Dieser kann wiederum für direktes praktisches Handeln nutzbar gemacht werden.

Zur Person:

Dr. Constanze N. Pomp studierte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz im Magisterstudiengang das Hauptfach Kulturanthropologie/Volkskunde sowie die Nebenfächer Buchwissenschaft und Christliche Archäologie & Byzantinische Kunstgeschichte. 2014 wurde sie dort promoviert und hatte Lehraufträge am Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft. Von 2017 bis 2019 absolvierte sie am TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim ihr wissenschaftliches Volontariat. In dieser Zeit arbeitete sie unter anderem bei der Konzeption der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg „Fertig? Los! Die Geschichte von Sport und Technik“ mit. Von 2018 bis 2019 war sie im Arbeitskreis Volontariat des Deutschen Museumsbundes (DMB) aktiv. Seit März 2019 ist sie am TECHNOSEUM in der Stabsstelle Freundeskreise und Ehrenamt für die Koordinierung der Ehrenamtlichen zuständig.

Weiterführende Informationen:

Hinter den Dingen: Gegenwelten zum enthemmten Kommerz

Beeindruckende Botschaften: Was uns historische Ansichtskarten, Reklamemarken und Sammelbilder vermitteln

Wer Volkskunde studiert, hat mehr vom Leben!

Wie kann die individuelle Erinnerungskultur im Zeitalter der Digitalisierung besser gepflegt werden?

Constanze N. Pomp: Rote/gelbe Karte; Skispitzenbiegebock; Sportkorsett. In: Deutsche Sportgeschichte in 100 Objekten. Hrsg. v. Michael Krüger. J. S. Klotz Verlagshaus, Neulingen 2020.

Fundstücke aus dem Deutschen Fußballmuseum. Hg. von Jochen Hieber und Manuel Neukirchner. In Zusammenarbeit mit Frankfurter Allgemeine Zeitung. 2. Aufl. 2019. Druck- und Medienhaus Essen 2019.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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