Springer baut „Bild“-Zeitung massiv um – sechs Regionalausgaben werden eingestellt
Der Medienkonzern will Stellen abbauen, unter Chefredakteurin Horn werden auch Führungsebenen verschlankt. Teile der Aufgaben bei Europas größter Boulevardzeitung sollen künftig von KI erledigt werden.
Berlin, Düsseldorf. Bei aller Existenzangst – ein bisschen Spaß muss sein, finden Marion Horn und Claudius Senst. Die Chefredakteurin der „Bild“ und der Geschäftsführer der „Bild“-Gruppe haben die Mitarbeiter am Montagvormittag zu einer digitalen Schalte gerufen. Harte Einschnitte stehen bevor, bis zu 30 Prozent der Belegschaft wird in manchen Teilen abgebaut.
„Diese Entscheidungen tun weh“, sagt Senst. Vielleicht habe man bald Psychologen im Newsroom, mutmaßt Horn. Darauf Senst: „Ich hätte auch gern einen.“ Horn lacht. Und Senst erklärt der Zuhörerschaft: „Man darf lachen und man muss weiterlachen.“ Diesen Dialog schildern zwei Personen dem Handelsblatt, die zugeschaltet waren.
Dabei ist die Situation ernst. Der Medienkonzern Axel Springer baut seine Kernmarke „Bild“ tiefgreifend um. Künftig wird es nur noch zwölf statt 18 Regionalausgaben geben. Das teilte die Chefredaktion von Europas größter Boulevardzeitung den Beschäftigten am Montag per E-Mail mit. Das Handelsblatt hatte bereits am Sonntag berichtet, dass es zu einer solchen Maßnahme kommt.
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Der Umbau ist auch mit einem Stellenabbau verbunden. Genaue Zahlen nannte Springer nicht – offenbar weil der „Bild“-Betriebsrat noch zustimmen muss. Nach Handelsblatt-Informationen soll eine dreistellige Zahl an Stellen abgebaut werden. Man bemühe sich, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden, erklärte die Chefredaktion. „Wir trennen uns von Produkten, Projekten und Prozessen, die wirtschaftlich nie wieder erfolgreich werden können“, steht in dem Schreiben, das dem Handelsblatt vorliegt.
Auch Führungsebenen sollen „stark verschlankt werden“, heißt es. „Die Funktionen der Redaktionsleiter, Blattmacher, Korrektoren, Sekretariate und Foto-Redakteure wird es so wie heute nicht mehr geben.“ Der Großteil der Arbeitsplätze soll demnach in der Produktion abgebaut werden.
Springer will eingespartes Personal durch Künstliche Intelligenz (KI) ersetzen: KI solle schon bald das Layouten der gedruckten Zeitung komplett übernehmen, schreibt die Chefredaktion. Man trenne sich von Kollegen, die Fähigkeiten haben, die man mit KI nicht mehr benötige, soll Horn laut Teilnehmern gesagt haben. „Das klingt brutal und das ist es auch.“
Man werde die Funktionen abschaffen, die aus der Papierwelt kommen. KI helfe dabei, Berichte nun auch in Video und Podcast zu erzählen, sie könne schneiden, texten, kürzen und vertonen.
Springer will Kosten auch durch Standortschließungen drücken. Kleinere Büros werden zum Jahresende geschlossen. „Aktuell gehen wir davon aus, dass die großen Standorte (Hamburg, Leipzig, Essen, Frankfurt und München) erhalten bleiben“, schreibt die Chefredaktion. Eine weitere „wirtschaftliche Optimierung der Flächen“ behalte man sich aber vor. Beschäftigte sollen künftig verstärkt aus dem Homeoffice arbeiten.
Axel Springer: „Bild“ und „Welt“ zählen zu den Problembereichen
Der Stellenabbau hatte sich schon länger angekündigt. Das deutsche Mediengeschäft mit seinen Marken „Bild“ und „Welt“ gilt als Problembereich des Springer-Konzerns. Während die digitalen Plattformen für die Vermittlung von Jobs und Immobilien wachsen, leiden „Bild“- und „Welt“-Gruppe unter einem rückläufigen Geschäft.
Verlagschef und Großaktionär Mathias Döpfner will bei diesen beiden Medienmarken bis 2025 rund 100 Millionen Euro einsparen. Erzielen will er das „durch Umsatzsteigerungen, aber auch durch Kostenreduzierungen“.
Bei der „Bild“ sollen Mitarbeiter durch ein Freiwilligenprogramm ausscheiden. Die Gespräche mit den Betriebsräten sollen nun aufgenommen werden, steht in der E-Mail. Durch ‧solche Maßnahmen haben bereits erste Beschäftigte die „Welt“ und die Verwaltung verlassen, heißt es in Unternehmenskreisen.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) warnte vor umfangreichen Stellenstreichungen. „Wenn Mathias Döpfner die Milchkuh des Konzerns schlachten will, ist das nicht nur unsozial gegenüber den Beschäftigten, sondern wirtschaftlich extrem dumm“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall.
Wenn Stellenstreichungen wirklich unvermeidbar seien, dürfe es keine Kündigungen geben. „In einem so großen und breit aufgestellten Medienkonzern müssen den betroffenen Beschäftigten alternative Arbeitsplätze angeboten werden.“
„Bild“ will künftig zuerst digital berichten
Verlagschef Döpfner will aus Springer perspektivisch ein reines Digitalunternehmen machen. „Die Zukunft von Axel Springer ist ‚digital only‘“, hat er wiederholt gesagt. Mittelfristig soll es in dem Verlag keine gedruckten Zeitungen mehr geben.
Noch erzielt die „Bild“ aber weniger als 20 Prozent ihres Umsatzes mit digitalen Inhalten, sagte ein Insider. Deshalb werden sich auch die Arbeitsabläufe der „Bild“ umfangreich verändern: Das Springer-Flaggschiff will künftig zuerst digital berichten, die gedruckte Zeitung entsteht danach aus den Onlineartikeln. Die neuen Abläufe sollen ab Juli angepasst und zum 1. Januar 2024 umgesetzt sein.
Die „Bild“ will die Abläufe verschlanken und stärker über die Zentrale in Berlin bündeln. Die Berichterstattung aus den Landesparlamenten soll gestärkt werden. Die Sportberichterstattung soll von dem Umbau kaum betroffen sein, die regionale Sportseite soll weiter Teil fast aller Regionalausgaben bleiben. Gleichzeitig werden die zwei neuen Ressorts „Wirtschaft & Finanzen“ und „Wissenschaft & Forschung“ gegründet.
Massive Unruhe bei Springer
Die Unruhe bei Springer dürfte durch den Stellenabbau weiter zunehmen. Schon jetzt ist die Lage angespannt. Erst im März hatte Springer die komplette Führungsspitze der Boulevardzeitung ausgewechselt. Den Vorsitz der Chefredaktionen von „Bild“ und „Bild am Sonntag“ hat seitdem Marion Horn, ihr zur Seite steht der frühere „Focus“-Chefredakteur Robert Schneider. Beide sind profilierte Print-Köpfe ohne jede Erfahrung im Digitalgeschäft.
Der Verlag streitet sich zudem mit dem früheren „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt vor Gericht. Springer wirft ihm vor, interne Informationen weitergegeben zu haben, und fordert die gezahlte Abfindung in Millionenhöhe zurück.
Reichelt hatte im Herbst 2021 seinen Posten als „Bild“-Chefredakteur räumen müssen. Beschäftigte hatten ihm Machtmissbrauch in Verbindung mit Beziehungen zu Mitarbeiterinnen vorgeworfen. Der Journalist hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Neben Springer bauen auch andere Medienunternehmen Stellen ab. Zu Jahresbeginn hatte der zur TV-Gruppe RTL gehörende Verlag Gruner + Jahr (G+J) 700 von 1900 Stellen gestrichen und zahlreiche Magazine eingestellt. Auch bei Burda-Titeln wie „Focus“ und „Bunte“ gab es Entlassungen.
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