Stellantis ein Sanierungsfall? Die fast unlösbaren Aufgaben des Antonio Filosa
Die Suche nach einem Nachfolger von Carlos Tavares ist zu Ende: Der Italiener Antonio Filosa rückt an die Spitze des Mehrmarkenkonzerns Stellantis.
Antonio Filosa hat es eilig: Noch bevor er am 23. Juni seine neue Postion als Vorstandschef von Stellantis antritt, stellte er sich am vergangenen Mittwoch den Führungskräften des Konzerns vor. Eine seiner Messages: Er werde den Marken der Gruppe – es sind immerhin 14 – den nötigen Freiraum lassen, sich zu entfalten. „Ich weiß, was Sie brauchen“, sagte er zu den Chefs von Opel, Peugeot, Fiat, Jeep und Co. Die waren beeindruck: „Er kommuniziert mit uns auf Augenhöhe und adressiert die richtigen Themen“, sagt einer, der dabei war.
Dass Filosa aufs Tempo drückt, ist berechtigt, denn der neue Stellantis-Chef steht vor fast unlösbaren Aufgaben. Viel Zeit hat er nicht. Der Konzern ist in Krisenzeiten wie diesen schwer zu steuern. In Europa ist die Autokonjunktur schwach, in den USA, dem zweiten großen Markt von Stellantis, unberechenbar. Die Eskapaden von US-Präsident Donald Trump tun ihr Übriges. Und die Marken kämpfen in Europa allzu oft um dieselben Kunden.
Sein Vorgänger, der vor einem halben Jahr gefeuerte Carlos Tavares, hatte eine wahre Achterbahnfahrt hingelegt: Zeitweise fuhr Stellantis zweistellige Gewinnmargen ein, wie man sie sonst nur von Mercedes und BMW kannte, um dann im vergangenen Jahr an den Rand der Verlustzone zu stürzen. Die Drohung weiterer Werksschließungen und Entlassungen ließen den Verwaltungsrat unter Fiat-Erbe John Elkann schließlich die Notbremse ziehen. Tavares musste gehen. Nachfolger Filosa soll den Mehrmarkenkonzern nun in ruhigeres Fahrwasser steuern und nach dem knallharten Tavares einen moderateren Führungsstil zeigen.
14 Marken und viele Misstöne
Für den Chef von Peugeot, Alain Favey, ist der neue CEO ein Glücksfall: „Antonio Filosa weiß, was Marken brauchen, um erfolgreich zu sein“, sagt Favey, der seit Jahresanfang im Job ist. Das Problem: Im Konzert der 14 gibt es Misstöne. Da die europäischen Marken und auch Jeep größtenteils die gleichen Plattformen nutzen, sind sie sich technisch sehr ähnlich. „Natürlich nutzen wir die gemeinsamen Konzernplattformen für unsere Modelle, so wie es auch der VW-Konzern macht“, sagt der ehemalige VW-Manager Favey. Doch auch das Wolfsburger Erfolgsmodell ist – wie Stellantis – ins Straucheln geraten.
Opel, Peugeot und Alfa Romeo fällt es zunehmend schwer, sich zu differenzieren. Opel muss aber pro Auto mehr Geld verdienen, um die hohen Produktionskosten in Deutschland zu rechtfertigen. Peugeot und Alfa wollen ebenfalls einen Premiumaufschlag auf die Verkaufspreise: Markenchef Favey, der perfekt Deutsch spricht, will Peugeot als „Upper Mainstream-Marke“, positionieren, also am oberen Ende des Volumensegments. Das ist ungefähr da, wo Volkswagen steht und sich auch Opel sieht. Diese Marken kämpfen also um die gleiche Kundschaft.
„Die Marke Peugeot hat Potenzial“, sagt Favey, sie soll für „Driving Sensation“, „Design to last“, „French Charisma“ stehen, also vor allem durch gutes Fahrverhalten und Design auffallen. Auch beim Infotainment will sich Peugeot abheben: „Unser i-Cockpit finden Sie sonst nirgends im Konzern.“
Peugeot hat in Europa in den ersten vier Monaten dieses Jahres 6,1 Prozent Marktanteil erreicht, 0,4 Prozentpunkte mehr als vor einem Jahr. 1,1 Millionen Autos will die Marke weltweit absetzen, davon 800.000 in Europa und nur 25.000 in China.
In China kaum vertreten
Stellantis kommt zugute, in China kaum vertreten zu sein. Denn der einstige Boommarkt ist zum Katastrophengebiet für westliche Autohersteller geworden, allen voran für Volkswagen, dem einstigen Marktführer. Mit Leapmotor ist Stellantis zu 51 Prozent an einem chinesischen Hersteller beteiligt, dessen Produkte auch in Europa angeboten werden. Allerdings ist Leapmotor ein vergleichsweise kleiner Player in dem Riesenreich.
Andererseits ist Stellantis mit den Marken des ehemaligen Chrysler-Konzerns in Nordamerika groß vertreten. Vor seiner Beförderung zum Chef von Stellantis war Antonio Filosa für die amerikanischen Märkte verantwortlich. Derzeit kein leichter Job: Der Marktanteil der Stellantis-Marken Jeep, Ram und Doge in den USA bröckelt. Das Unternehmen leidet unter Donald Trumps sprunghafter Zoll- und Wirtschaftspolitik. Denn viele Fahrzeuge der Marken werden in Kanada und Mexiko gebaut.
Aufs falsche Pferd gesetzt?
Zudem hat der US-Präsident vergangene Woche dem Bundesstaat Kalifornien untersagt, ab 2035 den Verbrennungsmotor in neuen Pkw zu verbieten. Damit hat Trump über Nacht die Antriebsstrategie von Stellantis über den Haufen geworfen: 30 Milliarden Euro hatte der Konzern in den vergangenen fünf Jahren in Elektrifizierung und Softwareentwicklung gesteckt.
Bis zu seinem Rauswurf vor sechs Monaten hatte Tavares noch gehofft, die Antriebstechnik in den USA und Europa würde sich annähern. Statt mit großvolumigen V8-Motoren dort und kleinen Dreizylindern hier würde man auf beiden Seiten des Atlantiks bald elektrisch fahren, so die Hoffnung. Stellantis sparte sich damit Milliarden an Investitionen, müsste doch für beide Märkte nur noch ein Antrieb entwickelt werden. Jetzt bleiben die USA beim Benziner, und auch in Europa wackelt das Verbrennerverbot. Tavares hätte aufs falsche Pferd gesetzt.
Stellantis ist innerhalb eines Jahres vom Superstar zum Sanierungsfall geworden. Es gibt also genug zu tun für den neuen Konzernchef – und Eile ist geboten.
