Strahlendes Erbe: Was werden wir hinterlassen?
Als der 2026 verstorbene schwedische Schriftsteller Henning Mankell noch mit seiner Krebserkrankung lebte, schien es ihm, als hätte er neue und unerwartete Einsichten darüber gewonnen, wie wir mit dem nuklearen Abfall umgehen. Ob der in Felsen eingeschlossene Atommüll irgendwann ungefährlich sein wird, weiß heute niemand. Und vermutlich werden auch unsere Nachfahren nicht wissen, welcher gefährliche radioaktive Abfall unter ihnen liegt. Dass sich den Felswänden Warnungen befinden, die ihnen mitteilen, dass sie sich vor den Kupferbehältern in Acht nehmen sollen, ist ebenso ungewiss. Sein letztes und persönlichstes Buch „Treibsand“ ist zugleich sein Vermächtnis, in dem er sich der wichtigsten Aufgabe widmet: „den Menschen, die vielleicht nach uns kommen werden, wenn zukünftige Eiszeiten zu Ende gegangen sind, eine Warnung zu schicken.“ Im Todesjahr des Autors erschien in der Süddeutschen Zeitung der Artikel „Profit und Verantwortung“ (25.2.2016), in dem geschildert wurde, dass tausende Fässer mit Atommüll zu einem „Spottpreis“ in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Salzbergwerk Asse verschwanden. Das „Endlager“ sei heute ein Sanierungsfall. Bei der Nuclear Energy Agency (NEA) innerhalb der OECD wurde nach Möglichkeiten gesucht, künftige Generationen über Lager mit radioaktivem Müll zu informieren. Der strahlende Abfall der Atomwirtschaft wird quer durch Europa verschoben. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine sichere Lagerstätte für den radioaktiven Atommüll, bemerkt auch Greenpeace. Die ungelöste Endlagerfrage, das Ende der atomaren Kette, polarisiert unsere Gesellschaft. Eine eigens dafür gegründete Bundesgesellschaft für Endlagerung soll bis 2031 einen Standort für ein deutsches Endlager festlegen – im Konsens mit der dann ausgesuchten Region. Mitte des Jahrhunderts soll mit dem Bau begonnen werden.
Das „strahlende Erbe“ ist ein Hauptaspekt seines Buches „Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung“. Die DDR war der viertgrößte Uranproduzent der Welt. Um den „Yellowcake“ herzustellen wurde das geförderte Erz in einer Mühle gemahlen und das Uran mit Hilfe von Säuren und Laugen herausgelöst. Weil das Gestein nicht einmal 0,1 Prozent des begehrten Rohstoffes enthielt, blieb pro Kilo gewonnenem Uran über eine Tonne radioaktiv belastetes Gestein zurück. Zur Verschleierung der Gefahren wurde dem Bergbau in der DDR der Name Wismut gegeben, ein Metall, das früher im Erzgebirge abgebaut und zu Legierungszwecken verwendet wurde. Die Wismut AG war der drittgrößte Uranproduzent der Welt, der auch den Aufstieg der UdSSR zur nuklearen Supermacht ermöglichte. Seit der Mitbeteiligung der DDR an der Wismut AG 1954 oblag die Sicherung dieser Zonen der Deutschen Grenzpolizei, die bis 1957 dem MfS unterstellt war. Mit der Wende wurde der Uranbergbau in Sachsen und Thüringen beendet.
1990 beschloss die letzte DDR-Volkskammer die Beendigung des Uranbergbaus, doch erst im Mai 1991 schlossen die Sowjetunion und die Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen zur Stilllegung der SDAG Wismut. Die Langzeitfolgen des Uranerzbergbaus und der Gefahren, in die sich unzählige Bergleute tagtäglich begaben, beschäftigt die Menschen in den Montanregionen Sachsens und Thüringens noch bis heute. Im Jahr 2008 rief die Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Technischen Universität Chemnitz ein internationales Forschungsprojekt zum Uranbergbau in der DDR ins Leben. Ziel war es, den Stellenwert des weitgehend verheimlichten Uranbergbaus in Politik und Wirtschaft der DDR sowie die Sozial- und Alltagsgeschichte der SDAG Wismut zu untersuchen.
Nach Angaben der Wismut GmbH, die seit dem Fall der Mauer für die Sanierung dieser strahlenden Hinterlassenschaften zuständig ist, kamen bis zur Wende in Sachsen und Thüringen in den Jahrzehnten des Uranbergbaus seit Mitte der 40er Jahre 311 Millionen Kubikmeter Haldenmaterial und 160 Millionen Kubikmeter radioaktive Schlämme zusammen. In Trockenperioden blies der Wind radioaktiven Staub in die umliegenden Regionen. Mit jedem Regen wiederum gelangten radioaktive Partikel in Bäche, Flüsse und ins Grundwasser. Wegen seiner radioaktiven Belastung muss das Sickerwasser über Jahrhunderte aufbereitet und die insgesamt 21 Bergwerkstandorte weiter überwacht werden. Das Bundesamt für Strahlenschutz führt seit Jahren eine weltweit einzigartige wissenschaftliche Untersuchung zu den Folgen des Uranabbaus in der ehemaligen DDR durch. Nachgewiesen ist, dass die Sozialversicherung bis 1990 die Lungenkrebserkrankung von 5492 Wismut-Bergarbeitern als Berufskrankheit anerkannt hat. Nach der Wiedervereinigung kamen bis 2011 weitere 3696 Erkrankte hinzu. Darüber hinaus wurde 17 251 Wismut-Bergarbeitern eine Staublunge als Berufskrankheit attestiert.
Dies ist nur eines von vielen aufrüttelnden Beispielen im Buch von Horst Hamm, in dem auch auf die größten Uranbergbauländer Kasachstan, Kanada, Australien, Russland, Niger, Namibia, Usbekistan und die USA Bezug genommen wird. Zudem wird gezeigt, dass Uran unlösbar mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden ist und auch im 21. Jahrhundert weiterhin eine zentrale und hoch umstrittene Bedeutung haben wird. Der Band erschien in der Buchreihe "Stoffgeschichten", die seit 2006 durch den Verein oekom e.V. und das Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg im oekom verlag herausgegeben wird. Sie ist Stoffen gewidmet, die für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung elementar sein sollen. Der Umweltjournalist und Autor Dr. Horst Hamm hat sich jahrzehntelang mit dem Stoff Uran beschäftigt. Er ist Initiator und Projektleiter des Magazins MehrWert und geschäftsführender Vorstand der Nuclear Free Future Foundation. Die Stiftung will über die Gefahren der Nutzung der Atomtechnologie zu zivilen und militärischen Zwecken aufklären. In seinem aktuellen Buch zeigt er die verschiedenen Facetten des Urans sowie die damit verbundene Spaltung unserer Gesellschaft: von seiner Entdeckung bis heute, von seiner Verwendung als Verschönerungselement bis hin zur Atombombe.
„Silberrausch und Berggeschrey“ löste auch im östlichen Erzgebirge eine Silberader aus, die Kaufleute 1168 bei Christiansdorf in der Nähe des heutigen Freiberg in Mittelsachsen entdeckt hatten. Mit der industriellen Entwicklung kamen ab 1600 weitere Metalle hinzu, die dem Erzgebirge über Jahrhunderte den Bestand als Bergbauregion sicherten, wenn Silberadern ausgeschöpft waren: Wismut, Zinn, Kupfer und Eisen. Die Bergleute stießen immer wieder auf grünlich-schwarze bis schwarz schimmernde Gesteinsschichten, die das Ende einer wertvollen Erzader anzeigten („Pechblende“, das das Element Uran enthält, weshalb das Gestein später auch unter „Uraninit“ bekannt wurde). 1789 isolierte Martin Heinrich Klaproth aus dem dunklen Mineralgestein Pechblende erstmals das Element Uran. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts wurde Uran erstmals als Nebenprodukt in englischen, böhmischen und sächsischen Minen gewonnen. Damit konnten Keramiken bemalt und „Vaselineglas“ hergestellt werden. Die böhmischen und sächsischen Glashütten, die sich die Erkenntnis zunutze machten, dass Glas und Gläser durch Uranverbindungen gelb-grün leuchtend in Szene gesetzt werden konnten, professionalisierten im Laufe des 19.Jahrhunderts die Nutzung der Uranfarben.
1898 entdeckten sie zwei neue Elemente: Polonium und Radium. Im Jahr 1903 erhielt Marie Curie mit Ehemann Pierre und ihrem Forscherkollegen Antoine Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik. Drei Jahre später starb ihr Ehemann bei einem Autounfall. Marie Curie setzte ihre Forschungsarbeiten allein fort: 1911 wurde sie für die Isolierung des Elements Radium mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Am 4. Juli 1934 starb sie im Alter von 67 Jahren an Leukämie, die Forscher auf ihren langjährigen Umgang mit radioaktiven Elementen zurückführen. 1984 wurde ihr Notizbuch für umgerechnet 136.000 DM versteigert (unter der Aufsicht eines Zivilschutzbeamten). Noch heute ist das Buch so stark verstrahlt, dass es als unlesbar gilt. Was Uran so zerstörerisch macht, sind seine physikalischen Eigenschaften. Mit den Bomben auf Hiroshima und Nagasaki haben die USA der Welt diese Macht vor Augen geführt: 70.000 bis 80.000 Menschen wurden nach einer Schätzung von US-Experten am 6.August 1945 von der Hiroshima-Bombe sofort getötet (Greenpeace spricht sogar von 140.000 Sofort-Toten und Hunderttausenden, die »in den darauffolgenden Monaten, Jahren und Jahrzehnten den Folgen der Strahlung« erlagen). Während die Atomkraft umstritten ist und es seit den 1970erJahren mindestens so viele Kritiker:innen wie Befürworter:innen gibt, ist die Nuklearmedizin bis heute ausschließlich positiv besetzt. Sie hilft vor allem, Krebsdiagnosen zu stellen und Tumore zu behandeln. Aber auch sie benötigt Radioaktivität und atomare Zerfallsprodukte oder die dabei frei gesetzten Neutronen - allerdings hat sie ebenso viel Potenzial für Umweltkatastrophen wie die Atomkraft.
Atomkraft ist in allen Stadien eine Gefahr für Mensch und Umwelt. Wer die zivile Atomwirtschaft betreibt, „kann theoretisch auch Atombomben bauen“, so Horst Hamm. Die Atomkraftwerke selbst stellen aber auch ein ständiges Risiko dar: So erschütterte am 26. April 1986 eine Explosion das Atomkraftwerk Tschernobyl. Eine radioaktive Wolke verseuchte die Region und zog über Europa. Atomkraft ist keine Perspektive für den Klimaschutz: „Investitionen in diese überholte Energieform bedeuten, sehenden Auges in die energiepolitische Sackgasse zu rennen.“ Er weist nach, dass die fossilen Brennstoffe und Atomkraft nicht konkurrenzfähig mit erneuerbaren Energien sind. Der Weg zum Klimaschutz führt für ihn nur über Investitionen in sie. Erneuerbare Energien sind umweltfreundlich, weltweit unendlich vorhanden, und wir bekommen den Brennstoff für die Betriebsanlagen gratis. Atomkraft ist nur im Strombereich aktiv. Beim Heizen spielt sie keine Rolle. Wir können nur auf Erneuerbare setzen. Die Entscheidung der EU, Atomkraft als nachhaltig einzustufen, ist ein zentraler Streitpunkt in der aktuellen Debatte zur Energiewende. Damit wird auch Uran wieder in den Fokus gerückt. Hamm zeigt, warum Uran keine Hilfe in der Klimakrise bietet, und auch seine Gewinnung und Verwendung nicht nachhaltig oder "klimaneutral" sind.
Horst Hamm, Jens Soentgen (Hrsg.): Das unheimliche Element. Die Geschichte des Urans zwischen vermeintlicher Klimarettung und atomarer Bedrohung. oekom Verlag. München 2023.
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.