Stressmanagement in der Apotheke: Interview mit Tatiana Dikta
Tatiana Dikta ist Pharmazeutisch-technische Assistentin, Lehrkraft an der PTA-Berufsfachschule und B.Sc. Psychologie mit dem Schwerpunkt Gesundheitsmanagement sowie Arbeits- und Organisationspsychologie. Als Stressmanagement-Trainerin hat sie ein Konzept für Apothekenmitarbeiter entwickelt, das als Präventionsleistung nach § 20 SGBV anerkannt ist. Tatiana Dikta ist Autorin zahlreicher Zeitschriftenbeiträge zum Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement und Personalwesen in der Apotheke. In ihrer Freizeit setzt sie sich ehrenamtlich für die Etablierung der fairen Auswahlverfahren im Bereich Recruiting ein und unterstützt Menschen mit Migrationshintergrund im Kontext der beruflichen Bildung. Weiterführende Informationen: www.tatiana-dikta.de.
Frau Dikta, weshalb ist professionelles Stressmanagement nicht nur ein Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), sondern auch ein unentbehrlicher Grundbaustein des Qualitätsmanagements?
Gesunde Apothekenmitarbeiter sind eine notwendige Bedingung, um den Versorgungsauftrag der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Das Qualitätsmanagementsystem (QMS) in der Apotheke muss insbesondere sicherstellen, dass Arzneimittel nach Stand der Wissenschaft hergestellt, geprüft und gelagert werden sowie dass eine ausreichende Beratungsleistung erfolgt. Eine solche Arbeitsleistung ist allerdings nur dann möglich, wenn Mitarbeiter körperlich und gesundheitlich dazu in der Lage sind, und deshalb ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement als ein Fundament des Qualitätsmanagements zu betrachten.
Was beinhaltet professionelles Stressmanagement?
Es berücksichtigt nicht nur das Verhalten der Betroffenen, sondern auch die dazugehörige Umgebung. Es reicht nicht aus, dass Mitarbeiter ihre Arbeit besser organisieren, sich zu entspannen wissen, die Emotionsarbeit besser managen können etc. Auch der Arbeitgeber muss sich Gedanken darüber machen und sie auch umsetzen und wissen, wie er seine Mitarbeiter entlasten kann, damit sie weiterhin mit der hohen Motivation ihre Bestleistung abliefern.
Stressmanagement gehört zum Bereich der angewandten Arbeitspsychologie. Leider werden bei Teamproblemen oder sogar bei Teamburnout in Apotheken selten ausgebildete Psychologen eingesetzt. So werden Maßnahmen angeboten ohne wissenschaftlichen Hintergrund, ohne vorherige professionelle Diagnostik und ohne Evaluation. Stressmanagement zielt auf eine Verhaltensänderung ab – ein kurzes Teamevent oder ein einmaliges Coaching wird in den seltensten Fällen einen nachhaltigen „Aha-Effekt“ auslösen. Verhaltensänderung ist ein langwieriger Prozess und sollte daher professionell begleitet werden. In meinem Buch zeige ich, wer als professioneller Berater in Frage kommt, denn gerade im Bereich Coaching sind viele „schwarze Schafe“ unterwegs.
Worauf stützen sich die Empfehlungen in Ihrem Buch „Stressmanagement in der Apotheke“?
Sie basieren sowohl auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf anerkannten Methoden zur Stressbewältigung als auch auf meiner beruflichen und privaten Erfahrung. Während meines Psychologiestudiums habe ich in sehr vielen Apotheken als Vertretungskraft gejobbt: Ich habe wunderschöne, modern ausgestattete Apotheken erlebt, aber mit einem sehr belasteten und unzufriedenen Team und auch chaotische und technisch schlecht ausgestattete Apotheken, in denen mir Arbeit mit den Menschen sehr viel Spaß bereitet hat. Stress kann sehr viele Ursachen haben und kann psychisch sehr belasten. Je mehr wir theoretisch darüber wissen, desto besser können wir es praktisch managen. Leider scheinen Theorie vielen Menschen weit fern von der Praxis zu sein. Doch wir merken es in der Pandemie: Wir können nur dann praktisch etwas gegen die Ausbreitung der Krankheit machen, wenn wir die Ursachen und Verbreitungswege theoretisch kennen. Eine Aufklärung beginnt theoretisch, für die Umsetzung in die Praxis sind die Menschen selbst zuständig.
Was hat Sie veranlasst, sich dem Apothekenbereich in besonderer Weise zu widmen?
Ich bin seit über 20 Jahren in der pharmazeutischen Branche tätig und fand meine berufliche Erfüllung nicht „ad hoc“. Mein Studium der Psychologie fand ich als eine Möglichkeit der persönlichen Entwicklung, da sie für mich am Arbeitsplatz nicht möglich war: Ich wollte mehr wissen, mehr erfahren, meinen Weitblick schärfen. Im Laufe des Studiums habe ich viele Erklärungen und Ansatzpunkte gefunden, die die zunehmende Unzufriedenheit der Apothekenmitarbeiter und den Stress in der Apotheke erklärten. Das hat mich dazu verleitet, mich nach dem Studium im Bereich Stressprävention weiterzubilden und ein Konzept für Apothekenmitarbeiter zu entwickeln. Ich habe sehr viel Dankbarkeit und sehr gutes Feedback vonseiten der Trainingsteilnehmer erfahren, allerdings habe ich bisher noch nicht wirklich die Arbeitgeber erreichen können. Mein Buch richtet sich daher auch an Arbeitgeber, damit sie Gründe für Unzufriedenheit und mangelnde Motivation bei ihrem Mitarbeiter auch wissen und dagegen steuern, bevor Mitarbeiter kündigen oder krank werden.
Inwiefern kann die Arbeit in der Apotheke Stress auslösen? Was sind hier Stressfaktoren?
Der kurzfristige Stressor wie zum Beispiel ein hohes Arbeitspensum stellt nicht die Gefahr dar, denn dagegen kann man schnell mit einer guten Arbeitsorganisation vorgehen. Vielmehr sind dauerhafte Stressoren wie mangelnde Wertschätzung, Emotionsarbeit, wenig Entwicklungsmöglichkeiten – insbesondere für PTAs, „Work-Family-Conflict“ oder eine knappe Vergütung, die problematisch werden. Solche Stressoren sind wie stetige Tropfen, die den Stein höhlen. Einige Apothekenmitarbeiter orientieren sich daher neu, werden selbständig, studieren ein anderes Fach und verlassen die Apotheke – doch sicherlich ist das keine ultimative Lösung, insbesondere nicht für diejenigen, die den Beruf als solchen sehr gerne ausgeübt haben.
Welche Rolle spielt die Mitarbeiterzufriedenheit?
Mitarbeiterzufriedenheit ist der treibende Motor für die Motivation und für die Leistung. Es gibt Studien, die zeigen, dass nicht das Geld die wichtigste Rolle in dem Zusammenhang darstellt. Allerdings will auch eine hervorragende Leistung zumindest irgendwann bezahlt werden. Fühlen sich Mitarbeiter nicht entsprechend der Leistung entlohnt, nimmt die Mitarbeiterzufriedenheit rapide ab und somit auch die Qualität der Leistung.
Welche Tipps können Sie für den Apothekenalltag geben?
Ich gebe in meinem Buch sehr viele praktische Tipps, weiß aber, dass Apotheken sehr unterschiedlich organisiert sind und die Mitarbeiter daher unterschiedliche Bedürfnisse haben. Ich möchte damit zur Reflexion und zum Nachdenken anregen, ob die (eigene) Apotheke zumindest teilweise die Kriterien eines attraktiven Arbeitsplatzes erfüllt. Ist das nicht der Fall, werden die betroffenen Apothekeninhaber dauerhaft um ihr Personal bangen müssen und sehr viele Ressourcen verlieren für Bewerbungs- und Einarbeitungsprozesse. Dieser Punkt und dieses Problem wird leider noch auf leichte Schulter genommen generell nicht nur in der Gesundheitsbranche.
Was war Ihre Motivation, dieses Buch zu schreiben?
Ich habe beruflich eigentlich alles was eine Pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) ausprobieren kann, auch ausprobiert: Ich habe in öffentlichen Apotheken, in der Krankenhausapotheke, in der Arzneimittelherstellung und auch aus dem Home-Office gearbeitet. Seit einigen Jahren arbeite ich an einer Berufsschule für PTAs und schreibe gelegentlich für pharmazeutische Zeitschriften zu psychologischen Themen. Nun möchte ich meiner Berufsgruppe bzw. allen, die im Gesundheitswesen arbeiten, etwas Zuversicht stiften, denn Stress ist reine Kopfsache und nur durch eigene Einstellung kann sich die Freude an allem, was wir tun in eine positive Richtung entwickeln. Ich komme gebürtig aus Polen, habe inzwischen drei erwachsene Kinder und diverse Stressoren des Alltags kennengelernt. Sicherlich war mein Weg nicht stressfrei, aber ich habe jede Station sehr genossen und lebe immer für den Moment. Es hilft nicht, sich zu beklagen und zu warten, dass uns jemand den „vorgepflasterten“ Weg zeigt. Wie wir unseren Stress erleben, hängt von unserer eigenen Eistellung ab und von der Bereitschaft Verhältnisse zu ändern, die unzufrieden machen: Das ist keine Floskel, das ist meine Erfahrung.
Worauf haben Sie sich in Ihrem Buch fokussiert?
Vor allem auf das mentale Stressmanagement: Emotionsarbeit, Vergessen, Verzeihen aber weniger auf Entspannungstechniken, Meditation und Achtsamkeit. Ich denke, dass es bereits genug Literatur zum Thema Stress, Achtsamkeit und Arbeitsplanung gibt, dennoch habe ich natürlich auch diese Aspekte kurz angesprochen. Ich schreibe darüber, dass es wichtig ist, Fehler zu machen und auch mutig darüber sprechen zu können, dass wir an Verletzungen und Enttäuschungen nicht zerbrechen dürfen, ich spreche über Konkurrenz, Stereotypisierung und Diskriminierung. Mein besonderes Herzensanliegen ist das Kapitel 5, in dem ich in die Grundlagen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) einführe, und zwar BGM nicht nur als Leistung, die von Apotheken an Kunden verkauft wird, sondern vor allem als Leistung für die Mitarbeiter.
Wann leisten Apothekenmitarbeiter Emotionsarbeit, und wo sind die eigenen Grenzen?
Sowohl bei der Beratung der Kunden als auch bei der Interaktion mit Kollegen, müssen wir dauernd unsere Emotionen kontrollieren. Die eigenen Grenzen erfährt jeder für sich individuell und bisweilen sind sie auch anhängig von der eigenen Tagesform. Im professionellen Kontext sollten wir allerdings die Grenzen nicht überschreiten: Weder in Richtung positive noch in Richtung negative Emotionen. Hat man in Team oder im beruflichen Kontext mit einer solchen Person zu tun, hilft manchmal ein Gespräch mit ihr, doch manchmal ist allerdings Distanz ein Mittel der Wahl.
Wie kann einem Burnout rechtzeitig entgegengewirkt werden?
Vor allem muss man sich dessen bewusstwerden, dass man eine Pause braucht und dass man zu verzichten lernt. Es geht darum sich Prioritäten zu setzen: Was will ich? Ist mir mein nebenberufliches Studium wichtiger, meine Entwicklung oder doch das gewohnte Geld? Will ich alles auf einmal jetzt oder hat etwas davon noch Zeit? Am kurzfristigen Stress wird man nicht so schnell zerbrechen, doch lange Strecken schafft man auf diese Weise selten.
Sie haben LOVE-Modell konzipiert. Was verbirgt sich dahinter?
Es ist ein Akronym, das sich aus den Begriffen Leidenschaft, Optimismus, Vertrauen und Emotionen zusammensetzt. Die jeweiligen Begriffe habe ich mit Erkenntnissen aus psychologischer Forschung untermauert. Für mich sind es die wichtigsten Aspekte, um Zuversicht und Motivation zu schöpfen. Es ist eine optimistische Sichtweise, anderen Menschen zu vertrauen und nicht an Enttäuschungen zu zerbrechen. Denn wir können niemals andere Menschen ändern, niemals können wir bis zum letzten Detail erfahren, ob jemand mit uns „gespielt“ oder ernst gemeint hat. Zu selten genießt man das gute Feedback und die positiven Menschen, zu häufig zerbricht man an Kritik, Ignoranz und Ungerechtigkeit der Anderen.
Lassen sich Optimismus und Humor trainieren?
Ja, indem man sich realistische Ziele setzt, die auch in der nächsten Zukunft erreichbar sind. Wenn ein Plan aufgeht, wenn ein Ziel erreicht ist, hebt es auch die Laune und wir sind schnell zum Spaß und humorvollen Bemerkungen bereit. Doch gerade dann, wenn etwas ganz schiefläuft und wenn es sehr ärgert, worauf ich keinen Einfluss (mehr) habe, wähle ich lieber den Humor zum Managen meiner diversen Emotionen. Das entspannt mich und nimmt dem Gegenüber das Gefühl ab schuldig zu sein. Denn im Stressmanagement geht es nicht nur um uns selbst, sondern auch darum anderen Menschen keinen Stress zu erzeugen. Ich distanziere mich grundsätzlich von dem gängigen Anti-Stress-Ratschlag Aufgaben zu delegieren ab und schlage stattdessen vor den Rat Aufgaben Anderen abzunehmen – sofern nach der optimistischen Einschätzung der eigenen Ressourcen noch Kapazität freistehen.
Zum Thema Nachhaltigkeit: Wie können die eigenen inneren Ressourcen gestärkt werden?
Es gibt drei Arten von Ressourcen: mentale, instrumentelle und regenerative Ressourcen. Entsprechend können Sie beispielsweise durch Fort- und Weiterbildung, durch den Ausbau eines stabilen und zuverlässigen Netzwerks oder durch entsprechende Regeneration gestärkt werden. Genauso wie bei den ökologischen und wirtschaftlichen Ressourcen, kommt es auch bei den inneren Ressourcen auf die Langfristigkeit und Konsequenz. Es reicht nicht aus, einmal im Jahr Mitarbeiter zu einer Fortbildung zu schicken, wenn die dort erworbenen Kenntnisse im Alltag nicht eingesetzt werden können. Ebenfalls kommt es bei den sozialen Kontakten auf die Pflege der Beziehungen und auch bei der Regeneration im beruflichen Alltag sind häufige, aber kurze Auszeiten effektiver als eine lange Pause.
Welche Rolle spielt im Berufsalltag das Sabbatical?
Sabbatical oder zumindest eine zeitweise Stundenreduktion ist eine optimale Lösung, um Mitarbeiter, die eine „Pause“ brauchen, nicht gänzlich zu verlieren. Es ist eine gute Alternative, um einer Kündigung oder sogar einer Erkrankung vorzubeugen. Für den Arbeitgeber ergeben sich dadurch selbstverständlich auch organisatorische Aufgaben, diese sind aber überschaubar. Es gibt Apotheken, die diese Möglichkeit ihren Mitarbeitern durchaus unproblematisch anbieten und auch ich konnte aus diesem Angebot bereits Gebrauch machen, um dieses Buchprojekt verwirklichen zu können.
Weiterführende Literatur:
Dikta, T. (2021). Stressmanagement in der Apotheke: Gesund und zufrieden den Berufsalltag meistern. AVOXA – Mediengruppe Deutscher Apotheker – Govi Verlag: Eschborn.