Studie zu Toxoplasmose: Erkrankte gründen mehr Start-ups
Entrepreneurship-Professor Daniel Lerner hat Daten von 74.000 dänischen Frauen verglichen. Rund 7000 trugen den Toxoplasmose-Erreger in sich. Sie hatten im Schnitt 29 Prozent häufiger ein Unternehmen gegründet, 27 Prozent häufiger sogar mehrfach. Ihre Start-ups waren auch erfolgreicher als die der Nichtinfizierten.
Das Interview führte Eben Harrell
Harvard Business manager: Sie sagen, Parasiten machen uns zu Unternehmensgründern. Ernsthaft?
Daniel Lerner: Dass Parasiten das Verhalten von Menschen verändern, ist ein bewiesenes Phänomen. Wissenschaftler haben gezeigt: Wenn Toxoplasma gondii (TG) Nagetiere befällt, gelangt er in ihre Gehirne und macht sie weniger risikoscheu. Die Tiere werden aktiver und offener dafür, neue Gebiete zu erkunden. Ihre Reflexe verlangsamen sich, und sie zeigen weniger Furcht, wenn sie Katzen oder deren Urin riechen. Neugieriges Verhalten, Enthemmung und weniger Risikoscheu: Das hörte sich für mich nach Merkmalen von Unternehmensgründern an. Also habe ich gemeinsam mit meinen Kollegen und Kolleginnen nachgeforscht, ob es eine Verbindung gibt.
Reden wir jetzt über Menschen oder über Mäuse?
Beides. Je nach Land infiziert TG schätzungsweise 10 bis 50 Prozent der Menschen. Der Erreger beeinflusst ihre Gehirne, die Produktion und den Stoffwechsel von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin sowie von Hormonen wie Testosteron. Es gibt zunehmend Belege dafür, dass sich dadurch das Verhalten ändern kann – auf eine ähnliche Art und Weise wie bei Nagetieren. Tatsächlich bewerten Infizierte den Geruch von Hauskatzen als angenehmer – im Vergleich zu denen, die den Parasiten nicht in sich tragen. Das trifft auch auf diejenigen zu, die milde oder gar keine Symptome zeigen, und das sind die meisten Infizierten. Sie sind auch extrovertierter, geraten öfter in Verkehrsunfälle und gehen häufiger alkoholisiert schwimmen. Diese Verhaltensweisen deuten auf eine höhere Risikoneigung hin.
Der Parasit wird von Katzen übertragen. Vielleicht machen Katzenhalterinnen einfach öfter ihr eigenes Ding und gründen häufiger Unternehmen. Wäre das eine Erklärung für Ihre Studienergebnisse?
Ah, das Klischee der verrückten Katzenfrau. Daran glaube ich nicht. Zwar vermehrt sich TG nur im Darm von Katzen, was sie zum Endwirt für den Parasiten macht. Aber anders als viele glauben, rühren menschliche Infektionen nur selten von Hauskatzen her. Häufiger kommen sie durch halbgares Fleisch, Rohmilchprodukte oder ungewaschenes Gemüse zustande. Manchmal wird TG von verwilderten Katzen oder Hauskatzen übertragen, die sich selbst über Nagetiere infiziert haben. Der Zusammenhang zwischen TG und Veränderungen des Verhaltens und der Psyche ist durch Hunderte, wenn nicht Tausende Studien belegt.
Ah, das Klischee der verrückten Katzenfrau. Daran glaube ich nicht. Katzen infizieren uns nur selten.
Natürlich ist es komplex, bei Menschen die Effekte von TG zu untersuchen, aber wir haben aussagekräftige Daten. Bei einem Forschungsprojekt nahmen wir Speichelproben von rund 1500 Studierenden. TG-Infizierte waren 1,4-mal häufiger für BWL eingeschrieben und hatten 1,7-mal so oft Management oder Entrepreneurship als Schwerpunkt. In einer anderen Studie mit 200 Berufstätigen waren die Infizierten 1,8-mal so häufig Gründer.
Unsere neue Untersuchung baut auf diesen Studien auf, aber sie hat eine ganz andere Größenordnung. Toxoplasmose kann bei Immungeschwächten schwere Verläufe haben und sogar tödlich enden. In manchen Ländern, darunter Dänemark, werden Schwangere auf TG getestet, weil eine akute Infektion schwere Geburtsschäden hervorrufen kann. Wir konnten auf Daten der dänischen Behörden zurückgreifen und anonymisierte Gesundheitsdaten mit Informationen über die wirtschaftlichen Aktivitäten der einzelnen Personen verknüpfen: Beschäftigung, Unternehmensgründungen und andere Dinge. Die Daten reichten mehr als ein Jahrzehnt zurück. Insgesamt konnten wir mehr als 74.000 Frauen analysieren, von denen 7000 TG hatten.
Wäre der Effekt bei Männern ähnlich?
An den vorherigen Studien über den Zusammenhang zwischen TG und Entrepreneurship nahmen sowohl Frauen als auch Männer teil, deshalb würde ich grundsätzlich ähnliche Ergebnisse erwarten. Es könnte aber sein, dass der Effekt ein anderes Ausmaß hat.
Besteht die Gefahr, dass ein paar ehrgeizige Gründer sich nun mit Absicht infizieren lassen?
Ich hoffe nicht. Das wäre sehr dumm. Zwar verbuchten die Unternehmen der infizierten Gründerinnen in unserer Studie im Mittel etwa 8 Prozent höhere Gewinne. Aber im Einzelfall fielen die Ergebnisse sehr unterschiedlich aus. Es gab sowohl beeindruckende Erfolge als auch große Reinfälle. Außerdem zeigten die Infizierten weniger Durchhaltevermögen und waren öfter Einzelgängerinnen. Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, Mitgründer an Bord zu holen, sind typische Merkmale erfolgreicher Gründer.
Am wichtigsten aber ist, dass TG ein parasitärer Erreger ist. Er bleibt auf ewig im Körper. Sogar in seiner latenten Form kann er Menschen sehr krank machen, wenn ihr Immunsystem geschwächt ist, etwa durch eine Krebsbehandlung oder eine Organtransplantation. Es gibt Belege dafür, dass sogar eine symptomlose Infektion schwere psychische Probleme verursachen kann. Studien haben Zusammenhänge mit manischer Depression, Schizophrenie und Demenz ergeben. Wer den Parasiten vermeiden will, sollte sich von rohem Fleisch fernhalten und Gemüse und Obst gründlich waschen. Wer mit Katzenkot oder Nagetieren in Kontakt kommt, sollte sich auch die Hände gründlich reinigen.
Vielleicht können Risikokapitalgeber von Ihrer Forschung profitieren. Sie könnten Gründer bitten, sich auf Toxoplasmose testen zu lassen. Wer positiv ist, hat dann bessere Chancen auf eine Finanzierung.
Ich bin sehr dafür, Investitionsentscheidungen von objektiven Kriterien abhängig zu machen. Risikokapitalgesellschaften können damit bessere Ergebnisse erzielen und gleichzeitig die Diversität der finanzierten Gründerinnen und Gründer erhöhen. Aber dafür gibt es viel bessere Methoden als den Test auf einen Parasiten.
Mir ist diese ganze parasitäre Manipulation unheimlich. Das hört sich für mich sehr danach an, als ob wir Menschen keinen freien Willen hätten. Wie sehen Sie das?
Die Wissenschaft zeigt, dass unzählige Dinge das menschliche Verhalten beeinflussen. Seit einiger Zeit gibt es viel Forschung dazu, wie Darmbakterien sich auf unsere geistige Gesundheit auswirken. Ich würde aber nie sagen, dass wir keinen freien Willen haben. Vielleicht erinnern Sie sich: Vor Jahrzehnten gab es ähnliche Bedenken, als Wissenschaftler erstmals herausfanden, wie Gene unser Verhalten beeinflussen. Sowohl bei Genen als auch bei Parasiten sprechen wir von probabilistischen Tendenzen. Wir können keine deterministische Aussage darüber treffen, wie sich eine TG-Infektion auf unser Verhalten auswirkt.
Persönlich denke ich, dass wir unser Ego ein wenig in Schach halten sollten. Wir sollten uns ehrlich eingestehen, dass wir unsere eigenen Motive, Wünsche und Handlungen nur sehr schlecht verstehen. Aber diese Erkenntnis sollte uns nicht davon abhalten, eigenständig und selbstbewusst zu handeln. © HBP 2022
Dieser Beitrag erschien erstmals in der August-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.
Verteidigen Sie Ihre Forschung
Jeden Monat überprüfen wir die Thesen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Dieses Mal sprach Eben Harrell, Redakteur der Harvard Business Review, mit Daniel Lerner, Assistant Professor für Entrepreneurship an der IE Business School in Madrid. Lerner forscht über Unternehmensgründungen im Zusammenhang mit Psychologie, Organisationsverhalten und Strategie.
