Premium

Supply Chain: So wird die Lieferkette zur Innovationsmaschine

Der chinesische Konzern Haier begreift Lieferanten als Innovationspartner: Neue Produkte und Dienstleistungen werden gemeinsam entwickelt. So entstehen Chancen, die ein Unternehmen allein gar nicht nutzen könnte. Grundlage ist ­eine einzigartige digitale Plattform. Haier nutzte COSMOPlat, um die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb seines smarten Kühlschranks zu steuern. Das Unternehmen wendete dabei folgende Methoden an:

Von Kasra Ferdows, Hau L. Lee und Xiande Zhao

Bereits Anfang Februar 2020 hatte Haier, einer der weltweit größten Hersteller von Haushaltsgeräten, in China mit der ersten Welle der Corona-Pandemie zu kämpfen. Haier war mit vielen Problemen konfrontiert, aber auch mit ungewöhnlichen Herausforderungen. Ein Kunde – Heji Home, ein chinesischer Hersteller von Möbelgriffen – bat um Unterstützung. Das Unternehmen wollte mobile Isolierstationen produzieren und einem Krankenhaus in Wuhan spenden. Die Klinikstationen benötigten Systeme zur Frischluftzufuhr, Sterilisierung und Abwasserreinigung.

Keines der beiden Unternehmen hatte bislang etwas Derartiges hergestellt oder verfügte über die notwendigen Entwicklungsressourcen und Supply-Chain-Kapazitäten. Gemeinsam konnten sie jedoch trotz der Lockdowns und anderer Betriebsschließungen wegen des chinesischen Neujahrsfests einen funktionierenden Prototyp bauen und innerhalb von zwei Wochen ausliefern. In den folgenden Wochen stellten sie weitere mobile Stationen her und übergaben sie anderen Krankenhäusern vor Ort. Später entwickelten Haier und Heji abgewandelte ­Versionen, zum Beispiel mobile Test- und Impfstationen.

Um so agil vorgehen zu können, mussten beide Unternehmen schnell Partner finden, unter anderem in der Industriegerätebranche, im Gesundheitswesen und im Baugewerbe. Zudem mussten sich alle Beteiligten vom Start weg vertrauen. Haier und Heji Home konnten innerhalb nur weniger Wochen einen Prototyp herstellen und testen, die Lieferkette organisieren und Fertigungskapazitäten aufbauen – und das alles aufgrund der digitalen Plattform von Haier.

COSMOPlat (für Cloud of Smart Manufacturing Operation Platform) unterscheidet sich stark von herkömmlichen digitalen Supply-Chain-Plattformen. Sie ermöglicht mehr Kooperationsmöglichkeiten – von Innovation über Entwicklung bis hin zur Lieferung von Materialien und Bauteilen, die Lösung technischer Probleme und neue Dienstleistungen. Nicht nur die Lieferanten von Haier können die Plattform nutzen, sondern auch andere, die von den Lieferanten als Teilnehmer eingeladen werden. Viele Unternehmen stoßen dazu, weil ihre Managerinnen und Manager auf Konferenzen und Businessmeetings oder aus Medienberichten davon erfahren haben. Haier plant nun, aus der Plattform ein eigenes Dienstleistungsunternehmen auch für andere Branchen zu machen.

In diesem Artikel beschreiben wir, wie Haier COSMOPlat entwickelt hat, wie sie sich von anderen Plattformen unterscheidet, wie sie genutzt wird und was Unternehmen tun müssen, um eine ähnliche Plattform aufzubauen.

Eine neue digitale Plattform

Haier entwickelte seine Plattform bereits 2012, um die Beschaffung im Unternehmen zu verbessern. Die ersten Versionen dienten dazu, Aufträge zu erteilen, Produktionspläne abzustimmen, Lagerbestände zu verwalten und Zahlungen auszuführen. Zhang Ruimin, der Gründer und CEO von Haier, entschied kurz darauf, die Plattform zu erweitern. Sie sollte nicht nur bei den Routinefunktionen der Supply Chain unterstützen, sondern auch dazu dienen, wichtige Ressourcen innerhalb und außerhalb des Unternehmens anzuzapfen.

Ruimin wollte damit die Agilität der Lieferkette verbessern, um besser auf Lieferausfälle, unerwartete Nachfrageveränderungen und Qualitätsmängel reagieren zu können. Dementsprechend ließ das Unternehmen die Plattform um neue Funktionen erweitern und änderte 2016 deren Namen in COSMOPlat.

Haier nutzt COSMOPlat in rund 20 Ländern. Der direkte Nutzen lässt sich schwer quantifizieren. Aber die Führungsriege geht davon aus, dass sie eine Reihe von Fortschritten ermöglichte: Sie hat die Zeit vom Auftrag bis zur Auslieferung verkürzt, die Produktion effizienter gemacht, Fehlmengen reduziert, Zahlungseingänge beschleunigt und mehr Produktanpassungen ermöglicht.

Andere Unternehmen, die COSMOPlat nutzen, sehen ähnliche Vorteile. Compaks RV, ein chinesischer Hersteller von Wohnmobilen und Campinganhängern, konnte den Produktionszyklus von 35 Tagen auf 20 reduzieren, die Beschaffungskosten um mehr als 7 Prozent verringern und die Aufträge um 62 Prozent steigern. Andere Nutzer – darunter Heji Home und der Keramikproduktehersteller Tongyi Ceramics Science and Technology – berichten, dass sie bei Produktentwicklung, Beschaffungskosten, Dauer der Produktionszyklen, Umsatz und Nettogewinn Verbesserungen erzielen konnten.

Ein Plattformnutzer ­senkte die Beschaffungskosten um über 7 Prozent und steigerte seine Aufträge um 62 Prozent.

In den vergangenen fünf Jahren haben wir mehr als ein Dutzend Plattformen großer Unternehmen unter die Lupe genommen. Predix von GE und MindSphere von Siemens unterstützen die Nutzer bei ­modernen Technologien und den digitalen Funktionen von Industrie 4.0 (Internet der Dinge, Cloud-Computing, Analytik und künstliche Intelligenz), um die Effizienz von Fabriken und Produkten zu verbessern. Bei der Open Innovation Platform der Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation steht die Produktentwicklung im Fokus, wie die Entwicklung neuer Chips.

COSMOPlat ist breiter aufgestellt. Es handelt sich nicht nur um ein Supply-Chain-Management-System, sondern auch um einen Innovationsmotor. Unter anderem bietet die Plattform viele Funktionalitäten, um die Zusammenarbeit mehrerer Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette zu erleichtern. Ein weiterer Unterschied besteht im Umfang des Lieferantennetzwerks. Viele Un ternehmen beschränken, welcher Lieferant auf die Plattform zugreifen darf, und ordnen die Jobs zu, die sie erledigen müssen. Haier hingegen begrenzt den Kreis der Anwender nicht auf seine eigenen Lieferanten. Auch spezifiziert das Unternehmen nicht, wer woran arbeitet. Stattdessen stellt Haier eine Beschreibung eines Problems auf COSMOPlat ein und bittet Lieferanten – bestehende oder zukünftige, sogar solche aus anderen Branchen – darum, Lösungen anzubieten oder gemeinsam eine zu entwickeln (siehe unten „So entstand Haiers smarter Kühlschrank“).

Während viele große Unternehmen den Prozess der Zusammenarbeit bis ins Detail steuern, verfährt Haier anders. Wenn sich Parteien zusammentun, um eine Lösung zu finden, schaltet sich Haier nicht permanent ein. Dadurch nutzen die Partner eher eigene Kapazitäten und besorgen Ressourcen auf eigene Faust. Das ist hilfreich, wenn Haier selbst nicht über die erforderlichen Entwicklungskapazitäten oder Lieferanten verfügt, schnell reagieren muss oder wenn unerwartet Lieferungen ausgefallen sind.

Eine Supply-Chain-Management-Plattform kann nur dann zu einer Innovationsmaschine werden, wenn Managerinnen und Manager ihren Blickwinkel erweitern. Sie müssen in der Plattform ein Werkzeug sehen, das mehr kann, als nur die bestehende Lieferkette zu steuern.

1. Das Lieferantennetzwerk schnell erweitern. Viele Unternehmen legen ihren Schwerpunkt darauf, die Effizienz und Agilität ihrer derzeitigen Lieferkette zu verbessern. Der herkömmliche Ansatz sieht so aus: die mehrstufigen Liefer­ketten darstellen, Verbindungen zu den Mitgliedern des Netzwerks aufbauen, um Informationen auszutauschen, und ein Trackingsystem entwickeln, um den Warenstrom zu überwachen und zu koordinieren und den Informationsfluss unter den Lieferanten zu gewährleisten.

Doch die klima- und pandemiebedingten Unterbrechungen der Lieferketten in den vergangenen fünf Jahren haben gezeigt, dass Unternehmen ihre existierenden Lieferketten verändern oder – wenn eine Krise eintritt – neue aufbauen müssen. Eine Plattform wie COSMOPlat kann dies beschleunigen, weil sie neue Lieferanten schnell integrieren kann.

2. Geeignete Entwicklungspartner finden. Das vorrangige Ziel bei der Digitalisierung von Lieferketten besteht darin, den Material- und Warenfluss (etwa Aufträge, Lieferungen, Lagerbestände und Prognosen) und die Dienstleistungen, die unmittelbar damit verbunden sind (wie Zahlungen und Logistik), über alle Be­teiligten an der Lieferkette hinweg zu ­verwalten. Will ein Unternehmen jedoch komplett neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln, braucht es in aller ­Regel eine Reihe neuer Partner. Diese müssen über Entwicklungs- und Test­kapazitäten sowie das geistige Eigentum verfügen, schnell eine Produktion aufbauen können, Produkte liefern und Kundenservice anbieten.

Eine digitale Plattform erleichtert es, solche Partner zu finden und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Unternehmen können darüber etwa 3-D-Muster austauschen, um Varianten eines neuen Designs digital zu bewerten, sich mithilfe virtueller Realität anschauen, wie ein neues ­Design unter verschiedenen Bedingungen funktioniert, und anhand virtueller Prototypen die physikalischen und technischen Eigenschaften eines neuen Modells testen.

3. Neue Chancen nutzen und Gewinne teilen. Ideen für neue Geschäftschancen oder Problemlösungen können aus allen Bereichen des Ökosystems kommen. Allerdings reicht es nicht aus, lediglich eine digitale Plattform bereitzustellen, damit die Nutzer auch eigene Ideen entwickeln und vorstellen. Diese müssen sich sicher sein, dass ihnen eine Zusammenarbeit auch Vorteile bringt. Daher braucht es klare Regeln nicht nur für die Teilnahme, sondern auch dafür, wie Kosten und Nutzen geteilt werden.

Die Architektur der Plattform COSMOPlat besteht aus drei Modulen:

Gemeinschaftliche Innovation und Entwicklung. Dieses Modul unterstützt Unternehmen, wenn sie Produkte und Bauteile gemeinsam entwickeln wollen. Es soll gewährleisten, dass die Produkte effizient hergestellt sowie sicher und wirtschaftlich transportiert und ausgeliefert werden. Außerdem erleichtert das Modul die Kommunikation und den Wissensaustausch zwischen den Partnern.

Beispielsweise könnte für ein Bauteil eines neuen Haushaltsgerätemodells die Zusammenarbeit zwischen einem Keramikhersteller und dem Lieferanten eines elektronischen Steuerteils erforderlich werden. In dem Modul finden die beiden Entwicklungsteams Richtlinien für den Informationsaustausch. Es gibt zudem Vorlagen für das Projektmanagement, eine Überwachungsfunktion für Termine, zu denen wichtige Meilensteine erreicht werden müssen, und eine Rechteverwaltung für geistiges Eigentum.

Das Modul unterstützt den Übergang vom Prototyp zur Serienproduktion, indem es die Fabriken mit den richtigen Kapazitäten, dem richtigen Standort, der Automation, der Qualitätskontrolle und den Produktteststandards ausfindig macht. Es lässt sich auch zur Befragung von Endverbrauchern nutzen, um Feedback zum Design einzuholen, von Problemen zu erfahren und Informationen zu anderen Features zu bekommen, über die das Produkt verfügen sollte. Diese Funktionen kann jeder COSMOPlat-Anwender initiieren, nicht nur die Lieferanten von Haier.

Integration von Produktionsressourcen. Mit diesem Modul können Unternehmen Aufträge verwalten, die Beschaffung erleichtern und den Materialfluss bei der Produktion des Endprodukts koordinieren. Es strukturiert die Lieferkette und ermöglicht den Lieferanten auf unterschiedlichen Stufen, ihre Produktions­kapazitäten zu koordinieren. Das Modul erzeugt detaillierte Beschreibungen des Herstellungsprozesses, Materialfluss­systems und Arbeitskräftebedarfs. Es ermöglicht auch Produkttauglichkeitsprüfungen, die Herstellung von Prototypen und die Planung der Anlaufphase in der Produktion. Die meisten anderen Supply-Chain-Management-Plattformen können weder so viele Stufen der Lieferkette abbilden noch das Lieferantennetzwerk derart einfach verändern.

Vertrieb und Kundendienst. Dieses Modul ermöglicht es den Plattformnutzern, ihre Kapazitäten in den Bereichen Vertrieb, Logistik und Kundendienst zu koordinieren. Beispielsweise können sie gemeinsam bestimmen, welchen Marketingkanal sie nutzen und wie sie die Betreiber des Kanals einbinden wollen. Sie können auch zusammen entscheiden, wo sich das Lager für das neue Produkt befinden soll (im Endmontagewerk, in einem bestimmen Verteilzentrum oder in den Lagern der Einzelhändler) und wie sie Aufträge und Lieferung abwickeln wollen. Das Modul bietet Unterstützung bei der Gestaltung des Kundendienstes und dem Umgang mit Retouren und Reparaturen – ob die Unternehmen Reparaturaufträge selbst erledigen oder sie auslagern wollen, wie und wo sie Ersatzteile lagern und so weiter.

Jede Firma kann diese interaktiven Module beantragen, ohne formell von Haier oder einem anderen Unternehmen dazu eingeladen worden zu sein. Sie muss dafür lediglich einen Fragebogen ausfüllen und dokumentieren, dass sie die nötigen Qualifikationen und Kapazitäten besitzt. Nach der Registrierung nimmt Haier eine Schnellprüfung vor, oftmals innerhalb eines einzigen Tages. Dann erhält der neue Anwender Zugang zu nicht ver­traulichen Daten auf COSMOPlat, etwa allgemeinen Beschreibungen von Problemstellungen und Informationen darüber, welche Lieferanten daran arbeiten.

Statt Unternehmen zu Beginn einen ­formellen Zertifizierungsprozess durchlaufen zu lassen – so wie es viele Konzerne machen und was mehrere Wochen dauern kann –, erlaubt Haier Interessenten, sich ohne viel Aufhebens auf der Plattform umzutun. Falls ein Unternehmen dann aber an einem Projekt mitarbeiten möchte, prüft Haier eingehend dessen Produktions- und Technikkapazitäten und dessen Erfahrungen mit Qualitätsmanagement, Preisgestaltung und Nachhaltigkeit. Diese Risikoprüfung, bei der gegebenenfalls auch Besuche vor Ort stattfinden, dauert in der Regel nicht ­länger als ein paar Tage. Falls ernsthafte Probleme auftreten, darf das Unternehmen nicht teilnehmen, und sein Zugang zur Plattform wird gesperrt.

Haier plant, die Plattform zu erweitern und neue Funktionen zu integrieren. Dazu zählen das Management von Energiesparmaßnahmen und die Reduzierung von CO2-Emissionen, digitale Finanzierungen und Dienstleistungen für den grenzüberschreitenden Handel. Auch die Funktion des „digitalen Zwillings“ soll an Umfang zunehmen – Unternehmen sollen noch besser virtuelle Modelle physischer Objekte oder Systeme nutzen und sie einfacher entwickeln, herstellen, betreiben und warten können.

Um eine Plattform wie COSMOPlat zu entwickeln, müssen Unternehmen bekannt und angesehen sein. Sie müssen über Erfahrung im Umgang mit Lieferanten auf unterschiedlichen Stufen der Lieferkette und Fachwissen über digitale Technologien verfügen. Das sind Grundvoraus­setzungen, die ein solches Projekt für kleinere und mittlere Unternehmen in der Regel unerreichbar machen.

Die gute Nachricht ist, dass so ein Projekt klein anfangen und dann wachsen kann, sodass nicht gleich zu Beginn alle Ressourcen vorhanden sein müssen. Ein Unternehmen kann etwa Module nur mit bestimmten Funktionen entwickeln, Schritt für Schritt weitere Funktionen hinzufügen und dann die Module mitein­ander verknüpfen. Es kann aus der Praxis lernen und anfängliche Erfolge nutzen, um bei internen und externen Stake­holdern Vertrauen aufzubauen. Mit den erzielten Einsparungen kann es dann die nächsten Schritte finanzieren.

Eine digitale Plattform wie COSMOPlat kann in normalen Zeiten wie auch in ­Krisen Vorteile bringen. Anwender können ihre Arbeit dort schneller und effi­zienter organisieren und erledigen. Das verringert den Bedarf an kostspieligen Alternativen, wie beispielsweise große Notfallvorräte an Materialien, Bauteilen und Endprodukten vorzuhalten oder umfangreiche Puffer- und Logistikkapazi­täten aufzubauen. Genauso wichtig ist: Eine solche digitale Plattform kann dazu beitragen, dass sich die Wertschöpfungskette eines Unternehmens organisch ­entwickelt, damit es sich den heutigen und künftigen Bedürfnissen schneller ­anpasst. © HBP 2022

Autoren

Kasra Ferdowsist Professor für Global Manu­facturing an der McDonough School of Business der Georgetown University.

Hau L. Leeist Professor für Operations, Information und Technology an der Graduate School of Business der Stanford University.

Xiande Zhaoist Professor für Operations and Supply Chain Management an der China Europe International Business School.

So entstand Haiers smarter Kühlschrank

Haier nutzte COSMOPlat, um die Entwicklung, Produktion und den Vertrieb seines smarten Kühlschranks zu steuern. Das Unternehmen wendete dabei folgende Methoden an:

Anwender-Input. Mithilfe der Plattform konnte Haier in nur wenigen Wochen unterschiedliche Produktdesigns festlegen. Die Onlinecommunity aus bestehenden und möglichen Kunden gab dann Feedback – unter anderem zur bevorzugten Größe der Kühlschrank­fächer und dazu, ob sie sich den ­Inhalt des Kühlschranks auf ihrem Handy anzeigen lassen wollten. So erhielt Haier Informationen über Kundenbedürfnisse, die das Unternehmen im Vorfeld nicht bedacht hatte. Dazu gehörte zum Beispiel, dass die Kunden eine Reihe von Produkten wie Hautpflegemittel, Kräuterextrakte und Muttermilch im Kühlschrank aufbewahren, die unterschiedliche Temperaturen, Feuchtigkeitsniveaus und Luftzufuhr benötigen. Diese Erkenntnisse wurden in deskriptive Statistiken übertragen, um die Entwickler zu unterstützen.

Technisches Fachwissen. Über die Plattform konnte Haier kompetente Lieferanten mit den benötigten Kapazitäten finden. Beispielsweise startete das Unternehmen eine Suchanfrage nach Möglichkeiten, wie eine Luftleckage zwischen der Glastür des Kühlschranks und dem Türrahmen eingedämmt werden könnte. Sika, ein weltweit führender Anbieter von industriellen Dicht- und Klebstoffen sowie Oberflächenschutzsystemen, der die Plattform für ein anderes Projekt nutzte, bot seine Unterstützung an. Haier und Sika untersuchten gemeinsam die auf die Tür wirkenden Kräfte wie auch die nötige Haftfestigkeit des Klebstoffs und fanden schließlich eine Lösung. Sika half Haier ebenfalls dabei, den Klebstoff mittels eines speziell entwickelten Roboters aufzutragen. Der Prozess, der normalerweise sechs Monate gedauert hätte, dauerte nur zwei.

Logistik und Kundenbetreuung. Viele Drittanbieter für Logistik der letzten Meile, Lagerhaltung sowie Wartung und Reparatur von Geräten erhielten Zugriff auf COSMOPlat. Die Plattform sammelte auch Daten über Reparaturen und Kundenreaktionen auf den Kühlschrank. Diese Informationen standen allen Nutzern, die mit dem Kühlschrank zu tun hatten, zur Verfügung. Dadurch konnten sie schnell Lösungen für Probleme finden – zum Beispiel das Ausfindigmachen von Ersatzteilen und deren unverzügliche Zustellung an das Reparaturservicepersonal.

Management des Produktlebenszyklus. Haier nutzte die Funktionalität des „digitalen Zwillings“ von COSMOPlat, um virtuelle Modelle des Kühlschranks zu entwickeln. Verschiedene Simulationen zum Zusammenspiel von Produktspezifikationen und Prozesstechnologien halfen dem Projektteam in der Entwicklungsphase dabei, beides zu optimieren. In der Produktionsphase nutzte das Unternehmen dann den digitalen Zwilling, um die Herstellungsumgebung zu überprüfen, fehlerhafte Prozesse zu identifizieren und die Maschineneinstellungen kontinuierlich weiter zu verbessern. Der digitale Zwilling überwacht außerdem, ob der Kühlschrank bei den Kunden zu Hause richtig funktioniert. Er schickt ihnen Warnhinweise, wenn sie Einstellungen verändern sollten, um den Stromverbrauch zu reduzieren oder die Haltbarkeit der Lebensmittel zu erhöhen. Er erinnert auch daran, die Geräte ordnungsgemäß zu warten. Auch die Entwickler von Haier erhalten diese Informationen. Sie nutzen diese, um die Leistung des Kühlschranks zu verbessern und die Einstellungen weiter zu optimieren.

Kompakt

Die Situation Viele Unternehmen haben eine digitale Plattform, die nur eine einzige Funktion bietet, zum Beispiel Supply-Chain-Management, Produktentwicklung oder Operations. Sie reglementieren dabei sehr streng, wer auf die Plattform zugreifen darf.

Haiers Ansatz Der chinesische Haushaltsgerätehersteller Haier hat seine Plattform erweitert, um seinen Partnern Kooperationen in großem Ausmaß zu ermöglichen – von der Innovation und Entwicklung über die Lieferung von Materialien und Bauteilen bis hin zur Lösung von technischen Problemen und der Bereitstellung von neuen Dienstleistungen.

Die Vorteile Haier nutzt über seine Plattform das Fachwissen und die Ressourcen seines Ökosystems, kann neue Geschäftsmöglichkeiten schnell ergreifen, rasch auf Disruption reagieren und in vielen Bereichen seine Effizienz steigern.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der September-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

Supply Chain: So wird die Lieferkette zur Innovationsmaschine

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Harvard Business manager schreibt über Das Wissen der Besten.

Der Harvard Business Manager ist die erweiterte deutsche Ausgabe der US-Zeitschrift "Harvard Business Review" (HBR), des renommiertesten Managementmagazins der Welt. Die Redaktion ergänzt die besten Artikel aus der HBR um wichtige Forschungsergebnisse von Professoren europäischer Universitäten und Business Schools sowie um Texte deutschsprachiger Experten aus Beratungen und dem Management von Unternehmen. Unsere Autoren zählen zu den besten und bekanntesten Fachleuten auf ihrem Gebiet und haben ihre Erkenntnisse durch langjährige Studien und Berufspraxis erworben.

Artikelsammlung ansehen