Tabubruch bei Mercedes: Milliardenkürzungen und das Ende des mobilen Arbeitens?
Mercedes verhandelt über ein Milliardensparprogramm. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt – und hinter den Kulissen werden bereits die ersten Hebel umgelegt.
ieDie Nachricht aus dem Mercedes-Vorstand an die Top-Manager des Konzerns kam kurz vor Weihnachten – und sie war wenig einfühlsam formuliert. Um besser auf Herausforderungen reagieren zu können, ließen CEO Ola Källenius und seine Kollegen ihre Spitzenkräfte wissen, sei der Austausch in Präsenz „unerlässlich“. Spontane Gespräche führten zu „kreativeren Lösungen und innovativen Ideen“. Die Zusammenarbeit von Angesicht zu Angesicht beschleunige Entscheidungsprozesse, was sich positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirke. „Daher erwarten wir als Vorstand, dass Sie ab Januar 2025 während Ihrer Arbeitszeit grundsätzlich an Ihrem Arbeitsort anwesend sind.“
Nicht alle Manager waren von dieser Ansage begeistert. Noch schlimmer aber wiegt für manch eine Führungskraft von Mercedes das, was über die Mail hinaus in Gesprächen kommuniziert worden sein soll. Es gebe „Top down“ eine Ansage an Führungskräfte, die Mitarbeiter wieder „zu mehr Präsenz zu motivieren“, berichtet ein Top-Manager. Er habe die Ansage aber „nur mündlich“ bekommen – schließlich würde der Betriebsrat sonst sicherlich eine Verletzung der konzernweit gültigen Betriebsvereinbarung feststellen. Der Top-Manager ätzt: „Ich finde das megaschräg. Wo wir doch sonst immer Compliance-Weltmeister sein wollen.“
Die Vereinbarung nämlich, die für alle tariflichen Mitarbeiter gilt, hält fest, dass sich die Unternehmensleitung zu dem Ziel bekenne, mobiles Arbeiten „aktiv zu unterstützen“ und damit die „Vertrauenskultur im Unternehmen zu fördern“. So entstünden „verbesserte Arbeitsprozesse, die in Summe einen Mehrwert für das Unternehmen schaffen“. Die Spielregeln beim mobilen Arbeiten im Team würden gemeinsam mit der „direkten Führungskraft“ festgelegt. Darauf besteht auch der Gesamtbetriebsrat.
Nun also trotzdem die Rolle rückwärts: Austausch in Präsenz und spontane Gespräche gleich kreativere Lösungen, innovativere Ideen und beschleunigte Entscheidungsprozesse. Vor allem aber: gleich bessere Wettbewerbsfähigkeit von Mercedes.
Die wäre tatsächlich bitter nötig. Beim Absatz von Elektroautos hängt Mercedes weit hinter Konkurrenten wie BMW. Die Luxusstrategie, eigentlich der Kern der Ära Källenius, verfängt nicht. Im Mai 2022 hatte sich der Vorstand das Ziel gesetzt, verstärkt edle Karossen zu verkaufen – und so bis Mitte des Jahrzehnts eine Umsatzrendite von rund 14 Prozent zu erzielen. In einem starken Marktumfeld. Nur bei „sehr ungünstigen Marktbedingungen“ sollten es rund acht Prozent werden.
Was soll man sagen? Die Bedingungen sind miserabel. Schon Mitte September 2024 verkündete man, dass in der größten Sparte Mercedes-Benz Cars für 2024 wohl nur noch eine bereinigte Umsatzrendite zwischen 7,5 und 8,5 Prozent möglich sein werde. Seither sind die Aussichten nicht besser geworden, im Gegenteil. In China verliert Mercedes immer mehr Kunden, Gegenbewegungen an anderer Stelle sind kaum zu erkennen.
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Sparmodus? Krisenmodus!
Und schon ist Mercedes angekommen im Spar-, wenn nicht sogar im Krisenmodus. Milliarden Euro an Kosten sollen weg. „Next Level Performance“ heißt das Programm, das nicht das Letzte sein dürfte. Neben den Gesprächen über das „Next Level“-Sparprogramm laufen auch die zur „Zukunftssicherung 2035“ weiter: Personalvorständin Sabine Kohleisen traf sich dazu Mitte Januar mit ausgewählten Personalern und Betriebsräten, die in der Verhandlungskommission für das Programm sitzen. Im 1980 erbauten Bildungszentrum Lämmerbuckel auf der Schwäbischen Alb, wo gewöhnlich Mitarbeiter in entspannter Atmosphäre geschult werden, ging es um das brisante Sparthema. Nichts davon soll nach draußen dringen. Der Gesamtbetriebsrat berichtet lediglich von „konstruktiven Gesprächen“ zur Zukunftssicherung.
Unterdessen steigt der Frust in der Belegschaft. Denn zeitgleich zu den absehbaren Sparmaßnahmen drückt der Konflikt über das mobile Arbeiten auf die Stimmung. Die Ansagen aus dem Vorstand schlagen in manchen Bereichen nun auch bei normalen Sachbearbeitern auf.
Das, ätzt einer, sei wohl auch so ein verstecktes Sparprogramm. Man wolle die Mitarbeiter demotivieren, insbesondere für Frauen mit Kindern sei es aufgrund der volatilen Betreuungssituation in vielen Kitas schwer, ständig die weiten Wege in die Büros auf sich zu nehmen. Mercedes aber gibt sich ungerührt. „Für uns als Mercedes-Benz-Team ist die direkte persönliche Zusammenarbeit vor Ort“ ein Erfolgsfaktor, so die Argumentation des Unternehmens.
Zu wenig Schreibtische
Viele Mitarbeiter vermuten anderes. Auf einer Versammlung in der Zentrale soll kürzlich die Frage nach „verdeckten Personalabbaumaßnahmen“ gestellt worden sein, berichtet ein Teilnehmer. Der Betriebsrat habe dabei auch berichtet, dass ihn „fast täglich Botschaften aus der Belegschaft“ zum mobilen Arbeiten erreichen würden. So suggeriere das Top-Management, dass die Beschäftigten nahezu komplett wieder ins Büro kommen müssten. Sogar von möglichen Verhaltenskontrollen soll die Rede gewesen sein, um herauszufinden, wer sich widersetze.
Bei manch einem Mitarbeiter geht nun sogar die Angst um, dass die Konzernbetriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten vom Management gekündigt werden könnte. Doch dass das wirklich zeitnah passiert, scheint unwahrscheinlich – dagegen spricht zumindest die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze. Seit Mercedes vor allem Büros in Außenstellen abgegeben hat, teilen sich in vielen Abteilungen rechnerisch mehr als zwei Mitarbeiter einen Schreibtisch – wer geht, hat den Arbeitsplatz leer und sauber zu hinterlassen.
Ohnehin dürfte die Debatte schon bald überlagert werden von viel weitreichenderen Fragen. Auf die Mercedes-Belegschaft, die das Wort Entlassungen seit Jahren nur noch aus den Nachrichten kennt, kommen wohl zumindest tiefe Einschnitte zu. In den Verhandlungen auf dem Lämmerbuckel geht es um die Details einer Vereinbarung, die sich für viele stolze Mercedes-Angestellte schon bald wie eine Zumutung lesen könnte.
Die Arbeitnehmervertreter rund um Gesamtbetriebsratschef Ergun Lümali würden gerne die Arbeitsplätze bis zum Jahr 2035 absichern. Das nennen sie ihre Zukunftssicherung, die sie „Zusi“ getauft haben. Doch für Zusi 2035, sofern es sie überhaupt geben wird, dürften die Arbeitnehmer dieses Mal harte Zugeständnisse machen müssen. „Giftliste“, so nennen sie die Forderungen des Managements im Betriebsrat. Über alle Kostenarten hinweg will Mercedes bis 2027 fünf Milliarden Euro sparen. Einen größeren Anteil sollen dabei auch die Mitarbeiter liefern.
Die Arbeitnehmervertreter rund um Gesamtbetriebsratschef Ergun Lümali würden gerne die Arbeitsplätze bis zum Jahr 2035 absichern. Das nennen sie ihre Zukunftssicherung, die sie „Zusi“ getauft haben. Doch für Zusi 2035, sofern es sie überhaupt geben wird, dürften die Arbeitnehmer dieses Mal harte Zugeständnisse machen müssen. „Giftliste“, so nennen sie die Forderungen des Managements im Betriebsrat. Über alle Kostenarten hinweg will Mercedes bis 2027 fünf Milliarden Euro sparen. Einen größeren Anteil sollen dabei auch die Mitarbeiter liefern.
Sorge um den T-Zug
Beschlossen ist freilich noch nichts. Und wenn man sich im Haus Lämmerbuckel einmal auf Eckpunkte einigen wird, dann muss erst noch der gesamte Betriebsrat die Sparvorschläge absegnen. Auf dem Tisch liegen nun unterschiedliche Ideen. Auf der „Giftliste“ sollen Wünsche wie etwa das Outsourcing unter anderem von zentralen Funktionen stehen. Das sei billiger.
Auch beim sogenannten T-Zug, dem tariflichen Zusatzgeld, will man künftig sparen: Aktuell erhalten Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie diese Leistung. Menschen, die im Schichtbetrieb arbeiten, Kinder betreuen oder Angehörige pflegen, können wahlweise das Geld oder bis zu acht zusätzliche freie Tage im Jahr nehmen. Mercedes möchte offenbar, dass künftig alle Freizeit statt Geld bekommen.
Zudem könnten Urlaubstage über Weihnachten und Silvester vereinheitlicht werden. An manchen Standorten muss bis her jeweils nur ein halber Tag Urlaub genommen werden, anderswo aber ist es je ein ganzer. Geht es nach Mercedes, sollen alle Mitarbeiter für Heiligabend und Silvester zwei Urlaubstage nehmen. Der Betriebsrat wollte das nicht kommentieren. Vor allem aber steht wohl ein größerer Personalabbau zur Debatte. Intern gibt es längst Bereiche, die absehbar weniger Personal benötigen, etwa weil Projekte auslaufen. Viele Betroffene hoffen nun auf ein Abfindungsprogramm.
Mercedes bestätigt, dass es bei der Optimierung der Kostenstruktur „auch um eine Senkung der Personalkosten“ gehe. Klar sei, dass man insgesamt „zu einem noch schlankeren Unternehmen werden“ müsse. „Die aktuelle Situation erfordert vom gesamten Mercedes-Benz-Team einen außergewöhnlichen Einsatz für das Unternehmen.“ Alle im Unternehmen müssten einen Beitrag leisten. „Das gilt für den Vorstand, das Management wie für die Tarifbeschäftigten.“ So wurde bereits beschlossen, die Basisvergütung für Leitende Führungskräfte und Teamleiter, die nicht unter den Tarifvertrag fallen, in 2025 nicht zu erhöhen.
Warten auf Abfindungen
Obwohl die Verhandlungen zum Sparprogramm noch laufen, scheint man intern aber bereits auszusieben. Die ersten Manager seien bereits angesprochen worden – man habe ihnen ein Angebot für eine Abfindung übergeben und ihnen klargemacht, dass für sie in der zukünftigen Organisation „kein Platz mehr“ sei, sagt der Anwalt Stefan Nägele. Seine Stuttgarter Kanzlei für Arbeitsrecht berate in dieser Sache derzeit etwa 50 Mitarbeiter von Mercedes.
Und so warten auch viele Führungskräfte derzeit gerade sehnsüchtig auf das Ergebnis der Verhandlungen auf dem Lämmerbuckel. Der eine oder andere sucht längst nach einem neuen Job – hofft aber noch auf ein mögliches Abfindungsprogramm. Die Stimmung, sagt ein Top-Manager, sei „am Tiefpunkt“. Källenius drücke seit Jahren „permanent den Krisenknopf, ein Sparprogramm jagt das nächste“. Die Führungsmannschaft beschäftige sich nur noch mit dem Senken von Kosten, für alles andere sei „kaum noch Zeit da“.
Möglicherweise hat der Vorstand diesen grassierenden Frust seiner leitenden Mitarbeiter bei der jüngst verordneten Rückkehr ins Büro zu wenig bedacht: Nicht nur Inspirationen und kreative Ideen, auch schlechte Laune verbreiten sich bei Präsenz im Büro und in der Kaffeeküche umso schneller.
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