Tech-Firmen können sich nicht auf gemeinsame AI Gigafactory einigen
Schwarz Digits, Telekom und Ionos planten ein gemeinsames Milliardenprojekt. Doch der Vorstoß scheitert vorerst – auch am unklaren Geschäftsmodell der KI-Rechenzentren.
Düsseldorf. Wenn es um Geld und Prestige geht, ist Streit nicht fern. So auch bei der „AI Gigafactory“: Mehrere deutsche Technologieunternehmen haben ein großes Interesse an der Ausschreibung der Europäischen Union (EU), die vier bis fünf Großrechenzentrum für Künstliche Intelligenz (KI) bauen lassen will – mit einer öffentlichen Förderung von bis zu 35 Prozent.
Wochenlang hatten Deutsche Telekom, Schwarz Digits, Ionos, SAP und Siemens an einer Allianz gearbeitet. Die Bemühungen um eine gemeinsame Interessenbekundung bei der EU sind nach Handelsblatt-Informationen jedoch vorerst gescheitert. Nach Angaben aus den beteiligten Unternehmen und Branchenkreisen gibt es vor Ende der Einreichungsfrist am Freitag um 17 Uhr stattdessen mehrere konkurrierende Initiativen.
Demnach werden sowohl die Deutsche Telekom mit ihrer Tochterfirma T-Systems als auch die Schwarz-Gruppe mit der Einheit Schwarz Digits Interessenbekundungen abgeben. Auch der Cloud-Anbieter Ionos und ein Konsortium mit Rückendeckung des Landes Bayern sollen eigene Pläne verfolgen. Weitere Einreichungen sind nach Einschätzung von Beobachtern durchaus denkbar.
Die Unternehmen äußerten sich auf Handelsblatt-Anfrage nicht konkret zu den Plänen. Ionos-Chef Achim Weiß erklärte, dass der Cloud-Anbieter in den vergangenen Wochen „offen und konstruktiv mit verschiedenen potenziellen Partnern gesprochen“ habe, nun aber ein eigenes Konsortium plane. Ein Telekom-Sprecher sagte, der Dax-Konzern werde „eine Interessenbekundung abgeben“ und lade Partner ein, sich anzuschließen.
Schwarz Digits erklärte, sich vor Abgabe der Interessenbekundung nicht zum Vorhaben zu äußern. Der „Tagesspiegel Background“ berichtete am Donnerstag ebenfalls, dass die Kooperation nicht zustande komme.
Vor allem die unterschiedlichen Interessen sollen bei den Gesprächen aufeinandergeprallt sein: Sowohl die Telekom als auch die Schwarz-Gruppe wollten beim Aufbau der KI-Recheninfrastruktur die Führungsrolle übernehmen, hieß es von Insidern. Der Telekom-Sprecher sagte, der Konzern wolle „Expertise beim Bau, der Vernetzung und dem Betrieb von Rechenzentren“ einbringen.
Zum anderen spiegeln die getrennten Bewerbungen den Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern wider. Und über allem schwebt die Frage: Lässt sich mit einer AI Gigafactory überhaupt Geld verdienen?
Initiative für den „KI-Kontinent“ Europa
Als AI Gigafactory bezeichnet die EU ein Rechenzentrum mit 100.000 oder mehr Spezialchips fürs Künstliche Intelligenz, im Fachjargon GPUs. Solche Anlagen sollen fürs Training großer Sprachmodelle geeignet sein, wie sie etwa OpenAI als Grundlage für den Chatbot ChatGPT nutzt. Aktuell verfügt der größte Standort in Deutschland, der Supercomputer „Jupiter“ in Jülich, nur über rund 24.000 GPUs.
Die EU will den Bau von vier bis fünf solcher Großrechenzentren fördern. Ziel sei eine „Weltklasse-Infrastruktur“ für Forschung, Start-ups und Konzerne, wie es im Ausschreibungstext heißt. Die Vision: Europa soll zum „KI-Kontinent“ werden – derzeit ist das Amerika, wo die großen Cloud-Anbieter hohe Summen in die digitale Infrastruktur investieren.
Dafür plant die Kommission ein erhebliches Budget ein. Die Investitionen beziffert die EU-Exekutive auf drei bis fünf Milliarden Euro pro AI Gigafactory, wobei Branchenvertreter eher sechs Milliarden Euro und mehr für erforderlich halten. Im Zuge einer Public-private-Partnership sollen bis zu 35 Prozent der Investitionsausgaben aus öffentlichen Mitteln stammen.
Angesichts solcher Summen ist das Interesse groß, die EU-Kommission berichtete bereits vor einigen Wochen von mehr als einem Dutzend Einreichungen. Auch in Deutschland machen sich etliche Unternehmen und Forschungseinrichtungen Hoffnung, eine leistungsfähige Infrastruktur aufzubauen.
Eine Cloud für Künstliche Intelligenz, das war in der deutschen Technologiebranche ohnehin Gesprächsthema. So gab es unter der Leitung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) eine Taskforce, die einen Vorschlag für eine „souveräne Cloud- und KI-Infrastruktur“ entwarf. Daran beteiligt: Deutsche Telekom, Ionos, SAP und Schwarz Digits, außerdem die Fraunhofer-Gesellschaft.
Dissens über Führungsanspruch
Insbesondere in den vergangenen Wochen habe es in diesem Kreis intensive Gespräche über eine Zusammenarbeit gegeben, heißt es in Branchenkreisen. Das Kalkül: Die Investitionen sind so hoch, dass ein Anbieter allein sie nur schwer leisten kann. Zugleich erleichtert die Bündelung der Nachfrage, die Datenfabrik auszulasten.
In den Diskussionen gab es jedoch Dissens darüber, wer beim Bau der Infrastruktur hauptverantwortlich ist. Sowohl T-Systems als auch Schwarz Digits hätten den Führungsanspruch erhoben, berichten mehrere Insider, die mit den Verhandlungen vertraut sind.
Der Dax-Konzern preschte in der vergangenen Woche mit einer Partnerschaft mit Nvidia
vor, während der inhabergeführte Handelskonzern in internen Gesprächen regelmäßig auf den Bau eines großen Rechenzentrums in Lübbenau verwies, das sich für eine AI Gigafactory eignen würde.
Kulturelle Differenzen erschwerten die Diskussionen. „Telekom und Schwarz-Gruppe passen nicht zusammen“, sagte ein Insider dem Handelsblatt. Der börsennotierte Dax-Konzern unterscheide sich stark vom inhabergeführten Handelsriesen.
SAP plant dagegen keine eigene Initiative. Der Softwarehersteller ist spezialisiert auf Geschäftssoftware und lässt die eigenen Anwendungen bei mehreren Cloud-Infrastruktur-Dienstleistern laufen. Bei der AI Gigafactory würde der Dax-Konzern ähnlich agieren.
Weitere Diskussionen soll es um den möglichen Standort der Gigafabrik gegeben haben. Sowohl der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) als auch der nordrhein-westfälische Landeschef Hendrik Wüst (CDU) hätten für ihre Länder geworben, berichten Insider, die mit dem Prozess vertraut sind.
Es würde mich wundern, wenn aus Bayern kein Interesse bekundet werden würde.Holger Hoos, Humboldt-Professor für KI
In der Szene gilt Bayern nur bedingt als geeigneter Standort für große Rechenzentren: Das Bundesland hat einen hohen Industriestrompreis, strukturelle Engpässe im Stromnetz und liegt fern der wichtigsten Internetknotenpunkte. Dennoch sagt Holger Hoos, Humboldt-Professor für Künstliche Intelligenz an der RWTH Aachen: „Es würde mich wundern, wenn aus Bayern kein Interesse bekundet werden würde.“
Eine klare Entscheidung für oder gegen einen Standort soll das federführende Forschungsministerin von Dorothee Bär (CSU) aber nicht gefällt haben.
Für den KI-Forscher Holger Hoos reicht der industriepolitische Fokus der Gigafactorys allein nicht aus. „Zur Entwicklung industrieller KI-Anwendungen brauchen wir mittelfristig auch Fortschritte in der Grundlagenforschung“, mahnt der Professor. Bleibe diese in Europa aus, drohe technologische Abhängigkeit: „Dann können wir am Ende nur China und die USA kopieren.“
Hoos fordert deshalb ein europäisches Pendant zum Teilchenforschungszentrum Cern – allerdings für Künstliche Intelligenz. „Ein solches Zentrum wäre klar auf Grundlagenforschung ausgerichtet“, sagt er. Die Idee finde „grundsätzlich großen Anklang – auch bei der EU“. Aus anwendungsnaher Grundlagenforschung könne sich ein innovationsförderndes Ökosystem entwickeln, „wie bei Meta, Google und Co“.
Viele Fragen zum Geschäftsmodell
Trotz der Meinungsverschiedenheiten: Eine Zusammenarbeit der Konzerne, weiterer Unternehmen und Forschungseinrichtungen ist weiter denkbar. Die EU hat im ersten Schritt lediglich zu einer Interessenbekundung ohne finanzielle Verpflichtungen aufgerufen, erst in einem zweiten Schritt wird sie formale Bewerbungen einfordern.
Die aktuellen Einreichungen seien lediglich ein „Stimmungsbarometer“, sagt ein Insider. „Wenn man weiß, wer dabei ist, kann man weiterreden.“ So soll das Land NRW sowohl mit Schwarz Digits als auch mit der Deutschen Telekom im Gespräch sein, und auch die Fraunhofer-Gesellschaft könnte Branchenkreisen zufolge Technologiepartner beider Konzerne und ihrer Initiativen werden. Ebenso dürfte der Realitätsgehalt der Konzepte in einer nächsten Phase auf dem Prüfstand stehen.
Ökonomisch sinnvoll wäre eine Zusammenarbeit allemal. Kirsten Rulf, Partnerin bei BCG in Berlin und Expertin für KI, hat nach eigenen Angaben die Wirtschaftlichkeit einer AI Gigafactory geprüft – und die falle „nicht automatisch positiv aus“. Es brauche „sehr viel Orchestrierung, eine klare wirtschaftlich getriebene Vision, ein sektorübergreifendes Konzept und einen detaillierten Umsetzungsplan“, bis sich das Modell überhaupt trage.
Außerdem ist laut Rulf ein phasenweiser Aufbau „wirtschaftlich wie technisch Pflicht“. Sonst sei die Infrastruktur schon im nächsten Jahr veraltet. Sprich: Die AI Gigafactory soll nicht gleich zum Start 100.000 Spezialchips haben – wenn die Nachfrage noch nicht so groß ist –, sondern weniger.
Christian Temath, Geschäftsführer der Plattform „KI NRW“ am Fraunhofer-Institut IAIS, sieht in den geplanten KI-Gigafabriken eine große Chance – aber auch ein wirtschaftliches Risiko für die beteiligten Konsortien. Diese müssten „erhebliche eigene Mittel aufbringen“, sagt Temath.
Umso wichtiger sei es, „passende Dienstleistungen und KI-Lösungen zu wettbewerbsfähigen Preisen anzubieten, um am Markt erfolgreich zu sein“. Gelinge das, könne die Initiative „einen wichtigen Beitrag zum Aufbau leistungsfähiger KI-Infrastrukturen für die europäische Wirtschaft leisten“.
„Das Geschäftsmodell einer AI Gigafactory ist noch nicht geklärt“, sagt Andreas Weiss, der im Verband der Internetwirtschaft Eco den Bereich digitale Geschäftsmodelle leitet. „Man muss die Nachfrage im Markt genauer definieren, damit sich die massiven Investitionen rentieren.“
Der Verband fordert, eine Strategie für den Aufbau eines Ökosystems rund um die Datenfabriken zu entwickeln – samt Firmen, die Kapazitäten für die Entwicklung und Nutzung Künstlicher Intelligenz benötigen. „Es ist wenig hilfreich, wenn wir groß denken, aber keinen Plan zur Anwendung und Refinanzierung eines Betriebsmodells haben“, sagt Weiß. „Auch eine zehnspurige Autobahn macht Rügen nicht zu den Hamptons.“
Telekom setzt auf Nvidia als Partner
Die Deutsche Telekom hat bereits vor Ende der Bewerbungsfrist für die AI Gigafactory erste Fakten geschaffen. Als Nvidia-Chef Jensen Huang vergangene Woche durch Europa tourte, nutzte der Dax-Konzern die Gelegenheit, um eine Partnerschaft mit dem Chipgiganten bekanntzugeben.
„Gemeinsam mit Nvidia bauen wir die weltweit erste industrielle KI-Cloud für europäische Hersteller auf deutschem Boden“, erklärte Telekom-Chef Timotheus Höttges. „Dieses bahnbrechende Projekt ebnet den Weg für die AI Gigafactorys.“ Damit setzte er einen Akzent, auch wenn viele Details unklar blieben.
Nvidia-Chef Huang kündigte an, für das Projekt 10.000 KI-Chips der neuesten und leistungsfähigsten Blackwell-Generation auszustatten. Allein die Kosten für diese Chips dürften laut aktuellen Preistabellen im niedrigen einstelligen Milliardenbereich liegen.
Wer die enormen Kosten tragen wird, blieb unklar. Auf Nachfrage sagte eine Telekom-Sprecherin: „Nvidia investiert in den Standort Deutschland.“ Ob die Telekom die Chips von Nvidia abkauft oder Nvidia eine andere Gegenleistung bekommt, ließ die Sprecherin unbeantwortet. Häufig setzt Huang auch auf andere Modelle, anstatt die Chips direkt zu verkaufen. Teilweise erwirbt Nvidia im Gegenzug für KI-Chips Firmenanteile.
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