Corona zeigte von Hardenberg, wie viel er vom Alltag und seinen Kindern verpasst – daraufhin wechselte er sein Modell. - Quelle: ZVG
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Teilzeitpionier auf der obersten Führungsetage

Fritz von Hardenberg ist Finanzchef bei Ebay in Bern – und arbeitet vier Tage die Woche. Ein Porträt zu «auf C-Level in Teilzeit».

Der Freitagmorgen beginnt für Fritz von Hardenberg wie für jeden anderen Topmanager: Er steht früh auf und checkt auf dem Handy seine E-Mails. In der Regel sind es einige, denn der 49-Jährige arbeitet als Chief Financial Officer (CFO) bei Ebay in Bern. Er ist zuständig für Zentral- und Südeuropa sowie für Australien und Kanada.

Etwa 15 Minuten braucht Hardenberg, um seine Mails zu scannen. Dann allerdings tut er etwas, von dem viele Vorstände nur träumen können: Er legt das Handy beiseite. Denn freitags hat Hardenberg frei. Seit Februar letzten Jahres arbeitet er nur noch 80 Prozent.

Von Montag bis Donnerstag ist er im Büro anzutreffen, danach geht es ins lange Wochenende. «Das ist die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe», schwärmt von Hardenberg.

Dass ein Vorstand in Teilzeit geht, ist nach wie vor die grosse Ausnahme. Die Regel sieht so aus: 9,7 Stunden Arbeit an Wochentagen, dazu 7,8 Stunden am Wochenende. Das sind laut einer US-Studie die Durchschnittswerte für einen CEO. Den Wunsch, dieses Pensum zu reduzieren, hatte Finanzvorstand von Hardenberg schon länger. Den letzten Anstoss gab dann die Pandemie.

Die Gründe für den Teilzeitwunsch

Rückblick, April 2020: Wie viele Kader verbringt auch von Hardenberg zum ersten Mal seinen Alltag im Kreis der Familie. «Da habe ich gemerkt, dass ich viel verpasse.» Seine Frau plant zu diesem Zeitpunkt obendrein, wieder Vollzeit als integrale Business-Coach zu arbeiten.

Eine Betreuungslösung muss also dringend her. Schnell steht von Hardenbergs Beschluss fest: Ab sofort soll ein zusätzlicher Tag der Familie gehören. Denn er will seine vier Kinder im Alter von 9 bis 19 Jahren beim Aufwachsen begleiten.

Das Ebay-Management reagiert positiv auf seine Idee. «Super, wenn du das schaffst …», lautet der Tenor. Man gibt von Hardenbergs Wunsch statt – mit einer Einschränkung: In der hektischen Budgetphase von Oktober bis Dezember soll er weiterhin 100 Prozent verfügbar sein.

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Klare Abmachungen statt 100 Prozent in 4 Tagen

Hardenberg willigt ein. Doch er weiss, dass das Okay von oben lediglich die halbe Miete ist. Der Teilzeitplan wird nur aufgehen, wenn sein Team mitspielt und einen Teil seiner Tätigkeiten übernimmt. «Ich wollte schliesslich nicht die gleiche Arbeit in weniger Zeit machen.»

Also setzen sich alle zusammen und verteilen die Arbeit neu. Man beschliesst, dass das Team ab sofort die monatliche und quartalsweise Finanzplanung selbstständig koordiniert. Von Hardenberg, der daran bislang intensiv mitgearbeitet hat, schaut sich nur noch die Ergebnisse an.

Die Präsentation der Finanzplanung in den Gremien übernimmt ebenfalls ein Teammitglied. Gerade für Einsteigerinnen und Einsteiger entstünden so neue Chancen, betont Hardenberg. «Sie nehmen an Meetings teil, zu denen sie normalerweise nicht eingeladen worden wären, und gewinnen so an Sichtbarkeit.»

Eine Kollegin hat davon schon profitiert. Als von Hardenberg sie für eine Beförderung vorschlug, kam von oben sofort Zustimmung. «Jeder wusste, wer sie ist.»

Konsequent bleiben beim freien Tag

Von Anfang an stand für von Hardenberg fest, dass er die 80-Prozent-Lösung konsequent durchziehen will. Bloss nicht den freien Tag doch schleichend zum Arbeitstag machen. «Ich wollte wirklich raus sein.»

Verstossen habe er gegen diese Regel bisher nur fünfmal, schätzt von Hardenberg. «Wenn der CEO von Ebay freitags eine Strategiesession ansetzt und will, dass ich da präsentiere, kann ich nicht sagen, dass ich dann frei habe.»

Von solchen Ausnahmen abgesehen, nutzt der Manager den freien Tag konsequent für Privates. Er macht Sport, kocht für die Kinder, begleitet sie zum Fussball oder Klavierunterricht. Was war sein Highlight bisher? In diesem Punkt hält sich von Hardenberg bewusst zurück.

Einmal im Winter sei er spontan Ski fahren gegangen. «Strahlender Sonnenschein und frischer Tiefschnee – das war schon toll.» Aber davon hämisch ein Foto ans Team zu schicken, sei natürlich tabu.

Bisher verläuft der Test «Vorstand in Teilzeit» für Hardenberg erfolgreich. «Vor allem, weil mich die ganze Organisation unterstützt.» Alle achten darauf, dass freitags nicht ohne Not wichtige Meetings angesetzt werden; man hält dem Chef den Rücken frei. Dass Ebay ihm so weit entgegengekommen ist, liegt sicher auch daran, dass von Hardenberg zu den Veteranen im Haus gehört.

Von Hardenberg ist ein Ebay-Veteran

18 Jahre arbeitet er schon bei dem Online-Marktplatz – eine für die Digitalwirtschaft aussergewöhnlich lange Betriebszugehörigkeit. «Meine Mutter war 25 Jahre bei Siemens, bald komme ich auch in diesen Bereich», schmunzelt der gebürtige Berliner.

Das Faible für Zahlen liegt in seiner Familie. Schon von Hardenbergs Grossmutter, eine Ärztin mit eigener Praxis, hat in Aktien und Immobilien investiert. «Mein grosses Vorbild», sagt der Enkel. Also richtete auch er sein Leben auf die Zahlen aus, absolvierte zunächst eine Banklehre und studierte dann an der britischen Anglia Ruskin University.

Anfang der 2000er Jahre trat von Hardenberg seinen ersten Job bei einer Venture-Capital-Gesellschaft an. Dort half er technisch orientierten Gründern, ein Finanzteam aufzubauen. Kärrnerarbeit in mageren Zeiten: Der Dotcom-Crash steckte der Branche noch in den Knochen, überall wurde restrukturiert und gekürzt. 2004 berichtete ihm ein Freund von einer Vakanz bei Ebay.

Von Hardenberg bewirbt sich – und fällt sofort durch, weil er einen taktischen Fehler begeht: Er hängt an seinen Lebenslauf ein Foto aus der Zeit seiner Banklehre – schön brav, mit Anzug und Krawatte. Damit kann der lockere Internetkonzern natürlich nichts anfangen.

Doch von Hardenbergs Kontaktmann interveniert und beschert ihm eine zweite Chance. Nach fünf Tagen harter Interviews liegt der Arbeitsvertrag auf dem Tisch – und von Hardenberg hat eine wichtige Lektion gelernt. «Eine Absage heisst nicht, dass man nicht reinkommt.»

Die folgenden 18 Jahre bewährte er sich bei Ebay in den unterschiedlichsten Aufgaben. Er entwickelte ein neues Preismodell, das allein 5 Prozent mehr Umsatz bringt. In den 2010er Jahren half er, das Ruder rumzureissen und aus einem negativen ein positives Betriebsergebnis zu machen. 2015 wurde er CFO bei Ebay Deutschland.

Warum ist er nicht zu einem anderen Arbeitgeber gewechselt? «Ich hatte immer das Gefühl, hier etwas zu lernen», sagt von Hardenberg. Ausserdem schätzt er das Umfeld. «Alle Kollegen und Kolleginnen sind supersmart – und trotzdem höflich.» Bei Ebay schreie niemand rum, es werde immer konstruktiv gestritten. Aus der Dotcom-Zeit weiss Hardenberg, dass das nicht selbstverständlich ist.

Dass ein Vorstand nicht jeden Tag zur Arbeit kommt, ist selbst für ein modernes Unternehmen wie Ebay ein Novum. «Ein wenig stolz» sei er schon auf seine Rolle als Teilzeitpionier, gibt von Hardenberg zu.

Doch allzu sehr will er sich nicht auf die Schulter klopfen. Der Zahlenmann bleibt realistisch: «Teilzeit ist leider nach wie vor ein Karrierehemmer.» Vor zehn Jahren hätte er den Schritt auch nicht gewagt, so von Hardenberg. Das sei paradox. «Denn eigentlich ist es nirgendwo so einfach, Teilzeit zu machen, wie auf dem C-Level.»

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