Maßarbeit: Mit Persönlichkeitstests vermessen deutsche Unternehmen die Persönlichkeit ihrer Bewerber. - Getty Images/Marcel Reyle
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Testverfahren: So durchleuchten deutsche Konzerne die Persönlichkeit ihrer Bewerber

Selbst die größten Unternehmen des Landes spüren den Fachkräftemangel und suchen mit Persönlichkeitstests nach Mitarbeitern, die lange bleiben. Auf diese Verfahren müssen sich Bewerber vorbereiten.

Vertrauen Sie nur wenigen Menschen? Machen Sie sich selten Sorgen? Finden Sie es wichtig, Ihre Gedanken öfters mal schweifen zu lassen?

Wer sich beim Versandunternehmen Otto bewirbt, sieht sich irgendwann eben diesen Fragen ausgesetzt. Otto nutzt bei Neueinstellungen einen Persönlichkeitstest des Lüneburger Unternehmens LINC. Der Test basiert auf dem bekannten Big-Five-Modell der Persönlichkeit und misst, wie gewissenhaft und flexibel, wie sensibel und emotional stabil die Bewerber sind. Die Teilnahme am Test ist freiwillig. Und doch füllen mehr als 90 Prozent der Kandidaten den Fragebogen aus. Wer angibt, nur wenigen Menschen zu vertrauen, muss damit rechnen, von den Personalern bei Otto im Bewerbungsgespräch mit Fragen zum fehlenden Vertrauen gelöchert zu werden.

Otto ist nicht das einzige deutsche Unternehmen, das bei der Suche nach neuen Mitarbeitern die Persönlichkeit durchleuchtet. Auch Dax-Konzerne vertrauen bei der Auswahl ihrer Kandidaten auf ähnliche Tests. Sie erhoffen sich, dass sie schon vor der Vertragsunterschrift die Mitarbeiter finden, die gerne und lange beim Unternehmen bleiben – und andere aussortieren.

Schließlich müssen die Unternehmen eine Fehlbesetzung heute um fast jeden Preis verhindern. Zu knapp sind Arbeitskräfte. Zwei Millionen Stellen, so schätzt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), waren Ende des vergangenen Jahres in Deutschland unbesetzt. Besonders die großen Unternehmen, so sagt es Alexander Kubis, Arbeitsmarktexperte am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), betreiben einen großen finanziellen Aufwand, „um einen Match zwischen Betrieb und Bewerbenden herzustellen“. Arbeitgeber mit mehr als 250 Beschäftigten geben für Headhunter und Assessment Center doppelt so viel aus wie Firmen mit weniger als 50 Beschäftigten, zeigen Zahlen des IAB.

Bin ich grün oder gelb?

Das Unternehmen Infineon etwa nutzt gleich mehrere Tests: die Hogan Assessments, Insights und die Occupational Personality Questionnaires (OPQ32). Die Hogan-Fragebögen untersuchen etwa die Wissbegierde und das Einfühlungsvermögen des Teilnehmers, beleuchten allerdings auch „dunkle“ Seiten der Persönlichkeit: So zählen auch „anmaßend“ und „draufgängerisch“ zu den Skalen, die der Fragebogen abdeckt. Unternehmen wollen damit ein möglichst umfassendes Bild der Persönlichkeit des Kandidaten erhalten – und eben auch herausfinden, ob die „dunklen“ Persönlichkeitsmerkmale so stark ausgeprägt sind, dass eine Einstellung potenziell geschäftsschädigend wäre. Auch das Darmstädter Pharmaunternehmen Merck nutzt die Hogan Assessments „ab einer bestimmten Hierarchiestufe“, wie es von dem Dax-Unternehmen heißt.

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Der Test Insights Discovery bietet sich besonders für Kandidaten an, die nach der Einstellung in einem Team arbeiten sollen. Das Verfahren unterscheidet nach vier Farben und zugehörigen Eigenschaften: blau (vorsichtig, hinterfragend), rot (kompetitiv, anspruchsvoll), grün (fürsorglich, geduldig) und gelb (umgänglich, enthusiastisch). Jeder Mensch – und somit auch Mitarbeiter – verfügt über einen Farbmix: Jede Farbe hat eine eigene Ausprägung und jeder Mensch somit eine dominierende Farbe. Diverse Wissenschaftler warnen davor, dass durch die Farben die Komplexität und Vielschichtigkeit der menschlichen Persönlichkeit außer Acht gelassen werden. Wichtig sei, so betonen sie, dass Personaler und Manager nicht allein auf die dominierende Farbe achten – sondern auf die Mischung. Jeder Farbe sind auch verschiedene Teamrollen zugeordnet: etwa der Unterstützer (grün) oder die Beobachterin (blau). So können Unternehmen den Test nutzen, um Lücken im Team zu füllen.

Die Occupational Personality Questionnaires (OPQ32) stammen vom britischen Unternehmen SHL. Die Fragebögen sind in 37 Sprachen erhältlich, Teilnehmer müssen mit einer knappen halben Stunde für die Bearbeitung rechnen. Der Test misst 32 verschiedene Persönlichkeitsmerkmale, darunter etwa Fürsorge und Kontaktfreude, vorausschauendes Denken und Optimismus. Auch der Dax-Konzern Symrise aus dem niedersächsischen Holzminden setzt „insbesondere für Schlüssel- und Führungspositionen“ auf den OPQ32. „Diese Online-Bewertungen helfen uns zu beurteilen, wie sich ein Bewerber aufgrund seiner individuellen Persönlichkeit für einen bestimmten Arbeitsplatz eignet“, so eine Sprecherin. Doch auch unterhalb der Chefetagen kommen die Tests zum Einsatz – etwa „beim Rekrutieren von Hochschulabsolventen“.

Mittel gegen den Fachkräftemangel

Konzerne wie Infineon verfolgen mit den verschiedenen Tests ein Kalkül: Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, so heißt es von dem Halbleiterhersteller, erhoffe man sich durch die Tests zu erfahren, „ob die getestete Person grundsätzlich zu Infineon als Arbeitgeber passt und gegebenenfalls für andere Positionen eingesetzt werden kann“. Vor mehr als fünf Jahren hat Infineon damit begonnen, die psychologischen Testverfahren einzusetzen. „In den vergangenen zwei bis drei Jahren haben wir die Nutzung intensiviert“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens auf Anfrage. Bei Volkswagen kommen psychologische Testverfahren sogar bei allen Einstellungen abseits der Produktionsstraßen zum Einsatz, also Finanzabteilung, IT, Marketing, Beschaffung, Personal, technische Entwicklung sowie Auszubildende und Studenten. Mercedes-Benz nutzt die Tests bei Bewerbungen für das Nachwuchsprogramm für Führungskräfte.

Persönlichkeitstests sind auch bei E.on „seit mehreren Jahren im Konzern etabliert“, so eine Sprecherin des Energieunternehmens. Zumindest bei ausgewählten Jobpositionen: „Dabei wird die Verwendung mit den Bewerberinnen und Bewerbern im Vorfeld besprochen, sodass die Verfahren immer gut begründet eingesetzt werden“, heißt es vom Unternehmen. E.on setzt dabei auf ein Verfahren, das dem Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) ähnelt.

Der Bochumer Arbeitspsychologe Rüdiger Hossiep hat das BIP an der Ruhr-Universität entwickelt. In den 1990er-Jahren war das. „Schon während der Entwicklung haben wir 3000 Fragen mit 70.000 Fach- und Führungskräften getestet“, sagt Hossiep. Heute zählt der BIP 210 Fragen. Und das Verfahren deckt 14 Skalen ab, darunter Durchsetzungsstärke und Selbstbewusstsein sowie Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität, die auch das Big-Five-Modell prägen.

Nicht nur etwas für Bewerber

Viele Konzerne nutzen solche Verfahren – ähnlich wie Infineon – häufig erst ab einer gewissen Stufe in der Hierarchie. Die Telekom etwa setzt bei einigen Führungspositionen auf Fragebögen zur Persönlichkeit, die auf dem Big-Five-Test basieren. Und Qiagen setzt bei „Top-Management-Positionen“ auf Persönlichkeitstests. „Wir arbeiten aber gerade daran, die Testverfahren für weitere Positionen auszubauen“, heißt es beim Konzern.

Andere Unternehmen aus dem Dax nutzen die Persönlichkeitstests, um offene Stellen intern nachzubesetzen. Der Göttinger Laborausstatter Sartorius nutzte die Persönlichkeitstests des Anbieters SHL, der auch die OPQ32 vertreibt, als das Unternehmen den Bereich Produktentwicklung ausbaute und 25 Manager suchte. Und Vonovia setzt zu ähnlichen Zwecken auf das BIP von Rüdiger Hossiep, das Hamburger Führungsmotivationsinventar (FÜMO) oder das LEAD-Führungsfeedback. Aktuell, so heißt es von einem Sprecher, zeichne sich ein Trend zum „zunehmenden Einsatzes solcher Verfahren ab“.

Der Triebwerksbauer MTU setzt „im Rahmen der Nachwuchs- und Führungskräfteentwicklung oder auch in Teamentwicklungsprozessen“ etwa auf den Myers-Briggs-Typenindikator (MBTI) und auf das Stärkenprofil des Beratungsunternehmens Gallup. Der MBTI steht in der Kritik, Menschen in Schubladen zu stecken. Grautöne haben keine Bedeutung – ebenso wenig wie breite Skalen etwa beim Big-Five-Test von Otto oder beim BIP.

Auch andere Unternehmen wollen mit den Tests ganze Teams weiterentwickeln. Bei der Deutschen Post finden sogar Workshops für Teams statt, bei denen Teamcoaches mit Fragebögen ermitteln, welche Rollen die Mitarbeiter bei der Teamarbeit am liebsten übernehmen: Sind sie eher der stille Perfektionist oder der launige Antreiber?

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