Cover-Ausschnitt: Linda McCartney: The Polaroid Diaries (Taschen Verlag). - Taschen Verlag

#ThePolaroidDiaries: Linda McCartney und die Nachhaltigkeit der Bilder

„Du musst erkennen, wenn vor dir ein tolles Foto passiert“, bemerkt Paul McCartney im Essay des Kunstkritikers Ekow Eshun. Es kommt darauf an, es im „richtigen Moment“ festzuhalten. Seine Frau Linda hatte diese Gabe, sofort die Bedeutung einer besonderen Situation zu erkennen. Mit der Frage, wie Menschen heute lernen können, den Moment wieder wertzuschätzen, beschäftigt sich auch die Fotokünstlerin Nicole Simon, die ebenfalls dafür plädiert, den Moment festzuhalten, bevor er zur Erinnerung wird. „Momente sind kostbar, man erlebt einen Moment, der gerade passiert, nur einmal. Das macht ihn unwiederbringlich und hat etwas Endgültiges.“ Vielleicht ist Polaroid auch deshalb wieder aus der Bedeutungslosigkeit zurückgekehrt. Die besondere Aura in Zeiten von Smartphones erklärt Nicole Simon damit, dass das Bild als Aufsichtsvorlage „eine andere Aussage als das Handydisplay“ hat. Es macht für den Moment aus dem Bild wieder „etwas Besonderes, Einzigartiges und entschleunigt wieder ein wenig.“

Linda McCartney hat großartige Fotokunstwerke hinterlassen, sie schätzte aber auch das Unperfekte, Einfache und Spontane, das sich gerade im Alltäglichen zeigt. Die Sofortbildkamera war für sie deshalb unverzichtbar. Sie wurde 1941 in New York geboren, nahm an einem Fotografiekurs bei Hazel Archer teil und studierte Fotografie und Kunst an der University of Arizona, bevor sie sich in New York City niederließ, wo sie ihre Foto-Karriere damit begann, Rockmusiker zu porträtieren. Ihre Fotos wurden in mehr als 50 Museen und Galerien ausgestellt, u.a. im Victoria and Albert Museum, London, in der National Portrait Gallery, London, in der Bonni Benrubi Gallery, New York, und im International Center of Photography, New York. Bei TASCHEN erschien „Life in Photographs“. Zudem war sie bekannt für ihren leidenschaftlichen Einsatz für Tierrechte und ihren Vegetarismus. Zudem war sie Autorin mehrerer Kochbücher und hat ihre eigene Marke vegetarischer Tiefkühlkost aufgebaut, gleichzeitig ihre Familie versorgt, weiterhin fotografiert und neben Paul McCartney in der Band Wings mitgewirkt. 1998 starb sie im Alter von 56 Jahren an Krebs.

„The Polaroid Diaries“ präsentiert mehr als 200 dieser unmittelbaren Momente von den frühen 1970ern bis zur Mitte der 1990er Jahre. Wann immer die Familie irgendwo zugange war, machte Linda spontan ein Polaroidfoto. Danach legte sie die Kamera sofort weg (als ob sie nicht weiter stören wollte). Im Mittelpunkt der bislang unveröffentlichten Aufnahmen steht das Nicht-Kalkulierte, intime Familienbilder von Paul McCartney und den vier Kindern des Paares: Paul beim Zähneputzen, beim Tanzen mit seiner Tochter Mary auf den Schultern, beim Telefonieren, Fratzenschneiden, Herumtollen im Schlafanzug, beim Kostümieren, Essen oder Reiten – verspielt, verletzlich und unvollkommen. Präsentiert werden aber auch Landschaftsaufnahmen in Schottland oder Arizona sowie Begegnungen mit Steve McQueen oder Adam Ant. Und immer wieder Aufnahmen von Katzen, Lämmern, Pferden und Hühnern, die von Lindas Tierliebe zeugen.

Die Familie führte fernab des Scheinwerferlichtes auf ihrer Farm in Südengland oder in Schottland ein normales Leben. Mary McCartney sagte einmal, dass sie als Baby in einem Bett geschlafen hätte, das ihr Vater aus alten Kartoffelschachteln gebastelt hatte (Quelle: BBC). „Ich wurde so erzogen, ich bin in Essex auf einer Biofarm aufgewachsen“, sagte die Stella, die als Designerin für nachhaltige Mode bekannt ist, vor einigen Jahren dem „Tagesspiegel“ aus Berlin. „Drum herum gab es lauter kreative Menschen, die einfach viel hinterfragten.“ Statt sich regelmäßig neue Sachen zu kaufen, setzte sie in der Pubertät vor allem auf gebrauchte Kleidung. Da sie auf eine Gesamtschule ging und von ihren Eltern „keinen Haufen Geld“ erhielt, ging sie in Vintage- und Secondhand-Läden, um sich ihre Kleidung zu kaufen.

Stella McCartney ist ebenfalls überzeugte Vegetarierin und Tierschützerin. Ihre Kollektionen entwirft sie ohne Leder und Pelze. Wolle und Seide bezieht sie nachhaltig und schadstofffrei. "Ich bin auf einem Bio-Bauernhof aufgewachsen und mit was ich jetzt meinen Lebensunterhalt verdiene, ist eigentlich wirklich Landwirtschaft. Meiner Meinung nach erkennen das die meisten Leute nicht: Dass wir Modedesigner eigentlich nur das Land bewirtschaften, aber anstatt, dass wir Gemüsepattys daraus machen, machen wir eine Jacke."

Paul McCartney, der von 1969 bis zu ihrem Tod mit Linda verheiratet war, präsentierte den Bildband Mitte September im Victoria and Albert Museum in London. Zu den Gästen der Buchpräsentation gehörten auch seine Töchter Mary und Stella, Ringo Starr, Olivia Harrison und Pretenders-Frontfrau Chrissie Hynde, Twiggy, Sharleen Spiteri, Marc Newson, Rosemary Ferguson und Sheherezade Goldsmith.

Literatur:

Linda McCartney: The Polaroid Diaries. Von Ekow Eshun (Autor) und Reuel Golden (Herausgeber). Taschen Verlag. Köln 2019.

Nicole Simon: Wirklichkeit in Bildern. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 275-303.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen