© Unsplash Илья Мельниченко

Träume gefährden den Status quo. Wenn Ideenbabys das Laufen lernen

Träumen ist kreative Arbeit, um bisher unbekannte Wege zu entdecken und dann ins Handeln zu kommen. Träume stoßen das Neue an.

Der Anstoß zur Idee

Ein großer Traum bewegt Martin Murray: Zuckerwasser wird nicht mehr in Plastikflaschen um die ganze Welt transportiert. Mit seiner Firma Waterdrop verkauft er Brausetabletten, die in Trinkwasser aufgelöst werden. Den Geschmack erzeugen Pflanzenextrakte ohne Konservierungsstoffe. So wird Plastikmüll um 98 Prozent reduziert. 2021 wurde der 1,5-millionste Kunde begrüßt, der Jahresumsatz lag bei 90 Millionen Euro.

Die Firma Seifenbrause bietet Seifen- und Duschgel-Tabs an. In der umweltschonenden Produktion werden neben dem reduzierten Plastikmüll auch 90 Prozent CO2 eingespart.

„Es war immer mein Traum, international zu arbeiten“, sagt Sebastian Stricker. 2014 gründete er die App ShareTheMeal. Mit ihr teilen Menschen per Klick eine Mahlzeit mit hungernden Kindern. ShareTheMeal ist heute Teil des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Die Überzeugung, etwas bewirken zu können, treibt Sebastian Stricker weiter an. 2017 kombinierte er das Teilen mit einem 1+1-Prinzip im Einzelhandel. Sein Start-up namens Share spendet für jedes verkaufte Produkt eine gleichwertige Leistung an hilfsbedürftige Menschen. Also zum Beispiel pro gekauftem Nussriegel eine Mahlzeit. Share hat Rewe und dm als Großkunden gewonnen. „Es ist mir wichtig, sagen zu können, dass mein Leben sinnvoll ist und ich es mit den Leuten verbringe, die ich liebe. Ich schätze mein Team sehr. Es gibt mir die Kraft, das Projekt umzusetzen“ , sagt der träumende Macher Sebastian. Share hat in vier Jahren 38 Millionen Tagesrationen Trinkwasser, 21 Millionen Hygieneartikel, 2 Millionen Schulstunden und 23 Millionen Mahlzeiten geteilt. Ein Traum geht in Erfüllung.

Träume sind wie Orte und Regionen, an denen noch keiner war. Ihre Entdeckung verändert die Welt.

Wie entdeckst du Unbekanntes? Was willst du unbedingt verzaubern? Wovon träumst du?

Individuelle Impfung gegen Krebs

Der Corona-Impfstoff hat BioNTech und seine Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin weltberühmt gemacht. Seit 2001 verfolgen die beiden ihren großen Traum, die Revolution der Krebstherapie. Denn Krebs ist eine der größten Herausforderungen in der heutigen Medizin. Es gibt immer mehr betroffene Menschen. Das Problem und gleichzeitig die große Chance: Jede Krebserkrankung ist individuell. Genauso individuell ist die mRNA-Technologie. Mit ihr könnte jeder Mensch eine auf ihn zugeschnittene Impfung gegen Krebs bekommen , das wäre die erträumte Revolution in der Vorbeugung und Heilung von Krebs und vielen anderen Krankheiten. Dieser visionäre Kampf für Gesundheit vereint Türeci und Şahin. Sogar am Tag ihrer Hochzeit standen sie gemeinsam im Labor. „Unsere Vision ist es, die Stärke der körpereigenen Abwehrmechanismen gegen Krebs und Infektionskrankheiten zu nutzen", erklärt Özlem Türeci. „Wir konnten bereits das Potenzial von mRNA-basierten Impfstoffen im Einsatz gegen COVID-19 verdeutlichen."

Türeci und Şahin verfolgen auch nach 20 Jahren Forschung in ihren Unternehmen weiter ihren Traum. BioNTech ist von 2008 bis 2020 auf mehr als 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen. Weltweit befinden sich mehrere Krebsimpfstoffe in der klinischen Entwicklung, 2022 wurde der erste Patient mit bisher unheilbarem Hautkrebs mit einem mRNA-Impfstoff behandelt. Und das Paul-Ehrlich-Institut rechnet damit, dass vielleicht schon 2026 der erste mRNA-Impfstoff in der Krebsbekämpfung zugelassen wird.

Träume wirken auf etablierte Gewohnheiten immer subversiv. Sie sind ein Angriff auf das Bestehende und ein Schritt hin zur möglichen Veränderung.

Die neue Wirklichkeit sehen

Simone Biles ist ein Ausnahmetalent im Turnen aus den USA. 2019 zeigte sie erstmals den Triple-Double, einen gehockten Doppelsalto mit drei Schrauben. Bei diesem spektakulären Turnelement springt sie vom Boden ab und macht im Flug zwei Drehungen rückwärts um ihre Breitenachse, während sie dreimal um sich selbst, also ihre Längsachse rotiert. Ihre Kreation war inspiriert vom Traum, das Unmögliche möglich zu machen. „Ich wollte sehen, wie das aussieht“, sagt sie. Der Salto trägt jetzt ihren Namen und heißt Biles II.

Den unmöglichen Salto und die Impfung gegen Krebs zu sehen, bevor es sie gibt, nennen wir Vorstellungskraft. Was wir uns vorstellen und sehen können, das können wir auch umsetzen.

Wenn Babys das Laufen lernen

Ideen sind Träume einer veränderten Realität, die auf ihren ersten Realitäts-Check warten.

Was du dir nicht vorstellen kannst, wirst du nicht tun. Was du nicht zuerst siehst, kannst du nicht umsetzen.

Das Sehen steht immer vor dem Handeln. Ohne die Fähigkeit, Optionen zu erkennen, stecken wir in der Beharrungskraft der Gegenwart fest. Neue Prozesse, Angebote und Services wirken nur, wenn sie umgesetzt werden. Das ist völlig klar. Doch was ist der Auslöser, was ist immer zuerst da? Eingemauert in alltägliche Gewohnheiten ist die Sicht versperrt. Die Kraft der Vorstellung bricht Türen und Fenster in diese Mauern. Zum Vorschein kommen vielfältige Optionen und ungenutzte Ressourcen.

Ich wohnte in West-Berlin und machte gerade mein Abitur. Zwei Millionen Menschen lebten damals wie auf einer Insel, komplett eingeschlossen von der DDR. Ich kannte West-Berlin in- und auswendig und bot Touristen an, mit ihnen per Fahrrad die Sehenswürdigkeiten zu erkunden. An einem sonnigen Sonntagmorgen riss auf dem Weg zu dem Treffpunkt mit einer Reisegruppe meine Fahrradkette. Katastrophe! Die Fahrradläden machten erst am Montag wieder auf, und 24/7-Service in Spätis gab es noch nicht. Die Gäste meiner Radtour konnte ich nicht informieren, denn Smartphones und Messenger wurden erst 18 Jahre später erfunden. Hätte ich mein Rad zum Treffpunkt geschoben, wäre ich eine Stunde zu spät gekommen. Mein Gehirn raste, um eine Lösung zu finden. Ich suchte den Boden nach etwas Drahtähnlichem ab, mit dem ich die Kette vielleicht hätte flicken können. Plötzlich durchfuhr mich ein Geistesblitz. In einem meiner drei Ohrlöcher steckte eine Büroklammer. Konnte sie das fehlende Kettenglied ersetzen? Ich probierte es aus, tatsächlich ließen sich die losen Enden mit der Büroklammer kombinieren, und ich konnte den Kreis wieder schließen. Im gewohnten Tempo erreichte ich den Treffpunkt und wir hatten eine großartige Stadtrundfahrt. Die Büroklammer hatte die Radtour gerettet. Mit ihr hielt die Kette sogar noch zwei Wochen.

Wir haben immer mehr Ressourcen zur Verfügung, als wir denken. Hättest du die Büroklammer als Ressource erkannt? Hättest du ausprobiert, ob eine Büroklammer eine Fahrradkette zusammenhalten kann? Wärst du mit dem Fahrrad gefahren?

Ideen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Jeden Tag haben Menschen Ideen: Wie kochen wir heute gesünder? Wie lösen wir die steigende Zahl an Paketlieferungen mit weniger Autos in Innenstädten? Welcher Wirkstoff im Medikament kann mehr Menschen heilen?

Die ganze Welt besteht aus Ideen, die umgesetzt wurden. Alles, was wir täglich nutzen, waren Ideen, die auf uns normal wirken. Menschen haben dafür gekämpft.

Träume anpacken und ausprobieren

Neben der Passion für unsere Vorstellungskraft bin ich auch ein großer Fan des Anpackens, Umsetzens und Machens. Seit dreißig Jahren setzte ich Projekte um. Ich gründe Firmen und Vereine und habe hunderte Gründerinnen und Gründer bei ihren Umsetzungen begleitet.

Direkt am Tag nach seinem Geistesblitz probierte der 18-jährige David seine Idee aus. Beim Grillen mit Freunden hatte er eine gute Nachricht erzählt, die er kurz vorher gehört hatte. Einer seiner Freunde hatte aufgeschrien: „Endlich mal was Positives!“ Dies war der Impuls für David, mehr gute Nachrichten zu verbreiten.

Foo © Hendrik Gergen
Foo © Hendrik Gergen

Ohne journalistische Erfahrung startete er am nächsten Morgen sein Good News Magazin auf Facebook und Instagram. Seit 2016 veröffentlicht er täglich eine gute Nachricht. Null Follower zum Start weckten seinen Ehrgeiz. Anfang 2022 folgen mehr als 100.000 Menschen auf Instagram. Das Team des Good News Magazin ist seit März 2020 auf 27 engagierte Menschen angewachsen. Die Nachrichten werden heute tausendfach geteilt und teilweise Millionen Mal gelesen. Die Sichtbarkeit guter Nachrichten wurde millionenfach gesteigert. 2022 ist ihr Buch zu Positivem Journalismus erschienen.

Begonnen hat alles mit der Idee am Lagenfeuer und dem ersten Schritt am 15. Juni 2016.

Wie schätzt du das Verhältnis von guten und schlechten Nachrichten ein? 6:94? 27:73? 50:50? Oder gibt es sogar mehr Gutes? In keinem Fall ist das Verhältnis so negativ, wie klassische Nachrichten es darstellen. Gute Nachrichten:

Ist alles positiv? Nein. Ist alles negativ? Nein. Positiver Journalismus blendet Probleme nicht aus, sondern zeigt Lösungen auf. Es geht um ein realistisches und ausgewogenes Bild von der Welt.

Überrascht? Erschrocken? NEU!

Was uns nicht zuerst überrascht, erschreckt und auch verärgert, ist nicht neu. Ist deine Idee komplett neu, dann ist sie unbekannt, unpassend, ungewohnt, unsexy, unvertraut, ungewollt und unbeliebt. Also wundere dich nicht, wenn manche Menschen dazu „Geht nicht“ sagen. Sie sehen deine Idee nicht. Ihre Vorstellungskraft geht nicht so weit ins Unbekannte wie deine.

Wenn sie „Geht nicht“ ernst meinen, müssten sie konsequenterweise nackt im Wald leben. Denn alles, was sie tagtäglich anziehen, nutzen und genießen, waren mal Ideen. Wenn jemand deine Ideen zertrampelt und mit dem Hammer draufschlägt, lach laut und fröhlich und stell dir sie oder ihn nackt im Wald vor.

Herrscht in deiner Firma die Geht-nicht-Stimmung oder der Geht-noch-nicht-packen-wir‘s-an-Spirit? „Geht nicht“ ist der Ideen- und Energiekiller Nummer Eins.

„Geht nicht“ ist immer falsch. Korrekt wäre: „Geht noch nicht.“ Hurra!

Mit dieser Einstellung stehst du an der Schwelle zur Innovation und Weiterentwicklung. Ginge es bereits, wäre deine Idee nicht neu. Jubel und Zustimmung bekommt das Bekannte und Etablierte, das sich längst durchgesetzt hat. Jubeln dir alle Menschen zu, ist die Idee nicht neu.

Bei welcher Idee hast du am meisten Widerspruch bekommen? Welche deiner Ideen wurden zuerst abgelehnt und später bejubelt? Welche Ideen hast du gestartet? Welche ersten Schritte bist du damit gegangen? Wie viele zweite und dritte Schritte folgten?

Welche deiner Ideen begeistern dich? Welche Ideen-Talente fütterst du?

Kritik an einem Baby?

Ideen stehen am Anfang jeder Entwicklung, sie sind nie perfekt, sondern kleine, hilflose Wesen, die Liebe und Zuwendung brauchen. Kritik an Ideen ist so sinnlos wie die Kritik an einem Baby.

© Pixabay/Vic_B
© Pixabay/Vic_B

Ideen können weder laufen noch Klavier spielen. Ideen stecken voller Talente, die noch verborgen sind. Sie tragen Potenzial in sich wie Babys ihre einmaligen Talente. Diese Talente gilt es zu entdecken und zu entwickeln.

Mit der Haltung don`t criticize, improve werden Ideen vor destruktiver Kritik geschützt.

Alle Fragen, Kommentare und weiteren Zutaten machen sie reifer, passender und interessanter. Füttere Ideen und reichere sie an. Das Neue ist meistens unscheinbar, es braucht noch viel Raum und Zeit zum Wachsen. Füttere, schütze und liebe die Ideen-Babys und fördere ihre Talente. Die Idee ist nur der erste Impuls. Die Talente der Idee zu entwickeln, um ein neues Angebot zu etablieren, ist ein langer Weg.

Nur ein kleiner Bruchteil der Ideen kommt erwachsen und etabliert in der Welt an.

_______________________________

Im Workshop ROCK YOUR RECRUITING wird Recruiting konkret verändert, um die passenden Menschen als neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Ich stelle konkrete Beispiele vor. Alle teilnehmenden Unternehmen setzen Neues um. Herzliche Einladung.

461 konkrete Beispiele zum Streichen und Umdrehen stehen in meinem Buch ROCK YOUR WORK.

„Rock Your Work ist eine Konfettikanone der positiven Impulse", meint Peter Kreuz.

"Feuerwerk an Inspiration.", schreibt Christine Jung.

"Leseempfehlung! Wie frische Luft im Raum!", tweetet Wolf Lotter.

"Das hat er noch übertroffen. Eine unglaubliche Faktensammlung", berichtet Dieter Strasser.

Martin Gaedt schreibt über Provotainment, Leben und Arbeit, cleveres Recruiting, Wirtschaft & Management

Martin Gaedt ist Autor von "4 TAGE WOCHE", "Rock Your Work", "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Provotainer und hat seit 2014 in 650 Keynotes mehr als 100.000 Gäste begeistert, provoziert und entertaint. Seit 1999 gründet er Unternehmen und stellt 44 Fragen, der Anfang des Neuen.

Artikelsammlung ansehen