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Traumatische Ereignisse am Arbeitsplatz – wie der Umgang mit psychischen Ausnahmesituationen gelingt

Tod, Unfälle und belastende Ereignisse begegnen uns auch im Job. Kolleg*innen und Führungskräfte können mit den richtigen Maßnahmen helfen, Mitarbeitende rechtzeitig aufzufangen.

Ich saß in meinem Büro und war in eine Auswertung vertieft, als ich das Martinshorn eines Krankenwagens immer näher kommen hörte. Ich schaute aus dem Fenster und sah zwei Sanitäter mit ihrem Notfallkoffer durch die große Eingangstür unseres Firmenfoyers laufen. Ich ging schnell auf den Flur, wo große Unruhe herrschte.

„Im Aufzug!“, rief eine Kollegin. Dort angekommen, sah ich die Sanitäter, die eine Person wiederbelebten. Es war Tim, einer meiner Kollegen. Er war sehr bleich und regte sich nicht. Ich erschrak und fühlte mich in dem Moment komplett bewegungsunfähig. Dieses Bild blieb tage- und nächtelang in meinem Kopf, obwohl ich wusste, dass Tim überlebt hatte und auf dem Weg der Besserung war.

Traumatische Ereignisse passieren nicht nur im Privatleben und in der Freizeit – auch im Arbeitsalltag wirken sie sich auf unser mentales und auch körperliches Befinden aus. Dazu braucht man gar nicht selber in das Ereignis verwickelt sein. Allein Zeuge zu sein ist für unsere Psyche eine ungewohnte Situation, die unsere Verarbeitungsmechanismen vorübergehend überfordert.

Erdbeben für die Seele: Normale Reaktionen in den Tagen und Wochen danach

Die liebe Kollegin, die auf dem Weg zum Kundentermin einen schweren Unfall hat, die Bankangestellten, die einen Überfall miterleben, oder der Kollege, der sich an einem Hochofen schwer verbrennt: Wenn wir nur von solchen Ereignissen hören, bleibt für die meisten von uns die Welt für einen kurzen Moment stehen. Viel traumatischer ist es natürlich, wenn Menschen direkt in eine dieser Ausnahmesituationen verwickelt sind.

Außergewöhnliche belastende Ereignisse werden von den Betroffenen oft wie ein inneres Erdbeben erlebt. Verbunden mit dem großen Schrecken fühlen sie Hilflosigkeit und Angst, sie können die Situation nicht steuern oder kontrollieren, sich nirgendwo „festhalten“: eine emotional stark verunsichernde Erfahrung, nach der die Betroffenen oft erst wieder sicheren Boden unter den Füssen gewinnen müssen.

Bei vielen Menschen treten vorübergehend starke Reaktionen und Gefühle auf, auch wenn sie nur Augenzeug*in oder Helfer*in waren: zum Beispiel Unruhe und Nervosität, wirre, kreisende Gedanken, Schlafstörungen, Albträume, Müdigkeit, Appetitlosigkeit oder Leere. Auch berichten Betroffene häufig über Niedergeschlagenheit, Stimmungsschwankungen, Gereiztheit, Sinn- und Hoffnungslosigkeit und Konzentrationsprobleme. Manche haben auch das Gefühl, in der Situation etwas nicht richtig gemacht zu haben, dann drängen sich häufig Erinnerungen oder Bilder, sogenannte Flashbacks, auf.

Auch kleine, alltägliche Handlungen können zur Herausforderung werden: „Gehe ich zum Sport oder nicht?“ oder „Soll ich mich mit meinen Freunden treffen?“. Es ist dann schon zu viel, das alles nicht einordnen zu können. Ebenso können redundantes Erzählen und Rückzug Reaktionen sein, die auf das Ereignis zurückzuführen sind.

Diese und ähnliche Symptome sind nach einem außergewöhnlichen belastenden Ereignis ganz normal. Sie sind eine „normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis“ und zunächst kein Grund zur Sorge. Die Reaktionen sollten nach wenigen Tagen nachlassen. Manche Menschen zeigen auch gar keine Reaktionen oder verarbeiten das Geschehene anders – das ist von Person zu Person unterschiedlich.

Stressbearbeitung im Unternehmen

Wir bekommen immer häufiger Anfragen unserer Kundenunternehmen zur Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE) und unterstützen mit unseren Teams dann direkt vor Ort. Unsere Berater*innen, die im Einsatz sind, werden von den Mitarbeitenden dann oft gefragt, was sie für sich selber tun können. Folgende Impulse helfen, das Geschehene einzuordnen:

  • Sprechen Sie mit vertrauten Personen, von denen Sie sich verstanden fühlen. Austausch und ein gutes soziales Netzwerk geben Sicherheit und Halt. Unterdrücken Sie Ihre Gefühle nicht.

  • Ordnen Sie ungewöhnliche Reaktionen richtig als normale Reaktion auf ein unnormales, die Seele überforderndes Ereignis, ein.

  • Alles, was Struktur gibt, hilft Ihnen, um zu alter Sicherheit zurückzufinden: Achten Sie auf eine gute Tagesstruktur und kehren Sie, sobald es geht, in Ihren gewohnten Tagesablauf und Ihren Arbeitsalltag zurück – auch wenn Sie nicht in Ihrer vollen Leistungsfähigkeit sind. Das unterstützt den Heilungsprozess.

  • Sprechen Sie mit Ihrer Führungskraft und Ihren Kolleg*innen darüber, wie es Ihnen geht, und bitten Sie um Nachsicht, wenn Sie nicht direkt wieder voll konzentriert arbeiten können.

  • Beschäftigen Sie sich mit Dingen, die wohltuend für Sie sind und die für Freude und Entspannung sorgen, auch wenn es schwerfällt. Hören Sie auf sich: Was tut mir gut, was brauche ich gerade? Was hilft mir?

  • Achten Sie auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige, ausgewogene Mahlzeiten.

Zögern Sie nicht, bei Bedarf auch psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Die HR-Abteilung oder der Betriebsrat sind oft erste gute Anlaufstellen, die vermitteln können.

Halten die beschriebenen Reaktionen länger als sechs Wochen an, ist es ratsam, zusätzliche, gegebenenfalls psychologische oder seelsorgerische Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit keine posttraumatische Belastungsstörung entsteht.

Was können Kolleg*innen, Führungskräfte und Angehörige tun?

Das Verständnis von Kolleg*innen, Führungskräften, Angehörigen und Freund*innen kann viel dazu beitragen, dass die Betroffenen mit dem Erlebten besser zurechtkommen. Oft tut schon das Gefühl, nicht allein zu sein, gut. Wenn Betroffene über das Erlebte sprechen, dann

  • hören Sie zu,

  • nehmen Sie sich Zeit,

  • nehmen Sie die Gefühle der Betroffenen ernst,

  • fragen Sie die Kollegin oder den Kollegen, was guttut und wie Sie unterstützen können,

  • erkundigen Sie sich auch mit zeitlichem Abstand immer mal wieder, wie es dem oder der Betroffenen geht. Nach manchen Ereignissen ist es notwendig, verschiedene Dinge zu organisieren und zu erledigen. Eine praktische Unterstützung kann sehr entlastend wirken. Vielleicht gibt es Themen oder gemeinsame Projekte, bei denen Sie vorübergehend helfen können. Grundsätzlich ist es jedoch wichtig, die Betroffenen dabei zu ermutigen, so bald wie möglich den gewohnten Tagesablauf wiederaufzunehmen.

Achten Sie auch auf ein No-Go: Vermitteln Sie den Betroffenen niemals das Gefühl, es sei doch gar nichts Schlimmes passiert, zum Beispiel weil sie nur als Zeug*innen dabei waren. Für die Betroffenen ist das Erlebte in der Regel sehr schlimm, und sie fühlen sich durch solche Aussagen nicht ernst genommen und werden noch stärker verunsichert.

Inzwischen bieten immer mehr Firmen spezielle Hilfe in Krisensituationen am Arbeitsplatz an. Sie haben nicht nur klare Prozessabläufe, sondern oft auch externe Kriseninterventionsteams, die im Akutfall vor Ort ganz konkret die betroffenen Mitarbeitenden unterstützen.

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