Trotz Fachkräftemangel Azubis finden – Fünf Tipps für Führungskräfte
Die Zeiten, in denen Betriebe pro Ausbildungsstelle Hunderte Bewerbungen bekamen, sind vorbei. Mit unorthodoxen Maßnahmen lassen sich doch Bewerber finden, wie einige Firmen beweisen.
Düsseldorf, Frankfurt. Der beste Weg, schwer verfügbare Fachkräfte zu gewinnen, ist für Karin Saar, sie selbst heranzuziehen. „Die Ausbildung ist eine unserer wichtigsten Quellen für Fachkräfte“, sagt die Ausbildungsleiterin des Industrieunternehmens Heraeus in Hanau. „Wir benötigen Spezialisten und Fachexperten, die wir auf dem Arbeitsmarkt nicht oder nicht mehr bekommen.“ Dazu gehören Glasapparatebauer oder Verfahrensmechaniker für Glastechnik.
Auch die Handelskette Kaufland hält die Gewinnung von Azubis für eine Lösung in Zeiten des Fachkräftemangels. „Mit der Rekrutierung von Nachwuchskräften sichern wir die Zukunft unserer Standorte“, sagt Personalchefin Sara Maria Mirabella.
Viele Unternehmen würden gerne ihre Fachkräfte von morgen selbst ausbilden. Doch jedes zweite, so eine DIHK-Umfrage, kann nicht alle Ausbildungsstellen besetzen, rund 30.000 haben keine einzige Bewerbung erhalten.
Heraeus hingegen hat 250 Auszubildende und dual Studierende und damit fast alle Stellen besetzt, Kaufland hat sogar 1000 Nachwuchskräfte angeheuert. Wie haben die Unternehmen das geschafft?
Noch bis zum Jahresende können Firmen ihre freien Ausbildungsplätze nachbesetzen. Fünf Tipps aus der Praxis machen das einfacher.
1. Schwellen für die Bewerbung senken
Es ist noch nicht lange her, da schickten Schüler sorgfältig geheftete Bewerbungsmappen an die Unternehmen, mit Anschreiben, Foto und Zeugnissen. Diese Zeiten sind vorbei. „Die Anforderungen an eine Bewerbung werden immer geringer“, erklärt die Kaufland-Personalchefin. „Heute verlangen wir nicht mal mehr ein Anschreiben.“
Interessenten können sich sogar während des Einkaufs bei Kaufland auf eine Ausbildungsstelle bewerben. So liegen dort an den Info-Theken Tablets aus, die Jugendliche für eine Bewerbung mit minimalen Angaben nutzen können.
„Wir haben die formalen Hürden gesenkt“, so Mirabella. Dass es damit auch Bewerbungen bekommt, die nicht wirklich ernst gemeint sind, nimmt das Unternehmen bewusst in Kauf.
„Wir überarbeiten unser Bewerber-Management-System aktuell und probieren neue Wege aus“, sagt auch Heraeus-Ausbildungsleiterin Saar. Geprüft werde aktuell zum Beispiel, wie man aus den sozialen Medien direkt den Bewerbungsprozess starten kann.
Bei der Deutschen Bahn macht der Chatbot „DB Smile“ die Bewerbung leichter. Per Text- oder Spracheingabe kann man sich dort in weniger als vier Minuten auf eine Ausbildungsstelle bewerben.
Für das gerade begonnene Ausbildungsjahr hat die Bahn 6000 junge Menschen eingestellt – 500 mehr als im Jahr zuvor. 104.000 Bewerbungen sichteten die Personaler des Staatskonzerns in diesem Jahr.
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2. Über die Berufswirklichkeit informieren
Kaufland hat die Erfahrung gemacht, dass viele junge Menschen mit einer Bewerbung zögern, weil sie nicht wissen, was sie im Arbeitsalltag erwartet. Sie haben deshalb den bei Jugendlichen beliebten Youtuber Aaron Troschke alias „HeyAaron!!!“ engagiert.
„Der hat ein tolles Video gemacht, in dem er in die Rolle eines Praktikanten geschlüpft ist und so auf ganz charmante Art gezeigt hat, was wir bei uns in einem Logistikzentrum machen“, erzählt Personalchefin Mirabella.
Die Deutsche Bahn hat aus dem gleichen Grund im Juni eine virtuelle Arbeitswelt aufgebaut. Wer sich für einen Job interessiert, kann sich über Augmented Reality oder Virtual Reality dort anschauen, was ihn erwartet.
Zudem hilft der sogenannte DB-Job-Kompass bei der Auswahl einer der verfügbaren 50 Ausbildungsberufe: Anhand der Antworten auf 25 Fragen erarbeitet das Tool konkrete Vorschläge, welcher Job zur potenziellen Bewerberin passt.
3. Die richtige Ansprache in Social Media
Soziale Netzwerke sind mittlerweile ein zentraler Kanal für Unternehmen, um junge Menschen über Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren. „Die Präsenz in den sozialen Medien ist wichtig“, betont Heraeus-Managerin Saar. Doch sie schränkt ein: „Wir hören unter unseren Azubis, dass Social Media ihr Spaßportal ist.“ Mit ihrem Beruf brächten sie das nicht in Verbindung, eine Bewerbung über einen Social-Media-Kanal sei daher maximal ein Nebeneffekt.
Deshalb ist es für Unternehmen wichtig, auf diesen Plattformen den richtigen Ton zu treffen und die Nutzer nicht zu langweilen. Für Kaufland informieren etwa bereits beim Unternehmen tätige Azubis beispielsweise in Videos über ihren Berufsalltag.
„Wenn Auszubildende über ihre eigene Arbeit informieren, ist das besonders glaubwürdig“, berichtet Personalchefin Mirabella. „Wir holen uns von den Auszubildenden auch Feedback zu unseren Videos ein, damit sicher ist, dass wir auch die Sprache der Bewerber sprechen.“
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4. Den persönlichen Kontakt suchen
Ausbilder warnen aber davor, mit einem Fokus auf Social Media die persönliche Ansprache zu vernachlässigen. „Wir müssen die jungen Leute direkt ansprechen, das ist das A und O“, sagt Kaufland-Managerin Mirabella. Neben Schulpartnerschaften sind für Kaufland Praktika und Aushilfsjobs wichtige Möglichkeiten, Nachwuchs zu gewinnen.
„Die Unternehmen sollten Jugendliche so früh und kontinuierlich wie möglich auf sich und ihr Ausbildungsangebot aufmerksam machen“, empfiehlt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Eine effektive Methode sei, Schülerpraktika anzubieten und Projekte zusammen mit Schulen vor Ort durchzuführen.
„Ein Projekt, das sich bei uns in Bayern als Erfolgsmodell bewährt hat, ist zum Beispiel die Plattform ‚Sprungbrett Bayern’ – eine Praktikumsbörse mit branchenübergreifend rund 25.000 Praktikumsangeboten“, berichtet er. Ein anderes Beispiel sei das Projekt „come with(me)“, das Schülern den Austausch mit Azubis aus der Region ermögliche.
Das bayerische Familienunternehmen Schreiner, ein Etikettenhersteller mit einem Jahresumsatz von 220 Millionen Euro, schickt regelmäßig Firmenvertreter in Schulen, stellt auf zahlreichen Messen aus, bietet Praktika an und und veranstaltet eigene Job-Speeddatings für Auszubildende. Auf diese Weise hat Schreiner dieses Jahr immerhin 28 Auszubildende gewinnen können.
„Obwohl wir den Auszubildenden so viel bieten können, haben wir feststellen müssen, dass wir als ‚Hidden Champion‛ viel tun müssen, um sie überhaupt zu erreichen und auf uns aufmerksam zu machen“, sagt Geschäftsführer Roland Schreiner. Um den Nachwuchs dann eng zu betreuen und eine gezielte Förderung zu bieten, hat das Unternehmen ein Ausbildungszentrum eingerichtet.
Mit der Bindung der jungen Leute hat er dadurch Erfolg. „Circa elf Prozent aller Mitarbeiter haben ihr Berufsleben bei der Schreiner Group als Azubis gestartet“, sagt Schreiner.
5. Neue Zielgruppen entdecken
Immer mehr Unternehmen erschließen auch ganz neue Zielgruppen als Azubis: junge Menschen aus dem Ausland und ältere Arbeitnehmer.
Mit ersteren haben vor allem Gastrobetriebe Erfolg. 2023 hatten bereits 13 Prozent aller neuen Azubis im Gastgewerbe eine ausländische Staatsangehörigkeit. Oft kommen sie aus Vietnam, Marokko, Indonesien und Indien.
Im Inselhotel in Potsdam haben vergangenes Jahr vier junge Vietnamesen ihre Ausbildung zur Gastro- oder Küchenfachkraft begonnen. Für vier weitere bereitet das Hotel gerade eine Wohnung vor. „Unser Team und die Gäste sind begeistert“, sagt Geschäftsführer Burkhard Scholz.
Im gesamten Gastgewerbe ist die Zahl der Ausbildungsverhältnisse schon vor der Pandemie dramatisch eingebrochen – von 107.000 Azubis 2007 auf 46.500 im vergangenen Jahr, ermittelte der Branchenverband Dehoga. Während Scholz 1996 noch 180 Bewerbungen bekam, waren es in diesem Jahr zwei. „Wir finden kaum noch Azubis, die bereit sind, am Wochenende oder Feiertag zu arbeiten“, berichtet er. Diese Lücke schließt das Inselhotel nun mit Kandidaten aus dem Ausland.
„So wichtig die Azubis aus Drittstaaten für uns sind, so sind doch große Anstrengungen seitens der Ausbildungsbetriebe und Berufsschulen erforderlich“, betont Sandra Warden, Geschäftsführerin des Dehoga. Die Vermittlung von Deutschkenntnissen sei die größte Herausforderung.
Die Vietnamesen in Potsdam haben schon zu Hause etwas Deutsch gelernt und nehmen nun an Online-Sprachkursen teil. In der Berufsschule hätten sie recht gute Zensuren, freut sich ihr Ausbilder. Doch häufig sei das Sprachniveau für Berufsschule und Prüfungen nicht ausreichend, bedauert Warden von der Dehoga. Hinzu kämen bürokratische Hürden und lange Verfahrensdauern bei den Visa.
Heraeus geht deshalb einen anderen Weg. Das Unternehmen bildet ältere Menschen aus, die umschulen möchten. „In unserer aktuellen Gruppe sind die jüngsten 15 und die ältesten über 40 Jahre alt“, berichtet Ausbildungsleiterin Saar. „Und dazwischen haben wir ganz viele Lebensentwürfe.“ Denn viele Unternehmen haben die Erfahrung gemacht: Wer jenseits der 40 Jahre noch eine neue Ausbildung macht, wird so schnell nicht wieder wechseln.
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