Kurze Pause oder finaler Feierabend? Der Faktor ‚Unsicherheit‘ und die deutschen Standortschwächen machen vielen Unternehmen zu schaffen. Foto: IMAGO/photothek
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Trotz flacherer Insolvenzzahlen: Sanierer warnen vor neuer Krisenwelle quer durch alle Branchen

Insolvenzdaten nährten zuletzt die Hoffnung, dass der Höhepunkt der Pleitewelle erreicht ist. Doch die Zahlen täuschen: Die Krise ist nicht vorbei.

Ist das die Trendwende? Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im April nur noch langsam gestiegen. Das Statistische Bundesamt verzeichnete 3,3 Prozent mehr Insolvenzanmeldungen als im Vorjahreszeitraum. Der April 2025 ist der zweite Monat in Folge, in dem das Bundesamt nur noch eine einstellige Zuwachsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat beobachtet. Davor hatte es sieben Monate mit zweistelligen Zuwächsen gegeben. Damit „könnte der Höhepunkt der Pleitewelle erreicht sein“, hieß es zuletzt bereits in Medienberichten.

Sanierungsberater, Finanzierungsexperten und Insolvenzverwalter sind da weit weniger optimistisch. Bei der Handelsblatt Jahrestagung Restrukturierung in Frankfurt werden sie in dieser Woche Ausmaß und Tiefe der wirtschaftlichen Krise vermessen. Schon jetzt scheint indes klar, dass es in den nächsten Monaten zahlreiche Restrukturierungsfälle geben wird. Zu gravierend sind die Probleme des Standorts Deutschland, zu unsicher die Auswirkungen des von US-Präsident Donald Trump ausgelösten Zollkonflikts.

„Wir sehen in der Restrukturierungsberatung bislang keine Trendwende“, sagt auch Friedrich Schlott, der als Partner der Wirtschaftskanzlei Kirkland & Ellis seine Mandanten zu Insolvenz- und Restrukturierungsfragen berät. Das Thema Krisenbewältigung stehe bei vielen Unternehmen weiter ganz oben auf der Agenda, so Schlott. Kein Wunder: „Der weltweite Handel ist durch den Zollstreit aus der Balance geraten. Entsprechend groß ist die Unsicherheit in der exportorientierten deutschen Wirtschaft.“

Der Faktor ‚Unsicherheit‘ ist auch aus Sicht von Frank Grell, Leiter der deutschen Praxisgruppe Restrukturierung & Insolvenz von Latham & Watkins, entscheidend. Selbst wenn Unternehmen mit den höheren Zöllen umgehen könnten, sei die fehlende Verlässlichkeit, also ein Hin und Her bei den Rahmenbedingungen, „momentan das größte Problem“ – und habe in Restrukturierungssituationen Folgen.

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Denn „um ein Unternehmen zu stabilisieren, ist es in der Regel notwendig, dass frisches Kapital bereitgestellt wird“, sagt Grell. Solange aber „die Rahmenbedingungen unklar sind, agieren klassische Investoren äußerst zurückhaltend.“ Ohnehin dürfte die Finanzierung in den kommenden Jahren zu einer Belastungsprobe für die deutsche Wirtschaft werden.

Alle Wirtschaftszweige müssen kämpfen

Die Sanierungsberater von AlixPartners warnen bereits vor einer „drohenden Refinanzierungskrise“. Demnach werden bis 2029 Unternehmensschulden im Umfang von über 600 Milliarden Euro in der Region Deutschland, Österreich und der Schweiz fällig – bei gleichzeitig schwächerer Profitabilität und volatilen Märkten. „Viele Unternehmen müssen ihre Schulden unter deutlich schwierigeren Bedingungen refinanzieren – ein herausforderndes Umfeld, das gerade exportorientierte Branchen trifft“, sagt Rainer Bizenberger, Alix-Co-Chef für Turnaround und Restructuring in den deutschsprachigen Ländern.

Schon jetzt gebe es verstärkt Anfragen zu Portfoliounternehmen von Private-Equity-Gesellschaften, hat Martin Tasma, Restrukturierungsexperte der Kanzlei Hengeler Mueller, beobachtet. Diese Unternehmen seien oft hoch verschuldet und reagierten sensitiv auf Veränderungen des Marktumfelds und an den Finanzmärkten. „Wenn zu steigenden Zinsen noch Herausforderungen auf der operativen Seite hinzukommen, ergibt sich schnell Handlungsbedarf“, sagt Tasma.

Dass es in den kommenden Monaten in der Restrukturierungsberatung deutlich ruhiger zugehen wird, könne er sich nicht vorstellen. „Viele Unternehmen stehen strukturellen Problemen gegenüber, die nicht von heute auf morgen verschwinden.“ Industrieunternehmen würden weiter unter hohen Energiekosten leiden und stünden gleichzeitig unter Druck, klimaneutral zu werden. Die deutsche Automobilindustrie habe zusätzlich noch mit Absatzproblemen zu kämpfen.

Hinzu kämen weitere bekannte Standortschwächen, sagt Kirkland-Partner Schlott. Etwa das Ausmaß der Bürokratie und die Konsumzurückhaltung bei Verbrauchern. Die Folge: „Es gibt kaum eine Branche, in der es gerade richtig gut läuft.“

Das unterscheidet die aktuelle Rezession womöglich auch von früheren Abschwungphasen. „Bei den größeren Krisen der Vergangenheit waren meist einzelne Branchen besonders betroffen“, sagt Latham&Watkins-Partner Grell. Das sei diesmal anders: „Unternehmen aus allen Wirtschaftszweigen müssen kämpfen.“

Für die nächsten Monate klingt das nach reichlich Gegenwind für die deutsche Wirtschaft – und nach wenig Trendwende.

Hinweis: Die Handelsblatt Jahrestagung Restrukturierung wird von der Handelsblatt GmbH veranstaltet, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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