Trumps neue Zölle: Wie deutsche Firmen in Mexiko ums Überleben kämpfen
Mexiko und die USA verbindet ein Milliardengeschäft. Nun verhängt Donald Trump Zölle – auch deutsche Firmen müssen bangen.
Bevor er die Produktionshalle betritt, zieht Juan Jaquez einen weißen Kittel an, sterile Überschuhe, Mundschutz und Haarhaube. Eine aufwendige Prozedur zum Schutz vor Staub und Schmutz, Viren und Bakterien – doch zusätzlich muss sich Jaquez noch Zeit nehmen für Sicherheitsmaßnahmen der ganz anderen Art.
„Wir sind hier in Mexiko, da ticken die Leute anders als in den USA oder Deutschland“, sagt er. Die Menschen würden gerne kurz plaudern wollen, über die Kinder sprechen, über dies und das: „Wenn sich die Leute respektiert fühlen, arbeiten sie besser und gehen nicht fort“, erzählt Jaquez. Mitarbeiterpflege auf Mexikanisch, damit kennt er sich aus.
Jaquez ist Geschäftsführer der Dependance von Codan, eines Medizingerätespezialisten, der nach dem Meerbusen in der Lübecker Bucht benannt ist. Hauptsitz des Unternehmens ist das ostholsteinische Lensahn, doch die Firma produziert an mehreren Standorten, auch hier in der mexikanisch-US-amerikanischen Grenzstadt Tijuana. Hergestellt werden etwa Infusionsgeräte, Spritzen und Schläuche für frühgeborene Babys – alles, was für die Versorgung in kritischen Situationen gebraucht wird. Doch jetzt wird Codan womöglich selbst Teil einer heiklen Operation: US-Präsident Donald Trump verhängt Zölle in Höhe von 25 Prozent auf alle Produkte aus Mexiko.
Auch Codan exportiert in die USA, die Zölle könnten das Unternehmen treffen. Dabei war Codan extra aus Kalifornien nach Mexiko gezogen, damit das Geschäft noch besser läuft.
Noch vor elf Jahren hatte Codan ein Werk in Santa Ana, doch nur 170 Kilometer entfernt lockte Tijuana mit besseren Bedingungen. „Bei einem Minimum-Stundenlohn von 17,50 Dollar in Kalifornien waren wir einfach nicht konkurrenzfähig“, sagt Jaquez, der zuvor für Honeywell in den USA gearbeitet hat. „Mexiko mit Stundenlöhnen von zwei bis drei Dollar bot uns mehr als eine Überlebenschance.“ Die Zukunft sah lange rosig aus. Ist das vorbei?
Jaquez wägt ab. „Bei Trump weiß man nie, was morgen passiert“, sagt der Codan-Chef, „er schert sich weder um ethische Normen noch um Verträge.“ Also auch nicht um die nordamerikanische Freihandelspolitik, deren Ende auch Tausende europäische Unternehmen trifft.
Einmal rübergemacht
So wie Codan haben inzwischen viele Firmen ihre Produktion nach Mexiko verlegt, nachdem 1994 die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA gegründet worden war. Kurz hinter der Grenze gibt es niedrigere Löhne, Steuerfreiheiten und gut qualifizierte Arbeitskräfte. Hinzu kommt der Trend zum Nearshoring, der Verlegung der Produktion in nahe liegende Länder, der sich seit der Covidpandemie und dem Zusammenbruch vieler Lieferketten weiter verstärkt hat. „Große internationale Unternehmen bauen heute lieber zwei oder drei kleinere Fabriken in unterschiedlichen Ländern, statt ihre Produktionskapazität in China zu vergrößern“, sagt Javier Aguilera Peña, Vorstand des Industrieparkentwicklers und -betreibers Proistmo mit Sitz in Mexiko-Stadt.
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Im ersten Halbjahr 2024 sind 31 Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen nach Mexiko geflossen, ein Anstieg von sieben Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr – und der höchste Wert in der Geschichte des Landes. Mit 30 Milliarden Dollar kam der Großteil von Unternehmen, die bereits eine Niederlassung in Mexiko haben und offensichtlich zufrieden sind. Auch deutsche Autobauer haben hier kräftig investiert: Audi in San José Chiapa, BMW in San Luis Potosi, Volkswagen in Puebla und Silao. Dazu kommen die Zulieferer, allein ZF betreibt 16 Werke mit rund 25.000 Beschäftigten. Insgesamt tragen die ausländischen Investoren wesentlich zu Mexikos Wirtschaftswachstum von zuletzt 3,2 Prozent in 2023 bei.
Besonders erfolgreich sind die sogenannten Maquiladoras, Fertigungsunternehmen, die einen Teil ihrer Rohstoffe oder Komponente zoll- und mehrwertsteuerfrei aus den USA importieren und das Endprodukt zu 100 Prozent in die USA auch zollfrei ausführen. Heute gibt es vor allem in der Grenzregion um Tijuana, Ciudad Juárez und Monterrey mehr als 5220 solcher Fertigungsunternehmen, die über drei Millionen Menschen beschäftigen. Indirekt hängen sogar bis zu zehn Millionen Mexikaner von dieser Branche ab. Trumps Zölle könnten der Fertigungsindustrie besonders schwer schaden.
Testfall Kolumbien
„Ich glaube es immer noch nicht, dass Trump es machen wird“, sagt Alan Russell, Texaner und ein Pionier der Maquiladora-Branche in El Paso, direkt an der mexikanischen Grenze. „Er ist ein smarter Geschäftsmann und weiß, dass er damit die Inflation in den USA ankurbeln würde.“ Russell hält die Drohungen folglich für Verhandlungstaktik. „Trump wirft zuerst eine Granate, lässt sie explodieren und beginnt erst dann zu verhandeln“, sagt Russell: „Er versucht die zerborstenen Stücke neu zusammenzusetzen, immer etwas mehr nach seinem Geschmack.“
Aber was, wenn nach der Explosion gar nichts mehr zum Zusammensetzen übrig bleibt? Russell setzte schon vor 38 Jahren auf Mexiko. Zuerst wollte er jenseits des Rio Grande fertigen. Doch schon bald entdeckte er eine andere Nische: Dienstleistungen für Unternehmen, die in Mexiko investieren wollten. Seine Firma Tecma sucht passendes Personal, Produktionshallen und Warenlager, kümmert sich um alle notwendigen Zulassungen und Zertifikate, hilft beim Zoll und Transport. Inzwischen hat Russell über 84 internationale Kunden, die er bis heute betreut.
„Trump weiß, dass die US-Wirtschaft 15 Mal größer ist als die von Mexiko“, sagt Russell. „Manchmal sei es schon etwas beschämend, wie er die Geschäfte führt“, so der Texaner. Und die Mexikaner? Bleiben erstaunlich gelassen, dabei hat der US-Präsident gerade erst im Streit mit Kolumbien bewiesen, wie ernst er es meint.
Der US-Präsident hatte Bogotá mit einem Zoll von 50 Prozent gedroht, nachdem das Land zwei US-Flugzeugen mit illegalen Migranten die Landungserlaubnis verweigerte. Am Ende erklärte sich Bogotá doch bereit, die Menschen zurückzunehmen. Ist der Erpressungsversuch etwa kein Grund zur Sorge?
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Investitionen liegen auf Eis
Trump pflege enge Kontakte zu Unternehmen, die „ein Interesse daran haben, dass die Dinge mit Mexiko gut laufen“, sagt Mexikos Wirtschaftsminister Marcelo Ebrard. „Es gibt zwar erhebliche, zumindest ausgesprochene Bedrohungen – aber wir haben auch Vorteile.“ Ebrard weiß, worauf es ankommt.
Als Außenminister hat er schon 2019 mit Trumps erster Regierung Nachbesserungen zum NAFTA-Vertrag verhandelt. Auch dieses Mal dürfte er amerikanische Unternehmen mit Investitionen in Mexiko wieder auf seiner Seite haben. Denn klar ist: Die US-Zölle schaden der Wirtschaft auf beiden Seiten erheblich.
Fast 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA, 44 Prozent der mexikanischen Importe kommen von dort. Dennoch fürchtet sich Ebrard nicht. „Wir hatten dieses Szenario erwartet und bereiten uns seit mehreren Monaten darauf vor“, sagt der Wirtschaftsminister.
Mexiko hatte am Samstag bereits auf die von der Trump-Administration verhängten Zölle reagiert. Das Land hat, genau wie Kanada auch, im Gegenzug hohe Zölle auf US-Waren angekündigt. Auf der Online-Plattform X teilte die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum mit, sie habe ihren Wirtschaftsminister angewiesen, Zölle auf US-Waren zu erheben und weitere Maßnahmen zu ergreifen, „um die Interessen Mexikos zu verteidigen“.
Schon jetzt warten einige große Unternehmen lieber ab, bevor sie weiter investieren: Tesla-Chef und Trump-Intimus Elon Musk hat den Bau einer Gigafabrik in Nuevo León zunächst auf Eis gelegt. Auch der chinesische E-Auto-Bauer BYD stoppte vorerst schon festgezurrte Investitionen.
Andere internationale Konzerne wollen ihr Geschäft in Mexiko dagegen erweitern. Foxconn baut beispielsweise eine Halbleiterfabrik in Guadalajara, Volvo will schwere Lastwagen in Monterrey herstellen, Ford plant ein Werk in Guanajuato. Seit einigen Jahren strömen auch chinesische Investoren ins Land, wie die Gruppe Hofusan, die in Salinas bei Monterrey einen Industriepark errichtet hat. Aber die etablierten Firmen haben neue Einstellungen vorerst weitgehend gestoppt. Sie warten weitere Entwicklungen ab.
Wir werden diversifizieren müssen, uns anderen Ländern stärker zuwenden und dort neue Märkte erschließen“, sagt Adriana Eguia, Präsidentin der Tijuana Economic Development Corporation, die seit zehn Jahren mit ausländischen Investoren zusammenarbeitet. Sie glaubt, für bestimmte mexikanische Waren könnte es schwer werden, Ersatz zu finden. „In den USA gibt es keine Alternative zu unseren Tomaten oder Avocado“, sagt sie: „Ein Zoll treibt nur den Preis für den US-Endverbraucher in die Höhe.“
In einigen Punkten gibt Eguia Trump allerdings recht. Das Freihandelsabkommen habe Lücken, die vor allem von Chinesen für den Eintritt in die USA genutzt würden. Onlinehändler wie Temu verschickten ihre Waren etwa zollfrei nach Mexiko, wo sie in Amazon-Vertriebszentren umgepackt und weitergeleitet werden würden. Auch andere Regeln würden gebrochen. So muss der Anteil der Wertschöpfung in Mexiko bei 75 Prozent liegen, bevor die Waren in die USA gehen. „Darüber müssen wir einfach reden“, sagt Eguia: „Unsere Wirtschaften sind sehr eng verflochten, keine würde schadlos einen Handelskrieg überstehen.“
Vom Strip-Club zum Start-up
Das gilt vor allem für Tijuana. Die Stadt, die als Sündennabel der Welt gilt. Alkohol, Prostitution und Drogen machten sie in den 1920er-Jahren berüchtigt. Während der Prohibition in den USA wurden in Tijuana riesige Casinos gebaut, in denen die Mafiabosse mit Jetons aus purem Gold spielten. Strip-Clubs, Bars und Bordelle säumten die Straßen. Tijuana, das war Las Vegas, bevor Las Vegas zu Las Vegas wurde, heißt es in den USA.
Heute leben etwa 2,5 Millionen Menschen in Tijuana, es gibt 45 Industrieparks, in denen 270.000 Menschen arbeiten. Seit Jahren boomt die Technologiebranche. Tijuana ist Mexikos größter Produzent von medizinischen Geräten. Auch der Luft- und Raumfahrtsektor verzeichnet ein robustes Wachstum. In die alten Puffs und Strip-Bars sind innovative Start-ups und schicke Restaurants eingezogen, verfallende Häuser wurden zu Galerien und Museen umgebaut. Sie verleihen der Stadt eine neue Identität.
Die Lage direkt an der US-Grenze ist Tijuanas großer Trumpf. „Die meisten unserer Kunden sitzen in einer Fahrdistanz auf der anderen Seite der Grenze“, sagt Marco Barraza, Entwicklungsdirektor von Arkus Nexus. Das Softwareunternehmen, das vor 15 Jahren in Tijuana gegründet wurde, arbeitet für die großen US-Konzerne wie Playboy, Coca-Cola oder Garmin. „Bei komplexen Aufgaben, wo intensive Absprachen mit dem Auftraggeber notwendig sind, ist die räumliche Nähe ein riesiger Vorteil.“
Tijuana ist mit der US-Schwesterstadt San Diego quasi zu einer Megametropole zusammengewachsen. Jeden Tag gehen etwa 120.000 Menschen in Tijuana über die Grenze: Mexikaner, die im kalifornischen San Diego arbeiten und US-Start-up-Mitarbeiter, die sich in der Techszene von Tijuana einen Platz geschaffen haben. „Bei uns hat sich ein halbes Dutzend US-Start-ups eingemietet“, sagt Carlos Caro del Castillo, Direktor des Büroanbieters BIT-Center: „Bei diesem Grad von Integration kann selbst Trump San Diego und Tijuana nicht trennen.“
Hoffen auf China
Für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Mexiko wird auch entscheidend sein, wie Trump mit den Migranten umgeht. Etwa vier bis fünf Millionen Mexikaner leben in den USA ohne gültige Papiere – und werden von den Unternehmen dringend gebraucht. „Wer wird dann in der US-Landwirtschaft arbeiten, Erdbeeren pflücken und Spargeln stechen?“, fragt Codan-Chef Juan Jaquez. 75 Prozent der Farmarbeiter in den USA hätten keine legale Aufenthaltserlaubnis. Ohne sie „würde den Landwirten der Bankrott drohen!“ Genauso wie der Bauwirtschaft und der Fast-Food-Branche.
Massenabschiebungen würden auch viele mexikanische Familien hart treffen, die von den Geldüberweisungen leben, die sie von ihren in den USA arbeitenden Verwandten bekommen. 2023 hat die mexikanische Diaspora in den USA über 63 Milliarden Dollar nach Hause überwiesen, etwa 3,2 Prozent des mexikanischen BIPs.
Einige mexikanische Unternehmensbosse hoffen aber sogar darauf, von den Plänen des US-Präsidenten deutlich zu profitieren. „Wenn Trump Zölle auf chinesische Exporte erhöht, wird das alternative Produktionsstandorte stärken“, spekuliert Isaac Presburger, Geschäftsführer von Preslow, einer Bekleidungsfirma, die in die USA exportiert: „Trump hasst China mehr als Mexiko“, ist Presburger überzeugt, „das ist unsere große Chance.“ Sofern Trump nicht zum Doppelschlag ausholt.
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