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Sagt diese Managerin die Wahrheit? In naher Zukunft könnte dies ein Algorithmus erkennen. Foto: DigitalVision/Getty Images
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Überführt KI bald flunkernde Manager?

Analysten könnten künftig Software einsetzen, um Chefs auf die Schliche zu kommen, die nicht ganz die Wahrheit sagen. Wie sollten sie damit umgehen?

Viele Finanzchefs fühlen sich verpflichtet, nichts Schlechtes übers eigene Unternehmen zu sagen. Und das bedeutet auch, manch ein Detail zu verschweigen, das das schöne Bild trüben könnte. Doch dies dürfte schwieriger werden in Zeiten, in denen künstliche Intelligenz (KI) hilft, Dinge zu erkennen, die den meisten Menschen verborgen bleiben. Aktionärsvertretern etwa, die in Telefonschalten und bei Hauptversammlungen ganz genau darauf achten, welche Worte die obersten Controller wählen – und welche sie weglassen. Mit den immer schlaueren und immer preiswerteren Algorithmen könnten sie bald schon das Gesagte, aber auch Mimik und Gestik genau durchleuchten. Und flunkernde Finanzchefs überführen.

Klingt wie Science-Fiction? Ist aber nicht weit weg von der Wirklichkeit. Wissenschaftler arbeiten nämlich an computergestützten Methoden, um Managern auf die Spur zu kommen, die Analysten und Investoren beschwindeln – und erzielen hierbei erste Erfolge.

So nahmen der Finanzwirtschaftler Doron Reichmann von der Universität Frankfurt und sein US-Kollege John C. Heater von der University of Minnesota Ende vergangenen Jahres ein Indiz für unwahre Aussagen ins Visier: Die Forscher untersuchten, wie lange Firmenchefs und CFOs benötigen, um Fragen von Analysten zu beantworten.

Wer lügt, braucht länger

„Wenn ein Manager lügt, dauert es oft ein klein wenig länger, bis er antwortet“, sagt Reichmann. „Denn er braucht etwas Zeit, um zu entscheiden, ob er die Wahrheit sagt oder nicht.“ Außerdem müsse er sich „eine plausible Lüge ausdenken“. Die Verzögerungen betragen meist weniger als eine Sekunde. Menschen können so etwas nur schwer entdecken. Zumal eine etwas spätere Antwort mitunter auch andere Ursachen haben kann. Etwa, wenn der Redner ungeübt oder aufgeregt ist.

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Um herauszufinden, welche Aussagekraft diese Verzögerungen bei Antworten besitzen, haben Heater und Reichmann 21.865 Telefonschalten US-amerikanischer Unternehmen mit Analysten und Aktionärsvertretern aus den Jahren 2015 bis 2021 mithilfe von KI untersucht. Die Worte zur finanziellen Entwicklung der Firmen, die dabei fielen, hat die Software mit den späteren Kursentwicklungen verglichen. „Hierbei stellte sich heraus, dass Aussagen des Managements, die einer längeren Zeitverzögerung folgen, mehr Fehlinformationen enthalten“, sagt Reichmann. Eine Verzögerung von einer Sekunde deute auf eine um zehn Prozent höhere Wahrscheinlichkeit einer Falschaussage hin, stellten die Wissenschaftler fest.

Dies bedeutet zwar noch nicht, dass die KI als treffgenauer Lügendetektor funktioniert. Doch die günstigen Tools, die Analysten einsetzen können, liefern zumindest Anhaltspunkte: So kann standardisierte Software wie Whisper von Open AI die Zeitverzögerungen bei den Antworten aufspüren. „Noch erheblich leistungsfähiger könnten die multimodalen Systeme sein, an denen die führenden Anbieter arbeiten“, sagt Reichmann und verweist auf Gemini 2.0 von Google. „Diese Systeme können nicht nur Texte auswerten, sondern auch Fotos, Bewegtbilder und Audiospuren.“ Wenn ein Finanzchef zu Recht eine optimistische Prognose abgibt, zeigt er dabei oft gleichzeitig ein Lächeln. Ist die Vorhersage jedoch allzu rosig, muss sich der Manager zu dem Lächeln zwingen, was ein wenig Zeit kostet.

Reden wie die Roboter

Wenn solche Techniken bei der Analyse von Videoschalten künftig häufiger zum Einsatz kommen, wären Manager gezwungen, ihre Sprache und ihren Auftritt noch stärker zu trainieren. Für Michael Ehlers, der Manager genau darin schult, ein Horrorszenario. Weil das Tool zu Fehlinterpretationen verleiten könnte.

Was, gibt er zu bedenken, „wenn sich der Sprecher die Zeit genommen hat, seine Worte bewusst zu formulieren, wenn er bewusst Pausen gesetzt hat oder aus irgendeinem Grund ins Stocken geraten ist?“ Wenn also die KI ihn missversteht? „Dann brechen die Aktienkurse ohne triftigen Grund ein.“ Um solche Gefahren zu umschiffen, würden dann womöglich „alle gleich sprechen und reden – nach den Vorgaben einer KI“, befürchtet Ehlers. Dies sei für ihn ein „rhetorischer Albtraum“.

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