Unsere Wurzeln: Warum wir zusammenhängende Stoffgeschichten brauchen
Analog und lebendig
Die Herstellungsprozesse von Produkten sind im Zeitalter der Globalisierung in weite Ferne gerückt oder kaum sichtbar. Auch die natürlichen Eigenschaften des Holzes sind vielen industriellen Holzprodukten heute nicht mehr anzusehen. Dadurch verlieren die Menschen auch die Beziehung zum Wesen der Dinge und deren Wertschätzung. Über 100 Jahre muss ein Baum wachsen, bis sein Holz für die Möbelherstellung zur Verfügung steht. Vom ersten Zuschnitt bis zum letzten Feinschliff ist ein langer Weg handwerklicher Verarbeitung erforderlich: Sägen, Fräsen, Schleifen und der Einsatz von Maschinen. Handgefertigte hochwertige Produkte aus Holz und ihre Herstelltechniken erinnern an eine Welt, die nicht digital, sondern „wirklich" präsent ist - analog und lebendig.
Der Werkstoff Holz ist das verbindende und identitätsstiftende Element zwischen uns und der Welt, der sich im besten Wortsinn von etwas Höherem ableitet: dem Baum. Wer ihn verstehen will, muss den Wald als Ganzes begreifen. Bislang gibt es kaum zusammenhängende „Stoffgeschichten“ über das Holz.
Waldwirtschaft, Aufforstung, Holzschlag, Köhlerei, Holztransport, Holzverteilungssysteme, Holzhandwerke, Bauwesen, Brennholzwirtschaft, Pech-, Teer- und Pottaschegewinnung, Holzschliff- und Zellstoffindustrie, wirtschaftlich-technische, gesellschaftliche und geisteswissenschaftliche Zusammenhänge werden in der Literatur meistens getrennt voneinander behandelt. Deshalb ist es – auch mit Blick auf die Zukunft - umso wichtiger, den Zusammenhang der verschiedenen Bereiche wieder bewusst zu machen und in eine nachhaltige Beziehung zu setzen. Das zeigt Joachim Radkau in seinem Buch „Holz“, das die Kulturgeschichte des Holzes erzählt und Einblicke in die Beziehung zwischen dem Stoff und seinem Nutznießer Mensch gibt: angefangen bei den Jägern der Steinzeit bis zur globalisierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.
Durch seine Forschungen in der Technik-, Umwelt- und Mentalitätengeschichte ordnet sich vieles für ihn in weitere Zusammenhänge ein. Ihm war schon immer bewusst, dass die Holz-Geschichte nicht verstanden werden kann, „wenn man nur auf das Holz schaut.“ Vor zwanzig Jahren war sie noch ein Holzweg im Sinne Martin Heideggers („Holzwege“, 1949): ein im Dickicht endender Pfad, wo der Spaziergänger enttäuscht umkehrt und nur der Waldarbeiter etwas zu tun hat:
Holz lautet ein alter Name für Wald.
Im Holz sind Wege, die meist verwachsen
jäh im Unbegangenen aufhören.
Sie heißen Holzwege.
Jeder verläuft gesondert, aber im selben Wald.
Oft scheint es, als gleiche einer dem anderen.
Doch es scheint nur so.
Die Verbindung von den Verhältnissen ergibt sich für Radkau von der vorindustriellen Zeit her, weil viele Holzverbraucher in direkter Beziehung zum Wald standen. Aufgezeigt wird aber auch, dass damals wie heute die verschiedenen Arten der Wald- und Holznutzung einander häufig in die Quere kamen - immer ging es um unterschiedliche Interessen und Zielkonflikte. Auch vor diesem Hintergrund ist es notwendig, „Wald und Holz“ mehr zusammen zu denken.
Blick zurück nach vorn: Schlaglichter auf die Geschichte von Wald und Holz
Von „Forstwirtschaft“ spricht die Forstgeschichtsschreibung erst seit der systematischen Regulierung des Waldes, die von den fürstlichen Forstverwaltungen seit dem 16. Jahrhundert proklamiert, meist aber erst seit der Zeit um 1800 realisiert wurde. Die Entstehung einer eigenen Maschinenindustrie im 19. Jahrhundert dagegen markiert im Werkzeugbau das Ende des „hölzernen Zeitalters“.
Die Forstordnungen des 16. Jahrhunderts regeln vor allem den Holzschlag: mit der Wiederaufforstung befassen sie sich noch kaum. Im späten 17. Jahrhundert begann eine lange Hochkonjunktur des Bauholzes, die bis weit in das 19. Jahrhundert hinein reichte. Im späten 18. Jahrhundert wurde in Deutschland damit begonnen, Brennholzwälder in Hochwälder umzurüsten, „obwohl man auf den Ertrag hundert Jahre und länger warten musste.“ Seit dem 18. Jahrhundert wurde die „Nachhaltigkeit“ als Leitziel aufgeklärter Waldwirtschaft hervorgehoben. Der Begriff selbst kommt aus der Forstwirtschaft und wurde 1713 erstmals von Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz verwendet. Er beinhaltet die Maxime, dass nur so viel Holz pro Periode geschlagen werden darf, wie auch nachwachsen wird. Wer einen Wald bewirtschaftet, kann zwar Bäume fällen und verkaufen, muss aber auch wieder neue anpflanzen für die nächsten Generationen.
Die Zeit um 1800 war der Höhepunkt der Angst vor Holznot und der technischen Holzspar-Bemühungen. In diese Zeit fällt (zunächst in Deutschland) der Durchbruch der Aufforstungsbewegung. Die Forstverwaltung überwachte nicht mehr nur den Holzschlag, sondern suchte auch das Wachstum des Waldes zu steuern. Die Aufmerksamkeit, welche Johann Wolfgang von Goethe damals dem Weimarer Forstwesen entgegenbrachte, wurde durch sein enges Verhältnis zum Herzog Carl August, dem passionierten Jäger und Botaniker befördert, aber auch durch seine amtliche Tätigkeit in der Regierung und Verwaltung des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach mit den Reisen durch das waldreiche Thüringer Land. Auch wirkte er an Baumanpflanzungen im Zuge seiner Garten- oder der Parkgestaltung an der Ilm mit.
Goethe ging mit seinen Bäumen wie mit Menschen um, denn ihre "stille, reine, leidenlose Vegetation" gab ihm in schweren Lebensstunden Trost und Erbauung. „Der Gedanke des Nutzens führt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine Fröhlichkeit, die ich sonst nicht empfinde.“ Er plante die Baumgruppen in seinem Garten und pflanzte Bäume und Sträucher selbst ein. Wenn die jungen Bäume unter Ungeziefer litten, drückte er selbst die „Räuber“ (Läuse) ab und verschmierte die Wunden mit Baumwachs. Da er mit niemanden über seine Liebe zu Charlotte von Stein sprechen konnte, sagte er es seinen Bäumen: „Wachset wie aus meinem Herzen, / Treibet in die Luft hinein, / Denn ich grub viel Freud und Schmerzen / Unter eure Wurzeln ein.“ Als er wieder einmal auf Reisen ging, verabschiedete er sich sogar von ihnen: „Lebet wohl, geliebte Bäume!“
Das Universum der Nachhaltigkeit braucht eine intakte Biodiversität von Mensch und Umwelt
Der Wald hat heute neben der Holzproduktion seine größte Bedeutung im Klimaschutz - nämlich die (über)lebensnotwendige CO2-Sequestrierung. Deshalb muss eine nachhaltige Optimierung zwischen der Holzproduktion und der Klimawirkung gesucht werden. Viele große private Waldbesitzer in Deutschland haben (häufig im Gegensatz zu den Staatsforsten) seit langem einen hohen Holzvorrat im Wald angestrebt. Damit verbunden ist die Befolgung einer dynamischen Nachhaltigkeitsregel (Holz + CO2-Sequestrierung). In absehbarer Zukunft muss viel weniger Holz geschlagen werden, denn für den Klimaschutz ist es zwingend, die Biomasse im Wald mindestens bis ins Jahr 2150 so hoch wie möglich anwachsen zu lassen. „Wald“ und „Nachhaltigkeit in der Waldbewirtschaftung“ wurde auch durch die Bundesregierung Deutschlands aufgegriffen und in der „Waldstrategie 2020 – Nachhaltige Waldbewirtschaftung – eine gesellschaftliche Chance und Herausforderung“ beschlossen. Das Positionspapier ist wegweisend für eine nachhaltige Bewirtschaftung unserer Wälder.
Mit der im Oktober 2018 begonnenen langfristigen Kooperation zwischen dem Bergwaldprojekt e.V. leisten der Verein und das Unternehmen memo AG einen aktiven Beitrag, um einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einer klima- und naturverträglichen, zukunftsfähigen Lebensweise zu erreichen. Der Öko-Pionier setzt sich für die Schonung wertvoller Ressourcen ein, verwendet ausschließlich Recyclingpapier und bietet seinen Kunden ein umfangreiches Sortiment an Holzprodukten aus verantwortungsvoller Forstwirtschaft an. Der Verein Bergwaldprojekt e.V. engagiert sich für den Schutz naturnaher Bergwälder der Mittelgebirge und der Alpen, die Schutz vor Erosion, Hochwasser, Trockenheit, Steinschlag und Lawinen bieten. Gemeinsam mit den Mooren sind sie wichtig für das Klima. Die Wälder filtern die Luft und speichern Kohlenstoff. Natürliche Bergwälder sind Lebensgemeinschaften für unzählige Arten und deshalb für die Biodiversität besonders wichtig. Sie sind wertvolle Erholungsräume und wichtige Wirtschaftsgüter für den Menschen. Mehr als die Hälfte Deutschlands besteht aus Berggebieten, die zum großen Teil bewaldet sind.
„Die globalen Klimaveränderungen und der dramatische Rückgang der Artenvielfalt stellen uns alle vor ungewohnte Herausforderungen. Alle gesellschaftlichen Kräfte sind gefordert, an einer nachhaltigen Entwicklung mitzuwirken“, sagt Stephen Wehner, Geschäftsführer und Vorstand des Bergwaldprojekt e.V. Es wurde 1987 auf Initiative von Wolfgang Lohbeck (Greenpeace Deutschland) und dem Schweizer Förster Renato Ruf im Zusammenhang mit der Waldsterbensdebatte gegründet. Der deutsche, gemeinnützige Verein Bergwaldprojekt e.V. wurde 1993 gegründet und setzt sich heute aus 25 ehrenamtlichen Mitgliedern zusammen. Er ist unabhängig, überparteilich und weltanschaulich neutral.
Zweck des Bergwaldprojekts ist der Schutz, der Erhalt und die Pflege des Waldes und der Kulturlandschaften sowie die Förderung des Verständnisses für die Zusammenhänge in der Natur, die Belange der verschiedenen Ökosysteme und die Abhängigkeit des Menschen von diesen Lebensgrundlagen. Aus diesem Grund führt das Bergwaldprojekt Freiwilligen-Einsätze mit jährlich weit über 2.000 Teilnehmenden durch. Ziele der Arbeitseinsätze sind, die vielfältigen Funktionen der Ökosysteme zu erhalten, den Teilnehmenden die Bedeutung und die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen bewusst zu machen und eine breite Öffentlichkeit für einen naturverträglichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu bewegen.
Die gleichen Beweggründe hat auch der Versandhändler memo AG: Er möchte seine Kunden von einem nachhaltigen und bewussten Arbeiten und Leben überzeugen, das nicht auf Kosten von anderen Menschen, Umwelt und Klima geht. Deshalb lässt das Unternehmen seit 1. Oktober 2018 jeweils einen standortheimischen Baum in verschiedenen Regionen Deutschlands vom Bergwaldprojekt pflanzen, wenn ein Gewerbe- oder Privatkunde FSC-zertifizierte Produkte ab einem Wert von 300 Euro kauft. Jeder Kunde erhält darüber ein entsprechendes Baumpflanz-Zertifikat.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Häcker Küchen: Im Rahmen der Hausmesse 2017, als Teil der Küchenmeile A30, wurde vom Unternehmen ein Projekt für den Naturschutz gestartet. Es entnimmt der Natur durch die Produktion Holz - und genau das soll durch eine Baumpatenschaft wieder „zurückgegeben“ werden. Gemeinsam mit Kunden und Geschäftspartnern entsteht gerade ein kleiner Wald zwischen dem Wiehenstadion und dem Parkplatz der Gesamtschule Rödinghausen. Zusammen mit Forstbezirksleiterin Anna Rosenland und Forstwirt Paul Fubel wurden im Jahr 2018 450 neue Jungbäume gepflanzt. Für die Paten gibt es keine Pflichten und auch keine Rechnung – sämtliche Kosten übernimmt das Unternehmen. Die einzige „Verpflichtung“ ist, dass jeder Kunde „seinen Baum“ pflanzen lässt, wobei es kein Limit gibt. Die Aktion ist auf Jahre ausgelegt. Gepflanzt wurden bisher z. B. Säuleneichen, Kirschbäume, Haselnusssträucher, Weißdorn und Schwarzdorn alles typische Arten, die zu einer gesunden Waldstruktur gehören.
Bei den genannten Unternehmen gehören solche Maßnahmen zur Nachhaltigkeitsstrategie. Für Lothar Hartmann, Leiter Nachhaltigkeitsmanagement bei memo, bieten sich in ihrem Rahmen durch die Bergwaldkooperation wirkungsvolle Projekte, mit denen es möglich ist, „gemeinsam unsere natürlichen Ressourcen schützen, ein Bewusstsein für die Gefährdungen der Waldökosysteme schaffen und die Notwendigkeit umweltschonenden Verhaltens fördern können.“
Die Unternehmensbeispiele zeigen, dass Holz nicht nur als Bau-, Werk- und Brennstoff unentbehrlich, sondern auch zukunftsfähig und sinnlich ist. Das mit dem multiplen Werkstoff verbundene Know-how gehört zu einem anthropologischen Urbestand der Menschheit und zum guten Leben. Die Auseinandersetzung damit ist ein Grundelement der menschlichen Körpergeschichte sowie der Geschichte menschlicher Kunstfertigkeit. „Leichtfertig wegwerfen oder in die Wertstoffhofpresse geben – das tut man mit einem Massivholzding nicht, es ist irgendwie gegen die Natur.“ (Max Scharnigg)
Weiterführende Literatur:
Joachim Radkau: Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt. Buchreihe: Stoffgeschichten (Band 3). Oekom Verlag 2018.
Max Scharnigg: Vom Baum der Erkenntnis. In: Süddeutsche Zeitung Magazin39 828.9.2018), S. 13-18.
Aus Tradition verantwortungsvoll. Nachhaltiges Handeln als Unternehmenswert. Hg. von Häcker Küchen. Rödinghausen 2018, S. 24.
Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Wohnen 21.0: Grundzüge des Seins von A bis Z: global – lokal – nachhaltig. Kindle Edition 2018.