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Unternehmenskultur: Was Zynismus anrichtet

Misstrauen und Zynismus sind weit­verbreitet in Unternehmen – und richten großen Schaden an. Die Überzeugung, dass Menschen egoistisch, gierig und unaufrichtig sind, zerstört die Zusammenarbeit. Wie Führungskräfte umsteuern und die Kultur erneuern.

Von Jamil Zaki

Der CEO-Posten bei Microsoft sollte für Führungskräfte in der Techbranche eigentlich der heilige Gral sein. 2014 war dies jedoch nicht der Fall. Das Wachstum des Unternehmens stagnierte. Microsoft hatte seine Vorreiterrolle bei Smartphones und anderen Technologien verspielt und Marktanteile an Apple, Google und Amazon verloren. Der altehrwürdige Konzern schien nicht mehr mithalten zu können – wie ein in die Jahre gekommener Ozeandampfer, der in die falsche Richtung steuert.

Die Bloomberg-Journalistin Dina Bass beschrieb die Situation in einem Artikel mit dem unverblümten Titel „Warum Sie nicht der CEO von Microsoft sein wollen“. Fünf Tage später übernahm Satya Nadella das Ruder.

Die Probleme des Konzerns hatten eine tiefere Ursache: Bei Microsoft herrschte eine Kultur des Misstrauens, geprägt von Ellbogenmentalität und Silodenken. Sie zerstörte die Moral und erstickte Innovationen im Keim. In seinem im Jahr 2017 erschienenen Buch „Hit Refresh“ beschreibt Nadella eine Illustration des ­Microsoft-Organigramms aus der Feder des Designers Manu Cornet. Sie zeigt die Unternehmensbereiche in Konfrontationsstellung zueinander. Sie sind von Kreisen umzogen und zielen mit Waffen aufeinander. Die Karikatur war witzig gemeint. Die Probleme, auf die sie anspielte, waren es nicht.

Viele Unternehmen kämpfen heute mit ähnlichen Herausforderungen. Zynismus und Skepsis haben Einzug gehalten – der Glaube, dass andere Menschen egoistisch, gierig und unaufrichtig sind. Dan Chiaburu von der Texas A&M University hat mit seinem Forschungsteam herausgefunden, dass Zynismus in Unternehmen ein Anzeichen für eine ganze Reihe von Problemen ist: von schlechter Leistung über Burn-out und Kündigungen bis hin zu Betrug. Zynismus verbreitet sich zudem wie ein Lauffeuer: Menschen, die ein negatives Bild von anderen haben, streuen eher Gerüchte und fallen ihren Kollegen in den Rücken, was wiederum das Schlechteste in ihren Mitmenschen hervorbringt. Und so bestätigt sich das Misstrauen der Zyniker und wird zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

Glücklicherweise lassen sich solche Szenarien verhindern. Jahrzehntelange Forschungen von mir und anderen Wissenschaftlern zeigen, warum Menschen in die Zynismusfalle tappen, wie die Regeln und Praktiken eines Unternehmens dies begünstigen und was Führungskräfte dagegen tun können.

Wenn wir die Welt durch die Zynismusbrille betrachten, erscheinen uns andere Menschen als selbstsüchtig. Wir glauben, jede gute Tat beruhe auf einem Hinter­gedanken, und wer anderen vertraut, sei selbst schuld. In Zeiten von WeWork und Theranos ist eine solche Denkweise verständlich. Doch zu viel Zynismus kann toxisch sein. Für die betroffene Person selbst, denn zynische Menschen verdienen im Laufe ihres Leben weniger Geld als andere, wie Studien zeigen. Sie sind häufiger depressiv und haben ein höheres Risiko für Herzkrankheiten. Auch Unternehmen nehmen durch Zynismus Schaden, Microsoft ist eines von vielen Beispielen, wie das Arbeitsklima leidet.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Zynismus und Skepsis zugenommen. Im Jahr 1972 glaubten 45 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung, dass man „den meisten Menschen vertrauen kann“, wie der General Social Survey ergab. 2018 waren es nur noch 30 Prozent. Im Edelman Trust Barometer aus dem Jahr 2022 sagten knapp 60 Prozent der Befragten aus 27 Ländern, ihre Schwäche sei es, anderen zu misstrauen. Im selben Zeitraum ist das Vertrauen in die Politik, Institutionen und Unternehmen ebenfalls in den Keller gerutscht.

Warum ist Zynismus so verbreitet, obwohl er uns so sehr schadet? Einige Gründe sind kulturbedingt: In Ländern mit viel Korruption und sozialer Ungleichheit kann Zynismus leichter Fuß fassen. Auch bestimmte Berufe fördern zynisches Verhalten: Journalistinnen und Journalisten sind erfolgreich, wenn sie Lügen aufdecken. Start-up-Gründer werden dazu verleitet, ihre Chancen zu übertreiben. Dadurch entsteht Misstrauen.

Zynismus macht sich außerdem Fehler in unserem Denken und unserem Fühlen zunutze. Doch dagegen lässt sich vorgehen. Wenn Sie drei große Treiber bekämpfen – den Fokus auf das Schlechte, Präventivschläge und die Zyniker-sind-Genies-­Illusion –, können Sie einen großen Schritt tun, um Zynismus aus Ihrem Unternehmen zu verbannen.

Fokus auf das Schlechte. Die größte Gefahr für uns sind andere Menschen, die betrügen, stehlen und unser Vertrauen missbrauchen. Die Natur hat uns gegen solche sozialen Bedrohungen mit einem psychologischen Abwehrmechanismus ausgestattet. Schon von klein auf er­kennen wir sehr gut, wenn uns jemand zu täuschen versucht. Dieses Betrugserkennungssystem hilft uns, zwischen bösen und guten Menschen zu unterscheiden. Es kann uns aber auch zu dem Glauben verleiten, dass Menschen per se schlecht sind. Dann konzentrieren wir uns nur noch auf ihre negativen Eigenschaften. Die Psychologie spricht hier von „Positiv-negativ-Asymmetrie“. Ich nenne es „Fokus auf das Schlechte“.

Einem russischen Sprichwort zufolge verdirbt ein Tropfen Teer ein ganzes Fass Honig. Soziale Urteile fällen wir mitunter nach dem gleichen Prinzip.

Ein Tropfen Teer verdirbt ein ganzes Fass Honig.

In zwei wegweisenden Studien erzählten die Wissenschaftler John Skowronski und Donal Carlston den Teilnehmenden von einer Person, die entweder moralisch handelte (sie half Fremden), unmoralisch handelte (sie hinterzog Steuern) oder beides kombinierte. Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer verurteilten die unmoralisch Handelnden schneller, als sie die moralisch Handelnden lobten, und sie stuften Personen, die beide Verhaltensweisen zeigten, als moralisch fragwürdig ein.

Mit anderen Worten: Wir halten unsere Mitmenschen für viel schlechter, als sie eigentlich sind. Und wenn wir mit diesem falschen Bild im Kopf mit ihnen interagieren, kann unser Verhalten Verletzungen verursachen und Zynismus fördern.

Präventivschläge. Zynische Menschen handeln oft nach dem Prinzip: Angriff ist die beste Verteidigung. Meine Forschungen haben gezeigt, dass Menschen, die Aussagen wie „Die meisten Menschen sind generell gut“ verneinen, weniger bereit sind, Zeit und Geld zu investieren, um anderen zu helfen. Eine andere Studie von Malia Mason von der Columbia University kommt zu dem Ergebnis, dass Personen, die ihre Mitmenschen als unaufrichtig ­betrachten, in Verhandlungen selbst zu Unehrlichkeit neigen.

Präventivschläge mögen klug wirken, doch sie schaden allen Beteiligten. Menschen erwidern wohlwollendes Verhalten und rächen sich für Gemeinheiten. Zynisches Verhalten bringt also das Schlechteste in anderen hervor.

In einer Studie aus dem Jahr 2020 untersuchten Psychologen diese selbsterfüllende Prophezeiung genauer. Dazu befragten sie die Teilnehmenden eine Woche lang jeden Tag zu ihren sozialen Interaktionen. Das Ergebnis: Zynische Menschen behandelten ihre Freundinnen und Kollegen häufiger schlecht, und diese verhielten sich ihnen gegenüber dann ebenfalls respektloser.

In einer anderen Studie ließen die ­Psychologen Harold Kelley und Anthony Stahelski jeweils zwei Personen ein Spiel spielen, bei dem sie sich entweder kooperativ verhalten oder schummeln konnten. Da Zynikerinnen und Zyniker meistens davon ausgehen, dass ihr Gegenüber ­mogelt, schummelten sie selbst häufiger bei ihrem ersten Spielzug. In den Folgerunden hatten dann auch ihre Spiel­partner weniger Vertrauen und betrogen ihrerseits häufiger – ein Phänomen, das die Wissenschaftler „Verhaltensassimilation“ nennen.

Die Zyniker-sind-Genies-Illusion. Selbst ernannte Zyniker betrachten ihren Zynismus häufig als hart erworbene Weisheit. Sie halten alle, die diese nicht be­sitzen, für naiv. In einer von Olga Stavrova von der Tilburg University geleiteten Studie hielten 70 Prozent der Teilnehmenden zynische Menschen für grundsätzlich klüger. Dabei schneiden diese in kognitiven Tests schlechter ab, und es fehlt ihnen an sozialer Kompetenz.

In einer anderen Studie simulierten Nancy Carter und J. Mark Weber von der University of Toronto Mississauga Vorstellungsgespräche, in denen die eine Hälfte der Kandidaten lügen und die andere Hälfte die Wahrheit sagen sollte. Die Teilnehmenden sahen sich Videoaufzeichnungen der Gespräche an und sollten raten, wer gelogen hatte. 85 Prozent von ihnen waren der Ansicht, zynische Menschen würden Lügner besser erkennen. Gleichwohl lagen die Teilnehmenden, die sich selbst als Zyniker eingestuft hatten, mit ihren Vermutungen häufiger daneben.

Zynikerinnen und Skeptiker mögen ihre Mitmenschen zwar dafür verurteilen, dass sie blind vertrauen. Doch sie selbst scheinen häufig auf der anderen Seite blind zu sein: Sie hegen grundlos Misstrauen gegen andere. Indem sie jede und jeden durch dieselbe dunkle Brille betrachten, erkennen sie nicht die Signale, die kooperative von betrügerischen Menschen unterscheiden.

Es ist nicht allein die menschliche Psychologie, die Misstrauen fördert. Auch die Regeln und Praktiken in Unternehmen können auf Zynismus basieren und diesen begünstigen. Ein Beispiel hierfür ist Microsoft. Steve Ballmer, Nadellas Vorgänger, traf Entscheidungen und erließ Richtlinien, die Misstrauen und Konflikte förderten. Zwei seiner schädlichen Prinzipien sind auch in anderen Unternehmen weitverbreitet.

Übersteigerter Wettbewerb. Ballmer führte bei Microsoft ein Mitarbeiterbewertungssystem mit Namen „Stack Ranking“ ein. Danach erhielten die leistungsstärksten Mitarbeiter der einzelnen Teams eine Prämie, während diejenigen, die nicht die gewünschte Leistung erbrachten, verwarnt oder entlassen wurden. So wollte Ballmer den „natürlichen“ Wettbewerbsgeist der Beschäftigten fördern.

Es führte allerdings auch dazu, dass die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz als Nullsummenspiel betrachteten. In einem 2012 in der Zeitschrift „Vanity Fair“ erschienenen Artikel beschrieb der Journalist Kurt Eichenwald die Folgen: „Die Beschäftigten wurden nicht nur für gute Arbeit ­belohnt, sondern auch dafür, dass sie ihre Kollegen zum Scheitern brachten. Das Unternehmen verstrickte sich so in einer endlosen Serie interner Kämpfe. Potenzielle Marktschlager wie E-Books und Smartphonetechnologien wurden aufgrund von internen Streitigkeiten und Machtspielchen im Keim erstickt, sabotiert oder verzögert.“

Zwar setzen Unternehmen heute kaum noch Stack Ranking ein. Doch vielerorts herrscht nach wie vor eine „Kultur der Genies“, die dem einsamen, kreativen Helden huldigt, der neue Ideen ent­wickelt. Eine solche Kultur spornt die ­Beschäftigten dazu an, besser sein zu ­wollen als ihre Kollegen, und fördert einen ungesunden Wettbewerb. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegeneinander ausgespielt werden, sehen sie wenig Anlass, gemeinsam an Ideen zu arbeiten, und behalten ihr Wissen lieber für sich. Das schadet den kollegialen ­Beziehungen und der Innovationskraft des Unternehmens.

Ein Forscherteam um Elizabeth Canning, Professorin an der Washington State University, hat herausgefunden: In „Fortune“-500-Unternehmen mit einer Kultur der Genies ist das Vertrauen der Beschäftigten geringer, außerdem schneiden diese Arbeitgeber auf der Bewertungsplattform Glassdoor schlechter ab.

Übertriebene Kontrolle. In seinem Buch „The HP Way“ erzählt der Firmengründer David Packard eine Geschichte aus seinen frühen Tagen bei General Electric. Das Unternehmen verschärfte damals seine Überwachungsmechanismen, um dem Diebstahl seiner Computerteile vorzubeugen. „Angesichts dieses offenkundigen Misstrauens machten es sich die Beschäftigten zur Aufgabe, dieses zu rechtfertigen, und entwendeten Werkzeuge und Teile, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot“, schreibt Packard.

Führungskräfte, die ihrem Team nicht vertrauen, sind restriktiver und üben mehr Druck aus. Sie überwachen ihre Mitarbeitenden, um sicherzustellen, dass diese zumindest Dienst nach Vorschrift machen, sich nicht vor Aufgaben drücken und nicht betrügen. Die Beschäftigten nehmen dieses Misstrauen deutlich wahr. Im Gegenzug sinken ihr Vertrauen in das Unternehmen und ihre Motivation. Und ironischerweise steigt gleichzeitig ihre Bereitschaft, das System auszutricksen.

Seit der Pandemie können Vorgesetzte ihren Beschäftigten zwar oft nicht mehr direkt über die Schulter schauen, um ihre Arbeit zu kontrollieren. Dies ermöglichen nun allerdings eine ganze Reihe von ­dystopisch anmutenden Tools, mit denen Arbeitgeber zum Beispiel die Bildschirme und Tastatureingaben ihrer Mitarbeiter überwachen können. (Vor allem in den USA ist das ein Problem. Lesen Sie hierzu den Artikel „Mitarbeiter sind keine Maschinen“ des Wharton-School-Professors Peter Cappelli – Anm. d. Red.) Infolgedessen sind im Onlinehandel die Verkaufszahlen für sogenannte „Mouse Jiggler“ in die Höhe geschossen. Das sind Tools, die Bewegungen des Mauszeigers simulieren und damit den Anschein erwecken, die Person würde arbeiten.

Auf der Website von Amazon findet sich folgende Bewertung zu einem solchen Produkt: „Wenn dein Chef ein nutzloser, dummer Kontrollfreak ist, der nicht versteht, dass Präsenz nicht gleich Produktivität ist, dann ist dies das richtige Gerät für dich. Und wenn du einer dieser Chefs bist und diese Bewertung liest, dann sei dir gesagt: Keiner mag dich.“

Wenn Arbeitgeber ihre Beschäftigten zwingen, mindestens Dienst nach Vorschrift zu machen, tun diese häufig genau das und nicht mehr – und die Arbeits­moral sinkt. Im Dezember 2021 veröffentlichte das Beratungsunternehmen EY neue Daten zu Beschäftigten, die in der ersten großen Kündigungswelle seit 2021 ihren Job freiwillig aufgegeben hatten. Viele von ihnen sagten, sie hätten das ­Gefühl, ihre Vorgesetzten interessierten sich nicht für sie oder vertrauten ihnen nicht.

Misstrauen und Wettbewerb scheinen auf direktem Wege zum Misserfolg zu führen. Glücklicherweise gibt es Strategien, mit denen Managerinnen und Manager das Ruder herumreißen können. Um Ihrem Unternehmen „Antizynismus“ zu injizieren, brauchen Sie zwei Ansätze: zum einen Regeln und Prozesse, die eine Kultur der Zusammenarbeit und des Ver­trauens entstehen lassen, und zum anderen Führungskräfte, die Vertrauen vorleben und so Zynismus keine Chance geben.

Die Kultur verändern. In seinem Buch schreibt Microsoft-Chef Nadella, dass ihn die Karikatur des Organigramms ziemlich beschäftigt habe. „Aber was mich noch mehr beunruhigt hat, war die Tatsache, dass unsere eigenen Leute sie einfach so akzeptiert haben.“ Nadella und Kathleen Hogan, Chief People Officer des Unternehmens, führten daraufhin neue Regeln ein, zum Beispiel ein neues Bewertungs- und Anreizsystem. Die Beschäftigten wurden nicht länger dafür belohnt, wenn sie Kolleginnen und Kollegen übertrafen, und ebenso wenig dafür bestraft, wenn ihre Leistung abfiel.

Stattdessen zeichnete Microsoft kooperatives Verhalten aus, etwa wenn Mitarbeiter füreinander einstanden oder gemeinsam Dinge entwickelten. Dadurch kamen diese aus ihrer Verteidigungs­haltung heraus und teilten Wissen, Kompetenzen und Sichtweisen miteinander. Diese „Aufgabeninterdependenz“, bei der der Erfolg des Einzelnen vom Erfolg der Gruppe abhängt, fördert das Vertrauen und erhöht die Teamleistung.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Nadella im Hinblick auf die Konkurrenz. Während einer Keynote auf einer Branchenkonferenz zog er ein iPhone aus der Tasche, das zum ersten Mal Office, Outlook und andere Microsoft-Produkte enthielt – ein Schritt, der noch ein Jahr zuvor undenkbar gewesen wäre. Indem er zeigte, wie Microsoft und Apple sich gegenseitig ergänzen konnten, entschär­fte er nicht nur deren Konkurrenzverhältnis, sondern schuf auch einen Vorteil für die Kunden.

„Kooperationen werden zu häufig als Nullsummenspiel gesehen“, schreibt ­Nadella in seinem Buch. Er machte es ­anders und suchte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens nach Win-win-Lösungen. Dabei setzte er darauf, dass Menschen nicht nur egoistisch sind, sondern auch von Natur aus gern zusammenarbeiten.

Wenn wir die Welt als Nullsummenspiel betrachten, wird sie kleiner – genauso wie unsere Kooperationen. Antizynismus mag naiv erscheinen, ist jedoch langfristig die klügere Strategie.

Vertrauen vorleben. Nadella ermutigte seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sich weiterzubilden und größere kreative Risiken einzugehen. Dazu veranstaltete er zum Beispiel groß angelegte Hacka­thons – kollaborative Programmierwettbewerbe, bei denen Beschäftigte in Gruppen uneingeschränkt neue Ideen ent­wickelten. Auch dank dieser Ideen gelang es Microsoft, in die Bereiche Cloud-­Computing und künstliche Intelligenz vorzustoßen. Gleichzeitig baute der Konzern bürokratische Hürden ab, und das Führungsteam stellte sich hinter die Veränderungen.

Menschen, denen wir Vertrauen entgegenbringen, trauen sich mehr zu. Sie zeigen ein Verhalten, das Ökonomen „verdientes Vertrauen“ (earned trust) nennen. In einer Studie von Gerardo Guerra und Daniel John Zizzo spielten die Teilnehmenden ein Spiel, bei dem die „Trusters“ (die Vertrauen schenken) den „Trustees“ (die das Vertrauen erhalten) Geld schickten, woraufhin sich dieses vervielfachte. Die Trustees konnten dann entscheiden, wie viel von dieser größeren Summe sie den Trusters zurückzahlten.

In einer anderen Studie von Guerra, Zizzo und Michael Bacharach sollten die Teilnehmenden im Vorfeld vermuten, was die Trustees mit dem Geld tun würden. Die Trustees, denen man mitteilte, welche hohen Erwartungen die Trusters an sie hatten, zahlten das Geld mit größerer Wahrscheinlichkeit zurück. Diese und viele andere Untersuchungen belegen: Nicht nur zynische Erwartungen erfüllen sich oft, sondern auch hoffnungsvolle.

Indem Führungskräfte deutlich machen, dass sie anderen vertrauen, können sie auf einfache Weise Misstrauen und Paranoia im Unternehmen abbauen. Sie sollten Mitarbeitern den Freiraum geben, selbst Entscheidungen zu treffen. In einer Vertrauenskultur sind Teams zu Spitzenleistungen fähig. Studien unter Lehrkräften, Mitarbeitern im Einzelhandel und Militärangehörigen zeigen: Menschen, die Vertrauen erfahren, besitzen ein größeres Selbstwertgefühl, haben ein besseres Verhältnis zu ihren Vorgesetzten und bringen am Ende bessere Leistungen.

Der US-Einzelhändler Nordstrom nimmt dies sehr ernst. Das „Mitarbeiterhandbuch“ des Unternehmens besteht aus einer einzigen Karte, auf der unter anderem steht: „Stecken Sie sich hohe persönliche und berufliche Ziele. Wir ­haben großes Vertrauen, dass Sie diese erreichen, deshalb ist unser Mitarbeiterhandbuch einfach gehalten. Es gibt nur eine Regel: Nutzen Sie stets Ihren gesunden Menschenverstand.“

Die Beschäftigten bei Nordstrom erfahren viel Unterstützung – sie können sich jederzeit an die Personalabteilung oder das Management wenden –, und sie erleben explizit Vertrauen, was im Einzelhandel alles andere als üblich ist. Insofern überrascht es nicht, dass sie äußerst zufrieden sind. 2017 war Nordstrom der einzige Bekleidungseinzelhändler auf der Liste der 100 besten Arbeitgeber des „Fortune“-Magazins. Was der Fall Nordstrom auch lehrt: Wenn Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vertrauen, sollten Sie dies sehr deutlich zeigen. Geben Sie ihnen zu verstehen, dass Sie an sie glauben. Durch ihre Augen sehen sie sich dann in einem positiveren Licht und wollen diesem Bild gerecht werden.

Bei Microsoft haben sich antizynische Praktiken ausgezahlt. Unter Nadella ist die Marktkapitalisierung in die Höhe geschossen, weil der Konzern zügig das Geschäft mit Cloud-Computing und künstlicher Intelligenz ausbauen konnte. Die neue Innovationskraft entstand durch eine Kultur der Kooperation, Empathie und Gemeinschaft.

Unternehmen müssen nicht nur die Kultur verändern, sondern auch die Art, wie Führungskräfte mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen. Die gute Nachricht: Antizynismus ist lernbar.

2020 habe ich mit der SAP Academy for Engineering und Mentora ein multidisziplinäres Schulungsprogramm entwickelt, an dem mehr als 100 Führungskräfte weltweit teilnahmen. Die SAP Academy ist bekannt für die Vermittlung technischer Kompetenzen; Soft Skills wie Empathie und Antizynismus standen bislang eher nicht auf dem Lehrplan. In unserem Training forderten wir die Führungskräfte dazu auf, diese Praktiken als genauso wichtig und erlernbar zu betrachten wie eine Programmiersprache.

Die Teilnehmer erfahren, welche Gefahren zynisches Denken und Verhalten birgt, und erlernen Gegenstrategien. Eine Säule ist Vertrauensbildung. Wir zeigen ihnen, dass sich Vertrauen in der Belegschaft am besten aufbauen lässt, wenn man es vorlebt. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Der Net Promoter Score im Bereich Vertrauen in die Führung – eine Kennzahl, die misst, wie zufrieden Mitarbeiter mit ihren Vorgesetzten sind – verbesserte sich um mehr als 10 Prozent.

Das ermutigte uns ebenso wie die Erfahrungen der teilnehmenden Führungskräfte. Ein Beispiel: Alejandra war innerhalb von SAP Brasilien kometenhaft aufgestiegen. Nach nur 14 Monaten hatte sie ein Team von 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unter sich, von denen viele länger im Unternehmen waren als sie selbst. Ihr Aufstieg sorgte für einigen ­Unmut. Alejandra hatte das Gefühl, sie müsse sich beweisen, indem sie ihr Team eng führte. Das stresste jedoch nicht nur ihre Mitarbeiter, sondern auch sie selbst.

Nach einer Antizynismus-Einheit aus unserem Training setzte sich Alejandra mit einer neuen Mitarbeiterin zusammen. Diese war ehrgeizig, talentiert und wünsch­te sich mehr Autonomie. Gleichzeitig aber hatte sie Angst zu versagen. Vor der Sitzung hätte Alejandra die Mitarbeiterin nicht aus den Augen gelassen. Jetzt entschied sie sich für einen anderen Ansatz: „Ich weiß, dass du das kannst“, sagte sie, „und wenn du mir vertraust, solltest du auch meinem Urteilsvermögen vertrauen.“ Sechs Monate später bewarb sich die Mitarbeiterin selbst auf eine Führungsposition.

Eines der Grundprinzipien von Anti­zynismus lautet: Menschen werden durch ihre Umgebung geformt, und als Führungskraft sind Sie für Ihre Mitarbeiter ein entscheidender Teil dieser Umgebung. Wenn Sie ihnen misstrauen, sie an der kurzen Leine führen und ständig kontrollieren, werden sie Ihnen das übel nehmen, die Verantwortung scheuen und am Ende das Weite suchen. Wenn Sie ihnen dagegen vertrauen, werden sie versuchen, diesem Vertrauen gerecht zu werden. Menschen passen sich den Erwartungen anderer an. Deshalb sollten wir uns unsere Annahmen über sie bewusst machen und ihnen Großes zutrauen. Das kann mehr verändern, als wir denken.

Vertrauen ist nur eine Komponente von antizynischem Führungsverhalten. Auch strukturelle Faktoren spielen eine Rolle. Fragen Sie sich: Gelten Ihre Unternehmenswerte lediglich auf dem Papier oder werden sie konkret umgesetzt? Werden Gehälter, Boni und Zusatzleistungen gerecht und transparent festgelegt? Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, können Sie noch so wohlwollend mit ihren Beschäftigten umgehen – ihr Kampf gegen Zynismus wird aussichtslos sein.

Gelten Ihre Unternehmenswerte nur auf dem Papier oder werden sie umgesetzt?

Microsoft und Nordstrom zeigen, wie wichtig Regeln sind, die Zusammenarbeit und Offenheit ermöglichen. Und die ­Geschichte von Alejandra führt uns vor Augen, wie einzelne Führungskräfte diese Ideen fördern können. Vorgesetzte, die beide Ansätze verfolgen, werden sehr wahrscheinlich nicht in die Zynismusfalle tappen. Und davon profitieren sie selbst, ihre Mitarbeiter und das Unternehmen insgesamt. © HBP 2022

Autor

Jamil Zakiist Associate Professor für Psychologie an der Stanford University, Direktor des Stanford Social Neuroscience Laboratory und Autor des Buches „The War for Kindness: Building Empathy in a Fractured World“. Zaki untersucht, wie sich die menschlichen Beziehungen in Unternehmen verbessern lassen.

Kompakt

Das Problem In vielen Unternehmen hat Zynismus Einzug gehalten – der Glaube, dass andere egoistisch, gierig und unaufrichtig sind. Das sorgt für eine ganze Reihe von Problemen: schlechte ­Leistung, Burn-out, Kündigungen und Betrug.

Die Gründe Menschen konzentrieren sich meist auf die negativen Eigenschaften ihres Gegenübers und halten Zyniker für klüger als Nicht-Zyniker. Dadurch bereiten sie dem Zynismus den Boden. Auch Unternehmensregeln und -praktiken können eine Kultur des Misstrauens begünstigen.

Die Lösung Managerinnen und Manager können Regeln und Prozesse einführen, die Zusammenarbeit fördern. Führungskräfte müssen Vertrauen auf allen Ebenen vorleben. Sie müssen Mitarbeitern zeigen, dass sie an sie glauben und Zynismus bekämpfen.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Dezember-Ausgabe 2022 des Harvard Business managers.

Unternehmenskultur: Was Zynismus anrichtet

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