US-Banker Peter Orszag fordert „Superblock“ gegen Volksrepublik
Peter Orszag ruft die USA und Europa zur Geschlossenheit auf. Nur gemeinsam könne der Westen unabhängiger von China werden. Auch Finanzrisiken besorgen den Spitzenbanker.
Frankfurt. Peter Orszag zählt zu den mächtigsten Bankern der USA. Im Oktober wird er die Führung des Investmenthauses Lazard übernehmen. Schon jetzt skizziert er im Interview mit dem Handelsblatt, welche Themen ihn besonders beschäftigen werden.
Etwa der Machtkonflikt der USA mit China. Viele Konzerne würden wegen der politischen Spannungen mit dem Westen „zumindest prüfen“, ihr Geschäft in China „stärker zu separieren oder ganz abzuspalten“, sagt Orszag, der einst im Kabinett des US-Präsidenten Barack Obama saß.
Der US-Regierung rät er, sich in der Chinapolitik eng mit den Europäern abzustimmen: „Wenn die USA allein Sanktionen verhängen, wird das nicht funktionieren. Wenn aber die Vereinigten Staaten und die EU eine Art Superblock bilden, ist das ein sehr mächtiges Instrument, um weltweite Standards durchzusetzen.“
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Neben geopolitischen Gefahren sieht Orszag Risiken im Bankensystem. Seiner Meinung nach ist die Krise der amerikanischen Regionalbanken, die die Finanzwelt im März erschütterte, noch nicht ausgestanden.
Die Regionalbanken kämpften weiterhin mit „erheblichen Herausforderungen“ und hätten es schwer, sich frisches Eigenkapital zu besorgen, warnt der Banker. Und es sei nicht garantiert, dass die US-Behörden das Geld der Kunden auch in Zukunft ausreichend schützen.
Lesen Sie hier das gesamte Interview:
Herr Orszag, wenn Sie im Moment mit Ihren Kunden sprechen, welche Sorgen treiben die Manager um?
Geopolitische Risiken stehen weit oben auf der Agenda, insbesondere die Spannungen im Verhältnis zu China. Einige Unternehmen, die sehr stark in China engagiert sind, überlegen, wie sie ihr Geschäft dort weiter ausbauen können, ohne in Konflikt mit den westlichen Regierungen zu kommen. Andere prüfen, ob und wie stark sie ihre Abhängigkeit von China reduzieren können, zum Beispiel bei den Lieferketten.
Die prominente US-Beteiligungsgesellschaft Seqouia hat sich gerade aufgespalten, um politische Chinarisiken zu vermeiden. Medienberichten zufolge denkt auch der Pharmakonzern Astra-Zeneca über eine Abspaltung des Chinageschäfts nach. Werden wir mehr solche Fälle sehen?
Ich kann nicht vorhersagen, was die Unternehmen tun werden, aber viele prüfen zumindest, ob es sinnvoll wäre, das Chinageschäft stärker zu separieren oder ganz abzuspalten.
Entscheidungen sind noch nicht gefallen?
Meist handelt es sich um Überlegungen, und das ist vielleicht auch richtig so. Denn die Situation ist nicht statisch, man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich die Haltung der USA in den vergangenen Monaten geändert hat, weg vom harten „Decoupling“ hin zu einem etwas weicheren „Derisking“.
Und wäre dieser Eindruck korrekt?
Das ist schwer zu sagen. Aber in einigen wichtigen Bereichen wie dem Technologiesektor gibt es in den USA zwischen Republikanern und Demokraten einen Konsens, dass die Abhängigkeit von China abnehmen muss, und daran wird sich nichts ändern. Im Gegenteil, mit den anstehenden Präsidentschaftswahlen wird diese Diskussion noch intensiver werden. China ist übrigens ein sehr gutes Beispiel dafür, dass die USA und Europa als Einheit auftreten müssen.
Warum ist das so wichtig?
Wenn die USA allein Sanktionen verhängen, wird das nicht funktionieren. Wenn aber die Vereinigten Staaten und die EU eine Art Superblock bilden, ist das ein sehr mächtiges Instrument, um weltweite Standards durchzusetzen. Deshalb sollten die Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks sehr sorgfältig darauf achten, dass es im gemeinsamen Verhältnis nicht zu Irritationen kommt.
Ist das realistisch? Mit dem Inflation Reduction Act haben die USA ein milliardenschweres Investitionspaket auf den Weg gebracht, das die EU als protektionistisches Instrument empfindet.
Das ist nicht das einzige Beispiel für potenzielle Konflikte, es gibt Diskussionen um Subventionen und um Zölle auf Aluminium und Stahl. Aus kleinen Meinungsverschiedenheiten können ernste Streitigkeiten werden. Aber genau das müssen die USA und die EU verhindern. Wenn es den USA nicht gelingt, Europa und speziell Deutschland davon zu überzeugen, die Abhängigkeit von China zu verringern, wird das Derisking nicht funktionieren.
Werden solche geopolitischen Fragen nicht schon sehr bald vom Präsidentschaftswahlkampf in den USA überlagert werden?
Ich glaube, dass sowohl die Republikaner als auch die Demokraten verstehen, wie wichtig eine starke transatlantische Partnerschaft ist, auch und vor allem wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Die Präsidentschaftswahl wird auch für die Unternehmen und die Kapitalmärkte ein wichtiges Thema werden. Wie groß ist die Unruhe?
Ich denke, dafür ist es noch etwas zu früh, zumindest was die US-Wirtschaft angeht. Interessanterweise wird diese Frage im Moment in Europa stärker diskutiert als in den USA. Dafür gibt es gute Gründe, denn die Wahl im kommenden Jahr könnte das Verhältnis der Vereinigten Staaten zum Rest der Welt stark beeinflussen. Deshalb ist es für europäische Manager und Unternehmer nur rational, sich sehr früh mit dem Thema zu beschäftigen.
Ein sehr konkretes Risiko für die US-Wirtschaft sind die rasant gestiegenen Leitzinsen. Die direkten und indirekten Folgen der geldpolitischen Wende haben zum Kollaps mehrerer Regionalbanken geführt. Ist diese Krise ausgestanden?
Die akute Krise vielleicht, aber es bleiben erhebliche Herausforderungen. Die rapide Zinswende hat bei vielen Regionalbanken zu einer Reihe von Problemen geführt, die es diesen Instituten schwer macht, an frisches Eigenkapital zu kommen. Ein weiteres Problem ist, dass die Kunden noch immer Einlagen aus den Regionalbanken abziehen, vielleicht nicht in großem Stil, aber der Abfluss ist nicht gestoppt. Und schließlich droht dem Sektor eine härtere Regulierung, die ökonomische Folgen haben könnte.
Das klingt nicht gerade beruhigend.
Zumal es noch ein weiteres Risiko gibt. In den USA sind Bankeinlagen gesetzlich bis zu einer Grenze von 250.00 Dollar geschützt. Im Moment gehen die Kunden davon aus, dass die Regierung Einlagen quasi unbegrenzt garantiert, so wie zum Beispiel beim Kollaps der Silicon Valley Bank. Falls es aber zu weiteren Bankzusammenbrüchen kommt, ist es möglich, dass das nicht immer der Fall sein wird. Grund dafür ist, dass die Einlagensicherung FTIC und die US-Notenbank Fed jeder einzelnen Ausweitung des Schutzes mit großer Mehrheit zustimmen müssen und dann auch noch das Finanzministerium die Entscheidung absegnen muss. Sollten wirklich Kundengelder auf dem Spiel stehen, könnte das eine Rückkehr der Krise bedeuten.
Wie ließe sich die Situation stabilisieren?
Eigentlich müsste es zu einer Konsolidierung des Sektors kommen. Dabei gibt es aber zwei Herausforderungen: Zum einen müsste der Käufer einer Regionalbank die durch die Zinswende aufgelaufenen Buchverluste realisieren. Zum anderen haben die Behörden Übernahmen in diesem Bereich bisher eher gebremst. Nach meiner Meinung müssten sie Zusammenschlüsse eher ermutigen.
Drohen aus den Verwerfungen bei den Regionalbanken Folgen für die gesamte US-Wirtschaft?
Aus all den genannten Gründen werden die Regionalbanken ihre Kreditvergabe einschränken müssen, das wird einen negativen Effekt auf die Gesamtwirtschaft haben. Besonders stark wird dieser Effekt am Markt für Gewerbeimmobilien zu spüren sein, der ohnehin unter erheblichem Druck steht.
Sind die Probleme bei den Gewerbeimmobilien so groß, dass sie sich zu einem Risiko für das gesamte Finanzsystem entwickeln können?
Die ehrliche Antwort lautet, das kann man nicht wirklich wissen. Auf den ersten Blick würde ich sagen, nein. Aber man weiß nie genau, wo die Assets wirklich liegen und welche Ansteckungsgefahren möglicherweise drohen.
Lassen Sie uns über Lazard und das Investmentbanking sprechen. Der Markt für Fusionen und Übernahmen ist in diesem Jahr eingebrochen. Lazard hat bereits im April angekündigt, zehn Prozent der Jobs abzubauen. Wie geht es weiter?
Man sollte die Stellenstreichungen nicht falsch interpretieren. Wir haben sehr früh gehandelt, jetzt zeigt sich, dass viele andere Banken ebenfalls Personal abbauen. Außerdem haben wir während der Pandemie die Zahl unserer Mitarbeiter kaum reduziert. Der weltweite M&A-Markt liegt in diesem Jahr etwa 60 Prozent unter dem Niveau von vor zwei Jahren. Angesichts dessen war es richtig, Entscheidungen zu treffen, und es war richtig, sie früh zu treffen. Außerdem investieren wir auch. So bauen wir unser Geschäft im Mittleren Osten aus und werden unser Angebot im Restrukturierungsbereich in Deutschland stärken.
Wie lange wird die Flaute am M&A-Markt noch anhalten?
Ich glaube, dass wir den Tiefpunkt durchschritten haben könnten. Aber es wird noch eine Zeit lang dauern, bevor mehr Transaktionen angekündigt werden. Und dann müssen diese Deals auch noch abgeschlossen werden, bevor die Honorare an die beratenden Banken fließen.
Woher kommt Ihre Zuversicht, dass die Erholung dann doch kommen wird?
Es gibt eine Reihe von Faktoren, die für stärkere M&A-Aktivitäten sprechen, und es gibt Faktoren, die für Gegenwind sorgen. Fangen wir mit vier positiven Faktoren an. Insbesondere große Unternehmen investieren erstens gerade intensiv in neue Technologien, insbesondere in Software. Zweitens führt der Wandel im Energiesektor dazu, dass neue Geschäftsmodelle entstehen und viel Kapital in den Auf- und Ausbau neuer Infrastruktur fließt. Der Abbau von Abhängigkeiten von China sorgt drittens für Veränderungsbedarf, und der vierte belebende Faktor ist die Revolution in den Biowissenschaften.
Und was bremst den M&A-Markt?
Drei Faktoren sind hier von Bedeutung. Erstens hat die rasante Zinswende der Notenbank die Finanzierungsbedingungen drastisch verändert. Das hat dazu geführt, dass die Preisvorstellung von Käufern und Verkäufern auseinandergelaufen sind. Aber allmählich akzeptieren die Verkäufer die neue Realität, und die Vorstellungen nähern sich wieder an. Gegenwind kommt auch durch Unsicherheit über die künftige Zinsentwicklung. Steigende Zinsen verändern die Bewertungen, das macht Übernahmeverhandlungen deutlich komplizierter. Aber der Zinserhöhungszyklus erreicht allmählich sein Ende. Das wird für mehr Planungssicherheit sorgen.
Und der dritte negative Faktor?
Die Regulierung. Die US-Gesetze haben sich nicht geändert, aber die Behörden interpretieren sie neu. Ein Beispiel ist die Auseinandersetzung um die geplante Übernahme des Spielekonzerns Activision durch Microsoft. Die EU hat den Deal genehmigt, aber in den USA klagt die Wettbewerbsbehörde FTC gegen die Übernahme. Dieser Fall zeigt, dass künftig mehr Rechtsstreitigkeiten drohen, die M&A-Deals gefährden. Auf Dauer werden sich die Unternehmen darauf einstellen und mehr Zeit und Geld zur Lösung juristischer Probleme einsetzen.
Wie sieht denn nun Ihr Fazit für den M&A-Markt aus?
Alles in allem haben wir vier dauerhafte Trends, die für mehr Fusionen und Übernahmen sprechen, und drei abschwächende Faktoren, von denen zumindest zwei ziemlich schnell an Bedeutung verlieren werden. Deshalb gehe ich davon aus, dass der Markt sich in absehbarer Zeit beleben wird.
Was bedeutet diese Konstellation für Lazard? Wenn Sie Anfang Oktober den Posten des CEO übernehmen, was wollen Sie ändern?
Wir feiern in diesem Jahr unser 175-jähriges Jubiläum, wir blicken also auf eine lange Tradition zurück. Aber wir müssen uns auch für die Zukunft aufstellen. Wir haben die Ambition, sowohl im Beratungsgeschäft als auch im Asset-Management weiter zu wachsen. Daran werden wir konzentriert arbeiten.
Bedeutet das auch Änderungen im Management?
Eine Spitzenpersonalie ist ja bereits entschieden, im April wechselte der ehemalige Investmentbankchef der Citigroup, Ray McGuire, als President zu Lazard. Weitere Veränderungen werden wir zu gegebener Zeit bekannt geben. Bis zum Herbst ist es ja noch eine Weile.
Herr Orszag, vielen Dank für das Interview.
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