Utopie, ausgerechnet: Wie Marc Schindler den Stadtverkehr mit künstlicher Intelligenz revolutionieren will
Wenn es nach Marc Schindler von Ottobahn geht, werden wir bald nicht mehr mit dem Auto durch die Stadt fahren, sondern in Pods durch die City flitzen – gesteuert durch künstliche Intelligenz.
Das Problem, das Marc Schindler umtreibt, ist der “täglich erlebte Verkehrskollaps”. Jeder, der schon einmal zu Stoßzeiten mit seinem PKW durch die Stadt gefahren ist, weiß, wovon der Mann spricht. Die Städte sind voll, die Straßenkapazitäten ausgereizt. U-Bahn? Viel zu teuer, meint er: “Ein Kilometer kostet da 50 Millionen und mehr.” Schindler, Geschäftsführer und “Can Do Officer” des Start-ups Ottobahn, will in die Lüfte. Nicht wie die Flugtaxi-„Konkurrenz“ Lilium oder Volocopter, sondern mit einem Konzept aus dem 19. Jahrhundert: mit Stahl und Schiene.
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Die Ottobahn soll autonom fahren, gesteuert von künstlicher Intelligenz
Sogenannte Pods, Kabinen mit bis zu vier Sitzen, sollen wie bei einer Hängebahn in fünf bis zehn Metern Höhe geführt werden und auf einer Rad-Schiene-Kombination durch die City flitzen. Sehr umweltfreundlich und natürlich mit Ökostrom betrieben, aber keine revolutionär neue Idee, wie Schindler zugibt. Selbst dass das Schienennetzwerk oben begrünt werden soll, darunter beleuchtete und überdachte Fahrradwege vorgesehen sind – “das sind nur Add-ons”, winkt der 41-Jährige ab.
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Das wirklich Neue ist, dass die Pods mit der App an jede beliebige Stelle bestellt werden können. Dort soll sich die Kabine absenken, den Fahrgast aufnehmen und ihn an sein Ziel bringen. Außerdem neu: Die Kabinen fahren autonom – beziehungsweise ottonom, die Wortmarke hat sich Ottobahn bereits patentieren lassen –, gesteuert von KI.
“Wir werden die Kabinen anlernen müssen”, sagt Schindler. Dann würden die Kabinen allerdings immer selbstständiger werden, indem sie Informationen austauschen: etwa wo morgens die meisten Menschen auf Abholung warten, um sich dort schon in Wartestellung begeben zu können.
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"WIR WOLLEN DAS GRÖSSTE UNTERNEHMEN DER WELT WERDEN, GRÖSSER ALS AMAZON"
Ein Prototyp der Ottobahn schwebt schon durch die Büroräume des Unternehmens im Süden Münchens. Noch etwas traurig mit Grünzeug aus Plastik geschmückt. Hinter dem unspektakulären Prototyp steckt allerdings eine große Vision: das größte Unternehmen der Welt zu werden, größer als Amazon.
Klar sei das ein wenig kokett, gibt Schindler zu. “Aber der Markt für Güter- und Personenverkehr ist so abartig groß. Wenn du da nur ein Fitzelchen abbekommst, bist du automatisch ein sehr großes Unternehmen.” Sobald man den ersten Auftrag an Land ziehe, sei das ja mindestens ein 150- bis 300-Millionen-Projekt.
Südlich von München soll eine Referenzstrecke gebaut werden
Zumindest die Kontakte in die Politik laufen gut. Die bayerische Verkehrsministerin Kerstin Schreyer ist schon mal Fan – und hat zugesagt, Ottobahn bei der Suche nach einer Referenzstrecke südlich der bayerischen Hauptstadt zu unterstützen. Dort soll auch ein Gewerbegebiet angeschlossen und eine Trasse in das nächstgelegene Städtchen gebaut werden. Wie lange die Realisierung noch dauern wird, hängt von der Baugenehmigung und vor allem den Anwohnern ab. Der Deutsche ist gemeinhin nicht für seine Scheu vor der Gründung einer Bürgerinitiative bekannt.
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Eine neue Version von Laptop und Lederhose
Schindler, der selbst lange in der Autoindustrie gearbeitet hat, denkt schon viel weiter: “Wenn wir erfolgreich sind, bauen wir auch in Afrika. Wenn wir es uns leisten können, sogar umsonst”, sagt er. Globales Denken steckt sogar schon im Namen. Ottobahn verweise auf den bayerischen König Otto I. und erinnere gleichzeitig an die deutsche Autobahn, die ja auf der ganzen Welt sehr positiv konnotiert sei. Es klingt ein bisschen wie die neue Version von Laptop und Lederhose. Lederhose und lernende Algorithmen. Edmund Stoiber wäre stolz.
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