„Verändern wir die Welt – und unseren Blick auf sie!“
Weltweit sind die Fallzahlen der diagnostizierten Angststörungen angestiegen. Häufig werden Krankheitsmetaphern für die Kommunikation radikaler Einstellungen benutzt und damit weitere Ängste heraufbeschworen. All das führt dazu, dass die Zukunft mehr gefürchtet als gestaltet wird in einer verwalteten Welt.
Damit verbunden ist auch eine Verstärkung der gesellschaftlichen Ängste (Verunsicherung durch Arbeitsplatzabbau und Arbeitsplatzverlagerungen, drohendes Absinken des Lebensstandards). Der österreichisch-ägyptische Journalist und Buchautor Oliver Jeges schreibt in seinem Buch „Generation Maybe: Die Signatur einer Epoche“: „Wir haben Angst, dass uns die ganz große Krise heimsucht. Wir haben Angst, dass aus uns nichts wird. Wir haben Existenzangst. Wir glauben zu wissen, dass es so wie jetzt nicht mehr lange weitergeht.“
Da heute immer mehr alte Gewissheiten wegbrechen und das Leben weniger planbar ist, wächst gleichermaßen die Furcht vor Veränderungen, die seit 1863 im fachlichen Sprachgebrauch verankert ist. Der Sprachwissenschaftler und Lexikograf Jakob Heinrich Kaltschmidt taufte sie auf den Namen „Neophobie“. Die so genannte Neuerungsfurcht kann uns in jedem Bereich des Lebens befallen: beim Gedanken an einen Jobwechsel oder Umzug oder bei Beziehungsproblemen. „Ich mache mit mehr Sorgen als früher um das, was kommt“, sagt auch die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, die beim Ökoversender memo die Unternehmenskommunikation leitet: „Das betrifft einerseits mich persönlich und meine Familie, aber auch immer häufiger gesellschaftliche Themen. Schon allein aus beruflichen Gründen beschäftige ich mich fast täglich mit Szenarien, die eintreffen können, wenn wir es nicht schaffen, rechtzeitig gegen Klimawandel und die damit verbundenen Folgen vorzugehen. Und es ärgert mich, dass viele zwar die Notwendigkeit sehen, aber nichts dagegen tun oder nur reden - denn jeder kann seinen Beitrag leisten! Die Veränderungen, die mit dem heutigen Stand sicherlich auf uns zukommen werden, können und dürfen wir nicht ignorieren, sondern müssen jetzt sofort Maßnahmen ergreifen. Den einen wird es etwas schwerer fallen, anderen dagegen leichter. Aber es nützt nichts, etwas zu ignorieren, dass gegeben ist. Und vielleicht schaffen wir es gemeinsam sogar, dass diese Welt dadurch ein kleines Stückchen besser wird.“
Worauf es jetzt ankommt, ist kluges Denken und nachhaltiges Handeln, damit Menschen in ihren Ängsten nicht abhängig werden von Verführern, die Panik und Verwirrung stiften. Was aber kann uns in unserer Schutzlosigkeit und Verwundbarkeit helfen? Roosevelt sagte, dass es die erste und vornehmste Aufgabe staatlicher Politik sei, den Bürgern die Angst zu nehmen. Genauso wichtig ist aber, auch die persönlichen Werte auszubilden und zu stärken, damit der eigene Blick auch nach innen gerichtet und das eigene Gewissen immer wieder geprüft werden kann. Wo diese Vertiefung fehlt, fehlt es auch an inneren Ressourcen und Reserven, die wir brauchen, weil sie uns resilient und immun gegenüber Verführungen machen und uns emotional nicht abstumpfen lassen. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud beschrieb Angst in zwei Zusammenhängen: zum einen als Warnerin vor einer Bedrohung (gesunde Angst, wie sie auch Claudia Silber beschrieben hat), die ein Signalgeber dafür ist, dass sich etwas ändern sollte, und zum anderen als Ausdruck eines inneren Konflikts zwischen Wünschen und dem Gewissen, das sie unterdrückt. Eine solche Angst kann zur existentiellen Bedrohung werden – dann hat der Mensch nicht die Angst, sondern die Angst den Menschen gefasst.
In seinem Buch „Die Angst – Dein bester Freund“ hat Alexander Huber, einer der erfolgreichsten Freikletterer der Welt, beide Ängste beschrieben: „In der Wand ist die Angst überhaupt nicht schlimm, da rettet sie mir das Leben. Die ist mein Überlebenstrieb, die sorgt dafür, dass ich mich ständig konzentriere.“ Aber im Leben gab es für ihn auch Ängste, mit denen er nicht umgehen konnte. Plötzlich waren da nur noch Fragezeichen. Er sah keinen Horizont mehr: „Und dann sollst du auch noch Vorträge halten und begeistert vom Bergsteigen erzählen, obwohl das Bergsteigen dich wahnsinnig ankotzt.“ Hinzu kamen finanzielle Probleme. Die Angst überwältigte ihn immer dann und lähmte ihn, wenn er davonlief. Angst wird uns nicht vor Zusammenbrüchen aller Art bewahren, nicht vor dem Verlust und nicht vor dem Scheitern. Aber wir können lernen, mit ihr umzugehen und mit ihr ein gelungenes Leben zu führen. „Dazu müssen wir sie aber zunächst wahr- und ernst nehmen und uns in eine Auseinandersetzung mit dieser Angst begeben“, schreibt die Philosophin Dr. Ina Schmidt in ihrem Buch „Macht Denken glücklich? Eine philosophische Betrachtung“ (2010), in dem sie auch Kierkegaard zitiert:
In diesem Credo liegt für sie der eigentliche Mut einer philosophischen Lebensweise: im Aushalten des Unverständlichen und des Dazwischen. Erst durch diese Leerstelle wird sichtbar, dass es keine Bedeutung hat, mit welcher Angst wir es zu tun haben, sondern am Ende nur das zählt, was wir aus ihr machen. Um der Zukunft den dunklen Schleier zu nehmen, brauchen wir auch den Lichtschein der jungen Generation, die nicht nur redet, sondern durch ihr mutiges Handeln integer und werteorientiert ihren Weg geht. Der Weltklimarat (IPCC) warnt, dass wir Emissionen radikal reduzieren müssen, um die globale Klimakatastrophe zu vermeiden. Wir müssen unsere CO2-Emissionen deshalb halbieren. Protestieren ist für viele junge Menschen deshalb der erste Schritt, danach gilt es, eigene, innovative Lösungsansätze (zum Beispiel zur Reduzierung von CO2-Emissionen) zu entwickeln.
Statt um die Frage „Öko“ (gut) und „Industrie“ (böse) sollte es heute um das Beste aus beiden Welten gehen: „um Anreize, Spaß, Innovationen und Engagement“, schreibt der Jurist, Politikwissenschaftler und Zukunftsdenker Daniel Dettling in seinem neuen Buch „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen“. Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Welt braucht seiner Meinung nach neben einer Änderung unseres Verhaltens und dem Wandel des öffentlichen Bewusstseins eine neue „Geschichte des menschlichen Fortschritts“. Dabei sollte es darum gehen, nicht unsere Gier, sondern unsere Neugier zu wecken, Gestaltungsräume aufzuzeigen und mit kritischem Urteilsvermögen Dinge zum Besseren zu verändern. Der „Immerschlimmerismus“ ist für ihn größte Gefahr unserer Zeit. Anhand der größten Herausforderungen der Gegenwart (Überalterung der Gesellschaft, Migration und Armut, Klimawandel und Demokratieverfall), zeigt er, welche Chancen für eine bessere Zukunft sich schon heute eröffnen.
Niemals zuvor in der Geschichte haben wir mehr Zeit, mehr Bildung, eine bessere Gesundheit und höhere Einkommen gehabt.
Wir werden heute zwar älter, bleiben aber kreativ und innovativ. Die Begriffe Überalterung und Überbevölkerung sterben aus. Treiber der demografischen Entwicklung sind der medizinische Fortschritt, die gestiegene Lebenserwartung und ein globaler Wertewandel, der das Thema Lebensqualität in den Fokus stellt.
Wir leben heute in der friedlichsten Welt aller Zeiten. Tödlicher als Terrorismus und militärische Gewalt sind heute schlechte Ernährung und Verzweiflung.
Es entsteht eine globale Mittelschicht, die wohlhabender sein wird als alle Generationen zuvor - eine Welt ohne extreme Armut und Hunger ist damit möglicher denn je. Gesellschaften, die offen sind für Migration, profitieren mehr als geschlossene Gesellschaften.
Bis 2030 werden wir den „Carbon Peak“ (Höhepunkt des globalen CO₂-Ausstoßes) erreichen. Es wird gelingen, die Wirtschaft weltweit bis 2050 klimaneutral zu machen. Die Kreislaufwirtschaft wird bis 2050 die lineare Verschwendungswirtschaft ersetzen.
Die Zahl der Demokratien wird zunehmen. In fast allen Regionen der Welt sind emanzipative Werte auf dem Vormarsch. Liberale Systeme sind lernfähiger und innovativer als autoritäre Systeme und Diktaturen.
Wir können die Zukunft verändern, wenn wir entscheiden, wer wir sein wollen und sein können: „Wir können aus weniger Armut, Hunger und Klimazerstörung mehr Wohlstand, Frieden und Freiheit machen.“ Dazu greift er auch auf die Botschaft aus Goethes Faust zurück, dass wir nicht nur durch ein Wunder zu retten sind, sondern dass es auch auf unsere geistige und moralische Kraft, unser selbstorganisiertes und verantwortliches Handeln ankommt: „Nur der verdient sich Freiheit und das Leben, der täglich sie erobern muss!“ Erlöst wird, wer nach immer neuen Wegen und Freiheiten strebt.
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Zukunftsszenarien: Absehbare Entwicklungen greifbarer machen
Vom Wert der Erfahrungen: Wer Pi mal Daumen handelt, muss seinen Daumen kennen
Heinz Bude: Gesellschaft der Angst. Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH, Hamburg 2014.
Daniel Dettling: Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen. Kösel-Verlag, München 2021.
Daniel Dettling: ZUKUNFTSINTELLIGENZ statt Zukunftsangst: menschliche Antworten auf die digitale Revolution. Langen Müller, Stuttgart 2020.
Philipp von der Wippel: Der Mensch im Mittelpunkt – welches Selbstverständnis wir jetzt brauchen. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. Seiten 209-216.