Verantwortung in der Lieferkette: Warum der Grüne Knopf mehr als ein Textilsiegel ist
Die Textilindustrie eignet sich besonders gut als Beispiel einer Branche, die sich dem Thema der unternehmerischen Verantwortung im Zuge einer nachhaltigen Entwicklung stellen muss. Das lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass es insbesondere in den neunziger Jahren zu Skandalen kam, die ein schlechtes Licht auf die Textilindustrie warfen und vermehrt zu Konfrontationen mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) führten. Heute möchte kaum jemand noch Textilien tragen, die in 16-Stunden-Schichten, sechs Tage in der Woche, für einen Hungerlohn genäht oder mit giftigen Chemikalien gefärbt wurden. Ein Großteil der Handelsunternehmen ist heute für soziale Aspekte in der Lieferkette sensibilisiert. Allerdings schwankt das Engagement zwischen der Einhaltung minimaler Anforderungen (z. B. Ausschluss von Kinder- und Zwangsarbeit) bis hin zur Aufstellung eigener Lieferantenkodizes mit höheren Mindestanforderungen und strengen Kontrollsystemen.
Ökologisch und fair produzierte Mode hat sich in den letzten Jahren zu einem ernst zu nehmenden Markt entwickelt.
Am 9. September 2019 stellte Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das staatliche Gütesiegel „Grüner Knopf“ für nachhaltige Bekleidung vor. Um das Zertifikat zu erhalten, müssen 26 soziale und ökologische Kriterien für das Produkt erfüllt werden. Außerdem müssen Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten anhand von 20 Kriterien nachweisen. Zu den Produktkriterien gehören Recht und Entlohnung von Arbeitnehmerinnen, Kinder- und Zwangsarbeit, Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, Emissionen und Rückstände, Chemikalieneinsatz sowie Umweltauswirkungen. Grundlage für die Unternehmenskriterien sind laut BMZ die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen sowie sektorspezifische Ergänzungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Unabhängige Prüfer wie der TÜV achten auf die Einhaltung der Kriterien, und die staatliche Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) soll glaubwürdige Prüfungen sicherstellen. Neben den jeweiligen Produkten werden die Unternehmen als Ganzes geprüft. Es muss seine soziale und ökologische Verantwortung anhand von weiteren 20 Kriterien nachweisen („Unternehmenskriterien“). Gibt es Beschwerdemechanismen für die Näherinnen vor Ort? Schafft es Missstände ab? Legt es Risiken in seiner Lieferkette offen?
In der Einführungsphase deckte das Siegel die wichtigsten Produktionsstufen „Zuschneiden und Nähen“ (Konfektionierung) sowie „Bleichen und Färben“ (Nassprozesse) ab. In den nächsten Jahren soll es weiterentwickelt werden und weitere Produktionsstufen berücksichtigen (Material- und Fasereinsatz, Spinnen und Weben) - mit dem Ziel: Schutz von Mensch und Umwelt in der gesamten Lieferkette.
Doch wie sieht es nach über einem Jahr nach der Startschussphase aus?
Seit seiner Einführung hat das Siegel stark an Bekanntheit gewonnen: Laut einer repräsentativen Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) kennt inzwischen jeder dritte Deutsche das stattliche Siegel. 70 % halten es für vertrauenswürdig. Die Zahl der teilnehmenden Unternehmen hat sich verdoppelt (über 50 Unternehmen). Zu den Marken, die das Knopf-Logo an ihre Produkte hängen dürfen, gehören u.a. Jack Wolfskin, Chiemsee und Peter Hahn, Tschibo und VAUDE. Als Gründungsmitglied hat sich das Unternehmen von Beginn an für branchenübergreifende Lösungen eingesetzt, um die globale Textilherstellung umweltfreundlicher und fairer zu gestalten. Auch der Öko-Versender memo ist seit September 2020 nach dem Grünen Knopf zertifiziert. „Es gilt zu beobachten, wie sich der Grüne Knopf als rein staatliches Siegel für nachhaltige Textilien behaupten wird“, sagt Claudia Silber, die hier die Unternehmenskommunikation leitet.
Auch mit Großabnehmern wie dem Freistaat Bayern, der Hotelgruppe Dorint, der Caritas und Diakonie gibt es inzwischen Partnerschaffen zur nachhaltigen Textilbeschaffung. Leider hat die Corona-Krise viele Textilunternehmen hart getroffen, so dass sie die Prüfung zum Grünen Knopf abbrechen mussten. Dennoch wurden nach Angaben des BMZ im ersten Halbjahr 2020 zwischen 35 und 45 Millionen Produkte mit diesem Siegel verkauft. Das ist eine positive Entwicklung, denn für Verbraucher wird es heute immer schwieriger, die Qualitätseigenschaften und Bewertungskriterien, die hinter den Siegeln stehen, nachzuvollziehen, bei den Kaufentscheidungen zu berücksichtigen und die Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Der Grüne Knopf wirkt einer Siegelinflation entgegen, gibt Orientierung und ist eine wichtige Entscheidungshilfe.
Weiterführende Informationen:
Nicht tragbar! Warum wir billig in der Textilbranche teuer bezahlen müssen
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.