Verletzende Kommentare gegen queere Kolleg*innen: Wie kann ich ein guter Ally sein, gerade im Job?
Der Juni steht im Zeichen von Pride – Sichtbarkeit, queere Freude, Empowerment. Doch 2025 fühlt sich Pride anders an. Die politische Stimmung ist rauer geworden, Diskriminierung nimmt zu, auch am Arbeitsplatz. Und viele stellen sich die Frage: Was bedeutet es, wirklich Haltung zu zeigen, wenn der nächste „Witz“ im Meeting nicht witzig ist?
Bei „Frag die Insider!“ helfen von XING ausgewählte Expertinnen und Experten Dir dabei, praxisnahe Lösungen zu finden, die zu Dir passen. Den folgenden Leserbrief, der die XING Redaktion erreicht hat, beantwortet: Rea Eldem, XING Insiderin für Gender-Diversity. Sie erklärt, wie jede*r ein „Ally“ (engl. für „Verbündete*r“) werden kann. Also eine Person, die sich aktiv für die Rechte und Gleichbehandlung von benachteiligten oder diskriminierten Gruppen einsetzt – auch wenn diese Person selbst nicht Teil dieser Gruppe ist.
Vor Kurzem hat sich ein Kollege im Meeting einen scherzhaften, aber doch verletzenden Kommentar über die sexuelle Orientierung eines anderen Teammitglieds erlaubt. Ich habe gemerkt, dass es mich gestört hat – gleichzeitig war ich unsicher, wie ich am besten reagieren soll, ohne die Stimmung im Team zu gefährden. Wie gehe ich in solchen Situationen souverän und unterstützend vor, um ein besserer Ally im Job zu sein?Veronika, 36
Liebe Veronika,
Signale sind wichtig. Gerade jetzt. Das Bedürfnis, mit Situationen wie der von Dir geschilderten umzugehen, ohne die Harmonie zu gefährden, ist nachvollziehbar. Aber praktisch nicht möglich. Denn während das Nichtssagen vermeintlich die beste Strategie ist, um ein Unwohlsein zu verhindern und business as usual zu machen, führt es in der Realität vielmehr dazu, dass das Unwohlsein einiger weniger in Kauf genommen wird, um den anderen ein gutes Gefühl zu geben.
Es ist verzwickt, gerade im Job. Die wenigsten lieben die Konfrontation. Aber: Ein Arbeitsumfeld, bei dem diskriminierende Aussagen stehen gelassen werden, das ist ein Arbeitsumfeld, das nur für manche funktioniert. In solch einem Umfeld entsteht eine Kultur, in der sich manche wohlfühlen dürfen und andere nicht. Ausgrenzung funktioniert in diesem Sinne subtil, selbst wenn diskriminierende Aussagen eher hinter vorgehaltener Hand getätigt werden. Es entstehen In- und Outgroups. Es gibt die, die reden – und die, über die geredet wird.
Hass und Anfeindung steigt – warum es Allyship braucht
Hass und Anfeindungen gegenüber queeren Personen sind in Deutschland auf dem Vormarsch. Das ist die Realität. Angeheizt wird das Ganze durch eine Abwertung von alternativen Lebensrealitäten im Allgemeinen, Backlash gegenüber allem, was zu woke, zu neu, zu anders ist. Scherze oder semi ernst gemeinte Kommentare müssen vor diesem Hintergrund analysiert werden. Wenn wir uns die Hetze vor Augen führen, die marginalisierte Menschen Tag ein, Tag aus erleben, dann ist es nicht verwunderlich, dass sich ein kleiner Witz am Arbeitsplatz oftmals nicht so wirklich witzig anfühlt. Jedenfalls nicht für diejenigen, die 24/7 von den mitunter ernsten, einschneidenden und gruseligen Entwicklungen betroffen sind, auf die der Witz Bezug nimmt.
Der Job ist ein Ort, an dem die meisten von uns ziemlich viel Zeit verbringen. Wer sich hier wohlfühlt, der*die hat zumindest 40 Stunden die Woche ein Umfeld, an dem er*sie durchatmen kann. Ein Ort zum Aufladen, ein Umfeld, an dem er*sie Bestätigung und Wertschätzung erlebt, im besten Fall sogar ein Gefühl von Zugehörigkeit. Die aktuelle Situation zeichnet eher eine gegenläufige Bewegung. Bedingt durch das politische Klima, ist auch eine Veränderung im unternehmerischen Diskurs rund um Diversity zu beobachten.
Gerade jetzt, wo queere Personen die Unterstützung ihrer Arbeitgeber*innen, ihrer Chef·innen, ihre Teams brauchen, gerade jetzt wo Solidarität angesagt wäre – da hinterfragen viele, wie wichtig und sinnvoll das Investment in DEI (Diversity, Equity, und Inclusion) denn wirklich ist. Die angespannte wirtschaftliche Lage tut ihr Übriges und es ziehen sich immer mehr Unternehmen zurück. Regenbogenlogos verschwinden schneller, als man „Vielfalt“ sagen kann. Pride wird zum PR-Risiko. Und queere Menschen? Stehen oft allein da.
Diese Entwicklung ist für alle queeren Personen eine Bedrohung, aber sie betrifft nicht alle gleichermaßen. Im aktuellen Diskurs wird die queere Community in die guten und die bösen Queers aufgeteilt. Die Guten, das sind diejenigen, die zwar gleichgeschlechtlich lieben, aber keine Bedrohung für eine normative Welt- und Werteordnung darstellen. Die Bösen, das sind diejenigen, die es zu weit treiben. Wegen ihrer alternativen Lebensformen, wegen ihrem Wunsch nach gleichen Rechten, obwohl sie anders sind. Insbesondere trans Personen werden in letztere Gruppe gesteckt. Sie werden zum Problem gemacht, ihre Identität als gesellschaftliche Bedrohung skizziert.
Das Gegenteil ist der Fall: trans Personen sind keine Bedrohung, sie werden bedroht. Während Straftaten gegenüber LGBTQIA Community insgesamt steigen, sind trans Personen besonders oft betroffen. Sie werden auch am meisten auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Dass das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft getreten ist, war in diesen Zeiten für viele trans Menschen ein wichtiger Schritt. Gleichzeitig wurde genau dieses Gesetz wieder zum Gegenstand vom Wahlkampf vor der letzten Bundestagswahl, einige Parteien kündigten an, es abschaffen oder zumindest wieder abändern zu wollen. Ganz gleich, ob solche „Versprechen“ wirklich umgesetzt werden (unwahrscheinlich), sind sie gefährlich. Sie erschüttern nicht nur das Vertrauen von trans Personen, sondern von der gesamten queeren Community. Sie haben eine Signalwirkung.
Es ist wichtig, Signalen mit Signalen zu begegnen – und mit entschlossenen Handlungen. Und damit wird die Frage aus Deinem Leserbrief relevanter denn je: Wie kann ich ein guter Ally sein – gerade im Job?
Was Du tun kannst, um ein guter Ally zu sein
Wer queere Kolleg·innen unterstützen möchte, sollte sich klar machen: Es reicht nicht, sich „neutral“ zu positionieren. Neutral funktioniert in einer Welt, in der alle gleich sind. Aber das ist nicht die Welt, in der wir uns aktuell bewegen. Es bedarf einer pro-aktiven Haltung, die über „neutral“ hinausgeht. Das ist eine Haltung, die Solidarität zeigt – in Symbolik und Handlungen. Besonders dann, wenn es unbequem ist.
Dazu gehört:
Diskriminierung benennen. Auch wenn es die Stimmung killt. Gerade dann. Es geht nicht darum, jemanden vor versammelter Mannschaft vorzuführen – sondern darum, eine Grenze zu setzen. Zum Beispiel so: „Ich fand den Kommentar gerade unangebracht. Können wir bitte respektvoll miteinander umgehen?“
Sprache mitdenken. Frag nach Pronomen, respektiere gewählte Namen, achte auf Formulierungen. Fehler passieren – aber was zählt, ist der Umgang damit.
Strukturen hinterfragen. Gibt es geschlechtsneutrale Toiletten? Wurde beim Recruiting an trans Personen gedacht? Wird transfeindliche Sprache im Code of Conduct thematisiert? Allysein bedeutet auch: Systeme so zu gestalten, dass sie niemanden ausschließen.
Manchmal ist es nicht einfach, zu intervenieren. Neben der Angst, die Harmonie zu gefährden, haben viele Mitarbeiter*innen auch die Sorge, andere zu bevormunden. Man will nicht für andere sprechen. Das ist fair, und es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie eine Intervention aussehen kann, wenn Betroffene anwesend sind. Im Zweifel kann man auf die Person zugehen, hinterher, und fragen, was sie sich wünscht. Das ist ein super Weg, denn allem voran signalisiert das: Mir ist das aufgefallen und ich fand das nicht okay. Auch Augenkontakt und non-verbale Solidarität ist eine Möglichkeit, vorsichtig Verbindung und Hilfe anzubieten.
Sende klare Ich-Botschaften, um als Ally Position zu beziehen
In Situationen, in denen abwertend über Personengruppen gesprochen wird, die nicht repräsentiert sind, helfen Ich-Botschaften. Das gilt für alle Arten von Mikroagressionen, egal auf Basis welcher sozialen Kategorie. Es bedarf keines „Das wäre jetzt aber verletzend für XY“, das eigene Bedürfnis nach Respekt oder einem bestimmten Umgangston ist vollkommen ausreichend.
Wenn es um homo- oder transfeindliche Kommentare geht, ist es hilfreich, sich nochmal vor Augen zu führen, das sowohl sexuelle Orientierung, als auch Gender geschützte Persönlichkeitsmerkmale sind. Das klingt banal, aber gerade in Bezug auf trans Personen wird das oft vergessen. Wer trans Personen ihre Existenz abspricht und das zur Meinungssache erklärt, der*die bewegt sich auf dünnem Eis. Das Arbeitsumfeld darf kein weiterer Ort sein, an dem Menschen sich für ihre Identität erklären oder rechtfertigen müssen.
Sichtbarkeit bedeutet nicht automatisch Sicherheit. Gerade deshalb braucht es Menschen, die klar Position beziehen –gegen Homo- und Transfeindlichkeit. Wenn Du cis bist (also nicht trans), hast du einen entscheidenden Vorteil: Du wirst in der Regel nicht wegen Deiner Geschlechtsidentität diskriminiert. Du kannst dieses Privileg nutzen, um was zu sagen. Und um Räume zu gestalten, in denen trans Personen sicherer sein können. Dasselbe gilt natürlich auch für andere Privilegien. Wenn Du zum Beispiel straight bist, kannst Du Flagge zeigen, wenn jemand einen anzüglichen Kommentar über Deine bisexuelle Kollegin macht.
Allyship ist kein Titel, den Du Dir einmal verdienen und dann behalten darfst. Es ist ein aktiver Prozess.
Hier ein paar erste Schritte, die Du als Ally sofort umsetzen kannst:
Lies und lerne. Es gibt viele gute Ressourcen zu queeren Lebensrealitäten, auch zu transfeindlicher Diskriminierung im Arbeitsleben. Eigne dir entsprechendes Wissen an, damit deine Kolleg*innen nicht als kostenlose Aufklärer*innen herhalten müssen. Queere Menschen müssen häufig mit viel Zeit und Energie neugierige Fragen beantworten. Indem du dir selbst Wissen aneignest, befreist du sie von dieser unbezahlten Zusatzarbeit.
Wenn du Führungskraft bist: Nutze deine Rolle. Setze Standards, ermögliche Fortbildungen, stelle Budgets für Diversity-Arbeit bereit. Allyship ist Führungsverantwortung und bedarf Ressourcen.
Falls Du ein Vertrauensverhältnis mit queeren Kolleg*innen erarbeitet hast und Du Dir bewusst bist, dass Eure Arbeitskultur es ihnen nicht immer leicht macht: Frag sie, was sie sich wünschen – aber nur, wenn Du wirklich bereit bist, zuzuhören und nicht zu diskutieren.
Pride darf unbequem sein – auch im Job
2025 zeigt uns deutlich: Wir können uns nicht auf gesellschaftlichem Fortschritt ausruhen. Wenn sich Unternehmen im Juni mit Pride schmücken, dann muss dieser Stolz auch im Juli noch spürbar sein – und im Meetingraum, in HR-Prozessen, im Feedbackgespräch. Sonst bleibt es bei Lippenbekenntnissen. Deshalb mein Appell zum Pride Month:
Traut euch, Position zu beziehen. Auch wenn es euch einen seltsamen Moment im Meeting kostet. Auch wenn ihr nicht alles richtig macht. Auch wenn ihr dabei Fehler macht. Gerade dann.
Denn nichts sagen ist auch eine Entscheidung. Und es sind die vielen kleinen Entscheidungen, die aus Kolleg*innen echte Allies machen.
Du willst aktiv werden, weißt aber nicht, wo Du anfangen sollst?
Wir bei IN-VISIBLE unterstützen Unternehmen und Organisationen dabei, eine diskriminierungssensible Arbeitskultur zu entwickeln – nicht nur im Juni. Unsere Workshops zu Allyship, Sprache und strukturellem Wandel helfen dir dabei, die richtigen Schritte zu gehen – nachhaltig und gemeinsam.
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