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Vier Mythen, die für Arbeitnehmer teuer werden

Den Briefkasten abmontieren, damit eine Kündigung nicht zugestellt wird? Keine gute Idee. Anwälte enttarnen die gängigsten Arbeitsrechts-Mythen.

Angestellte können viele Tausend Euro verlieren, wenn sie sich beim Arbeitsrecht auf vermeintliches Halbwissen verlassen. Einer von vielen weitverbreiteten Mythen: Eine Kündigung sei erst wirksam, wenn sie dem Arbeitnehmer erfolgreich zugestellt wurde. Doch wenn Arbeitnehmer nachweislich die Zustellung verhindern, gilt die Kündigung ebenfalls als zugegangen.

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Arbeitsrechtsanwalt Pascal Croset berichtet, wie so ein Fall ablaufen kann: Der Bote mit der Kündigung fand an der Hauswand nur noch vier Bohrlöcher vor, keinen Briefkasten mehr. „Einer meiner Mandanten hatte den einfach abgeschraubt.“ Der Anwalt des Arbeitgebers habe dann zu Gericht überraschend ein Foto von der löchrigen Wand mitgebracht. „Der Richter war nicht so begeistert von der Aktion“, berichtet Croset. In einem Vergleich habe der Mandant dann eine viel niedrigere Abfindung erhalten.

Durch solche und ähnliche Irrtümer können Angestellte gerade zum Ende ihres Arbeitsverhältnisses viel Geld verlieren, das ihnen eigentlich zusteht. Denn ihre Position in Abfindungsverhandlungen ist gut: Nach deutschem Recht können sie nur mit triftigem Grund und unter Wahrung der Fristen entlassen werden. Je nach Höhe des Gehalts und wie lange jemand im Unternehmen arbeitet, kann es dabei auch um sechsstellige Beträge gehen.

Zwei Fachanwälte klären auf, welche Irrtürmer für Arbeitnehmer teuer werden können.

„Die Fristen laufen erst, wenn ich die Kündigung gesehen habe“

Kündigungen werden wirksam, wenn Arbeitnehmer nicht spätestens drei Wochen nach der Zustellung dagegen klagen. „Da sinkt die Chance auf Abfindung praktisch auf null“, sagt die Arbeitsrechtsanwältin Mariam El-Ahmad von der Kanzlei Rotwang Law.

Doch wann gilt die Kündigung als zugestellt? Viele Arbeitnehmer gingen fälschlicherweise davon aus, „sie müssten eine Kündigung erst gesehen oder unterschrieben haben, bevor die Fristen in der Kündigung gelten“, sagt El-Ahmad. Damit sie als zugestellt gilt, müssen Arbeitnehmer ihre Kündigung jedoch nicht in der Hand halten: „Die Kündigung ist zugegangen, wenn sie in meinen Machtbereich gelangt.“

In den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangt die Kündigung, sobald es ihm möglich war, die Kündigung zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn er es dann nicht tut. Wenn ein Arbeitgeber dem Mitarbeiter die Kündigung hinhält und dieser sie nicht annimmt, gilt sie daher trotzdem als zugestellt. „Es reicht, dass der Mitarbeiter nur hätte zugreifen müssen“, sagt Fachanwalt Croset.

Wie viel Geld kann Arbeitnehmern durch diesen Mythos entgehen? Die Anwälte rechnen mit fünfstelligen Summen, in manchen Fällen können es aber auch über 100.000 Euro sein. Einerseits liege das daran, dass mit Ablauf der Klage- und Kündigungsfrist das Arbeitsverhältnis beendet sei. Damit entgehen Arbeitnehmern also potenziell viele Monatsgehälter. Und: Wer nicht klagt, bekommt keine Abfindung. Die konkrete Höhe hängt also vom Gehalt und der Länge der Beschäftigung im Unternehmen ab.

„Kündigungsfrist ist eingehalten, also ist sie wirksam“

Damit eine Kündigung wirksam ist, muss der Arbeitgeber nicht nur die Kündigungsfrist einhalten. „Wer Kündigungsschutz genießt, kann nur mit einem Grund gekündigt werden. Die Frist klärt nur, ab wann man gekündigt wäre“, klärt Anwalt Croset auf. Weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer dürften sich also einfach darauf verlassen, „dass das Arbeitsverhältnis zum Ende der Kündigungsfrist endet“, sagt Croset.

Ob eine Kündigung wirksam ist, entscheidet bei einer Kündigungsschutzklage dann ein Gericht. Entscheidend ist also der Kündigungsgrund. „Wenn der Arbeitgeber keinen Grund hat, das Verhältnis aber beenden möchte, ist er faktisch gezwungen, eine Abfindung zu zahlen“, sagt El-Ahmad. Doch auch hier gilt die Klagefrist von drei Wochen: „Wenn die vorbei ist, bekommt man keine Abfindung.“

Besonders jüngere Arbeitnehmer wissen wegen mangelnder Erfahrung mit dem Arbeitsrecht vielleicht nicht, dass ihre Kündigung wegen unzureichender Gründe unwirksam sein könnte. Ihnen könnte so viel Geld entgehen, berichtet El-Ahmad aus ihrer Erfahrung: „Je wahrscheinlicher die Unwirksamkeit ist, desto höher die Abfindung.“ Die Abfindungssumme hänge aber auch davon ab, wie hartnäckig die Arbeitnehmer seien. „Das kann dann schon ein paar Verhandlungsrunden dauern“, prognostiziert sie.

„Ich habe keinen neuen Arbeitsvertrag, also bin ich auch nicht entfristet“

Für befristete Arbeitsverträge gilt laut Fachanwältin El-Ahmad: „Wird nach Ablauf der Zeit oder des Zwecks das Arbeitsverhältnis fortgesetzt, hat man einen unbefristeten Arbeitsvertrag.“ Das gelte für Befristungen mit und ohne Sachgrund. Davon ausgenommen sind Unternehmen, die weniger als zehn Mitarbeiter haben oder Arbeitnehmer, die keinen Kündigungsschutz genießen.

Dabei reicht schon eine kurze Weiterbeschäftigung aus, wie El-Ahmad berichtet. Einer ihrer Mandanten sei zwei Jahre lang in einem Unternehmen sachgrundlos befristet angestellt gewesen. „Sein Chef hat ihn aber noch eine Woche nach der Beendigung beschäftigt, um eine Übergabe zu machen“, erinnert sie sich. Durch die Woche Zusatzarbeit wurde der Arbeitsvertrag entfristet. Zum Leidwesen des Unternehmens handelte es sich um einen Programmierer mit 9000 Euro Bruttolohn im Monat. Der Arbeitgeber wollte den Mitarbeiter dennoch nicht weiter beschäftigen. „Wir haben da eine Abfindung von rund 20.000 Euro rausverhandelt“, sagt El-Ahmad.

Croset schränkt jedoch ein: „Dass das Arbeitsverhältnis weitergeht, muss auch ein Personalverantwortlicher mitbekommen.“ Der Anwalt habe zuletzt etwa einen Universitätsmitarbeiter vertreten, der zur Freude seines Professors weiter dort gearbeitet habe. „Allerdings wusste die Hochschulverwaltung davon nichts. Die haben ihn dann zu Recht nach Hause geschickt.“

„Wenn ich die Kündigung nicht empfange, ist sie nicht wirksam“

Fälle wie den des abmontierten Briefkastens hat auch Mariam El-Ahmad schon erlebt. In ihrem Fall hatte der Arbeitgeber „schon angekündigt, dass der Mitarbeiter zum Ende des Monats gekündigt wird“, erzählt die Anwältin – bevor nach sechs Monaten Beschäftigung der Kündigungsschutz wirksam geworden wäre. „Der Arbeitnehmer hat versucht, dafür zu sorgen, dass die Kündigung zu spät ankommt“, sagt sie. Dann brauchen Arbeitgeber einen Grund, um Angestellte zu kündigen.

Doch weder mit einem abmontierten Briefkasten noch mit Urlaub oder Krankheit lässt sich rechtlich gut begründen, dass Angestellte eine Kündigung nicht empfangen konnten. „Wenn ein Arbeitnehmer seinen Briefkasten abmontiert, wird er so behandelt, als wäre die Kündigung zugestellt worden“, sagt Croset. Auch bei einem Urlaub lasse sich schlecht argumentieren, dass man nicht Freunde beauftragt habe, in den Briefkasten zu gucken.

Viel Geld entgeht einem also vor allem, wenn man sich davor drückt, die Kündigung zu empfangen. Denn die Fristen gelten meistens trotzdem.

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