Vier-Tage-Woche: Dieser Bankchef arbeitet sieben Tage die Woche, seine Mitarbeiter nur vier – warum?
Die Braunschweiger PSD-Bank hat vor 18 Monaten die Vier-Tage-Woche eingeführt. Jetzt wurden die Mitarbeiter befragt – die Antworten haben selbst den Chef überrascht.
WirtschaftsWoche: Herr Graf, zahlreiche Politiker, Unternehmer und Wirtschaftsverbände fordern, dass wir wieder mehr arbeiten. Sie haben mit der Einführung der Vier-Tage-Woche genau den umgekehrten Weg eingeschlagen – warum?
Carsten Graf: Wir haben in den vergangenen Jahren schon viel verändert, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Trotzdem hatten wir Probleme, hochqualifizierte Leute für uns zu gewinnen. Manche Stellen blieben lange unbesetzt. Wir haben uns deshalb gefragt, wie wir gerade die junge Generation auf uns aufmerksam machen können. Das war dann der Anstoß zur Vier-Tage-Woche.
Die Commerzbank streicht gerade mehr als 3000 Stellen in Deutschland. Sie sollten doch eigentlich auch bei einer Fünf-Tage-Woche genügend Bewerber haben.
Bei uns als Genossenschaftsbank bewerben sich typischerweise nicht viele Leute von Großbanken. Seit wir die Vier-Tage-Woche eingeführt haben, haben sich unsere Bewerberzahlen vervielfacht. Selbst spezialisierte Stellen wie zuletzt im Nachhaltigkeitsmanagement oder in der Projektleitung können wir jetzt problemlos besetzen. Das war vorher ganz anders.
Ihre Mitarbeiter müssen nur noch 35 Stunden pro Woche arbeiten, die tarifliche Arbeitszeit bleibt aber bei 39 Stunden. Wie kommt das?
Wir können die im Manteltarifvertrag vereinbarten Arbeitsstunden nicht einfach ändern, wollen den Vertrag aber auch nicht kündigen. Denn der regelt ja neben der Arbeitszeit viele andere Dinge, die wichtig für die Beschäftigten sind. Deshalb haben wir mit allen Mitarbeitenden individuell vereinbart, dass sie an den vier Tagen nur noch 35 Stunden pro Woche arbeiten müssen. Und zwar montags bis donnerstags, der Freitag ist grundsätzlich frei. Das ist kein Zufall: Der Freitag war bei uns immer der vertriebsschwächste Tag. Die Kunden spüren die Veränderung also kaum, zumal wir telefonisch weiterhin an allen Werktagen und am Wochenende erreichbar sind. Denn das Callcenter haben wir seit vielen Jahren in Deutschland ausgegliedert.
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An den vier Tagen müssen die Mitarbeiter nun knapp neun Stunden arbeiten, vorher waren es knapp acht Stunden an fünf Tagen. Das heißt aber auch, dass Eltern, die ihre Kinder von Kita oder Schule abholen müssen, eventuell ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, oder?
Tatsächlich hatten wir aus dem Grund damit gerechnet, dass einige Mitarbeitende in die Teilzeit wechseln oder ihre Stunden weiter reduzieren. Das ist aber nicht passiert. Wir haben unsere Belegschaft kürzlich zu den Erfahrungen mit der Vier-Tage-Woche befragt. Und es hat sich gezeigt, dass der freie Tag vielen Familien das Leben erleichtert und Freiräume schafft. Drei Viertel unserer Beschäftigten sagen, dass die Vier-Tage-Woche die Work-Life-Balance verbessert.
35-Stunden-Woche: Zukunftsmodell oder Wohlstandsrisiko?
Was hat die Befragung noch ergeben?
Eine Mehrheit sagt, dass die Arbeitsbelastung leicht gestiegen sei. Das empfinden die Mitarbeitenden aber nicht als negativ – im Gegenteil: Die Arbeitsmotivation hat sich enorm gesteigert. 75 Prozent sagen, dass sie durch die Vier-Tage-Woche motivierter sind. Zwei Drittel haben den Eindruck, dass sie nun produktiver arbeiten. Das hat mich in dieser Dimension schon überrascht.
Die Befragung spiegelt naturgemäß den subjektiven Eindruck der Beschäftigten wider. Was sagen Ihre Geschäftszahlen über die Produktivität?
Mit der Vier-Tage-Woche haben wir unsere Geschäftszahlen nachweislich verbessert. Wir werden für 2024 vermutlich ein Rekordergebnis ausweisen, vor allem durch unser Privatkunden- und Investorenkreditgeschäft. Auch in den Kooperationen mit unseren Verbundpartnern haben wir Topwerte erreicht – sogar Erfolgsboni, die wir noch nie erzielt haben. Ein Grund dafür ist sicher: Unser Krankenstand hat sich nahezu halbiert.
Vor der Einführung der Vier-Tage-Woche haben Ihre Mitarbeiter im Schnitt 17 Tage pro Jahr gefehlt. Im vergangenen Jahr waren es dann nur noch neun Fehltage pro Mitarbeiter. Wie erklären Sie sich das – arbeiten die Viren auch weniger?
Als Arbeitgeber weiß ich ja nicht, warum sich jemand krankmeldet. Was ich weiß: Viele Mitarbeitende sagen, sie fühlen sich montags wie nach einem Kurzurlaub. Außerdem haben wir inzwischen Vollbeschäftigung bei uns, weil keine Stellen vakant sind. Dadurch sind Mitarbeitende nicht durch zusätzliche Aufgaben völlig überlastet. Die Arbeitsbedingungen haben sich also insgesamt verbessert. Darüber sollten wir vielleicht generell einmal nachdenken, wenn es um den Krankenstand in Deutschland geht, mit durchschnittlich 21 Tagen pro Person.
Wenn die Resultate einer verkürzten Arbeitszeit doch so positiv erscheinen: Wieso lassen sich gerade so wenige in Politik und Wirtschaft davon überzeugen? Auch Ihr Amtskollege, Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, hat vor einigen Monaten gefordert, dass in Deutschland wieder mehr gearbeitet werden müsse.
Ich bin weit davon entfernt, Herrn Sewing Ratschläge zu erteilen. Mein Verständnis von unternehmerischer Verantwortung ist, dass ich den gesellschaftlichen Wandel in meine Planung einbeziehen muss. Ich kann ja nichts daran ändern, dass sich Lebensmodelle wandeln. Also muss ich damit umgehen. Außerdem gefällt es mir überhaupt nicht, wenn gesagt wird: Wer 35 Stunden arbeitet, leistet nichts. Unser Fall zeigt ja, dass das einfach nicht stimmt. Deshalb konzentrieren wir uns auf unseren unternehmerischen Erfolg und lassen uns wenig von anderen Sichtweisen beeinflussen.
Sie selbst arbeiten aber deutlich mehr als 35 Stunden, nehme ich an?
Ich arbeite meist sieben Tage die Woche. Aber das kann nicht der Maßstab für unsere Mitarbeitenden sein.
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