Vinted-Schriftzug: Firmenchef Plantenga hat für dieses Jahr einen Umsatz von einer Milliarde Euro im Blick. Foto: Vinted
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Vinted hat es geschafft, mit Trade Republic gleichzuziehen

Vom Kleiderkreisel zum profitablen Ebay-Konkurrenten und Börsenkandidaten: Und Firmenchef Thomas Plantenga hat noch deutlich größere Ambitionen. Das Handelsblatt hat mit ihm gesprochen.

Vilnius. In Litauen hat Vinted so ziemlich alles erreicht, was man erreichen kann. Das Unternehmen ist mittlerweile das wertvollste Start-up des Landes und steht in Arbeitgeberrankings immer an der Spitze. Gestartet als Onlinemarktplatz für Secondhandmode bietet Vinted jetzt eine ganze Palette an gebrauchten Waren an: außer Kleidung auch Kameras, Werkzeug, Golfbälle. Heute ist Vinted daher mehr Ebay als Kleiderkreisel.

Seit der letzten Finanzierungsrunde im Oktober wird Vinted mit fünf Milliarden Euro bewertet. Damit steht das Start-up auf einer Stufe mit dem Berliner Neobroker Trade Republic und ist zwei Milliarden Euro teurer als das Bus- und Bahnunternehmen Flix.

Doch Firmenchef Thomas Plantenga reicht das nicht. „Für Litauen haben wir aktuell eine großartige Größe. Ich aber will weltweit operieren“, macht er gleich zu Beginn des Gesprächs mit dem Handelsblatt deutlich. Der Unternehmer hat auch ein klares Ziel vor Augen: „Alle Arten von Konsumgütern, die es im Haushalt gibt, sollten auf Vinted ge- und verkauft werden können.“

Er will beweisen, dass es möglich ist, einen Weltmarktführer aus der litauischen Hauptstadt mit rund 600.000 Einwohnern aufzubauen. Dafür will Vinted bald auch in Märkte außerhalb Europas expandieren. „Ob in den USA oder Asien, haben wir noch nicht entschieden“, sagt der 41-Jährige.

Plantenga übernahm die Leitung von Vinted 2016 von den Gründern, als die Firma vor dem Aus stand und zu viel Geld verbrannteEr riss das Ruder herum, entließ viele Mitarbeiter und machte die heute in mehr als 20 Ländern aktive Onlineplattform deutlich effizienter.

Der Markt für Secondhandmode ist groß: Laut dem Marktforschungsunternehmen IFH Köln wurde im vergangenen Jahr allein in Deutschland und nur von gewerblichen Verkäufern gebrauchte Kleidung im Wert von sechs Milliarden Euro verkauft. Dazu kommen zahlreiche, nicht registrierte Privatverkäufe.

IFH-Geschäftsführer Kai Hudetz hält Wachstumsraten im hohen einstelligen Prozentbereich in dem Segment für die nächsten Jahre für realistisch: „Eine große Rolle spielt, dass Nachhaltigkeit und Klimaschutz stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt sind – vor allem bei jungen Leuten“, sagt er.

Inzwischen bietet Vinted mehr als nur Mode

Mit seinem Angebot macht Vinted außer dem US-Pionier Ebay auch kleineren Wettbewerbern wie Momox und Refurbed Konkurrenz, aber auch großen Marken wie Zalando, About You und Vestiaire Collective, die auch Kleidung aus zweiter Hand verkaufen. Die Wettbewerbsintensität sei sehr hoch, macht Hudetz klar.

Um sich von den Konkurrenten abzuheben und das Geschäft breiter aufzustellen, hat Vinted mittlerweile eine eigene Logistikfirma aufgebaut. Diese ist in immer mehr Ländern aktiv, bietet inzwischen Paketdienstleistungen inklusive Schließfächern an und unterhält Geschäfte in Spanien und Portugal.

In kleinerem Umfang bietet Vinted in Litauen auch Finanzdienstleistungen an. Diese will Plantenga nun ausbauen, auch Banklizenzen in anderen Ländern beantragen.

Im vergangenen Jahr setzte Vinted 813 Millionen Euro um, was einem Plus von 36 Prozent gegenüber 2023 entsprach. Zum Vergleich: Der Umsatz des US-Unternehmens Ebay, das am Kapitalmarkt mehr als 34 Milliarden Dollar wert ist, stagnierte 2024 bei 2,6 Milliarden Dollar.

Im Gegensatz zu vielen anderen Start-ups schreibt Vinted seit Jahren Gewinne. Im vergangenen Jahr kletterte das Nettoergebnis gegenüber dem Vorjahr um 330 Prozent auf knapp 77 Millionen Euro.

Plantega: „Wir haben Deutschland repariert“

Für dieses Jahr rechnet Firmenchef Plantenga, der im Büro wie viele seiner Mitarbeiter überall von seinem Hund begleitet wird, mit einem deutlich größeren Plus als vergangenes Jahr. „Ich bin sehr zuversichtlich“, erklärt der gebürtige Niederländer. Läuft alles nach Plan, dürfte Vinted 2025 erstmals die Umsatzmilliarde knacken.

„Es wird noch mehr kommen“, erwartet auch Luca Bocchio vom Vinted-Investor Accel Partners, einer Beteiligungsgesellschaft aus London. „Die starke Finanzlage des Unternehmens gewährleistet, dass es weiterhin in das Geschäft investieren und das Wachstum vorantreiben kann“, sagt er.

Thomas Plantenga mit seinem Hund: Viele Vinted-Mitarbeiter bringen ihre Vierbeiner mit ins Büro.Foto: Vinted

Die positive Einschätzung hängt auch mit Deutschland zusammen: „Dieses Jahr haben wir Deutschland repariert“, betont Plantenga und führt aus: „Derzeit ist es unser am stärksten wachsender Markt.“

Über viele Jahre hätten die Millionen Nutzer zwar gern die Vinted-App genutzt, um nach Kleidung für sich oder ihre Kinder zu suchen, erzählt er. Doch sie hätten keine Käufe über die App abgewickelt, sondern alles privat und außerhalb des Netzwerks geregelt.

In solchen Fällen geht Vinted leer aus und erhält keine Verkaufsgebühren. Diese stellen trotz der Expansion in andere Geschäftsfelder weiterhin die Haupteinnahmequelle dar.

Als Reaktion senkte Vinted die Versandgebühren und erweiterte die Versandoptionen. Zugleich wurde die deutsche Plattform mit denen in Frankreich und Italien verknüpft, was das Angebot deutlich vergrößert hat.

Das gefällt vielen Kunden, sorgt allerdings auch bei einigen für Frust, da sich die Lieferzeiten verlängert haben und Sprachschwierigkeiten auftreten. Integrierte Übersetzungsfunktionen werden nicht von allen Verkäufern und Käufern genutzt.

Vor allem in Deutschland gibt es einige Verkäufer, die immer noch lieber außerhalb der Plattform die Transaktionen abwickeln, wie sich Nutzer auf Tiktok beschweren. Dabei sei über die Plattform auch der Käuferschutz gewährleistet, und zwar zu günstigeren Konditionen als bei der Konkurrenz, betont Plantenga.

Gleichwohl kämpft auch Vinted mit Betrugsfällen. Auf der Bewertungsplattform Trustpilot erhält die Deutschlandtochter beispielsweise in mehr als 5800 Bewertungen nur 2,2 von 5,0 Sternen, was dem Urteil „mangelhaft“ entspricht.

Dort werden falsche Angaben und Fake-Verkäufer von Bewertern kritisiert. Zumindest bei teureren Käufen bietet Vinted inzwischen gegen eine zusätzliche Gebühr eine Überprüfung der Echtheit der Ware an – dies in Hamburg.

Frankreich gilt als Vorbild, dort sticht Vinted Amazon aus

Frankreich ist nach Aussage von Plantenga inzwischen zum Paradebeispiel dafür geworden, welchen Weg er mit dem gesamten Unternehmen einschlagen will: Dort ist Vinted im ersten Quartal laut einer Umfrage des Institut Français de la Mode (IFM) zum größten Onlinemodehändler aufgestiegen und hat Amazon wie auch den lokalen Anbieter Kiabi auf die Ränge verwiesen.

Und genau an solchen Entwicklungen will sich der Firmenchef messen lassen. Er ist ehrgeizig. Es ärgert ihn ungemein, dass es so lange gedauert hat, das Geschäft in Deutschland herumzureißen. Zugleich gibt Plantenga zu: „Ich sorge mich immer, ob ich neue Möglichkeiten finde, die zur Wertschöpfung von Vinted beitragen.“

Seit Kurzem investiert Vinted aus einem kleinen Fonds auch Risikokapital in junge Start-ups. „Warum wir das machen? Wegen Milda“, sagt Plantenga und verweist auf Milda Jasaite, die mit dieser Idee zu ihm kam. Milda sei der Meinung, dass Vinted letztlich auch finanziell von den Beteiligungen profitieren könne, erzählt er – sie probierten das jetzt einfach mal aus.

Vinted-App auf dem Smartphone: Inzwischen können darüber auch Elektronikartikel und Haushaltswaren verkauft werden. Foto: Vinted

In seine Zukunftsvision für den Gesamtkonzern lässt sich Plantenga jedoch nicht hineinreden. Da gibt allein der studierte Ingenieur den Weg vor: „Wir haben einen Marktplatz, eine Logistik- sowie eine Bezahlplattform.“

Dadurch könne sich Vinted neue Einnahmequellen erschließen. Als Basis dienten die mehreren zehn Millionen Kunden, die bereits regelmäßig über die Vinted-App einkauften. „Im Moment kommen wir auf einen Bruttowarenwert von mehreren Milliarden“, sagt Plantenga. Ziel seien 100 Milliarden, denn es gehe darum, etwas „herausragend Großes“ zu bauen, konkretisiert er seine Ambitionen.

Der Anfang war hart, doch nun sind Investoren überzeugt

Der Unterstützung seiner Investoren bei dem geplanten Expansionskurs kann sich Plantenga gewiss sein. Das war allerdings nicht immer so.

Denn die Erfolgsgeschichte von Vinted drohte bereits früh zu scheitern. Auf die Idee, eine Secondhandmode-Plattform zu entwickeln, kamen die Freunde Milda Mitkute und Justas Janauskas auf einer Party 2008. Bald entstand ein kleines Geschäft, damals noch unter dem Namen Mandodrabuziai.lt (aus dem Litauischen übersetzt: „Meine Kleidung“).

Deutschland war für die Plattform der erste Markt außerhalb von Litauen: Mitgründerin Mitkute hatte auf einer Reise zwei Deutsche beim Couchsurfing kennengelernt, also über das Netzwerk, das Reisende mit Menschen zusammenbringt, die kostenlos eine Übernachtungsmöglichkeit in ihrem Zuhause anbieten. Die Vinted-Plattformen „Mamikreisel“ und „Kleiderkreisel“ waren bald darauf vielen Deutschen ein Begriff.

Doch die Kosten liefen damals aus dem Ruder, die Fluktuation der Nutzer war hoch. Und Risikokapitalgeber wie Accel und die Beteiligungsfirma Insight Partners drohten wieder abzuspringen.

Plantenga kam vor neun Jahren dazu und sollte helfen, das Aus abzuwehren. Die Gründer „wollten nicht die größte Insolvenz eines Start-ups im Baltikum hinlegen“, erinnert er sich und lobt deren Bereitschaft, sich neu zu erfinden.

Mitgenommen aus der Anfangszeit habe er eine strenge Kostendisziplin, wie er berichtet. Wöchentlich trifft sich der Firmenchef weiterhin mit den zuständigen Managern, um alle Ausgaben zu überprüfen.

Das kommt bei Investoren offenbar gut an. „Vinted steht immer noch ganz am Anfang seiner Erfolgsstory“, lobt Investor Bocchio von Accel.

Zur Firmengeschichte gehören inzwischen auch kleinere Zukäufe. So hat Vinted die dänische Plattform Trendsales übernommen sowie Rebelle aus Hamburg. Letztere sind für die Überprüfung von Luxusartikeln verantwortlich.

Plantega plant den Gang an die Börse

Seit seiner Gründung hat Vinted mehr als eine halbe Milliarde Dollar bei Investoren eingesammelt. Der nächste Schritt ist für Plantenga klar: Es soll an die Börse gehen. „Wir wissen noch nicht, wann das der Fall sein wird“, meint der Firmenchef. Trotzdem will er vorbereitet sein. Er führe Vinted bereits, als wäre es ein börsennotiertes Unternehmen, sagt er – Vinted sei praktisch bereit für den Börsengang.

Peter Singlehurst vom schottischen Fondsanbieter Baillie Gifford, der seit Oktober investiert ist, hält das für die richtige Strategie: „Thomas baut etwas Großes auf“, lobt er.

Auch Carolina Brochado vom schwedischen Investor EQT Growth traut der Firma aus der litauischen Hauptstadt Vilnius einiges zu: „Wir haben großes Vertrauen, dass Vinted seinen Wachstumskurs fortsetzen und der größte vertikal integrierte Marktplatz für Secondhandartikel in Europa und darüber hinaus werden wird.“ Die Investitionen der vergangenen Jahre brächten klare Vorteile für Käufer und Verkäufer und könnten von anderen Marktteilnehmern nur schwer nachgeahmt werden.

Beschäftigt ist Vinted indes aktuell mit einem unangenehmen Vorfall: Im April wurde durch Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ bekannt, dass auf Vinted von Frauen gepostete Fotos, auf denen sie selbst Kleidung zum Verkauf tragen, ohne deren Zustimmung in sexualisierter Art und Weise auf einem Kanal der Messaging-App Telegram geteilt wurden. Plantenga erklärt dazu: „Unser Ziel ist es, die Daten der Schuldigen zu erhalten und sie mithilfe der Polizei zu stellen.“

Dieses Wochenende rückte die Arbeit aber erst mal in den Hintergrund, es wurde gefeiert. An einem See in der Nähe von Vilnius trafen sich die inzwischen mehr als 2000 Vinted-Mitarbeiter zum Vinted-Fest. Auch damit möchte Plantenga den Zusammenhalt fördern. Von dem in der Start-up-Szene verbreiteten Klischee des dauerarbeitenden Gründers hält er indes nicht viel: „Ich arbeite nicht ständig.“

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