„Von 110 Prozent auf 0 – das war nicht nur gut“
Viele Gründer träumen vom Exit. Aber was kommt danach? Unternehmer berichten vom Adrenalin-Verlust – und Fehlern, die sie gern vermieden hätten.
AlsAls alles geschafft war, die neun Monate harter Verhandlungen, die Anrufe von Investoren mitten in der Nacht, das Bangen – als also der Deal über die dreistellige Millionensumme unterschrieben war, für die Anne und Stefan Lemcke ihren Gewürzanbieter Ankerkraut an den Lebensmittelkonzern Nestlé verkaufen würden – da machte sich Enttäuschung breit.
„Man stellt sich das das ganze Leben lang vor: Da ist dieses Tor aus Gold, durch das man dann durchgeht“, erzählt Stefan Lemcke in der aktuellen Folge des WiWo-Podcasts Chefgespräch. „Aber es fühlt sich in dem Moment nicht ganz so glamourös an.“
Der Unternehmer würde niemals sagen, dass Geld nicht glücklich mache. „Geld macht auch glücklich“, betont er im Podcast. „Aber es ist halt nicht alles.“ Die Jahre zuvor, in denen das Unternehmen wuchs, ständig was los war, sie als Gründer etwas bewegen konnten – in denen, so meint das Paar rückblickend, seien sie glücklicher gewesen als in dem Moment vor gut drei Jahren, in dem die Kaufsumme auf ihrem Konto landete.
„Von 110 Prozent auf 0 oder 20 – das war schon nicht nur gut“, erinnert sich Stefan Lemcke.
ES GEHT UM MEHR ALS NUR GELD
Ein Exit ist der Traum eines jeden Gründers. Denn er bringt nicht nur viel Geld. Sondern auch die Möglichkeit, dass das eigene Unternehmen noch größer werden kann, neue Märkte und neue Kunden erobert, noch klügere Köpfe anziehen und über ein noch größeres Budget verfügen kann. Kurzum: Ein Gründer hat dann richtig was bewegt.
Aber der Exit ist eben auch ein Bruch im bisherigen Leben. Wer aussteigt, fällt wie Stefan Lemcke von 110 Prozent auf 0. Wer an Bord bleibt, muss sich umstellen: Eben konnte er noch alles allein entscheiden, jetzt muss er sich in einen Konzern einfügen, Abstimmungsschleifen drehen, Formulare ausfüllen, Widerworte akzeptieren.
Wie bekommt man das hin?
Christian Reber hat es nicht hinbekommen. Einst hat er 6Wunderkinder mitgegründet, ein Unternehmen, das eine App für To-do-Listen entwickelt hat. Im Juni 2015 wurde es an den Softwarekonzern Microsoft verkauft. Für 100 bis 200 Millionen Dollar, wie es in der Branche heißt. Reber verpflichtete sich, für zwei Jahre an Bord zu bleiben, um das 70-köpfige Team weiterhin zu führen. „Es ging mir komplett scheiße zu der Zeit“, erzählte er vor ein paar Jahren der WirtschaftsWoche. Er war für die neue Aufgabe einfach nicht gemacht. „Ich halte mich persönlich für einen schlechten Manager. Ich bin halt Gründer. Das ist meine DNA.“
Eine Erfahrung, die auch Ferry Heilemann gemacht hat. Mit seinem Bruder gründete er einst das Schnäppchenportal Dailydeals und verkaufte es im Jahr 2011 für 114 Millionen Dollar an Google. „Es fühlte sich an, als würde man von der Autobahn direkt in die Tempo-30-Zone fahren“, erinnerte sich Heilemann einst im Gespräch mit der WiWo.Ausgerechnet sie, Unternehmer seit Teenagertagen, waren plötzlich nur noch Angestellte. „Bei uns ging's um: Revenue, Deals, Execution. Bei Google ging's darum, möglichst wenig Risiko einzugehen und die perfekte Buchhaltung zu haben.“
Romy Schnelle, Geschäftsführerin des High-Tech Gründerfonds, kennt das. Fast 200 Exits hat der staatlich unterstützte Seed-Investor in den vergangenen 20 Jahren begleitet. Die meisten Gründer, so Schnelles Beobachtung, gehen anschließend mit zu dem Unternehmen, an das sie ihr Start-up verkauft haben. Meist für zwei Jahre. Die Verträge enthalten oft eine Klausel, die dafür sorgt, dass sie zunächst nur einen Teil des Geldes erhalten – und der restliche Betrag auch davon abhängt, wie sich das Unternehmen unter dem neuen Dach entwickelt.
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WAS IST MEIN EIGENTLICHER WERT?
Das eigene Unternehmen abgeben. Darauf vertrauen, dass es gedeiht. Entscheidungen mittragen, die man selbst nicht getroffen hätte. Sich in eine neue Rolle einfinden. Es gibt durchaus Gründer, denen das gelingt. „Die sehr erfolgreichen Gründer, gemessen in Euro, haben ein starkes inneres Gerüst“, bemerkt Romy Schnelle. Vermutlich sei dieses Gerüst auch ein Grund für ihren Erfolg. Der Schlüssel dafür, den Übergang gut zu meistern, sei es, sich des eigenen Wertes bewusst zu werden, sich zu fragen, an welcher Stelle man seine Zeit, seine Energie, sein Geld am besten einsetzt. Und sich im Zweifel auch die Ruhe der Reflexion zu nehmen, eine Pause also. „Wer das vorher klar hat, der hat das auch im Moment des Exits klar“, lautet Schnelles Erfahrung.
Michael Reinicke, einer der Gründer von Mitfahrgelegenheit.de, der sein Unternehmen 2015 mit Blablacar fusionierte, empfiehlt Gründern, ehrlich zu sich selbst zu sein. „Überlege dir gut, ob du als Gründer und Unternehmenslenker auch mal nicht Chef sein kannst, der sich mit anderen abstimmen muss und auch mal andere Entscheidungen akzeptieren kann“, rät er – und macht deutlich: „Das heißt: neue Entscheidungswege, mehr Kompromisse. Wenn du das nicht willst, dann mache besser einen klaren Cut.“
Gerade bei den großen Exits, beobachtet Schnelle, gelingt es den Gründern etwas besser, sich in der neuen Rolle zu finden. Wer ein Team von mehreren 100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aufgebaut hat, habe den Wandel vom Gründer zum CEO gemeistert und schaffe es deshalb meist auch, dieses Team in ein größeres Unternehmen zu integrieren.
Langfristig bleiben dennoch die wenigsten Gründer an Bord. Denn vieles aus dieser Welt – zähe Budgetverhandlungen, aufwendige Abstimmungen – ermüdet sie eher, sie möchten lieber wieder selbst anpacken. Vielleicht mit dem nächsten Start-up. Oder als Business Angel.
Auch Anne und Stefan Lemcke wissen sehr genau, wo ihre Stärken liegen und wo nicht. Die Sache anschieben, das konnten sie. Die Sache dann aber auch in professionelle Strukturen bringen, das eher nicht. Auch deshalb haben sie sich für den Verkauf an Nestlé entschieden. Und ihn keine Sekunde bereut. Auch wenn der Übergang nicht einfach war.
WIE DER START BEI DEN OLYMPISCHEN SPIELEN
Anne Lemcke erinnert sich ebenso gut wie ihr Mann an diesen Moment nach der Unterschrift – als das Adrenalin auf einmal weg war. Von jetzt auf gleich.
Die Anbahnung des Deals habe sich, so erzählt sie im WiWo-Podcast Chefgespräch, ein wenig angefühlt wie die Teilnahme bei den Olympischen Spielen. „Das ist wahnsinnig anstrengend. Es gibt einem aber auch wahnsinnig viel“, sagt sie. „Man hat immer Herzklopfen: Und? Schaffen wir das jetzt und kommen wir da über die Ziellinie?“
Ständig klingelte das Telefon, ständig war irgendwas mit irgendwem zu besprechen. Und dann, als der Deal stand, „ruft dich keiner mehr an“, erinnert sich Lemcke. „Von heute auf morgen ist alles vorbei.“ Ob das hart fürs Ego war? Sie schüttelt den Kopf: „Nein, hart für den Intellekt.“
Stefan und Anne Lemcke sind bei Nestlé heute komplett raus. Sie genießen es, als Investoren anderen Gründern zur Seite zu stehen. Aber auch, mehr Zeit für ihre Familie zu haben.
Auf die Frage, was sie sich zum Exit gegönnt haben, gibt sich Stefan Lemcke im Podcast ironisch: „Ich habe die Karte richtig glühen lassen und mir die Komoot-App in der Vollversion gekauft.“ Und dann habe er, fügt er hinzu, auch noch ein Mountainbike dazu gekauft. Anne Lemcke hat einen Thermomix angeschafft. Und: „Wir waren mit den Kindern im Disneyland Paris – Erinnerungen schaffen.“
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