Wenn Anleger sich überschätzen, kann es teuer werden | © JulPo/Getty Images
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Von Gier, Angst und teuren Bauchentscheidungen: Die 10 größten Anlegerfehler – und wie man sie vermeidet | Teil 1

An den Finanzmärkten treffen Fakten auf Emotionen – und oft gewinnen Letztere. Obwohl uns heute mehr Informationen und Tools zur Verfügung stehen als je zuvor, treffen viele Anleger Entscheidungen, die langfristig teuer werden. Mal ist es die Euphorie in der Hausse, mal die Panik im Crash. Mal sind es Charts, mal TikTok-Tipps.

Dabei zeigen Studien immer wieder: Es sind nicht die Anlagen, die scheitern, sondern die Anleger. Die sogenannte Verhaltensrenditelücke beschreibt genau das: Anleger erzielen oft deutlich weniger Rendite als die Fonds oder ETFs, in die sie investieren – weil sie zum falschen Zeitpunkt ein- oder aussteigen. Wer investiert, braucht deshalb nicht nur eine Strategie, sondern auch Selbstkenntnis.

In zwei Ausgaben beschreibe ich zehn typische Verhaltensfehler, die ich immer wieder in Gesprächen mit Anlegern erlebe – mit psychologischer Erklärung, empirischen Daten und konkreten Gegenmaßnahmen.

1. Selbstüberschätzung – der Overconfidence-Bias

Viele Privatanleger halten sich für besonders versiert. Ein klassisches Beispiel aus der Psychologie: 82 Prozent der Menschen glauben, besser Auto zu fahren als der Durchschnitt. Diese kognitive Verzerrung findet sich auch an der Börse. Viele sind überzeugt, den Markt schlagen zu können – durch Timing, Bauchgefühl oder „besondere Intuition“.

Was Studien zeigen

Die Realität zeichnet ein anderes Bild: Übermäßiges Selbstvertrauen führt häufig zu übertriebenem Handeln. So fanden Barber und Odean heraus, dass männliche Anleger 45 Prozent häufiger handelten als weibliche – mit dem Ergebnis, dass ihre jährliche Rendite im Schnitt um 1,4 Prozentpunkte niedriger lag.

Jede Transaktion verursacht Kosten: Gebühren, Spreads, Steuern. Und wer ständig umschichtet, verpasst oft das große Bild. Geduldige, disziplinierte Anleger schneiden langfristig meist besser ab als hyperaktive Trader.

Wie man den Fehler vermeidet

Was hilft, ist ein gesundes Maß an Demut. Nicht jeder kann besser sein als der Markt – und das muss man auch nicht. Besser ist es, sich auf eine solide Strategie zu verlassen, breit zu streuen und nicht zu häufig zu handeln. Wer Anlageentscheidungen dokumentiert und später ehrlich analysiert, lernt aus eigenen Irrtümern und reduziert die Illusion der eigenen Unfehlbarkeit.

2. Herdentrieb – wenn alle rennen, renn ich mit (Herding & FOMO)

An den Märkten wirkt oft ein ähnliches Prinzip wie auf dem Schulhof: Wenn alle in eine Richtung laufen, will niemand zurückbleiben. Anleger folgen der Masse – aus Unsicherheit, aus Gier oder aus Angst, etwas zu verpassen. Dieses Verhalten nennen Psychologen „Herdentrieb“ oder FOMO („Fear of Missing Out“).

Wer sich von Trendthemen mitreißen lässt, sei es Bitcoin, KI-Aktien oder Meme-Stocks, investiert oft, ohne die Risiken zu durchdringen. Umgekehrt führen negative Schlagzeilen schnell zu Massenverkäufen: Alle wollen raus, weil alle rauswollen. Und so entstehen Blasen – oder Crashs.

Was Studien zeigen

Eine Untersuchung aus Taiwan belegt: Anleger, die stark dem Herdentrieb folgen, erzielen signifikant schlechtere Ergebnisse. Auch die Dotcom-Blase um 2000 oder der Hype um GameStop und Dogecoin 2021 sind Mahnmale dieser Dynamik. Die Masse verstärkt Ausschläge – in beide Richtungen.

Wie man den Fehler vermeidet

Statt der Masse zu folgen, hilft es, die eigene Linie zu finden. Passt das Investment zu meinen Zielen, meinem Risikoprofil, meiner Strategie? Eine simple Checkliste für jede Anlageentscheidung kann helfen, objektiv zu bleiben. Und eines sollte man sich klarmachen: Verpasste Chancen sind selten teuer – falsche Entscheidungen im Rausch der Menge dagegen schon.

Warren Buffett formulierte es treffend: „Sei ängstlich, wenn andere gierig sind – und gierig, wenn andere ängstlich sind.“

3. Verlustaversion – warum Verluste doppelt schmerzen

Es ist ein tief verankertes Gefühl: Verluste schmerzen stärker, als Gewinne Freude bereiten. Laut der Prospect Theory empfinden Menschen einen Verlust etwa doppelt so intensiv wie einen gleich hohen Gewinn. Dieses Ungleichgewicht prägt viele Anlageentscheidungen – oft zum Nachteil der Anleger.

Der typische Fehler: Man hält an Verlustpositionen fest – in der Hoffnung, sie „kommen schon wieder hoch“. Gleichzeitig trennt man sich viel zu früh von Gewinneraktien, weil man Gewinne sichern will. In der Fachsprache nennt man das Dispositionseffekt. Statt rational zu bewerten, entscheidet das Bauchgefühl: Verlust vermeiden – koste es, was es wolle.

Was Studien zeigen

In einer Analyse von Odean (1998) realisierten Privatanleger ihre Gewinner 50 Prozent häufiger als ihre Verlierer. Sie verkauften zu früh die guten und hielten zu lang die schlechten Titel – mit klaren Nachteilen für die Performance. Wer so handelt, verschenkt Rendite und riskiert, dass Verlustpositionen weiter abrutschen.

Wie man den Fehler vermeidet

Statt auf den Einstandspreis zu starren („Ich will wenigstens plus/minus null raus“), hilft eine pragmatische Frage: Würde ich diese Aktie heute – zum aktuellen Kurs – noch einmal kaufen? Wenn nicht: raus. Klare Verkaufsregeln, etwa durch Stop-Loss-Marken oder regelmäßiges Rebalancing, schaffen Distanz zum emotionalen Schmerzpunkt.

Verluste gehören zum Investieren. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Wer sie als „Lernkosten“ verbucht, gewinnt langfristig – an Erfahrung und an Ruhe.

4. Bestätigungsfehler – nur hören, was man hören will

Wir alle lieben es, recht zu behalten. Doch genau das wird Anlegern häufig zum Verhängnis. Denn wer nur Informationen wahrnimmt, die die eigene Meinung bestätigen, sitzt in einer selbst gebauten Echokammer – blind für Risiken.

Der sogenannte Confirmation-Bias beschreibt die Tendenz, selektiv Informationen zu suchen, die das eigene Weltbild untermauern. Wer etwa fest an eine bestimmte Aktie glaubt, liest bevorzugt positive Nachrichten und blendet kritische Stimmen aus. Warnsignale? Werden zur Nebensache. Kritik? Gilt als voreingenommen.

Was Studien zeigen

Psychologische Experimente zeigen, dass Menschen oft erst eine Meinung haben – und dann passende Fakten suchen, nicht umgekehrt. Anleger, die diesem Muster folgen, treffen Entscheidungen auf Basis von Wunschdenken statt Wirklichkeit. Die Folge: Risiken werden unterschätzt, Fehlentscheidungen ignoriert oder schöngeredet.

Wie man den Fehler vermeidet

Wer besser entscheiden will, muss sich trauen, auch die unbequemen Perspektiven zu hören. Eine einfache Frage hilft: Was müsste passieren, damit ich falsch liege? Oder: Würde ich die Aktie wieder kaufen – mit dem Wissen von heute? Noch besser: Ein „Teufelsadvokat“ im Freundeskreis oder ein Berater, der ehrlich widerspricht. So entsteht keine Echokammer, sondern ein Resonanzraum für bessere Entscheidungen.

Bestätigungsfehler sind menschlich – aber gefährlich. Wer bewusst gegenteilige Meinungen zulässt, wird nicht nur klüger. Sondern auch erfolgreicher an der Börse.

5. Home-Bias – die Heimatliebe im Depot

Wer in Deutschland lebt, investiert in deutsche Aktien. Wer in den USA wohnt, kauft amerikanische Titel. Klingt nachvollziehbar – ist aber riskant.

Der sogenannte Home-Bias beschreibt die Tendenz von Anlegern, das eigene Portfolio stark auf das Heimatland zu fokussieren. Warum? Vertrautheit schafft gefühlte Sicherheit. Man kennt die Marken, liest die Nachrichten, hört Bekannte darüber sprechen. Doch genau diese Vertrautheit führt zu Klumpenrisiken.

Was Studien zeigen

Schon 1991 belegten French und Poterba, dass 79 Prozent der deutschen Anleger ausschließlich in heimische Aktien investierten – obwohl Deutschland nur einen Bruchteil der globalen Marktkapitalisierung stellt. In den USA war die Verzerrung mit fast 94 Prozent noch extremer. Und das hat Folgen: Wer sein Depot nicht international diversifiziert, hängt am Tropf einer einzigen Wirtschaft – mit allen politischen und konjunkturellen Risiken.

Wie man den Fehler vermeidet

Globale Streuung ist keine Option – sie ist Pflicht. Moderne ETFs machen es leicht, weltweit zu investieren: ob in den MSCI World, den ACWI oder gezielt in Regionen wie Asien oder Schwellenländer. Wichtig ist: Die Weltwirtschaft ist heute vernetzter denn je – wer nur auf das Heimatland setzt, verzichtet auf Chancen und erhöht unnötig sein Risiko.

Vertrautheit ist kein Qualitätskriterium. Wer global denkt, investiert robuster – und schützt sich besser vor lokalen Schieflagen.

Zwischen den Zeilen

Anlegen ist kein Zahlenspiel – es ist ein Verhaltenstest. Die größten Fehler entstehen nicht im Depot – sondern im Kopf. Nicht die Märkte bringen uns aus der Spur, sondern unsere Reaktionen darauf.

Wer langfristig investieren will, braucht mehr als das perfekte Produkt. Er braucht Struktur. Einen Plan, der auch dann hält, wenn alles wackelt. Und ein Umfeld, das nicht Emotionen belohnt – sondern Klarheit stärkt.

Ich bin überzeugt: Die besten Renditen entstehen nicht durch Glück. Sondern durch Disziplin, innere Ruhe – und das Vertrauen, dass man nicht jeder Schlagzeile folgen muss, um gut anzukommen.

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Sönke Niefünd schreibt über Kapitalmarkt, Börse, Kapitalanlage, Banken & Beratung

Insider für Kapitalmarkt, Börse und Vermögensanlage. Mit Leidenschaft für Kapitalmärkte und über 20 Jahren Erfahrung im Bankensektor und der Beratung anspruchsvoller vermögender Kunden teile ich hier fundierte Einblicke, praxisnahe Markteinschätzungen und Trends aus der Finanzwelt.

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