Von Grundsteuer bis One-Stop-Shop – Warum Deutschland bei der Digitalisierung nicht vorankommt
Immer häufiger schafft der Staat hohe Anforderungen, ohne dass die Verwaltung selbst die Hausaufgaben erledigt. Für Unternehmen bedeutet das Papierchaos und große Unsicherheit.
Berlin. Für Menschen mit eigenem Grundstück läuft die Zeit langsam ab: Ende des Monats endet die Frist für alle Grundstücksbesitzer in Deutschland, ihre dazugehörige Steuererklärung an das Finanzamt zu übermitteln.
Für alle Grundstücksbesitzer? Nein. Die Bundesregierung selbst nimmt sich noch bis Ende September Zeit, um ihre eigene Grundsteuererklärung für bundeseigene Immobilien fertigzustellen.
Die Grundsteuer ist ein besonders eindrückliches Beispiel für ein Phänomen, das auch an anderer Stelle zu beobachten ist. Immer häufiger kreiert die Politik neue Regeln, ohne dass die Verwaltung selbst es schafft, die dadurch anfallenden Aufgaben zu erledigen.
Häufig sind es Unternehmen mit traditionell viel Verwaltungskontakt, die unter dieser Langsamkeit leiden. Das Ergebnis: immenses Papierchaos und große Unsicherheit, was wann wo und wie eingereicht werden kann und muss.
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Drei Projekte zeigen besonders eindrücklich, wie die Politik hohe Anforderungen für Unternehmen schuf, ohne selbst die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
1. Das Chaos mit der elektronischen Registrierkasse
Um Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu bekämpfen, stellt die Politik hohe Anforderungen an Läden mit elektronischer Registrierkasse. Seit Anfang dieses Jahres müssen alle Unternehmen, die eine solche Kasse nutzen, sicherstellen, dass eine sogenannte Technische Sicherheitseinrichtung (TSE) darin eingebaut werden kann. Über dieses Sicherheitsmodul sollen alle Kassenvorgänge lückenlos und unveränderbar aufgezeichnet werden.
Doch da enden die Anforderungen noch nicht. Denn bereits seit 2020 sind Unternehmen mit einer solchen Kasse verpflichtet, diese beim zuständigen Finanzamt zu melden. Das Problem: Bisher gibt es keine Möglichkeit, diese elektronische Meldung tatsächlich auch vorzunehmen.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) teilt mit: „Bis zur Bereitstellung einer entsprechenden Software ist die Mitteilung nach Paragraf 146a Absatz 4 Abgabenordnung ausgesetzt.“ Ziel ist es laut BMF, sowohl Unternehmen als auch Finanzverwaltung das Ausfüllen und Erfassen von analogen Papiervordrucken zu ersparen. Doch die müssen jetzt darauf warten, ihre Pflicht auch endlich erfüllen zu dürfen. Die Prognose: Die Meldemöglichkeit wird voraussichtlich erst im Sommer 2024 zur Verfügung stehen.
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2. Keine elektronische Bescheinigung
Unternehmen, die einen elektronischen Marktplatz betreiben wie etwa Amazon, sollten nach Vorstellung der Finanzbehörden für die bei ihnen tätigen Händler aus Drittstaaten haften, wenn diese ihre Umsatzsteuer nicht bezahlen. Dazu sollte eine digitale Bescheinigung geschaffen werden, damit die Händler gegenüber den Onlineplattformen nachweisen können, dass sie ihren steuerlichen Verpflichtungen nachkommen.
So zumindest lautete der Plan beim Start der Regelung im Jahr 2019. Doch um diesen Plan umsetzen zu können, hätte die Verwaltung ebendiese digitale Bescheinigung erst einmal ins Leben rufen müssen. Eine Aufgabe, die bis heute nicht erledigt ist.
Als klar wurde, dass die digitale Bescheinigung auf sich warten lassen würde, schuf die Verwaltung stattdessen eine analoge Papierbescheinigung, die ausgefüllt, unterschrieben und abgeschickt werden musste. Nach Ansicht von Branchenexperten ein nicht fälschungssicheres Vorgehen. Im Juli 2021 wurde diese Bescheinigung dann wieder abgeschafft. Mittlerweile müssen Händler eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer vorlegen.
Roger Gothmann ist Chef des Finanzdienstleisters Taxdoo und hat neun Jahre lang für das Bundeszentralamt für Steuern gearbeitet. Er beschreibt das Problem so: „Erst hat man in der Verwaltung versucht, IT-Experten Steuerrecht beizubringen und dann Steuerrechtler zu Programmierern umzuschulen.“
Beides habe nicht funktioniert. Momentan sei es oft so, dass die Verwaltung sich nicht mit der digitalen Realität in den Unternehmen auskenne.
3. Dateneingaben „nicht plausibel“
Gothmanns Eindruck bestätigte sich auch, als die Finanzverwaltung auf Druck der EU hin beschloss, einen sogenannten One-Stop-Shop für die Umsatzsteuer einzuführen. Vor allem für international tätige Unternehmen sollte das eine Erleichterung bringen. Die dahinterstehende Idee: Wo es vorher viele Anlaufstellen in mehreren Ländern gab und heimische Steuerberater beauftragt werden mussten, sollte jetzt eine digitale Lösung die Arbeit erleichtern.
Doch als der „One-Stop-Shop“ 2021 zum ersten Mal zum Einsatz kommen sollte, standen viele Unternehmen vor einem großen Rätsel. Das System, in das sie ihre Daten eintragen sollten, warf ihnen vor, die Informationen seien „nicht plausibel“. Die Erklärung ließ sich also nicht abschicken. Wo viele Fachkräfte in den Unternehmen nach dem Fehler bei den eigenen Eingaben suchten, lag das Problem tatsächlich im System der Finanzverwaltung. Das Bundesfinanzministerium spricht von einem „Programmierfehler“.
„Es ist ein Problem, wenn die Software quasi am lebenden Objekt weiterentwickelt wird“, kritisiert Experte Gothmann. In anderen Ländern wie Österreich beispielsweise würde eine Testversion zur Verfügung gestellt werden, bevor es dann ernst wird. Denn so entsteht viel Chaos, wo digitaler Fortschritt Erleichterung bringen sollte.
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