Auf Instagram hat die Firma 141.000 Follower – 100.000 mehr als der Account des Persil-Herstellers Henkel. - Foto: Junglück
Premium

Von Junglück bis Harry’s: Das Erfolgsgeheimnis der jungen Kultmarken im E-Commerce

Start-ups lassen die Konsumgüterkonzerne alt aussehen. Sie nehmen ihnen Marktanteile ab und begeistern mit ihren Marken insbesondere junge Kunden.

Düsseldorf, Hamburg. Der Dax-Konzern Beiersdorf hatte sich von der Marke „Own“ einiges versprochen: Ausschließlich online sollte die Neukreation vertrieben werden, die Rede war vom „direkten digitalen Draht“ zum Konsumenten. Doch die im Februar 2021 vom Nivea-Produzenten gestartete Kosmetiklinie ist mit ihrem Anspruch nun krachend gescheitert: Der Verkauf wurde eingestellt, der Webshop ist offline.

„Wir haben bei Own den Fehler gemacht, mit einer neuen Marke zu starten“, sagte Beiersdorf-Chef Vincent Warnery dem Handelsblatt. „Es war mehr ein Experiment als ein Business.“

Beiersdorf ist nicht der einzige Konsumgüterkonzern, der sich mit dem E-Commerce schwertut. Dagegen überzeugen immer mehr Start-ups mit neuen digitalen Marken und Trendprodukten die Kunden – und machen den etablierten Unternehmen erfolgreich vor, wie die Konsumgüterwelt von morgen aussehen wird.

Unser Sommer-Special: Jetzt das digitale Handelsblatt statt 4 ganze 6 Wochen für 1 € lesen

„Die großen Konsumgüterkonzerne geraten dadurch stark unter Druck“, bestätigt Chehab Wahby, Konsumgüterexperte bei der Beratung EY-Parthenon. „Sie spüren, dass die Akzeptanz ihrer etablierten Marken bei vielen Kunden sinkt und die jungen Marken ihnen große Marktanteile abjagen.“

Im Onlinehandel mit Kosmetik- und Körperpflegeprodukten haben die 20 größten etablierten Marken in Deutschland einen Marktanteil von gerade einmal 14 Prozent. Dabei ist genau das der Zukunftsmarkt. Der Onlinehandel in diesem Segment ist in den vergangenen Jahren im Schnitt um 21 Prozent gewachsen, während das stationäre Geschäft nur jeweils um vier Prozent zugelegt hat.

Die Spielregeln beim Aufbau und der Führung von Marken haben sich grundsätzlich geändert. „Früher war es notwendig, eine große nationale Marke zu haben und Millionensummen ins Marketing zu stecken, um in die Regale des Einzelhandels zu kommen“, sagt Berater Wahby. „Das waren riesige Markteintrittsbarrieren, die es neuen Anbietern fast unmöglich gemacht haben, Erfolg zu haben.“

Die Zauberformel für das Überwinden dieser Barriere nennt sich „Direct to Consumer“, gern D2C abgekürzt. Hersteller umgehen dabei den klassischen Einzelhandel und verkaufen ihre Produkte über soziale Netzwerke und Onlineplattformen direkt an die Endkunden.

Jungunternehmer wie Benedikt Klarmann schreiben inzwischen die Erfolgsgeschichten. Der Gründer der Kosmetikmarke Junglück erzielte bereits im ersten Jahr nach der 2018 erfolgten Gründung einen Umsatz von 1,7 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr lagen die Erlöse bei 24 Millionen Euro, und das mit nur 56 Mitarbeitern. Laut Jahresabschluss im Bundesanzeiger war das Unternehmen von Anfang an profitabel.

Klarmann sieht einen Wettbewerbsvorteil im direkten Zugang zu den Kunden. Junglück analysiere, wer was kaufe oder wie groß Warenkörbe und die Abstände zwischen den Bestellungen seien. Dadurch ließen sich Rückschlüsse auf das Verhalten der Konsumenten und ihre Präferenzen ziehen.

„In Konzernen ist dieses Wissen sicher auch da, aber es scheitert womöglich an längeren Entscheidungswegen – und daran, dass Konzerne das Thema D2C lange Zeit nicht so stark priorisiert haben“, sagt der 35-jährige Unternehmer. Junglück hat etwa auf Basis von Kundenbefragungen neue Cremes entwickelt und versucht so, schneller die Wünsche der Konsumenten zu bedienen.

Unser Sommer-Special: Jetzt das digitale Handelsblatt statt 4 ganze 6 Wochen für 1 € lesen

Junglück hat auf Instagram mehr Follower als Henkel

Seine Markenbotschaften transportiert das Start-up vor allem über Youtube und die sozialen Medien, wo Junglück mit Influencern kooperiert. Auf Instagram hat die Firma 141.000 Follower – 100.000 mehr als der Account des Persil-Herstellers Henkel.

Vorbild ist der US-Markt, wo D2C-Marken schon auf Augenhöhe mit den Konzernen sind. So gehört der 2012 gegründete Rasiererhersteller Harry’s, der anfangs nur Online-Abos anbot, bereits zu den Marktführern. Und das neben Weltmarken wie Gillette von Procter & Gamble und Wilkinson. Vor zwei Jahren verhinderte die US-Kartellbehörde, dass Wilkinson-Eigentümer Edgewell das Start-up Harry’s übernahm – und bestätigte damit, welche Marktbedeutung der Newcomer schon hat.

Harry’s will auch in Deutschland angreifen. „Wir haben es in den USA und in Großbritannien geschafft, die Nummer zwei im Markt zu werden. Und wir arbeiten hart daran, diesen Erfolg in Deutschland zu wiederholen“, kündigt Matt Hiscock, der das Europageschäft von Harry’s leitet, im Gespräch mit dem Handelsblatt an.

„Unser Onlinegeschäft in Deutschland läuft gut, wir haben bereits an Kunden in 1700 Städten verkauft“, so Hiscock. Aber um noch schneller bekannt zu werden, verkauft Harry’s seine Rasierer jetzt auch exklusiv in den 2000 Filialen der Drogeriekette Rossmann. „Für unsere Kunden ist es wichtig, unsere Produkte auch beim alltäglichen Einkauf sehen zu können.“

Authentizität wird Kern der Markenbildung

Kern bleibt die Onlinepräsenz, die mehr als nur Marketing und Vertrieb ist. „Der direkte Kontakt zu den Konsumenten ist eine wesentliche Stärke unseres Geschäfts“, betont Hiscock, „wir wissen genau, was sie sich von uns wünschen.“ Dies kombiniere das Unternehmen mit der Beobachtung von Trends im Markt und entwickele daraus neue Produkte, beispielsweise in der Haar- und Gesichtspflege. „Das macht uns sehr viel agiler und fokussierter in der Entwicklung“, erklärt der Harry’s-Manager.

Darin sieht auch Experte Wahby das Erfolgsgeheimnis der jungen Marken. „Durch die direkte Ansprache über die Social Media können kleinere Marken sehr spezielle Kundengruppen erreichen“, beobachtet er. Auch hätten sie ein komplett anderes Marketingmodell. „Mit ihrem optimierten Onlinemarketing haben sie häufig eine viel höhere Effizienz beim Einsatz der Marketinggelder“, sagt er.

Kern der Markenbildung sei Authentizität. „Und da tun sich die jungen Marken mittlerweile leichter, weil sie besser als die Konzerne eine Geschichte rund um ihre Marke erzählen können“, so Wahby.

Die Erlöse seines Start-ups lagen im vergangenen Jahr schon bei 24 Millionen Euro.
Die Erlöse seines Start-ups lagen im vergangenen Jahr schon bei 24 Millionen Euro.

„Der Schlüssel, um sich als Onlinemarke neu zu etablieren, ist, ehrlich und glaubwürdig zu sein“, bestätigt Gründer Klarmann. Junglück zeige in seinen Kanälen, wo die Rohstoffe herkommen, erkläre, wie hoch der Bioanteil bei den Zutaten ist. „Konzerne mit vielen Marken haben es schwieriger, sich so nahbar zu zeigen.“

„Konzerne haben es im D2C-Bereich schwerer“, weiß auch Beiersdorf-Chef Warnery. Start-ups könne es online einfacher gelingen, eine neue Marke an den Start zu bringen, weil sie noch keine Markenhistorie hätten. So hat Beiersdorf trotz millionenschwerer Investitionen in den E-Commerce gerade mal einen Onlineanteil am Umsatz von zehn Prozent.

Der Konzern ist spät in das D2C-Geschäft eingestiegen. Nach dem Scheitern von „Own“ will Beiersdorf nun seine bekannten Marken wie Nivea oder Hansaplast digital erweitern. „Wenn man als Konzern in den Online-Direktvertrieb auch noch mit einer neuen Marke einsteigt, macht es das ungleich schwerer“, so Warnery.

Auch Henkel hat offenbar erkannt, dass der Konzern aus eigener Kraft dieses Geschäft nicht erfolgreich aufbauen kann. Der Konsumgüterkonzern übernahm deshalb 75 Prozent der D2C-Marken Hello Body, Banana Beauty und Mermaid+Me, die Produkte in den Bereichen Körperpflege, dekorative Kosmetik und Haarpflege haben.

Henkel soll 300 Millionen Euro für die Marken bezahlt haben, die vor dem Deal zusammengenommen 100 Millionen Euro Umsatz erzielten. Schon 2019 ging Henkel ein Joint Venture mit dem amerikanischen D2C-Start-up E-Salon ein, einem Spezialisten für personalisierte Haarfärbemittel.

Ankerkraut-Übernahme durch Nestlé löste Shitstorm aus

Übernahmen wie bei Henkel könnten leicht schiefgehen, wenn sie die Start-ups zu schnell und zu eng in die Konzernstrukturen einbinden, warnt Experte Wahby. „Sie sollten die neuen Marken möglichst weit weg vom Konzern halten und ihre Eingriffe sehr fein dosieren“, empfiehlt er.

„Man muss auch aufpassen, dass die jungen Marken keinen Reputationsverlust erleiden, wenn bekannt wird, dass sie von einem Konzern übernommen werden.“ Glaubwürdigkeit sei zentral für diese Marken, und die könne beschädigt werden, wenn Konzern und Start-up nicht zusammenpassen.

Das musste jüngst das Start-up Ankerkraut erleben. Als die Gründer ankündigten, sich vom Multi Nestlé übernehmen zu lassen, brach ein Shitstorm los. Innerhalb kürzester Zeit gab es mehr als 20.000 kritische Kommentare allein auf Facebook, Kooperationspartner wie der Influencer LeFloid kündigten die Zusammenarbeit.

Junglück-Chef Klarmann will sich deshalb vorerst nicht von einem Konzern aufkaufen lassen. „Die Partner müssten schon sehr gut zusammenpassen“, sagt er. Stattdessen versucht er, mit seiner Firma auch in den etablierten Handel vorzudringen und die Konzerne so auf ihrem eigenen Terrain anzugreifen. In Kürze sollen Produkte von Junglück testweise im Onlinestore der Parfümeriekette Douglas verkauft werden.

Unser Sommer-Special: Jetzt das digitale Handelsblatt statt 4 ganze 6 Wochen für 1 € lesen

Unser Sommer-Special: Jetzt das digitale Handelsblatt statt 4 ganze 6 Wochen für 1 € lesen

Von Junglück bis Harry’s: Das Erfolgsgeheimnis der jungen Kultmarken im E-Commerce

Premium

Diese Inhalte sind für Premium-Mitglieder inklusive

Der Zugang zu diesem Artikel und zu vielen weiteren exklusiven Reportagen, ausführlichen Hintergrundberichten und E-Learning-Angeboten von ausgewählten Herausgebern ist Teil der Premium-Mitgliedschaft.

Premium freischalten

Handelsblatt schreibt über Substanz entscheidet

Das Handelsblatt ist das führende Wirtschaftsmedium in Deutschland. Rund 200 Redakteure und Korrespondenten sorgen rund um den Globus für eine aktuelle, umfassende und fundierte Berichterstattung. Über Print, Online und Digital kommunizieren wir täglich mit rund einer Million Leserinnen und Lesern. NEU: Diese Seite bietet Premium-Mitgliedern eine Auswahl der besten Artikel vom Handelsblatt direkt hier.

Artikelsammlung ansehen