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Warum brauchen wir Vorbilder?

Am Thema Vorbilder scheiden sich die Geister: Wenn man selbst jemanden zum Vorbild kürt, „infantilisiert man sich selbst“, schreibt Reinhard K. Sprenger in seinem Buch „Die Entscheidung liegt bei dir!“ Die Betonung des Vorbildlichen ist für ihn „das Kainsmal der Unreife“, denn psychologisch richtet sich das Vorbild einer gütigen Elternrolle an das angepasste Kind in uns. Wer in seinem Vorbild „aufgeht“, hat auch keine Notwendigkeit, selbst herauszufinden, wer man ist, und was man selbst denkt. Das zu machen, was andere vormachen, verleiht Sicherheit (des Kindes). Hinzu kommt, dass in den Medien Vorbilder häufig auf einen Sockel gestellt werden und sie als unfehlbar erscheinen lassen. Angebrachter wäre es deshalb, nicht den „ganzen Menschen“ zum Vorbild zu deklarieren, sondern lediglich dessen vorbildliches Verhalten in bestimmten Situationen seines Wirkens. Vorbilder müssen nicht fehlerlos sein. „Solche Heilige, die in allen Lebensbereichen stets richtig handeln und immer auf dem rechten Weg wandeln, gibt es nicht“, sagte der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger einmal. Auch ein reuiger Sünder taugt für ihn als Vorbild. In seiner "Kanzelreden" in der Bonner Kreuzkirche warnte er 2013 davor, junge Menschen, die gerade von der Schule kämen, mit Erwartungen zu überfordern. Niemand müsse wie Mutter Theresa oder Mahatma Gandhi sein.

Dennoch sei es Aufgabe des Sports, immer wieder soziale Vorbilder aufzubauen. Den heutigen Nationalspielern kommt dabei als Idole für Millionen von Kindern ebenfalls eine besondere Verantwortung zu – deshalb bat er sie als DFB-Präsident stets darum, sich noch mehr ihrer Vorbildfunktion bewusst zu sein: „Für die Kinder ist es unwichtig, ob ein Spieler viel oder wenig Geld verdient. Für sie ist es wichtig, dass ein Poldi glänzend Fußball spielen kann, sich im Alltag normal und freundlich verhält und sie selbst so mal werden möchten.“ (kicker-Sportmagazin, 2. Januar 2007). Gute, in sich selbst angekommene Vorbilder sind in einer Gesellschaft, die immer mehr zerfällt, essenziell, sagt der High Performance Coach Bert Martin Ohnemüller. Denken und Fühlen, Inneres und Äußeres, Sein und Sollen gehören zu seinem Vorbildverständnis. Deshalb sind sie auch in der Lage, Entscheidungen zu treffen und sich der Folgen bewusst zu sein. Denn was sie heute denken und tun, gilt auch für die Zukunft.

Die meisten Menschen bevorzugen die Schmerztherapie, ganz nach dem Motto: "Lieber ein bekanntes Elend als eine unbekannte Freude." Die Angst vor Veränderung steckt uns zutiefst in den Knochen und ist offensichtlich ein Teil unseres evolutionären Erbes. Unser archaisches Denksystem führt immer wieder zu Wahrnehmungsverzerrungen (Bias). Der Negativitätsbias besagt, dass die Risiken tendenziell negativ überbewerten. "Was passiert, wenn es nicht klappt?" ist ein häufiger Begleitgedanke. Darüber hinaus wirken natürlich unsere persönlichen Erfahrungen und Glaubenssätze. Hier denke ich unter anderem an das Phänomen der "gelernten Hilflosigkeit". Wir brauchen ein Bewusstsein dafür, dass wir so denken wie wir denken.

"Glaubt bzw. glauben Sie einfach nicht alles, was Sie denken!"

Genau! Weil es der bessere und aus meiner Sicht auch einfachere Weg ist, Veränderung und Entwicklung zu ermöglichen. Vorbilder müssen nicht perfekt sein. Und das Auf- den-Sockel-Stellen ist auch keine gute Idee. Wir neigen gerne dazu, Menschen zu erhöhen, um sie dann genau von diesem Podest wieder herunterzustoßen.

Aus Vorleben, aus echter Authentizität und dem Mut, Schritte zu gehen, Dinge zu tun oder Botschaften zu sagen, die bisher nicht formuliert wurden. Wir lernen durch Vorbild, wir lernen durch Beobachtung, und wir brauchen diese Leuchttürme für die Orientierung unseres eigenen Lebens. Wenn wir wissen wollen, wer jemand ist, dann erkennen wir das an seinen Taten vielmehr als an den Worten. Jeder Mensch braucht Vorbilder - idealerweise positive!

Er ist und bleibt mein Ziehvater. Die Verbindung mit ihm ist lebendiger denn je. Wir kennen uns seit über 40 Jahren, und die Freundschaft ist kontinuierlich gewachsen. Noch heute diskutieren wir Business-Themen und mögliche Vorgehensweisen. Ich empfinde es als großes Glück, Friedhelm als Sparringpartner und Mentor an meiner Seite zu haben. Ich glaube, dass die Wertewelt, die ich zu Beginn unserer Zusammenarbeit erleben und wahrnehmen durfte, tief in mir verankert sind. Sie sind eine implizite Navigationshilfe im Dschungel der Businesswelt.

Die Fußstapfen meines Ziehvaters habe ich vor vielen Jahren verlassen - bestimmt auch ein wenig aus der Idee, dass man niemanden überholen kann, wenn man in dessen Fußstapfen tritt. Überholen bedeutet für mich, den eigenen Weg finden, die eigene Spur zu ziehen und zu hinterlassen. Der innere Antrieb für mich war und ist, der Welt die eigene Musik zu schenken und nicht das Lied des Chefs zu spielen.

Die schnellste Form der Erkenntnis ist das Machen. Auch das ist eine Fähigkeit, die ich von meinen Vorbildern übernommen habe: "The key is in action not in words." Auf jedes Tun entsteht ein Feedback, ein Learning. Das Leben spricht in jedem Moment zu uns. Die Frage ist, ob wir hinhören und hinschauen. Ich habe früh angefangen, mich zu erproben und den Mut aufgebracht, möglicherweise nicht das gewünschte Resultat zu erzielen. Erkennen hat viel mit Anerkennen zu tun - mich selbst anzuerkennen ist eine zwingende Voraussetzungen, andere kennenzulernen und anzuerkennen.

Der Held ist bereit, trotz Unsicherheit und Angst zu handeln. Das unterscheidet meines Erachtens den Erfolgreichen vom weniger Erfolgreichen. Wir haben alle Angst und Zweifel - es gilt trotzdem zu handeln. Die Ängstlichen erschrecken vor der Tat, die Mutigen danach. Auch Helden werden gerne gefeiert und am nächsten Tag verbrannt. Für mich ist der Held eine innere Einstellung: die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen, um herauszufinden, wer man ist und wie man leben möchte. Die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Moderne Helden machen sich auf die Heldenreise zu sich selbst - erst dann sind sie in der Lage, ihre Einzigartigkeit, die immer auch ein Geschenk ist, in die Welt einzubringen.

Weil jeder ein potenzieller Held sein kann. In jedem Leben gibt es Herausforderungen und Gelegenheiten zu zeigen, was man wirklich kann. Der moderne Held ist kein Übermensch, sondern ein Mensch, der in einer besonderen Situation über sich hinauswächst. Aber nochmal: die größte Form der Heldenarbeit ist für mich hinzuschauen und zu handeln - und dieses Handeln sollte immer vielmehr aus dem Herzen als aus dem rein denkenden Verstand kommen.

Jede Lebensreise ist anders. Jedes Leben muss gemeistert werden. Die Herausforderungen und Prüfungen sind dabei so unterschiedlich wie wir Menschen. Die Idee einer Reise trifft es ganz gut. Betrachten wir unser Leben als Reise, dann ist genau diese die Belohnung. Also wir leben nicht nur, um irgendwo anzukommen, sondern wir sollten jeden Tag dankbar sein, das wir überhaupt auf der Reise sind. Reise bedeutet in diesem Zusammenhang auch Entwicklung: Wir können uns jeden Tag weiterentwickeln und wachsen, wir können jeden Tag etwas tun, was wir noch nie gemacht oder gedacht haben.

Mir hilft dabei die Idee, das mein Leben immer für mich und nicht gegen mich ist: Wachstum wird durch Herausforderungen und Prüfung nicht nur ermöglicht, sondern insbesondere beschleunigt. Mein Mantra vor großen Herausforderungen lautet: "Ich finde einen Weg, auch wenn ich ihn (noch) nicht sehe." Dieses Mantra trägt mich durch schwere Zeiten. Als Weltmeister des Jammerns wurde mir irgendwann bewusst, dass ich eben nicht weiß, wie schwer die Last ist, die ich nicht trage.

  • Die Formel in der Dekade der Menschlichkeit: Freude - Wahrheit – Erfolg. Interview mit Bert Martin Ohnemüller

  • „Menschen brauchen Selbstwirksamkeit, Sinn und Zugehörigkeit“

  • Bert Martin Ohnemüller: LEAD SPEAK INSPIRE: Eine Inspirationsquelle für die vor uns liegende "Dekade der Menschlichkeit", die neue Sichtweisen auf Führung, Teams und Unternehmenserfolg fordert. 3. Auflage Frankfurt a. M. 2019.

  • Bert Martin Ohnemüller: LEAD SPEAK INSPIRE Inspirationsbuch Zielführende Fragen und Übungen helfen Ihnen Ihr wahres Potenzial im Berufs- und Privatleben zu entfalten. Frankfurt a. M. 1. Auflage Februar 2019.

  • Bert Martin Ohnemüller: Warum wir in der Dekade der Menschlichkeit das Emotionale Positionierungs-System (EPS) brauchen. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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