Warum Christian Bruch vorerst Chef von Siemens Energy bleibt
München. Der Kapitalmarkttag des Krisenkonzerns Siemens Energy hat dem Vorstandsvorsitzenden Christian Bruch Überraschendes beschert: Vertrauen. Aufsichtsratschef Joe Kaeser versicherte dem CEO seine Rückendeckung, berichteten Teilnehmer eines Dinners, das Dienstagabend mit Analysten stattfand.
Und mit Kaeser glaubt der gesamte Aufsichtsrat, Bruch sei weiterhin der richtige Manager für den Posten, verlautet es aus dem Kontrollgremium. Allein, er bleibe ein CEO auf Bewährung.
So ist es an den Börsen mit dem Vertrauen in Bruch nicht weit her. Als der Vorstandsvorsitzende am Dienstag die mit Spannung erwartete neue Strategie für die verlustreiche Windsparte Siemens Gamesa vorstellte, sackte der Aktienkurs zeitweise um knapp zehn Prozent ab. „Das war nicht der große Befreiungsschlag“, räumen auch Insider bei Siemens Energy ein.
Selbst nach der Einigung auf Staatsgarantien sind die Investoren nicht von einer raschen Trendwende bei Siemens Energy überzeugt. „Es bleiben einige Fragezeichen“, sagte Felix Schröder, Fondsmanager bei Union Investment.
Als Beispiel nannte er die erwarteten Wachstumsraten nach der Umsetzung der Pläne. Es sei wieder einmal ein Neuanfang in einem weiterhin herausfordernden Umfeld verkündet worden: „Wir werden die Umsetzung des verkündeten Maßnahmenpakets und die Exekution des Auftragsbestands genau beobachten.“
Der Druck auf Bruch bleibt hoch. „Bei fast fünf Milliarden Euro Verlust steht natürlich auch der CEO zur Diskussion“, sagt ein Insider. Siemens Energy kommt unter Bruchs Führung auf mindestens ein Dutzend Gewinnwarnungen. Die Aktie hat seit Mitte Juni mehr als 50 Prozent verloren.
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Wenn es keine weiteren Hiobsbotschaften gebe, zum Beispiel noch höhere Belastungen aufgrund der Qualitätsprobleme bei Windrädern, stehe der Chef aber nicht zur Disposition, heißt es in Aufsichtsratskreisen – wenigstens kurzfristig nicht. Doch was spricht für einen Verbleib – und was dagegen?
1. Bruch kann Sanierungserfolge vorweisen – doch der Fokus war zu einseitig
Nachdem Bruch die Führung übernommen hatte, konzentrierte er sich bei Siemens Energy stark auf das Geschäft mit Gaskraftwerken, das schon seit Jahren ein Sanierungsfall war. Die Windräder waren der große Hoffnungsträger, es würde schon irgendwie werden. Der Fokus war zu einseitig, räumt Bruch inzwischen auch intern ein.
„Doch hat er gezeigt, dass er Sanierung kann“, meint ein Siemens-Energy-Aufsichtsrat. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2022/23 (30. September) steigerte die einstige Krisensparte Gas Services den Umsatz währungsbereinigt um knapp 18 Prozent auf rund elf Milliarden Euro – bei einer sehr ordentlichen Ergebnismarge von 9,5 Prozent. Auch die Stromnetze (Rendite 7,5 Prozent) und die Zukunftseinheit „Transformation of Industry“ (5,1 Prozent) verdienten Geld.
„Wir erzielen in 70 Prozent unserer Geschäftsbereiche konsistente und beeindruckende Ergebnisse“, warb Bruch in eigener Sache. Das „profitable Wachstum“ wolle man in den nächsten Jahren beschleunigen. Angesichts der Sanierungserfolge trauen Aufsichtsräte Bruch daher trotz aller Rückschläge noch immer zu, dass unter seiner Führung auch im Windgeschäft die Wende gelingt.
2. Viel Erfahrung mit Projekten – doch die Gefahr von Mikromanagement
Bruch war vom Gasekonzern Linde zu Siemens Energy gekommen, er und Kaeser hatten sich auf Auslandsreisen kennengelernt. Nach der Fusion mit Praxair hatte der margenschwächere Anlagenbau, den Bruch verantwortete, eigentlich keine Zukunft im Konzern. Doch der Manager wählte Projekte sehr genau aus und verbesserte Prozesse und Strukturen. So überzeugte er den neuen Linde-Chef Steve Angel von der Existenzberechtigung der Sparte.
„Wir brauchen bei Siemens Gamesa ja jemanden mit Projekterfahrung“, sagt ein Siemens-Energy-Aufsichtsrat. Und ein anderer meint über Bruch: „Er ist ein exzellenter Techniker.“ Der CEO arbeite sehr strukturiert und versuche, den Problemen auf den Grund zu gehen.
Das sei allerdings eine Gratwanderung. Während Siemens Gamesa über Jahre an der zu langen Leine gelassen worden sei, betreibe Bruch nun teilweise Mikromanagement. Da komme er teils Siemens-Gamesa-Chef Jochen Eickholt ins Gehege.
Dieser gilt als erfahrener Sanierer, kann bislang aber kaum konkrete Erfolge vorweisen. Im Rahmen des Kapitalmarkttags war es vor allem Eickholt, der die Aktie auf Talfahrt schickte: Er sagte, man wolle bald auch im Onshore-Geschäft wieder aktiver werden – exakt in der Sparte, die dem Konzern derzeit Probleme bereitet.
3. Nur ein Teil der Probleme ist hausgemacht
Etwa zwei Drittel der Probleme von Gamesa, schätzen sie intern bei Siemens Energy, sind auf eigene Fehler zurückzuführen. Die Integration ist misslungen, die Prozesse stimmten ebenso wenig wie die Fehlerkultur, die Turbinengeneration 5.X wurde viel zu schnell auf den Markt geworfen.
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Doch im Umkehrschluss heißt das: Die Krise von Siemens Energy liegt auch darin begründet, dass man sich in einem extrem schwierigen Umfeld bewegt. Kein Turbinenbauer verdient derzeit Geld. Das liegt etwa daran, dass die alten Verträge in der Branche so gestaltet waren, dass etwa Preissteigerungen beim Stahl nicht an die Kunden weitergegeben werden konnten.
Zudem bringen alle Anbieter immer größere und leistungsstärkere Turbinen nicht vollständig ausgereift auf den Markt. Die Kosten für die Entwicklung und die Anpassung der Produktion sind hoch, ebenso die Fehleranfälligkeit. „Daran könnte auch ein neuer CEO so schnell nichts ändern“, sagt ein Aufsichtsrat.
Bruch hat nun auf dem Kapitalmarkttag Einsparungen in Höhe von 400 Millionen Euro bei Siemens Gamesa angekündigt. Investitionen und Wachstumstempo sollen gedrosselt, Produkte und Märkte gezielter ausgewählt werden. Man sei sich weitgehend einig, dass man das Offshore-Geschäft mit den Windrädern auf hoher See weiterbetreiben wolle. Im Onshore-Bereich müsse man überlegen, ob man „im Extremfall“ aussteige. Und das führt zurück zu den Stimmen im Aufsichtsrat, die das nicht als den großen Wurf bezeichnen.
4. Es ist nicht der Zeitpunkt für einen Wechsel an der Spitze
Mit der Einigung auf Staatshilfe haben Bruch und Siemens Energy Zeit gewonnen. „Jetzt eine Führungsdebatte führen, das geht gar nicht“, sagt ein Aufsichtsrat. Der CEO müsse die Probleme im Windgeschäft aber nun wirklich in den Griff bekommen. Bislang sei man noch nicht überzeugt, dass das Geschäft bald gedreht werden könne, die Aussichten für 2024 seien eher noch düsterer als ohnehin befürchtet.
Aktuell heißt es im Aufsichtsrat aber auch über Bruch: „Er kann das.“ Bei Siemens Gamesa habe er zum Beispiel die entscheidenden Führungspositionen neu besetzt. Niemand wisse, was ein anderer CEO in der derzeitigen Situation besser machen könne.
Wenn der Konzern aus dem Gröbsten raus und wieder in ruhigerem Fahrwasser sei, müsse man jedoch prüfen, ob man dann nicht eher einen Strategen an der Spitze brauche.
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