Warum die Zero-Waste-Bewegung einen Zeitnerv trifft
Alte Konsumgewohnheiten werden heute immer mehr infrage gestellt. Nischen-Akteure wie Öko-Pioniere sind als mutige Vordenker und Vorreiter von grundlegender Bedeutung für diese gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die anhaltende Handlungsbereitschaft erfordern. Für uns als Verbraucher bedeutet das, verstärkt darüber nachzudenken, welche Produkte gekauft werden, und wie Nachhaltigkeit im Alltag auf eine Weise gelebt werden kann.
Wer etwas Gutes für sich, die Umwelt und die eigene Region tun möchte, kauft regional ein, um heimische Bauern und Lieferanten zu unterstützen. Je kürzer der Transportweg, umso besser für den ökologischen Fußabdruck. Die Zeiten sind vorbei, in denen „Zielgruppen" penetrant mit TV-Spots berieselt werden konnten, um eine Botschaft wie „Geiz ist geil" oder „Supergeil" in ihr Bewusstsein zu drücken. Billigprodukte werden heute meistens mit einer schlechten Ökobilanz, Lohn-Dumping, Kinderarbeit oder verantwortungslosen Unternehmenspraktiken assoziiert. Die bewussten und mündigen Konsumenten von heute sind gut informiert und möchten wissen, wo die Produkte hergestellt werden, die sie kaufen. Besser leben heißt für sie, anders herzustellen und zu konsumieren. Sie sind davon überzeugt, dass Geiz am Ende schädlich für Mensch und Umwelt ist, und dass Lifestyle und Weltrettung längst kein Widerspruch mehr sind.
Nachhaltiger Konsum heißt nicht weniger Konsum, sondern effizienter und bewusster Konsum als ein Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität. Der symbolische Wechsel von der „Ökonomie der Zuvielisation“ zu einer „Ökonomie der Bedeutsamkeit“ zeigt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Bei dem dabei stattfindenden Perspektivenwechsel vom Wollen zum Brauchen entstehen neue Produktions- und Konsummodelle. Je mehr wir unseren Verpackungsabfall sammeln und trennen, desto größer ist die Chance, dass wir die wertvollen Materialien für neue Anwendungen nutzen können – und somit unsere endlichen Ressourcen wie Erdöl schonen.
Kaffee ist seit Jahren das beliebteste Getränk der Deutschen: 162 Liter trinkt jeder durchschnittlich im Jahr. Davon sind rund acht Liter in Einweggefäßen unterwegs. Stündlich landen in Deutschland über 320.000 Einweg-Becher im Müll. Das sind jährlich etwa 2,8 Mrd. Coffee-to-go-Becher – ein 300.000 km hoher Becherturm. Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe werden dafür 64.00 Tonnen Holz und 11.000 Tonnen Kunststoff verbraucht. 22 Tonnen Rohöl stecken nach Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe in Coffee-to-go-Bechern. Es wird gebraucht für die Fertigung der Kunststoffdeckel sowie für die Beschichtung der Pappbecher, die innen mit Polyethylen beschichtet sind, damit sie nicht aufweichen.
Die durchschnittliche Lebensdauer eines Bechers liegt bei 15 Minuten. Ein Einwegbecher besteht zwar zum Großteil aus Papier (aus dem Nachwachsenden Rohstoff Holz), doch das Problem liegt in der dünnen Kunststoffbeschichtung. Die meisten Becher werden in den städtischen Abfallbehältern als Restmüll entsorgt, sofern sie nicht achtlos am Straßenrand oder in Grünstreifen landen. Nur wenige finden den Weg in das duale System und kommen so in die Verwertung, fand die Deutsche Umwelthilfe heraus http://www.duh.de/becherheld_problem/. Da die Becher kaum recycelt werden können, werden sie in der Regel einfach verbrannt. Refill-Becher aus Glas oder Porzellan sind eine gute Alternative.
Mittlerweile gibt es in einigen Geschäften und Kaffeehaus-Ketten sogar einen Rabatt, wenn der eigene Becher mitgebracht wird: „Coffee to go again.“ Einige Städte führen derzeit übergreifende Pfand-systeme für Mehrweg-Kaffeebecher ein (JUST SWAP IT“ in Berlin, „Refill it – piloted by l rojito“ in Hamburg, „Freiburg-Cup“ in Freiburg). In einigen deutschen Städten haben sich Initiativen gebildet. In Freiburg beispielsweise hat die Abfall- und Stadtreinigung (ASF) die Federführung über ein Pfandsystem. Das Prinzip ist einfach: Jeder, der seinen Kaffee lieber in einem Mehrwegbecher als in einem Einwegbecher trinken möchte, kann gegen 1€ Pfand einen sogenannten „FreiburgCup“ erwerben. Nach dem Kaffeegenuss kann der wiederverwendbare Becher in allen teilnehmenden Geschäften abgegeben werden und der Kunde bekommt sein Pfand zurück. Der Becher wird anschließend gespült und an den nächsten Kunden weitergegeben. Die Koordination des Projekts liegt bei der ASF. Nach anfänglich 14 Cafés machen in der 200.000-Einwohner-Stadt mittlerweile 72 Cafés, Bäckereien und Geschäfte bei dem Projekt mit. Die Café-Betreiber geben auf den Kaffee im FreiburgCup meistens noch zwischen 5 ct und 30 ct Rabatt. Seit Start der Aktion im November 2016 ziehen die Freiburger ein durchweg positives Fazit.
Es gibt sie in vielen verschiedenen Größen und ganz unterschiedlichen Materialien erhältlich sind Thermobecher aus Edelstahl, Becher aus Glas oder Porzellan sowie leichtere und ressourcenschonendere Varianten aus Biokunststoffen oder Verbundwerkstoffen (einer Mischung aus Pflanzenfasern und einem Kunststoff bzw. Biokunststoff). Gastronomen dürfen die eigens mitgebrachten Becher lebensmittelhygienisch problemlos befüllen. Das bayrische Landesamt für Umwelt bietet dazu weitere Informationen für Verbraucher und Gastronomen. http://www.abfallratgeber.bayern.de/
Mit Kaffee im handlichen Thermosbecher spart man nicht nur Geld, sondern schont gleichzeitig die Umwelt (in nachhaltiger Ausführung bei memolife). Laut der Aral Studie „Trends beim Kaffeegenuss 2017“ sagen drei Viertel der Befragten, dass ihnen die Idee eines Mehrwegbechers für Coffee to go gefällt. Fast 70 Prozent der Teilnehmer geben an, dass sie wahrscheinlich selbst dieses Angebot nutzen werden. Auch immer mehr Unternehmen reagieren – zum Beispiel neben dem Ökoversender memo AG in Greußenheim auch die Barmenia, die zu den großen unabhängigen Versicherungsgruppen in Deutschland gehört und Nachhaltigkeit ebenfalls fest in ihren Unternehmenszielen verankert hat: In ihrer Cafeteria hat sie mit einem Pfandsystem für Mehrwegbecher den Müll aus Coffee-to-go-Bechern drastisch reduziert. "Obwohl wir in unserer Cafeteria von Beginn an Porzellantassen für den Gebrauch vor Ort eingesetzt haben, wurden jährlich 120.000 Pappbecher verbraucht. Da die Barmenia insgesamt verantwortungsbewusst agiert, war es mir ein großes Anliegen, auch diese Müllberge zu reduzieren“, sagte Uwe Scheffler, Leiter der Abteilung Casinoservice im Februar 2017. Das Pfandsystem wurde im August 2016 eingeführt und bisher 80 Prozent des bisherigen Mülls eingespart werden. Aus Servicegründen werden auch noch Pappbecher angeboten. Dann ist das Getränk aber 10 Cent teurer. Die Barmenia bietet ihren 1.700 Mitarbeitern in ihren Hauptverwaltungen ausschließlich Fairtrade-Kaffee an.
Laut einer Studie des Naturschutzbundes von 2018 gibt es jährlich in Deutschland mehr als 280.000 Tonnen Abfall durch Verpackungen im To-go-Bereich. Doch was kann der Einzelne tun? In einem konventionellen Supermarkt können beispielsweise Produkte mit Ein- oder Mehrwegverpackungen gewählt werden. Getränke sollten beispielsweise nur in Mehrwegverpackungen gekauft werden, anstatt in PET-Flaschen oder Tetra Paks. Auch Obst und Gemüse wird lose verkauft, ebenso verhält es sich bei Milch, Sahne und Joghurt. Diese Lebensmittel können in eigens mitgebrachten Verpackungen erworben werden.
Wer einmalig in Frischhaltedosen, Netze, Stoffbeutel oder Einmachgläser investiert, kann ab diesem Punkt nur noch das, was er wirklich verbraucht, einkaufen und dauerhaft nachhaltiger und im Optimalfall kostengünstiger einkaufen. In vielen Städten gibt es mittlerweile „Unverpackt-Läden", die auf Nachhaltigkeit, Bio-Qualität und einen bewussten Umgang mit Konsum setzen. Hier kann man sich Produkte direkt in selbst mitgebrachte Dosen, Beutel oder Gläser abfüllen lassen. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 70 dieser Läden. 2014 wurde der erste in Kiel eröffnet. Hier kaufen auch viele ältere Menschen ein, die diese lose Form des Einkaufens an ihre Vergangenheit erinnert. Hinzu kommt noch, dass hier mit allen Sinnen eingekauft werden kann. So riecht man beispielsweise die Bohnen und hört, wie sie ins Gefäß klackern.
Die Amerikanerin Bea Johnson, Autorin des Buches „Glücklich leben ohne Müll“ (2016), ist eine Pionierin der Unverpackt-Bewegung. Es sollen knappe oder umweltbelastende Ressourcen durch besser verfügbare ersetzt und der Wiederverwertung und dem Recycling Vorrang gegeben werden vor dem Abbau neuer Rohstoffe. Deshalb lautet ihr Credo: reduce - reuse - recycle. Damit werden dem Immer-Mehr, Immer-Schneller und der Überschreitung der ökologischen Grenzen zahlreiche Möglichkeiten sinnvollen Tuns entgegengesetzt. Nachhaltige Kreisläufe messen sich an Vernunft, Klugheit und gesellschaftlichen Fundamenten, die sich als „tragfähig“ erweisen.
In den USA und Kanada gibt es eine App, die zeigt, wo man “bulk bins” finden kann - nicht nur rein verpackungsfreie Läden werden angezeigt, sondern auch jeder Laden, in dem man Lebensmittel abfüllen bzw. einzeln kaufen kann. Das Marktforschungsinstitut Splendid Research hat in der Studie „Unverpackt Einkaufen in Deutschland“ vom März 2018 insgesamt 1.016 Bundesbürger zum Thema befragt. Die wichtigsten Ergebnisse:
• 71 Prozent der Befragten sind begeistert vom Konzept des Unverpackt-Ladens. Allerdings haben nur acht Prozent bereits in einem solchen Geschäft eingekauft.
• 73 Prozent finden es gut, dass durch einen solchen Einkauf Verpackungen vermieden werden können
• 72 Prozent nennen das Thema Umweltschutz als Grund
• 27 Prozent mögen die Vorstellung, sich individuelle Zusammenstellungen kaufen zu können, die es sonst nicht im Handel gibt.
• 17 Prozent der potenziellen Kunden, gibt an, durch den Einkauf in einem solchen Geschäft keine Großkonzerne unterstützen zu wollen.
• 58 Prozent, die sich nicht vorstellen können, dort einzukaufen, nennen als Hauptgrund die vermeintlich mangelnde Hygiene.
• 51 Prozent der Verweigerer geben an, dass die fehlende Präsenz sie davon abhielte, in einem Unverpackt-Geschäft einzukaufen.
• Obst, Gemüse und Nüsse rangieren auf den ersten drei Plätzen bei den Produkten, die Verbraucher am ehesten unverpackt kaufen würden. Für die Marktforscher ist das wenig verwunderlich, denn diese Lebensmittel können gut und sicher transportiert werden und werden bereits von bekannten Ketten häufig unverpackt angeboten.
Eine Auflistung der Läden, in denen man in Deutschland, Österreich und der Schweiz verpackungsfrei einkaufen kann, gibt es hier.
Weiterführende Informationen:
Unter dem Stichwort Coffee-to-go-Becher zeigen Portale für nachhaltigen Konsum wie memolife und Utopia, was jeder selbst tun kann, um weniger Müll zu produzieren und trotzdem seinen Kaffee genießen kann.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Verpackt oder unverpackt? Warum Stoffkreisläufe eine Frage der Nachhaltigkeit sind. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Lina Jachmann: Einfach leben. Der Guide für einen minimalistischen Lebensstil. Mit Fotografien von Marlen Müller. Knesebeck Verlag, München 2017.