Warum Handwerk Sinn stiftet und das Glücksempfinden stärkt
Der Begriff des Handwerks erhält immer dann eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, wenn sich das Menschliche reduziert, die Dinge des Lebens durch Massenproduktion austauschbar werden und ihren ästhetischen Wert verlieren. Das stand schon im Mittelpunkt der Arts-and-Crafts-Bewegung des 19. Jahrhunderts. Heute stellt Industrie 4.0. http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/industrie-4-0.html, die Verschmelzung von IT-Technologie und Produktionstechnologie, neue Anforderungen an die bisherige Arbeitswelt.
Industrie 1.0 war das Zeitalter der industriell genutzten Dampfkraft.
Industrie 2.0 war die Folge des prägenden Einflusses von Henry Ford, der Einzelarbeitsplätze durch das Fließband ersetzte.
Industrie 3.0 basiert auf Maschinen mit programmierbaren Steuerungen.
Industrie 4.0 zeichnet sich durch Individualisierung bzw. Hybridisierung der Produkte und die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in die Geschäftsprozesse aus.
Die Digitalisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und Industrie 4.0 im Besonderen haben zwar das Potenzial, die demografische Entwicklung positiv zu verändern, doch leider stehen Handwerk und Industrie in den sozialen Medien bislang weniger im Fokus, ebenso wenig neue Geschäftsmodelle, die durch die Digitalisierung für KMU, Handwerk und Dienstleistungen entstehen. Dabei ist vieles durchaus wert, berichtet zu werden. Denn die Schönheit der handwerklichen Fertigung und das Glück, das mit dem Herstellungsprozess verbunden ist, werden in der Gesellschaft immer mehr geschätzt.
Angeblich stehen handwerkliche Berufe beim Glücks- und Sinn-Empfinden an der Spitze, weil Menschen einen Sinn in ihrer Arbeit sehen und erkennen, dass sie etwas „bewegt“ (Pressemitteilung 15.12.2016, <em>faktor. Die Social Profit Agentur GmbH). Was handwerkliche Momente in der Arbeit eines Architekten bedeuten, „wenn in der Versunkenheit in den Prozess der Übersetzung einer Idee in ein Material sich plötzlich etwas glücklich klären und fügen mag, was im Gedachten des Entwurfes gar nicht vorherzusehen war“, beschreibt Jörn Köppler in seinem Buch „Die Poetik des Bauens“, das er so zusammenfasst: „veritas est adaequatio rei et intellectus“ – Wahrheit ist die Übereinstimmung des erkennenden Verstandes mit der Sache. (Thomas von Aquin).
• sich an eine Sache hinzugeben und dranzubleiben
• sich zu fokussieren bzw. zu zentrieren
• Schritt für Schritt vorzugehen (Handgriff für Handgriff)
• etwas „Ins-Werk-zu-setzen“ (hervorzubringen)
• Vertrauen und Sicherheit in äußeren Dingen zu haben
• mit den Konsequenzen des eigenen Tuns konfrontiert zu sein.
Ohne den Blick auf das Handwerk und das Bewusstsein über Material und Geschichte werden wir die Probleme der Zukunft nicht lösen und neue technologische Möglichkeiten nicht nachhaltig nutzen können, denn dazu braucht es Können und Meisterschaft, deren Fundament Erfahrungen sind.
2008 veröffentlichte der amerikanische Philosoph Richard Sennett sein Buch „Handwerk“, in dem er schreibt, dass handwerkliches Können zwei emotionale Belohnungen für den Erwerb von Fähigkeiten bereithält: „eine Verankerung in der greifbaren Realität und Stolz auf die eigene Arbeit.“ Er beklagt allerdings, dass sich Akademiker in der Regel zu wenig auf die Welt der Dinge und die Bedeutung der Hände für den Kopf einlassen: Als junger Mann habe er diese Position gegenüber seiner Lehrerin, der Philosophin Hannah Arendt, noch nicht zu vertreten gewusst. Später sei ihm jedoch bewusst geworden, „dass die Menschen durch die von ihnen hergestellten Dinge etwas über sich selbst lernen können“.
Wo immer heute nach Orientierung gesucht wird, taucht der Name Hannah Arendt auf. In ihrem zeitlosen Essay „Gedanken zu Lessing“ spricht sie von der Menschlichkeit in finsteren Zeiten: Lessing zog sich zwar auf das Denken zurück (wie es viele Intellektuelle heute auch tun), aber nicht auf sein Selbst. Die „geheime Verbundenheit“ zwischen Handeln und Denken lag für Hannah Arendt darin, dass Handeln und Denken mit Bewegung zu tun haben. Lessings Denken war nie mit Resultaten verbunden. Was er wollte, war, andere zum Selbstdenken anzuregen und ein Gespräch zwischen Denkenden in Gang zu bringen.
Hand und Handwerk erinnern an den kreativen Teil in uns, der in dunklen Zeiten eine besondere Strahlkraft erhält. Diese sollten wir nachhaltig nutzen. Allerdings sind digitalisierte Strukturen beispielsweise in Baugewerbe, Handwerk oder Pflege noch wenig bekannt. Gerade hier wird händeringend nach Nachwuchs gesucht.
Leider entscheiden sich viele junge Menschen nicht für einen handwerklichen Beruf: Tausende Lehrstellen sind unbesetzt, weil die meisten an die Hochschulen drängen. „Akademikerschwemme“ bzw. „Akademisierungswahn“ führt dazu, dass viele studieren, um dann festzustellen, dass dies doch nicht das Passende für sie ist. Die Gründe sind in der Regel mangelnde Leistung und der Wunsch nach einer praktischen Tätigkeit. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Schüler besser über die Möglichkeiten informiert werden, die diese Berufswahl für sie bringt.
Beispielsweise erhielten 350 Schüler der Bünder Erich-Kästner-Gesamtschule (EKG) am Berufsinformationstag Anfang 2018 Einblicke in den Berufsalltag. Insgesamt 15 Unternehmen und Betriebe aus der Region waren dazu in die Bildungseinrichtung gekommen und stellten verschiedene Ausbildungsberufe wie Tischler, Rechtsanwaltsgehilfe oder Industriemechaniker vor. Erstmals beteiligte sich damals auch das Familienunternehmen Häcker Küchen aus Rödinghausen: An vier Stationen brachten die Mitarbeiter den jungen Menschen die Berufe des Fachinformatikers, Industriekaufmanns, Holzmechanikers und Elektronikers für Betriebstechnik näher. Auch aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels hat sich das Unternehmen zur Teilnahme entschlossen.
„Digitalisierte Strukturen beispielsweise in Baugewerbe, Handwerk (!) oder Pflege sind uns größtenteils noch gar nicht bekannt (aber in den Startlöchern)“, schreibt Philipp Riederle in seinem Buch „Wie wir arbeiten und was wir fordern. Die digitale Generation revolutioniert die Berufswelt“, in dem er unter anderem nachweist, dass die Digitalisierung Handwerker nicht so schnell ins Hintertreffen bringen wird, „denn smarte Tools oder Roboter können helfen, aber nicht übernehmen“!
Auch wenn die Akademisierung bei der steigenden Komplexität des digital-globalen Marktes heute wichtig und notwendig ist, so dürfen die handfesten Ausbildungsberufe nicht ins Hintertreffen geraten: „Was nützen uns all die Management-Profis, wenn es an Handwerkern, Metzgern oder Klempnern mangelt – wir also im täglichen Leben aufgeschmissen sind und es immer weniger zu managen gibt?“ Er plädiert dafür, dass die duale Ausbildung und die damit verbundenen Berufe dringend den aktuellen Gegebenheiten angepasst und stärker gefördert werden. Vor allem geht es darum, Handwerk, Technik und Unternehmensorganisation mit dem schnelllebigen Markt und der damit zusammenhängenden neuen Arbeitswelt zu verbinden.
Deutschland gilt als Küchenbauerland Nummer eins. Das hat sich auch im Digitalisierungszeitalter nicht geändert. Auch die „Küchenwerkstatt“ hat überlebt, weil sie das Alte und Neue nachhaltig verbindet und aus einer „Gedankenwerkstatt“ hervorging: Hier wird heute nicht mehr nur geschraubt und gewerkelt – es stehen vor allem Ästhetik, Komfort und Kochen im Fokus. Frank Schwab ist Inhaber der Küchenwerkstatt im österreichischen Götzis. Hier lernte er das Tischlerhandwerk „von der Pieke“ auf und verbindet es mit der aktuellen Entwicklung, in der das traditionelle Handwerk nicht verschwindet.
Auch Ulrich Meyer-Bröcker vom Unternehmen Meyer Holzbearbeitung, das seit 1978 mit Häcker Küchen zusammenarbeitet, hat mit einer Tischlerei begonnen, bevor er zu einem erfolgreichen Dienstleister der Möbel- und Küchenindustrie wurde. Sämtliche Arbeitsschritte, vom Zuschnitt über die Bekanntung bis hin zur eigenen Lackiererei werden hier mit einem modernen Maschinenpark abgebildet - dennoch stehen das Handwerk und die Bedeutung des Haptischen noch immer im Mittelpunkt. Beispielsweise bei der abschließenden Qualitätskontrolle, wenn das geschulte Auge Maserung und Oberfläche beurteilt und die fließenden Handbewegungen die Front perfekt lackieren. Händler und Endkunden wollen Qualität und Erscheinungsbild nicht nur mit den Augen, „sondern auch mit den Fingerspitzen wahrnehmen“, bestätigen Produktentwickler bei Häcker.
Berühren, begreifen und bewegen gehören noch immer zusammen, wenn es darum geht, die kleine und große Welt zu gestalten. Zwischen Google und Facebook bewegt sich auch David Rafter, Geschäftsführer von arena kitchen architecture. Das Unternehmen wurde 1989 als reine Tischlerei gegründet, die selbst Küchen fertigte. Dann folgte die Erweiterung, denn: „Irgendwie ist die Küche ja auch eine Art Arena, wenn man sich das Haus wie ein Theater vorstellt, dann findet hier die Kommunikation statt, geht es mal um Freude, dann um Drama“, so Rafter.
… das gilt nicht nur für jeden Menschen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt. Der Übergang von der Schule ins Berufsleben ist dabei ein wesentlicher Schritt. In Rödinghausen wird deshalb bereits seit 1980 ausgebildet. Die erste Auszubildende zur Industriekauffrau ist dem Unternehmen auch nach über 30 Jahren noch treu. 1992 starteten die ersten Holzmechaniker ihre Ausbildung. Inzwischen bildet das Unternehmen in sechs Berufen aus. Neben den klassischen Ausbildungsberufen Industriekaufmann/frau, Holzmechaniker/in und Fachinformatiker/in den Fachrichtungen Anwendungsentwicklung und Systemintegration, werden die dualen Studiengänge Ingenieur/in Holztechnik (BA) und Bachelor of Arts Betriebswirtschaft angeboten. Ab 2018 startete erstmalig die Ausbildung zum/r Elektroniker/in – Fachrichtung Betriebstechnik.
Worauf es jetzt ankommt
• Jugendliche müssen ernst genommen werden – es sollte nicht heißen „Ihr schafft das!“, sondern: „Ihr macht das!“
• Im Sinne des Bildungsreformers Wilhelm von Humboldt sollte vermittelt werden, dass man nur ein guter Handwerker sein kann, wenn man auch ein aufgeklärter Mensch und Bürger ist.
• In die Lehrpläne gehört eine systematische Berufsorientierung.
• Unternehmen müssen darüber nachdenken, wie sie die Attraktivität betrieblicher Lehrberufe sichtbarer machen können.
• Vermittelt werden sollte, dass die Digitalisierung Handwerker nicht ins Hintertreffen bringt. Smarte Tools oder Roboter unterstützen sie zwar bei ihrer Arbeit, können diese aber nicht übernehmen.
• Interessensvertreter der Handwerker müssen das Image ihrer Branche verbessern.
• Das Jobprofil des Handwerkers muss ausgeweitet werden (digitale Kompetenzen).
Weiterführende Literatur:
Aus Tradition verantwortungsvoll. Nachhaltiges Handeln als Unternehmenswert. Hg. von Häcker Küchen. Rödinghausen 2018
Hannah Arendt. Menschen in finsteren Zeiten. Hg. von Ursula Ludz. München, 2013.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2017.
Jörn Köppler: Die Poetik des Bauens. Betrachtungen und Entwürfe. Transcript Verlag, Bielefeld 2016.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.
Wo gehobelt wird. In: WORK 6 (12/2015). Hg. Häcker Küchen Gmbh & Co. KG, S. 36 f.