Warum Low Performer oft beim Chef gut ankommen
Rund ein Drittel der Beschäftigten arbeitet laut einer Studie weniger als behauptet. Wie schaffen sie es, sich durchzumogeln? Und wieso merken Vorgesetzte das nicht?
Berlin. Als Frank Mielke neu in seinem Job war, hängte er sich richtig rein. Keinen Auftrag lehnte er ab. „Ich habe nicht auf die Uhr geschaut“, erzählt der Berliner, der in Wirklichkeit anders heißt. Die Arbeit hat ihm Spaß gemacht. Doch nach einigen Jahren ließ die Arbeitsfreude nach, die Aufgaben wiederholten sich. Und Mielke merkte, dass er auch mit weniger Einsatz gut durchkam.
Obwohl er seine Arbeit nun in der Hälfte der Zeit erledigte, wirkte er weiterhin voll beschäftigt. Hinter dem Computer saß er konzentriert, allerdings waren es nicht Tabellen, die ihn fesselten, sondern Videospiele. Am Monitor klebte nicht ein Post-it, sondern zehn Klebezettel, um ihn an vermeintlich wichtige Aufgaben zu erinnern.
Im Homeoffice kann man sich leichter drücken
Den Durchbruch brachte das Homeoffice: Morgens und abends führte Mielke ein paar Telefonate, im Videocall mit dem Teamleiter und den Kollegen stellte er interessierte Rückfragen und machte hilfreiche Vorschläge zu den Projekten der anderen. Dann hatte er freie Bahn für den Rest des Tages. Mielke ging ins Fitnessstudio oder joggen, zu Hause meditierte er oder las ein Buch. Das macht er bis heute so. Das Verblüffende: Der Chef merkt nichts.
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Ein Drittel arbeitet weniger als behauptet
Ungewöhnlich ist das nicht. Das zeigt eine Studie der Universität Boston. Erin Reid, Juniorprofessorin an der Questrom School of Business, hatte 115 Mitarbeiter einer ungenannten, globalen Unternehmensberatung befragt. Das Unternehmen ist bekannt für seine hohen Ansprüche, 80-Stunden-Wochen sind dort nichts Seltenes.
Doch rund ein Drittel der männlichen Berater, so fand Reid heraus, tut nur so, als ob sie ständig schuften. Unter den Beraterinnen waren es nur elf Prozent, die vorgaben, mehr zu leisten, als es der Realität entsprach. Das Interessante: Alle kamen damit bei ihren Vorgesetzten durch. Wer geschickt Leistung vortäuscht, ist genauso beliebt wie Menschen, die wirklich hart arbeiten.
Probleme hatten am Ende nicht diejenigen, die sich still und heimlich abgeseilt haben, sondern die Mitarbeiter, die gegen die vielen Überstunden und die hohe Arbeitsbelastung lautstark protestierten. Die Oberberater gaben das sogar offen zu: Als Reid die Chefs mit ihren Studienergebnissen konfrontierte, sagten diese, Mitarbeiter, die Überlastung vortäuschen, seien ihnen lieber als solche, die sich über zu viel Stress beklagen.
Chefs lassen sich blenden
Susanne Reinker wundert das nicht. Die Autorin hat ein Buch über „Die Faultier-Strategie“ geschrieben. „Chefs lassen sich schnell blenden“, sagt sie. „Wenn der Schreibtisch aufgeräumt ist, der Mitarbeiter gepflegt aussieht und sich loyal verhält, wird seine Leistung besser beurteilt als die eines unordentlich, ungepflegt oder intrigant wirkenden Kollegen.“
Unter den Faultieren am Arbeitsplatz finden sich häufiger Männer als Frauen, betont Reinker. „Frauen fühlen sich oft schon aufgrund ihrer Erziehung stärker verpflichtet, Leistung zu bringen und eine perfekte Arbeit abzuliefern.“
Chefs durchschauen den Schwindel oft nicht und lassen sich täuschen. Denn mit der Personalführungskompetenz ist es oft nicht weit her. In deutschen Unternehmen werden Menschen vor allem deshalb zu Führungskräften gemacht, weil man sie für fachlich gut hält. „Viele Chefs bemerken es überhaupt nicht, ob jemand 80 oder 100 Prozent gibt“, meint Susanne Reinker.
Vorgesetzte sind häufig überfordert, sagt auch Autorin und Coach Svenja Hofert. Das gilt vor allem dann, wenn die Chefs neben der Teamleitung auch noch selbst Fachaufgaben lösen müssen. „Sie definieren sich oft über ihre fachlichen Leistungen und vernachlässigen die Personalführung“, weiß Hofert.
Hinzu kommt: Viele Führungskräfte möchten es den Mitarbeitern recht machen. Chefs üben keine Kritik, setzen keine klaren Ziele, kritisiert die Wirtschaftspsychologin: „In deutschen Unternehmen herrscht eine Lobkultur.“
Vorgesetzte seien verunsichert durch das Gerede von „New Work“ und glaubten, sie müssten dafür sorgen, dass sich alle Teammitglieder wohlfühlen und sinnhafte Arbeit verrichten. „Doch Arbeit ist kein Ponyhof“, meint Hofert, „Unternehmen müssen wirtschaftlich arbeiten.“ Statt der Aufgabe werde in Teams viel zu oft die Harmonie in den Mittelpunkt gestellt. Hofert hält das für falsch.
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Mit diesen Tricks kommen die Low Performer im Job durch
Das führt dazu, dass Abseiler, im Karrieresprech Low oder Poor Performer genannt, mit angezogener Handbremse ein gutes Leben im Betrieb haben können. Hauptsache, sie wirken beschäftigt.
Da sind dann zwei Monitore besser als einer, aber der Computerbildschirm ist von der Tür weggedreht. Auf dem Flur sind sie nie mit leeren Händen unterwegs, sondern tragen Unterlagen mit sich herum. Auf dem Schreibtisch suggerieren Projektordner oder Berichte Geschäftigkeit. Dass dort immer dieselben Papiere liegen, fällt niemandem auf. Auch eine oder zwei benutzte Kaffeetassen sind eine wichtige Deko, denn gestresste Mitarbeiter brauchen nun einmal Treibstoff.
Die Faultier-Kollegen beteiligen sich angeregt an Teamsitzungen und übernehmen gern die Präsentation von Arbeitsergebnissen, die andere im Team zugeliefert haben. Wenn sie über ihre eigene Arbeit berichten, schlachten sie jedes Detail so weit aus wie möglich. Wenn der Chef unangenehme Aufgaben verteilt, halten sie sich im Hintergrund.
Viele haben innerlich gekündigt
Wie viele Menschen weniger leisten, als sie vorgeben, weiß man nicht. Zu denken gibt aber eine aktuelle Studie des Marktforschungsunternehmens Gallup. Jedes Jahr untersucht es in seinem „Engagement Index“, wie es um die Motivation deutscher Arbeitnehmer bestellt ist.
Die letzte Erhebung aus dem November vergangenen Jahres ist erschreckend: Über 7,3 Millionen Beschäftigte haben innerlich gekündigt, jeder Fünfte fühlt sich seinem Arbeitgeber nicht verpflichtet. Das ist der höchste Stand seit 2012. Die mangelnde Bindung und Produktivität kosten die deutschen Unternehmen zwischen 132,6 und 167,2 Milliarden Euro, hat Gallup ausgerechnet.
Warum wird man zum Low Performer?
Die Gründe für die innere Emigration: fehlende Anerkennung im Job, geringe Wertschätzung, schlechtes Betriebsklima. Zwar gibt es Menschen, die von Natur aus faul sind, aber die meisten Faultiere im Job waren anfangs keine. „Sie wurden dazu gemacht“, sagt Reinker. „Wenn man keine Anerkennung bekommt, keine Gehaltserhöhung, keine Wertschätzung, ist es völlig nachvollziehbar, seine Leistung und sein Engagement herunterzufahren“, meint sie.
Zudem weiß man aus der Zeitmanagementforschung, dass es sinnvoll sein kann, nicht die volle Energie in ein Projekt zu investieren. Das nach dem italienischen Ökonom Vilfredo Pareto benannte Pareto-Prinzip besagt, dass in der Regel 80 Prozent der Ergebnisse mit 20 Prozent Aufwand erreicht werden können. Um dann noch die restlichen 20 Prozent zu schaffen, sind 80 Prozent Aufwand nötig. „Ist es nicht ein Zeichen von Intelligenz, wenn man sagt, 80 Prozent reichen auch?“, gibt Reinker zu bedenken. „Gut ist gut genug.“
Doch was in wirtschaftlich sonnigen Zeiten funktionieren mag, kann sich in Krisenzeiten rächen. „Die Unternehmen beginnen jetzt, Stellen abzubauen“, warnt Karriereexpertin Svenja Hofert. Viele Beschäftigte seien darauf nicht vorbereitet. Das betrifft vor allem die Generation Z, die jetzt ihre ersten Berufserfahrungen macht.
Ihnen wird suggeriert, dass ihr Arbeitsplatz sicher ist, dass sie gefragt sind und sich keine Sorgen machen müssen, ihn zu verlieren, weil Unternehmen ja Fachkräfte suchen. „Das wiegt sie in Sicherheit und befördert Low Performance im Job“, warnt Hofert. „Doch die Realität sieht anders aus.“
Was Kollegen tun können
Zur Realität gehört auch, dass zwar viele Chefs die Müßiggänger im Team nicht durchschauen, die Kollegen aber oft sehr wohl wissen, was jemand leistet oder nicht. Ein- oder zweimal mag man einspringen und Aufgaben für den anderen übernehmen – aber irgendwann ist die Geduld am Ende. Das Problem: Wenn man das Thema offen anspricht, macht man sich damit keine Freunde, warnt Hofert. Das gilt schnell als Querulantentum oder Anschwärzerei und stört die Harmonie.
Reinker rät zu mehr Gelassenheit. Wenn man sich über einen Kollegen ärgert, der es auf der Arbeit sehr ruhig angehen lässt, sollte man sich selbst hinterfragen, meint sie. „Warum ärgert mich das so sehr? Würde ich mir vielleicht gern eine Scheibe abschneiden?“
Weniger Stress im Job, das wünschen sich doch viele. Und vielleicht kann man vom Faultier-Kollegen lernen, anstatt sich aufzuregen. Und einfach mal Nein sagen, wenn es um die Arbeitsverteilung geht.
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